The European Metropolis 1920-2000. Exploratory Workshop der European Science Foundation

The European Metropolis 1920-2000. Exploratory Workshop der European Science Foundation

Organisatoren
Zentrum für Vergleichende Geschichte Europas
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.12.2002 - 14.12.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Stephanie Warnke, Freie Universität Berlin/Zürich

(Dies ist eine gekürzte Fassung des Berichtes auf der Homepage des ZVGE: http://www.fu-berlin.de/zvge/frame/metropolis-ber.htm .)

Im Zeitalter von Megastädten und "Global Cities", unter denen als letzte europäische Stadt nur noch London einen Platz hat, scheinen die alten europäischen Metropolen zu historischen Relikten geworden zu sein. Dieser "Exploratory Workshop" der European Science Foundation, der mit Unterstützung des ZVGE in Berlin stattfand, sollte in einer international vergleichenden Perspektive historische Entwicklungslinien "der" europäischen Metropole von 1920 bis 2000 herausarbeiten und Leitfragen für ein neues Forschungsprogramm sammeln. In der interdisziplinären, vorwiegend aus Historikern und Geographen zusammengesetzten Gruppe dominierten quantitativ-deskriptive Beiträge zu den europäischen Hauptstädten und ihren Agglomerationen. Neben begriffsgeschichtlichen Überlegungen und Betrachtungen zu den Konzeptualisierungsmöglichkeiten des europäischen Städtenetzwerkes wurden die niederländische Randstad, St. Petersburg und Moskau, London, Stockholm, Helsinki, Lissabon, Berlin und Paris als Fallbeispiele diskutiert und verglichen.

Henk van Dijk (Erasmus Universität, Rotterdam), Initiator des Workshops, problematisierte in seiner Eröffnung kurz die verschiedenen Dimensionen des Begriffs "Metropole" und wies dabei z.B. auf das schillernde Bild der "Metropolis" im legendären Film Fritz Langs oder den doppelten, realen und virtuellen Metropolen-Charakter New Yorks hin. In Europa habe nach heftigen Debatten in der ersten, und einer langen Phase der Suburbanisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, erst in den letzten Jahren wieder ein größeres Interesse an den Großstädten eingesetzt.

Zwei Beiträge widmeten sich dem Beispiel der Randstad, der wirtschaftlichen und politischen "core region" der Niederlande. Bert van der Knaap und Ronald Wall (Erasmus-Universität, Rotterdam) erläuterten, wie hier die Expansion des Dienstleistungssektors in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neue urbane Netzwerke schuf. Neben einer hohen Konzentration in den Großstädten sei es zu einer Stärkung der mittleren Städte und fließenden Netzwerkstrukturen zwischen verschiedenen Zentren gekommen. Städtesysteme entwickelten sich demnach nicht unilinear von hierarchischen "central place systems" zu Netzwerken, sondern seien durch eine hybride, sowohl hierarchische als auch fluide Organisation gekennzeichnet. Paul van der Laar (Erasmus Universität Rotterdam) und Pim Kooij (Reichsuniversität Groningen) stellten die Randstad als Beispiel einer "floating metropolis" in den Mittelpunkt. Dieser hufeisenförmige Städtering entziehe sich als Konglomerat mittlerer Städte nach wie vor Versuchen einer regionalen Integration. Im Gegenteil stelle sich gerade die Rivalität unter den Städten als ökonomisch und kulturell belebend heraus. Als Folge der post-industriellen Entwicklung, zunehmender Suburbanisierung, Deindustrialisierung und des Wandels der wirtschaftlichen Strukturen lasse sich aber eine Veränderung weg von einer polyzentrischen hin zu einer bipolaren Struktur zwischen Amsterdam-Utrecht und Rotterdam-Den Haag erkennen.

