NS-Medizinverbrechen ausstellen. Präsentation und Vermittlung in deutschen und amerikanischen Museen und Gedenkstätten

NS-Medizinverbrechen ausstellen. Präsentation und Vermittlung in deutschen und amerikanischen Museen und Gedenkstätten

Organisatoren
Stiftung Deutsches Hygiene-Museum in Kooperation mit der Stiftung Topographie des Terrors, der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.02.2007 - 03.02.2007
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Von
René Hertzschuch; Frank Nicht

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden präsentierte vom 12. Oktober 2006 bis zum 24. Juni 2007 die Ausstellung Tödliche Medizin: Rassenwahn im Nationalsozialismus, welche unter dem Titel Deadly Medicine: Creating the Master Race im United States Holocaust Memoral Museum (USHMM), Washington D.C. entwickelt und erstmals präsentiert worden ist. Die Präsentation der Washingtoner Ausstellung in Dresden bot die Gelegenheit, amerikanische und deutsche Ausstellungen in Museen und Gedenkstätten in Hinsicht auf Inhalte, Präsentations- und Vermittlungsformen sowie die Reaktion der Besucher zu vergleichen, zu analysieren und zu diskutieren.

Wie wirken sich unterschiedliche kulturelle, nationale und historische Kontexte auf Ausstellungen aus? Welche Herausforderungen ergeben sich aus der wachsenden zeitlichen Distanz zu den zu erinnernden Geschehen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines internationalen Workshops, der sich dem Thema der Erinnerung an NS-Medizinverbrechen beschäftigte. Kollegen der Museums- und Gedenkstättenarbeit aus den USA, Österreich und Deutschland präsentierten und diskutierten verschiedene Formen der Erinnerung an NS-Medizinverbrechen in verschiedenen Gedenkorten.

Im Eröffnungsreferat stellte Hans-Walter Schmuhl (Universität Bielefeld) die Zusammenhänge vom Rassismus als zentralem Baustein der NS-Ideologie mit der entsprechenden politischen Praxis dar. Die Biopolitik der Nazis wurde nach Schmuhl lange nicht als solche von der deutschen Bevölkerung erkannt. Nach Schmuhl befriedigte das Naziregime mit der politischen Neuordnung zunächst revanchistische und nationalistische Bedürfnisse, die in der breiten Bevölkerung populär waren. Dennoch lag eben von Beginn an den Maßnahmen gegen vermeintlich Minderwertige, den Kriegsverbrechen und den Verbrechen durch Ärzte wie Krankenmorden und Menschenversuchen die anthropologische Utopie der Schöpfung des „Neuen Menschen“ zu Grunde.

Susan Bachrach, die Kuratorin der Washingtoner Ausstellung, stellte die Dokumentation des Holocaust und das Lernen davon als Zugriff des United States Holocaust Memoral Museums auf das Thema dar. Der normative Anspruch mit dem das Museum Bildungsangebote für Personen in leitenden Funktionen umreißt, kommt im dafür benutzten Begriff des Moral Leadership zum Tragen. Ein relativ spezielles Thema wie Rassen- und Gesundheitspolitik im Deutschland der 1930er- und 1940er-Jahre für ein amerikanisches Publikum darzustellen, schilderte Bachrach dabei als Herausforderung: das Vorwissen der Besucher ist begrenzt, zudem sind deutschsprachige Dokumente nicht unmittelbar zugänglich. Bachrach ging auch auf die Arbeit des Washingtoner Hauses ein: im Gegensatz zu deutschen Museen werden im USHMM keine Führungen angeboten. Besucher erschließen sich die Inhalte selbst, was auf Gestaltung und Rezeption gleichermaßen einwirkt. Gerade im Vergleich mit der Arbeit deutscher Kollegen hob Bachrach hervor, dass Museen in ihrer Gestaltung offener sind als Gedenkstätten, welche Emotionen durch ihre Aura als Orte der Verbrechen mitbringen.

Ein Beispiel für die gegenwärtige Arbeit in KZ-Gedenkstätten stellte Dr. Astrid Ley vor, welche als Kuratorin die Ausstellung Medizin und Verbrechen. Das Krankenrevier des KZ Sachsenhausen 1936-1945 in der Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen vorstellte. Dabei ging Ley vorrangig auf Inhalte, weniger auf gestalterische Fragen der Ausstellung ein. Viel versprechend jedoch wirkte der Ansatz, durch die Darstellung verschiedener Sichtweisen auf das KZ eine multiperspektivische Darstellung zu erreichen.

In einem öffentlichen Abendvortrag stellte Henry Friedlander, Professor für Judaistik am Brooklyn College der University of New York die ideellen, logistischen und personellen Verbindungen zwischen der Verfolgung von Behinderten und Vernichtung der europäischen Juden dar. Friedlander wies dabei auf die Schwierigkeiten und Widerstände hin, die mit der Anerkennung der Opfer von NS-Medizinverbrechen in den letzten Jahrzehnten einhergegangen waren.

Thomas Lutz, Leiter des Gedenstättenreferats der Stiftung Topographie des Terrors, leitete in den zweiten Tag des Workshops ein, indem er die Frage der musealen Darstellung in Europa und den USA auf NS-Verbrechen generell ausweitete. Dabei wies er auf die Brisanz des Themas hin, welche mit der enorm großen Anzahl von Tätern beginnt und sich bis zu nach wie vor offenen juristischen Fragen erstreckt; so ist etwa das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses immer noch nicht formal für ungültig erklärt worden. Weiterhin ging Lutz auf die begrifflichen Schwierigkeiten ein, die sich bei der Darstellung des Themas ergeben, da zumindest die Ursprünge von Eugenik und Rassenhygiene auch wissenschaftliche Wurzeln hatten. Auch die Unterschiede zwischen Museen und Gedenkstätten wurden intensiv thematisiert. Während Gedenkstätten als Tatorte eine Parteinahme für die Opfer an sich verlangen, müssen Museen Geschichten erst kontextualisieren und erzählen.

