Fußball im Nationalsozialismus: Kultur – Künste – Medien

Fußball im Nationalsozialismus: Kultur – Künste – Medien

Organisatoren
Schwabenakademie Irsee und Deutsche Akademie für Fußballkultur
Ort
Irsee
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.02.2006 - 19.02.2006
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Von
Markwart Herzog, Schwabenakademie Irsee

Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 hat die „Schwabenakademie Irsee“ in Kooperation mit der „Deutschen Akademie für Fußballkultur“ vom 17. bis 19. Februar 2006 eine historische Tagung über „Fußball im Nationalsozialismus: Kultur – Künste – Medien“ veranstaltet. Gesponsert wurde die Tagung von der „Sepp Herberger-Stiftung“ des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und „easy credit“, Nürnberg.

Wie ein roter Faden zogen sich durch den gesamten Tagungsverlauf die Bezugnahmen auf die im Herbst 2005 erschienene Studie „Fußball unterm Hakenkreuz“. Verfasst von dem Mainzer Historiker Nils Havemann hat diese Untersuchung1 für die Erforschung der Geschichte des Fußballsports in der Zeit des Nationalsozialismus ebenso methodisch wie inhaltlich neue Erkenntnisse und wegweisende Anstöße gegeben. Vor diesem Hintergrund bot die Tagung eine willkommene Gelegenheit, um mit einer ganzen Riege sachkundiger Sport- und Kulturhistoriker den aktuellen Forschungsstand darzustellen und zu diskutieren.

I. VERBAND

Nils Havemanns Tagungsvortrag lieferte zunächst eine Metareflexion über Sport und Politik in totalitären Staaten. Seine Kernthese: Sport ist durchaus politisch: Spätestens wenn Subventionen, beispielsweise für Breitensport oder Sportstätten, aus öffentlichen Mitteln erforderlich sind, bedarf es politischer Unterstützung und entsprechender Lobbyarbeit. Die Sportler indessen sind in aller Regel unpolitisch. Fußball spielen macht Spaß und Freude, motiviert im Ehrgeiz zu siegen, da der sportliche Erfolg materielle Anreize und gesellschaftliche Privilegien nach sich zieht. Die Funktionäre des Fußballsports sind normalerweise zunächst Sportler gewesen, die später die Aktivitäten auf dem grünen Rasen gegen die Organisation des Sportbetriebs in Vereinen und Verbänden eintauschen. Sie sind keine Intellektuellen; sie lassen sich leiten von materiellem Denken und betriebswirtschaftlicher Logik. Die sportlichen Leistungen der Aktiven, ökonomischer und organisatorischer Erfolg sind wichtiger als Ideologien. Gerade deshalb lässt sich (Fußball-)Sport so leicht und problemlos in politische Abhängigkeiten bringen. Obwohl der DFB als Organisation keiner festen politischen Ideologie anhing, ließ sich die Dachorganisation des deutschen Fußballs nach der Machtergreifung durch die NSDAP gerne von den neuen Machthabern „kaufen“. Der NS-Staat unterstützte den Sport in bisher ungekanntem Ausmaß: durch materielle Anreize, Sportstättenbau und eine sportfreundliche Gesetzgebung. Der DFB war ein ausgesprochener Profiteur des Nationalsozialismus: Die Landesverbände wurden gleichgeschaltet und aufgelöst, womit die DFB-Zentrale den ärgerlichen Dauerzwist mit den widerspenstigen Regionalfürsten ad acta legen konnte; die konkurrierenden Verbände der proletarischen und konfessionellen Leibesübungen einschließlich des 1932 gegründeten Süddeutschen Verbands für Berufsfußballspiele wurden aufgelöst, ihre Vermögen kassiert. Derartig begünstigt, vergaß der nunmehr gleichgeschaltete DFB seine ursprüngliche politisch-ideologische Indifferenz, diente sich gerne der NS-Diktatur an und gab aus purem Opportunismus seine jüdischen Kameraden ohne Skrupel dem Rassemord preis.