Michael Hoyler (Universität Heidelberg) gab einen geographiehistorischen Überblick über verschiedene Versuche der letzten fünfzig Jahre, den Raum der europäischen Städte und ihr Verhältnis zueinander zu konzeptionalisieren. Darauf aufbauend präsentierte Peter Taylor (Universität Loughborough) Ergebnisse des "Globalization and World Cities Study Group and Network". Anhand der regelmäßigen Auswertung der Internetseiten einiger hundert Firmen und Organisationen verschiedener, für die Ökonomie der Globalisierung repräsentativer Wirtschaftzweige und Dienstleistungssektoren, aber auch von Nichtregierungsorganisationen, wird hier die Vernetzung einer jeweiligen "Branche" quantitativ erfaßt. Im Hinblick auf die Bedeutung der europäischen Städte im weltweiten Netzwerk fiel auf, daß London als traditionelles Zentrum des Commonwealth auch in vielen Sektoren der New Economy in der Rangliste weit vorn anzutreffen ist.

James Bater (Universität Waterloo, Kanada) lenkte in seinem Beitrag den Blick auf das innerstädtische Verhältnis von Zentrum und Peripherie. Sein Vergleich der Entwicklung der Stadtzentren von Moskau und Sankt Petersburg in den neunziger Jahren zeigte, daß der Übergang zur Marktwirtschaft in beiden Städten zu einem signifikanten Nutzungswandel führte. Auf der Grundlage von Umfragen machte Bater deutlich, daß sich einhergehend mit Bevölkerungsrückgang und Kommerzialisierung die soziale Schichtung in den Innenstädten stark veränderte.

Der begriffs- und diskursgeschichtliche Beitrag Richard Rodgers (Centre for Urban History, Universität Leicester) zeichnete den Bedeutungswandel des Begriffs "Metropole" im Englischen nach. Sein säkularer Gebrauch zur Bezeichnung Londons läßt sich ab dem 16. und 17. Jahrhundert nachweisen. Während er hier meist positiv besetzt war, kam eine negative Dimension besonders im 19. Jahrhundert hinzu. Im Verlauf des Diskurses über London spielten ein intensiver Widerstand gegen Zentralisierungsbestrebungen, eine starke Antipathie gegen die Metropole und, besonders im 20. Jahrhundert, der aufmerksame Blick auf Verwaltungsreformen auf dem Kontinent, z.B. in Paris oder Berlin, eine große Rolle.

Zwei weitere Beiträge richteten den Fokus auf skandinavische Hauptstädte. Lars Nilsson (Universität Stockholm) widmete sich der Entwicklung Stockholms, einer typischen mittelgroßen Stadt als Zentrum eines nationalen Marktes. Nach demographischen Krisen und einer anti-urbanen Suburbanisierung im 20. Jahrhundert kam es hier in den letzten Jahren zur erfolgreichen Erneuerung der Innenstadt. Nilsson belegte, wie besonders durch die Expansion des Dienstleistungssektors seit den achtziger Jahren die Attraktivität des Zentrums für Bevölkerungsgruppen mit hohem Einkommen stark zunahm und erfolgreiche bauliche Restrukturierungen vorgenommen wurden. Marjatta Hietala (Universität Tampere) stellte die Frage nach dem Innovationspotential der finnischen Hauptstadt Helsinki in den Mittelpunkt.1 Welche Faktoren waren hier in einer historischen Perspektive ausschlaggebend? Hietala betonte besonders die starke nationale Identität nach der späten Unabhängigkeit, die durchlässige, wenig von Klassengegensätzen geprägte Gesellschaft, das gute Ausbildungssystem (Stichwort "Pisa-Studie"...), Sprachkenntnisse, Mobilität, Offenheit und Flexibilität als Faktoren für diese skandinavische Erfolgsgeschichte. Helsinki habe zudem immer den Vergleich mit größeren Metropolen auf dem europäischen Kontinent gesucht. Für die aktuelle Entwicklung hin zum Dienstleistungssektor machte Hietala auch auf die Frage der geschlechtsspezifischen Segregation der städtischen Gesellschaft aufmerksam.

Magda Pinheiro lenkte mit ihrem Beitrag den Blick auf die schwierige Geschichte einer der alten europäischen Metropole: Die städtische Entwicklung Lissabons im 20. Jahrhundert stelle keine Erfolgsgeschichte dar. Seit den siebziger Jahren nehme die Bevölkerung zwar nicht mehr zu, die Stadt wachse aber weiter wenig kontrolliert über ihre Grenzen hinaus. Auch habe es nie ein erfolgreiches Konzept zur Stärkung der öffentlichen Verkehrsmittel gegeben. Sowohl im Zentrum als auch an der Peripherie lasse sich eine deutliche soziale Segregation ausmachen - ausgerechnet das verheerende Feuer von 1991 habe eine positive Neugestaltung bewirkt.