Da die Geschichte des DFB in der Zeit von 1933 bis 1945 bislang sehr viel stärker unter „ideologischen“ Vorzeichen dargestellt wurde,2 erhob sich in kontroverser Diskussion3 der erwartete Widerspruch zu der betriebwirtschaftlich-organisatorischen Argumentation Havemanns. Der Politologe Arthur Heinrich (Alfter) verwies auf diverse Biographien von DFB-Funktionären, deren Denken „Schnittmengen“ mit „bürgerlich-rechtem“, „national-konservativem“ Gedankengut aufweist: beispielsweise der langjährige DFB-Präsident Felix Linnemann und DFB-Vorstandsmitglied Günther Riebow. Vor allem die berufliche Laufbahn dieser beiden Funktionäre in Kriminalpolizei und Militärgerichtsbarkeit belegen ein hohes Maß an Konformität mit der NS-Diktatur. Gleichzeitig kritisierte Heinrich die Havemann-Studie als „Entlastungsgutachten“ und „Generalabsolution“, da sie die Bedeutung der nationalkonservativen Orientierung der DFB-Funktionäre und deren „intime Nähe“ zum Nationalsozialismus vernachlässigt. Wer den DFB mit Verweis auf das „Kaufmannsprinzip“ für „politische Anfälligkeit“ immun erklärt, spricht den Verband frei von Schuld.

Diesem Einwand hielt Havemann entgegen, dass die DFB-Funktionäre bis 1933 derart verschiedenen ideologischen und politischen Richtungen folgten mit einer entsprechenden Vielfalt an Parteimitgliedschaften, dass sich aus diesen Daten keine griffige These über eine bestimmte weltanschauliche Ausrichtung des Verbands selbst ableiten lässt. Die Bereitschaft des DFB, sich den neuen Verhältnissen anzupassen und die Verbrechen des Nationalsozialismus gutzuheißen oder aktiv zu unterstützen, ist nach Havemann keineswegs aus einem nationalen Ethos, sondern aus „niederen Beweggründen“ motiviert: aus Habgier, Gewinnstreben, Eitelkeit. Aus Opportunismus hat der DFB vor und nach 1933 sein Fähnchen nach dem Wind gedreht; doch eben dafür musste er keiner besonderen Ideologie anhängen. Havemann verwies auf das Strafgesetzbuch: „Niedere Beweggründe“ werden in der Rechtssprechung nicht als strafmildernde Umstände gewertet, sondern genau umgekehrt als die Schuld eines Straftäters erschwerend.

II. VEREINE

In der zweiten Sektion der Tagung wurden einige im DFB organisierte Vereine und deren Verhältnis zum Nationalsozialismus exemplarisch dargestellt.

Der Autor und Lektor Dietrich Schulze-Marmeling (Altenberge) zeigte anhand der Münchner Vereine FC Bayern und TSV 1860 zwei Beispiele, die deutlich machen, wie gegensätzlich die Einstellung des deutschen Fußballvereinssports zum Nationalsozialismus ausfallen konnte. Der FCB war seit seinen Anfängen ein Verein der Bildungsbürger, Schöngeister und Intellektuellen, liberal, elitär und weltoffen orientiert, hat er vielfältige internationale Kontakte gepflegt und war aufgeschlossen für den Gedanken der Völkerverständigung. Viele Jahre wurde der Club von dem aus Planegg bei München stammenden jüdischen Kaufmann Kurt Landauer geführt, der 1939 in die Schweiz emigrieren musste. Doch der Verein ließ den Kontakt zu Landauer auch im Dritten Reich nicht abreißen und wurde die meisten Jahre von Vereinsführern geleitet, die keine NSDAP-Mitglieder waren. Sogar offene Auseinandersetzungen zwischen Spielern und SA-Männern sind aktenkundig. Deshalb war der FCB bei NS-Politikern relativ unbeliebt und stand als „Judenclub“ in Misskredit. Ganz anders der TSV 1860 München: Die „Sechziger“ waren der Verein des Kleinbürgertums, der „kleinen Leute“ aus dem Arbeiterviertel Giesing. Zur Zeit der Machtergreifung war ein hoher Prozentsatz der Mitglieder arbeitslos, der TSV selbst erhoffte sich Förderung von oben, um seine desolate Finanzlage zu sanieren. Der Verein wurde von 1934 an von SA-Männern und „alten Marschierern“ geführt. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik hatte der TSV 1860 mit der SA und republikfeindlichen Freikorps kooperiert. Somit liefert er in jeder Hinsicht einen „Gegenentwurf“ zum FCB.

Am Beispiel des 1. FC Kaiserslautern zeigte Markwart Herzog (Schwabenakademie Irsee), dass sich Gegensätze, wie sie bei den Münchner Vereinen offenkundig sind, auch in einem einzigen Fußballclub an der Schwelle zum Nationalsozialismus finden lassen. Im 1. FCK sind bis 1933 weltanschaulich höchst heterogen orientierte Persönlichkeiten in der Vereinsführung vertreten: Katholiken, Protestanten und jüdische Frontkämpfer, Philosemiten, Wirtschaftsliberale sowie SA- und SS-Männer und Mitglieder verschiedenster politischer Parteien. Dennoch hat der 1. FCK die Machtergreifung der NSDAP vorbehaltlos freudig begrüßt; er konnte mit Unterstützung der NSDAP-Kreisleitung seine damals gravierenden wirtschaftlichen Probleme lösen, musste aber ebenso wie der DFB nach den Olympischen Spielen 1936 einen hohen Preis zahlen: Während der DFB aufgelöst wurde, war der 1. FCK in jahrelange Streitereien mit der kommunalen NSDAP verwickelt, die den Club liquidieren wollte. Die NSDAP-Kreisleitung ist damit zwar gescheitert, stellte den 1. FCK von 1938 bis 1945 jedoch unter die Führung von NS-Politikern. Damit wurde offenkundig: Der bürgerliche Fußball und sein Verband waren für die NS-Politik ein brauchbares Vehikel, das zur Außendarstellung des Dritten Reichs bis 1936, bis zu den Olympischen Spielen, benötigt wurde, und danach keine Rücksichtnahmen mehr erwarten konnte.

III. ALLTAG

Jugendkulturelle Facetten des Sports im Nationalsozialismus wurden in Vorträgen über Vereinsjugend und Schulsport dargestellt; alltagskulturelle Dimensionen analysierte ein Beitrag über den Fußball nach dem „Anschluss“ Österreichs ans „Großdeutsche Reich“.

Der Kultur- und Museumspädagoge Matthias Thoma (Frankfurt a.M.) zeigte am Beispiel von Eintracht Frankfurt, wie die NSDAP die Jugendarbeit des bürgerlichen Vereinssports annektierte und politisierte. Durch mehrere Vereinbarungen zwischen Reichsjugendführung und Reichssportführung entzog die NSDAP den Vereinen die Jugendarbeit für die 10- bis 14jährigen Jugendlichen. Für diese Altersgruppe mussten die Jugendvereinsmannschaften aufgelöst werden. Wer dennoch Fußball spielen wollte, hatte in die Fähnleinmannschaften des in der HJ organisierten Deutschen Jungvolks einzutreten. Die 14- bis 18jährigen durften nur dann in den weiterhin bestehenden Jugendabteilungen der Vereine spielen, wenn sie HJ-Mitglieder waren und dies nachweisen konnten. Den Jugendlichen wurden Kameradschaftsabende, Wehrsportübungen, so genannte „Dietabende“ zur weltanschaulichen Indoktrination zugemutet und das Tragen der HJ-Uniform bei der Anreise zu Spielen auferlegt. Leitziel war die Vermittlung soldatischer Tugenden. Inwieweit diese Politisierung der Jugendarbeit erfolgreich war oder aber nur halbherzig praktiziert wurde, kann heute nicht mehr befriedigend geklärt werden. In jedem Fall erweist sich das Erinnerungsvermögen damaliger Jugendspieler heute als weitgehend entpolitisiert.

Der Sportpädagoge Lorenz Peiffer (Universität Hannover) gab einen instruktiven Einblick in die Geschichte des nationalsozialistischen Schulsports von 1933 bis 1938. Obwohl in vielen deutschen Städten der Fußball zunächst ein Schülerspiel war und sich erst dann zum Erwachsenensport entwickelte, hatten Sportspiele und Wettkampfsport in Kaiserreich und Weimarer Republik mit zahllosen Widerständen zu kämpfen. Lange Zeit war den Zöglingen von Mittelschulen das Fußballspiel in Schule und Verein untersagt, Turnstunden wurden durch Sparmaßnahmen massiv gekürzt. Nach 1933 änderte sich dies ganz entschieden. Den nunmehr hohen Stellenwert des Schulsports dokumentiert die Einrichtung eines eigenen „Amtes für körperliche Erziehung“ am Reichserziehungsministerium. 1934/35 wurde auf Kosten anderer Fächer die „dritte Turnstunde“ eingeführt: reserviert für Schwimmen, Boxen und Fußball. Die nationalsozialistische Publizistik konnte deshalb triumphierend verkünden: „‚Schulfeind‘ Fußball hat gesiegt“. Die „dritte Turnstunde“ stand ausschließlich im Dienst der Erziehung zu „Volks- und Wehrkraft“. Dies kam Hitlers Forderung, kerngesunde Körper heranzuzüchten und intellektuelle Begabungen zu vernachlässigen,4 entgegen. Die mit der Einführung der „dritten Turnstunde“ entstandenen Personal- und Sachkosten wurden wegen der wehrpolitischen Begründung der Initiative aus Reichsmitteln finanziert. Aber damit nicht genug: 1937/38 wurde die „fünfte Turnstunde“ eingeführt, womit das Ideal der „täglichen Turnstunde“ realisiert worden war. Pädagogische Ziele dieser Initiativen waren Disziplin und Härte, Ritterlichkeit gegenüber dem Gegner, Opferbereitschaft und Unterordnung – ideologisch überhöht in der SA-Kommandosprache als „Zusammenarbeit im Stoßtrupp“. Die praktischen Anweisungen für die zusätzlichen Turnstunden klangen pragmatisch, ihre politische Deutung indes war durchaus ideologisch formuliert. Bei der Umsetzung im Schulalltag gab es jedoch erhebliche Probleme: Mangel an Sportplätzen und Lehrern, an Umkleideräumen und sanitären Anlagen. Diese Schwierigkeiten verschärften sich nach Kriegsbeginn massiv, so dass der Schulsport von nun an in den Hintergrund treten musste.