Während von Berlin in der medialen Öffentlichkeit meist das Zentrum und seine neuen repräsentativen Bauten wahrgenommen werden, stellte Heinz Reif (Technische Universität, Berlin) die Frage nach der kulturellen Dimension der anhaltenden Attraktivität der Vororte. Für die Suburbanisierung in Berlin seit Ende des 19. Jahrhunderts hob er die Bedeutung der Infrastruktur und den Stellenwert der gesellschaftlichen Akteure hervor. In Berlin habe der Wunsch des Bürgertums nach sozialer Homogenität zusammen mit einer boomenden Baubranche früh zu einer bipolaren Stadtstruktur geführt. Nach dem Fall der Mauer sei es - begleitet von absurden Wachstumserwartungen - erneut zu einer regelrechten "Stadtflucht" gekommen. Inzwischen würden allerdings die ersten Eigenheimbesitzer enttäuscht aus der infrastrukturell weniger entwickelten Peripherie zurückkehren, und es bleibe offen, ob Berlin in seiner momentanen prekären wirtschaftlichen Lage brauchbare Rezepte für eine neue Aufwertung des Stadtlebens zu bieten habe. 2

Guy Burgel (Universität Paris X) betonte in seinem Vortrag zur städtischen Entwicklung von Paris im 20. Jahrhundert ebenfalls die Bedeutung der Vororte für die urbane Realität. Paris im Sinne der über die Stadtgrenze hinausgehenden Agglomeration sei im Verlauf der Suburbanisierung im 20. Jahrhundert durch den Widerspruch zwischen baulich-räumlicher Einheit und dieser nicht entsprechenden Verwaltungseinheiten geprägt gewesen. Die Verlangsamung des Bevölkerungswachstums führte zu keiner weiteren "Metropolisierung". Statt dessen expandierten die mittleren Städte Frankreichs zu "regionalen Metropolen". Den Prozeß der Dezentralisierung sieht Burgel in den 1990er Jahren mit der Herausbildung einer neuen Zentralität beendet. Dem entspricht ein fortschreitender wirtschaftlicher Konzentrationsprozeß unter den Schlagworten "Deindustrialisierung" und "Tertialisierung". Die soziale Segregation zwischen Ost und West wird ergänzt durch die ethnische Polarisierung in den Vororten. Unter anderem in der Verkehrsplanung im Pariser Großraum sah Burgel die Schwäche der städtischen Regierung(en) dokumentiert, ein effektives Gewicht gegen den Einfluß der zentralistischen Staatsregierung zu setzen.

In einer vergleichenden Perspektive fragte Martin Kraaijenstein (Erasmus Universität, Rotterdam) nach den gemeinsamen Themen der politischen und administrativen Organisation in London, Paris und Berlin von 1920 bis 2000. Im Hinblick auf Fragen der (De-)Zentralisierung, Effektivität der Verwaltung, des Verhältnisses zur staatlichen Zentralregierung und der Finanzierung öffentlicher Einrichtungen stünden die drei Städte nach einer unterschiedlichen Entwicklung heute vor gemeinsamen Fragen. Vor dem Hintergrund des großen Anteils (nicht wahlberechtigter) Ausländer an den metropolitanen Bevölkerungen und der Differenz zwischen baulich-infrastruktureller Einheit und Verwaltungsbereichen sind Ethnizität, Integration, Wahlrecht und Reichweite von Kompetenzen die Schlagwörter in diesem Zusammenhang.