Der Zeit- und Kulturhistoriker Matthias Marschik, Fachmann für die Alltagskulturen des Wiener Fußballs,5 ging in seinem Beitrag auf den Fußball in der „Ostmark“ (Österreich nach dem „Anschluss“ ans Deutsche Reich 1938) ein. Entgegen verbreiteten Klischees machte Marschik deutlich, dass sich in der Wiener Fußballkultur nach 1938 ein hohes Resistenzpotential des Massensports Fußball gegenüber der Massenbewegung Nationalsozialismus diagnostizieren lässt. Das Stadion blieb ein neutraler Ort, der nach wie vor seinen „Eigenweltcharakter“ bewahren konnte; schließlich wollten alle aus dem Massenvergnügen ihren Nutzen ziehen. Selbst antipreußische Ausschreitungen in Wiener Sportstadien hatten keinen Polizeieinsatz zur Folge gehabt. Marschik betonte, dass „Resistenz“ und „Eigenweltlichkeit“ keineswegs „Widerstand“ bedeuten. Die Fußballstars von damals waren keine nationalen Helden wie Faustkämpfer Max Schmeling bzw. Autorennfahrer Rudolf Caracciola, die körperliche bzw. technische Überlegenheit demonstrierten. Wie im Deutschen Reich die allermeisten Stars des runden Leders bereits vor 1933 groß geworden waren, so auch die ostmärkischen vor 1938. Sie gehörten zur Kategorie der „Local Heroes“, die durchweg regionale Identitäten repräsentierten. Darüber hinaus stammen viele dieser Helden aus Minderheiten (Tschechen in Wien, Masuren und Polen im Ruhrgebiet), die im Nationalsozialismus benachteiligt waren. In einer Grauzone zwischen Vereinnahmung, Indifferenz und Resistenz arrangierten sich die Spitzenspieler mit dem NS-Regime, ließen sich teilweise für die Propaganda vereinnahmen und zogen daraus materiellen Gewinn. Ein Paradebeispiel ist Matthias Sindelar, ein SPD-Sympathisant, der vom Erwerb eines arisierten Kaffeehauses profitierte, für „Fru-Fru“-Milchprodukte Werbung machte und bei seiner Beerdigung von der Gauleitung als „bekanntester Soldat des Wiener Fußballs“ gefeiert wurde. Der Alltag der Spieler und Zuschauer des Fußballs ließ weite Interpretationsspielräume und vieldeutige Bilder- und Symbolwelten zu, die auch unter dem NS-Regime relativ unangefochten gedeihen konnten.

IV. KÜNSTE & MEDIEN

Ein wichtiges und höchst innovatives Segment der Tagung war der Rezeption des Fußballsports durch Künste und Medien im Nationalsozialismus gewidmet. Alle Beiträger dieser Sektion konnten sich kaum auf Vorgängerstudien stützen; sie hatten echte Pionierarbeit geleistet.

Literaturwissenschaftler Mario Leis (Bonn) hatte sich die „schöngeistige Literatur“ für Erwachsene vorgenommen. Das Resultat fiel ernüchternd aus: Literarisch qualitätvolle Werke sind selten, und die wenigsten lassen sich als Zeugnisse politischer Vereinnahmung und Indoktrination lesen. Der Roman „Hinein ...!“ (1935), verfasst von Nationalspieler Johannes „Hanne“ Sobek, beschwört den Tugendkanon von Disziplin, Pflicht und Aufopferung als Garanten für große Erfolge auf dem grünen Rasen und am Arbeitsplatz. – Die Überzeugung, dass Sport zum Kampf im Leben erzieht, ist durchaus nicht genuin nationalsozialistisch. – Färbt sportlicher Kampfgeist auf Arbeitseinstellung und Leistungsbereitschaft der Unternehmer und Arbeiter ab, verbessert sich die betriebswirtschaftliche Bilanz. Dagegen wirken sich erotische Abenteuer hemmend sowohl auf die Romanhandlung als auch auf den beruflichen und sportlichen Erfolg aus. Frauen werden dem Fußball als Lebensschule des Mannes durchweg nachgeordnet. Auch der Roman „Das große Spiel“ von Richard Kirn (1942) bietet in erster Linie ablenkende Unterhaltung, nationalsozialistische Semantiken lassen sich darin ebenso wie in Sobeks „Hinein ...!“ kaum eruieren. Dagegen betont Fritz Peters’ Durchhalteroman „Tull Harder stürmt für Deutschlands Fußballruhm“ (1942) mit martialischem Vokabular die maskulinen Tugenden einer kämpferischen Jugend im Geist der NS-Ideologie. Im Mittelpunkt der Handlung steht Tull Harder vom Hamburger Sportverein, der als SS-Mann und KZ-Aufseher ebenso Karriere machte wie als Vereins- und Nationalspieler. In Peters’ Roman fungiert er als nationalsozialistischer Vorzeigeheld, der mit englandfeindlichen und antifranzösischen Affekten für „vaterländische Belange“ einsteht. Dagegen stellen die wenigen qualitätvollen Zeugnisse der deutschsprachigen Fußball-Literatur – Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ (1937) und „Ein Kind unserer Zeit“ (1937/38) oder Friedrich Torbergs „Die Mannschaft“ (1935) – den Fokus auf die eskapistischen Elemente des Sports: Aktiv ausgeübter Fußball und passiv rezipierter Zuschauersport lassen die bedrückenden Zumutungen der gesellschaftlichen Realität vergessen. Poetologisch gesprochen: Sie transzendieren den Alltag in eine von der Politik abgekoppelte imaginierte Eigenwelt. Literatur und Sport – und Sport-Literatur!6 – ermöglichen „Weltausgrenzung auf Zeit“. Gerade weil der Fußball seinem „eigenweltlichen“ und „entweltlichenden“ Wesen nach so unpolitisch ist, ist er so gut geeignet für politische Instrumentalisierung.

Von einer ähnlich geringen Bedeutung des Themas im Kinder- und Jugendbuch der NS-Zeit wusste Andreas Bode (Internationale Jugendbibliothek München) zu berichten – obwohl der Fußball sich damals schon längst zu einem Massenphänomen jenseits gesellschaftlicher Schranken gemausert hatte und für die männlichen Jugendlichen eine eminent attraktive Freizeitbetätigung war. In den wenigen für die Jugend geschriebenen Texten – zum Beispiel Sepp Bauers „Schuss – Tor“ (1936) oder Hanne Sobeks „Magnet Fußball“ (1938) – sind die Ziele der politischen Leibeserziehung im Dienst von Volksgesundheit und Wehrertüchtigung auch nicht ansatzweise erkennbar. Ganz im Gegenteil zeichnen Bauer und Sobek ein positives Bild von polnischen, französischen, amerikanischen und englischen Sportkameraden und von der Idee der Völkerverständigung, wie sie in den internationalen Sportbeziehungen beispielsweise der Olympischen Spiele institutionalisiert ist. Eine Ausnahme bildet indes Erich Wildbergers „Die große Mannschaft“ (1937), bei dem die maskulin-asketische nationalsozialistische Jungenpädagogik mit ihrem homoerotischen Einschlag sich in den hohlen Bildern schwülstiger Kampf- und Kriegspoesie artikuliert, frei nach dem an „Jungen aus Stahl“ gerichteten Motto: „Habt ihr ein Mädel im Arm, zerbricht der Wille“! Aber insgesamt wird Fußball in den wenigen bekannten Zeugnissen der Kinder- und Jugendliteratur relativ ideologiefrei dargestellt, sogar in den für die Pimpfe des Jungvolks herausgegebenen HJ-Schriften. Dagegen erscheinen nach 1945 sehr viel mehr Fußballbücher für die Jugend, am bekanntesten der in vielen Auflagen erschienene Klassiker „11 Freunde sollt ihr sein: Ein Fußballroman für die Jugend“ (1955) von Sportreporter Sammy Drechsel, dessen Handlung in den 1930er-Jahren spielt.