Der Frühneuzeithistoriker Peter Clark (Universität Helsinki) stellte die Frage nach der Zukunft der europäischen Metropolen abschließend in einen weiten historischen Kontext. Während die Metropolen in ihrer historischen Entwicklung traditionell als "Gewinner" mit einer langen Erfolgsgeschichte angesehen würden, regte Clark an, auch nach den "Verlierern" unter den europäischen Großstädten, nach "Nachzüglern" und alternativen Ranglisten zu fragen, die unser Bild vom europäischen Städtenetzwerk verändern könnten. Neben einer Begriffs- und Kategoriendefinition für den Vergleich forderte er für das 20. Jahrhundert vor allem aktuelle, vergleichbare Datenerhebungen. Zum Ende des Workshops lenkte Clark den Blick nach Nord- und Osteuropa. Während hier einerseits wichtige Städte unter den Präsentationen gefehlt hätten, seien andererseits in den Beiträgen über die positiven Entwicklungen in den skandinavischen Großstädten interessante Zukunftsperspektiven deutlich geworden. Zum Abschluß zog er, einen als Anregung zu verstehenden Bogen von Dublin über Edinburgh, Stockholm und Helsinki nach Tallinn und wagte die Prognose einer neuen, nordeuropäischen metropolitanen Ära.

Die recht offen gehaltene Abschlußdiskussion konzentrierte sich zunächst auf die Suche nach einer brauchbaren Definition der "europäischen Metropole". Dann wurden die unterschiedlichen Ebenen der anzustrebenden Forschung im Rahmen der European Science Foundation diskutiert. Die Datenerhebungen, die im Verlauf des Workshops wiederholt gefordert worden waren, sollten der Tatsache Rechnung tragen, daß die heutigen europäischen Agglomerationen überwiegend nicht den offiziellen Verwaltungseinheiten entsprechen und daher in den Statistiken keineswegs als Einheit erscheinen werden. Zudem wurde die Konzentration auf ausgewählte und neue Fragestellungen verlangt. Aufgrund der Masse des Untersuchungsmaterials erschien einigen Teilnehmern eine Beschränkung auf den Zeitraum nach 1945 als praktikabler.

Der Zusammenhang von Zivilgesellschaft und urbaner Lebensform sowie die Notwendigkeit der Verbesserung der europäischen Großstädte mit dem Ziel eines nachhaltigen Lebensstils zeigten den wichtigen politischen Horizont des Nachdenkens über die europäischen Metropolen auf. Die Bedeutung des gemeinsamen kulturellen Erbes und der damit verwobenen Bilder und Mythen stand dagegen auf dem gesamten Workshop eher im Hintergrund. Eine sinnvolle Verknüpfung der demographischen, ökonomischen und politischen mit kulturgeschichtlichen Fragestellungen steht hier also noch aus. In einem kulturgeschichtlichen Horizont müßte auch die Frage eingebunden werden, was das spezifisch "europäische" der zu untersuchenden Städte ausmacht. Andernfalls droht eine eurozentristische Ontologisierung der "europäischen Metropole". 3 Wie wichtig die Aspekte der komplexen kulturellen Wahrnehmung in diesem Zusammenhang sind, zeigt besonders die Auseinandersetzung mit Berlin: Ökonomisch weit abgeschlagen in den Ranglisten der "Global Cities", ist es kulturell doch eine wichtige europäische Metropole. Städte können eben nicht nur mit den Kategorien von Wirtschaftsunternehmen betrachtet werden.

Die Beiträge des Workshops werden in überarbeiteter Form auf der Homepage der European Science Foundation veröffentlicht. Nach der Breite der Themen bei diesem ersten Brainstorming kann man gespannt sein, welche Fragen bei der zukünftigen Forschung auf diesem wichtigen Feld im Mittelpunkt stehen werden.

1 Marjatta Bell & Marjatta Hietala, Helsinki - The Innovative City. Historical Perspectives, Jyväkylä 2002.
2 Eine aktuelle Publikation zu diesem Fragenkomplex: Tilman Harlander (Hg.), Villa und Eigenheim. Suburbaner Städtebau in Deutschland, Ludwigsburg 2001.
3 Vgl. z.B. die Überlegungen im Rahmen des Studiengangs für "Europäische Urbanistik" in Weimar: Dieter Hassenpflug (Hg.), Die Europäische Stadt - Mythos und Wirklichkeit, [Region, Nation, Europa 4], Münster [LIT Verlag] 2. Aufl. 2002.