Einen klaren Negativbefund über die Ästhetik der Fußballfotografie lieferte Rolf Sachsse (Hochschule der Bildenden Künste Saar, Saarbrücken). Weder sind seitens der Politik generelle Anweisungen an die Bildjournalisten bekannt noch gibt es Gründe, von einer spezifisch nationalsozialistischen Fußballfotografie zu sprechen. Die Bildformen aus der Zeit vor 1933 werden ohne bemerkenswerte bildkünstlerische Transformationen tradiert: gestellte Ritualbilder und Gruppenfotos, Fotos von Gerangeln, Freudentänzen und dem Einlauf der Mannschaften. Typisch nationalsozialistisch sind lediglich die Mannschaftsfotos mit dem zum Deutschen Gruß erhobenen Arm. Zwar druckte die Presse Fußballfotos in Fülle; aber in aller Regel gaben sie keine „Nachrichten von entscheidenden Szenen“: Die Dynamik des Fußballsports mit dem verschwindend kleinen Ball auf dem vergleichsweise riesigen Sportplatz entzieht sich dem Medium Fotografie. Daran konnte auch der Nationalsozialismus nichts ändern. In Leni Riefenstahls Olympia-Buch sind überhaupt nur zwei Fußballmotive zu finden. Jedoch gab es in qualitativer Hinsicht eine gravierende Veränderung: Der Exodus von begabten jüdischen Fotografen ins Ausland war ursächlich für die schlechte Pressefotografie zwischen 1933 und 1940. Unter propagandistischen Gesichtspunkten ist die Fußballfotografie nur von sehr geringem Interesse.

Als ähnlich unergiebig für den Konnex Fußball, Politik und Propaganda erwies sich der Kinofilm „Das große Spiel“ (1941) von Robert A. Stemmle. Die Analyse des Sport- und Kulturhistorikers Uwe Wick (Willibald Gebhard Institut, Essen) machte deutlich, dass die Bavaria-Produktion auf Unterhaltung, nicht auf weltanschauliche Exerzitien ausgerichtet ist. Stattdessen bedient der Film alle möglichen Klischees: Die Spieler werden in ihrer Mehrheit als im Bergbau beschäftigte Arbeiter vorgeführt. Der FC Gloria 03 Wupperbrück, den Stemmle unter der Fachberatung von Reichstrainer Herberger die Deutsche Fußballmeisterschaft gewinnen lässt, ist nicht nach dem semiprofessionellen FC Schalke 04 modelliert, sondern nach der Legende von der proletarischen „Knappenelf“, deren Propagierung im Nationalsozialismus einen starken Schub erfahren hat. Regisseure, Drehbuchautoren, Komponisten und Schauspieler, mitsamt den zwölf engagierten Nationalspielern, stammten aus dem Unterhaltungsgewerbe, in dem sie nach 1945 weitergearbeitet und es zu großen Erfolgen gebracht haben – einschließlich der Fußballweltmeisterschaft 1954.

Wenn eine Nationalmannschaft in einem Wettkampf aufläuft, vertritt sie mit Notwendigkeit die Farben jenes Staats, dessen Verband sie entsendet. Unabhängig davon, welche Staatsform der DFB bei Länderspielen mitrepräsentiert, weisen die an ihn, an die Spieler und „Schlachtenbummler“ gerichteten Forderungen zeitübergreifend ähnliche Merkmale auf: neben der sportlichen Leistung vor allem Fairness, gewinnendes Auftreten auch außerhalb des Grünen Rasens, Respekt für das Gastgeberland und gutes Benehmen. Am Beispiel der Berichte in der Fachzeitschrift „Der Kicker“ über die Länderspiele der Reichself zwischen 1933 und 1942 untersuchte die Literaturwissenschaftlerin Claudia Noll (Siegen) die spezifischen außenpolitischen Funktionen des Fußballsports im Nationalsozialismus. „Der Kicker“ schrieb 1933 von einer „Berufung des deutschen Sportvolks“, DFB-Pressewart Guido von Mengden bezeichnete die Nationalspieler als „Sendboten des Dritten Reiches“. Länderspiele lieferten eine Bühne für Vertrauenswerbung in den bilateralen Beziehungen mit anderen Ländern. Also ging es neben dem Leistungsvergleich vor allen Dingen darum, mit „kalkulierter Herzlichkeit“7 Normalität zu suggerieren, Fairness und Anständigkeit zu inszenieren, den Leistungen des Gegners Respekt zu zollen, Friedfertigkeit und Harmlosigkeit zu demonstrieren, aber auch die Kampfkraft und Stärke Deutschlands, die durch das „Kraftwerk Sport“ gewonnenen Energien zur Schau zu stellen. Vor allem ab 1936 hatten Länderspiele eine besondere außenpolitische Mission: geostrategisch wichtige Staaten in den deutschen Machtbereich zu ziehen, den internationalen Spielverkehr für die kriegsvorbereitenden Ziele des NS-Regimes zu nutzen und ab 1939 direkt für die Kriegspropaganda einzusetzen – bis zum letzten Länderspiel der NS-Zeit gegen die Slowakei in Pressburg am 22. November 1942.

Als erstaunlich unpolitisch erweisen sich die in der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlichten Karikaturen. Die Kunsthistorikerin Karin Rase (Berlin), einschlägig bekannt für Brückenschläge zwischen Sport und bildenden Künsten8, konnte die ersten Sportkarikaturen in den 1890er-Jahren nachweisen: Zweikampfmotive des Boxens und Fechtens. Um die Jahrhundertwende folgen die ersten Fußballkarikaturen. Diese sind in der auflagenstarken Tagespresse, erstaunlicherweise auch in satirischen Zeitschriften, jedoch sehr selten zu finden. Der „Simplizissimus“ druckte sehr viel häufiger Box- und Skisportkarikaturen als Fußballcartoons. Wenn Fußball überhaupt einmal thematisiert wurde, dann insbesondere dessen Konnex mit Gewalt. Vor und nach 1933 liefern die (Fußball-)Sportkarikaturen naiv-satirische, harmlos-comicartige Motive, die ebenso wie die Unterhaltungsfilme der NS-Zeit die Sehnsucht nach Harmonie bedienen, indem sie friedliche Idyllen einer heilen Welt skizzieren. Die Kicker werden nicht als jene athletischen Heroen vorgestellt, die man gemäß der Ideologie der Reichssportführung an die Kriegsfront schicken könnte, sondern liebevoll-humoristisch als ganz normale Menschen modelliert. Im Vordergrund steht die Befriedigung der Bedürfnisse nach Zerstreuung, Unterhaltung und Ablenkung. Antisemitische Einschläge sind nicht zu finden, wobei die Sportkarikaturen in den typischen NS-Hetzblättern noch einer eigenen Auswertung bedürften.

Abschließend untersuchte Erik Eggers (Köln), kenntnisreicher Verfasser wegweisender Studien zur Kultur- und Mediengeschichte des Fußballsports9, die Fußballpublizistik im Nationalsozialismus, einen bislang sträflich vernachlässigten Themenkomplex. Nach dem Boom der Sportpresse (380 Fachzeitungen im Jahr 1928) und der Rubrik Sport in der auflagenstarken bürgerlichen Tagespresse der Weimarer Republik erfuhr dieses Ressort nach der Gleichschaltung eine massive Verarmung. Infolge des „Reichsschriftleitergesetzes“ (1933/34) konnten nur noch linientreue arische Journalisten in ihrem Beruf arbeiten; die Blätter der proletarischen Sportbewegungen wurden verboten. Jüdische Pioniere des Fußballs und der Sportpublizistik mussten, um ihr Leben zu retten, auswandern: Willy Meisel („Vossische Zeitung“) emigrierte nach England, Walther Bensemann in die Schweiz, wo er bereits 1934 verarmt gestorben ist. Neue Organe wie das hochwertig und anspruchsvoll aufgemachte „Reichssportblatt“ wurden gegründet. Blätter wie die „Fußball-Woche“ unter der Federführung Ernst Werners haben sich außerordentlich rasch dem Nationalsozialismus angedient, während „Der Kicker“ noch länger eine gewisse Selbständigkeit bewahrt hat. Offizielle Organe wie „Der deutsche Fußballsport“ transportieren relativ wenig Ideologie, vermutlich um den normalen Konsumenten nicht abzuschrecken. Als die NSDAP nach der Machtergreifung ihre ablehnende Haltung zu den Olympischen Spielen aus propagandistischen Gründen abgelegt hatte, gewann auch die Sportpresse insgesamt eine enorme Aufwertung, die Sportschriftleiter erfuhren einen immensen Bedeutungszuwachs. Aufgrund seiner politischen Funktion musste der Sport „umfassend reportiert, kommentiert und propagiert werden“. Eine typisch nationalsozialistische Initiative war die Ausmerzung der Erinnerung an die Verdienste jüdischer Kameraden um den deutschen Fußball: ähnlich der in der römischen Kaiserzeit praktizierten Politik der „damnatio memoriae“10 versuchte man vor allen Dingen, die Namen und Bilder der beiden jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch und Gottfried Fuchs aus der Presse und dem Gedächtnis zu tilgen. Dennoch werden antisemitische und rassistische Beiträge in der Sportfachpresse selten gedruckt. Ebenso galt es – gemäß der Devise „Deutsch wie der Sport, so auch das Wort!“ (Herbert Obscherningkat) –, die aus dem Englischen stammenden Fachtermini durch deutsche Kunstbegriffe zu ersetzen, was aber nur teilweise gelungen ist. Die Substantive „Match“, „Kicker“ und „Kick“ wurden zurückgedrängt, während das Fachblatt „Der Kicker“ an seinem Titel wie an einem Markenzeichen festgehalten hat. Der fehlende Fanatismus des Sportjournalismus mag, so Eggers, nicht zuletzt auch damit zusammenhängen, dass die führenden Vertreter dieses Ressorts bereits in der Weimarer Republik ihren Beruf vor dem Hintergrund anderer Normen ausgeübt hatten, wohingegen die berufliche Sozialisation der meisten Radioreporter parallel zum Aufstieg des Komplementärmediums Hörfunk, das durch den Volksempfänger massiv gefördert wurde, verlaufen ist.

In der Schlussdiskussion wurde das Interesse des DFB, der mit zwei Präsidiumsvertretern unter den Teilnehmern der Tagung vertreten war, an der Aufarbeitung der eigenen Verbandsgeschichte anerkennend hervorgehoben. Mit Nachdruck wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, das jüdische Erbe des deutschen Fußballs verstärkt ins Gedächtnis zu rufen. Die Folgen der im Nationalsozialismus praktizierten Erinnerungsvernichtung der „damnatio memoriae“ wirken bis heute nach. In diesem Zusammenhang wurde der Julius-Hirsch-Preis begrüßt, mit dessen Stiftung der DFB ein eindrucksvolles Zeichen gesetzt hat, um in dieser Richtung auch über die WM 2006 hinaus aktiv zu bleiben.

Anmerkungen:
1 Vgl. Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt / New York 2005.
2 Vgl. z.B. Arthur Heinrich, Der Deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte, Köln 2000; zur Kritik an Heinrichs politologischer Analyse aus geschichtswissenschaftlicher Sicht vgl. Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz, 12f., 15f. u.ö.
3 Vgl. Andreas Rosenfelder, Taktiktisch. Der deutsche Fußball wiederholt den Historikerstreit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Feuilleton), 20.2.2006; Till Hofmann, Als der Fußball braun wurde. Nazis unterstützten das „Kampfspiel“ und ließen Vereine einen hohen Preis dafür zahlen, in: Augsburger Allgemeine (Sport), 21.2.2006.
4 Adolf Hitler, Mein Kampf, neunte Auflage, München 1932, 452–457, hier 452.
5 Vgl. Matthias Marschik, Massen – Mentalitäten – Männlichkeit. Fußballkulturen in Wien, Weitra 2006.
6 Vgl. dazu umfassend Mario Leis, Sport in der Literatur. Einblicke in das 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2000; ders., ‚Fußball gegen Literatur – Halbzeitstand 0:0 – Tip: X‘. Fußball in der schöngeistigen Literatur, in: Markwart Herzog (Hrsg.), Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kult – Kommerz, Stuttgart 2002, 139–155.
7 Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz, 146.
8 Vgl. Karin Rase, Kunst und Sport. Der Boxsport als Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse, Frankfurt a.M. 2003; dies., Vom Vergnügen zur Athletik. Skisport in der bildenden Kunst, in: Markwart Herzog (Hrsg.), Skilauf – Volkssport – Medienzirkus. Skisport als Kulturphänomen, Stuttgart 2005, 187–205.
9 Vgl. Erik Eggers, Fußball in der Weimarer Republik, Kassel 2001; ders., Die Stimme von Bern. Das Leben von Herbert Zimmermann, Reporterlegende bei der WM 1954, Augsburg 2004.
10 Vgl. Gerhard Ries, Damnatio memoriae. Die Vernichtung des Andenkens an Verstorbene in Politik und Strafrecht, in: Markwart Herzog (Hrsg.), Totengedenken und Trauerkultur, Stuttgart 2001, 237–248.