In vier Arbeitsgruppen vertieften die Teilnehmer im Anschluss verschiedene Fragen der Präsentation und Vermittlung der Erinnerung an Medizinverbrechen im Nationalsozialismus. Das Spannungsfeld zwischen Inszenierung und Rekonstruktion wurde im Arbeitskreis „Authentizität – Rekonstruktion – Inszenierung“ unter der Leitung von Stefanie Endlich (Universität der Künste Berlin) skizziert und diskutiert. Dabei ging Susan Bachrach auf amerikanische Perspektiven und Methoden in der Museumsarbeit ein, was am Beispiel der vor Ort zu besichtigenden Ausstellung Tödliche Medizin zum Teil illustriert werden konnte. Die Frage nach Authentizität und Rekonstruktion stellt sich in Gedenkstätten zum Teil drastisch – so bemerkte etwa Günter Morsch, Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, dass der Kinofilm Schindlers Liste die Erwartungen und Vorstellungen der Gedenkstättenbesucher nachhaltig geprägt habe.

In der Arbeitsgruppe „Die Erinnerung hat ein Gesicht. Die Rolle von Opfern und Zeitzeugen“
fand ein intensiver Gedankenaustausch statt. Die Gruppe diskurierte aktuelle Beispiele der Opferdarstellung am Beispiel der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, vorgestellt durch den Leiter Boris Böhm, sowie der Wanderausstellung des Bundes der „Euthanasie“ – Geschädigten und Zwangsterilisierten e.V., vorgestellt durch die Geschäftsführerin Margret Hamm. Dabei ging es auch um neu geplante Ausstellungen sowie die Frage, wie aktuelle Fragen stärker in die Gedenkstättenarbeit sowie Ausstellungskonzeptionen eingebunden werden können. Dabei wurde betont, dass viele Opfer von NS-Medizinverbrechen immer noch im Schatten der Erinnerung stehen, da die Betroffenen auch heute noch selten mit ihrer Leidensgeschichte in die Öffentlichkeit gehen. Die andauernde Stigmatisierung der Opfer wird dadurch begünstigt, dass die juristische Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 noch immer aussteht. Andreas Eberhardt, Geschäftsführer des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V., der die Gruppe leitete, formulierte hier eine vorsichtige Kritik, da man sich gerade in seiner Gruppe eine stärkere Einbeziehung aktueller, wahrscheinlich auch kontroverserer Fragestellungen gewünscht hätte.

In der dritten Arbeitsgruppe wurde die Problematik der Darstellung von Tätern in Ausstellungen
unter der Leitung von Hans-Walter Schmuhl als ausgewiesenem Experten auf dem Gebiet der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik, lebhaft diskutiert. Vom gemeinsamen Standpunkt aus, dass eine „Tat ohne Täter“ weder dem aktuellen Anspruch der Wissenschaftler noch den Erwartungen der Besucher gerecht wird, entspann sich eine Debatte, in welcher sich die Position der Gedenkstätte zwischen Besucheranspruch und Opferschutz als besonders problematisch erwies. Simone Erpel, Ausstellungskuratorin in der Mahn- und Gedenkstätte KZ Ravensbrück wie auch Astrid Ley betonten das Primat des Opferschutzes und warnten bei der Präsentation von Medizinverbrechen vor dem Täterblick. Auf der anderen Seite stellte Ute Hoffmann, Leiterin der „Euthanasie“-Gedenkstätte Bernburg, anhand der eigenen Arbeit und Erfahrungen den durch Führungsarbeit erschlossenen Täterblick als unabdingbar dar. Obwohl die Debatte auf Vergleiche mit dem Ausland verzichtete, fand hier doch eine sehr intensive Auseinandersetzung im Rahmen des Workshops statt.

Da zwei der Arbeitsgruppen ohne amerikanische Kollegen auskommen mussten, litt in diesen leider der international vergleichende Ansatz. Es schien überhaupt, dass die Debatte abgesehen von einigen Generalismen über amerikanische Ausstellungsmethoden insgesamt zurückhaltend blieb.
In einem weiteren Arbeitskreis erläuterte man die pädagogische Arbeit in Ausstellungen vor dem Hintergrund des schwierigen Umgangs mit Betroffenheit und Distanz. Ausgehend von der Präsentation von Hartmut Reese, Leiter des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim, stellten auch Raye Farr, Direktorin des Steven Spielberg Film Archivs im USHMM sowie Susanne Weckwerth für das Deutsche Hygiene Museum Dresden ihren jeweiligen Umgang mit diesen beiden Bereichen vor. Sehr schnell fand man hier den gemeinsamen Standpunkt, dass eine Ausstellung stark von der guten Ausbalancierung zwischen diesen beiden Polaritäten lebt. Reese prägte hier den Satz, dass man Betroffenheit durch Distanz ermöglichen müsse und eben diese Möglichkeit versuche man den Besuchern durch Rückzugsmöglichkeiten in Hartheim zu gewähren. Auch in Deutschland wird verstärkt mit Opferbiographien gearbeitet, um die Distanz des Besuchers durch Empathie abzubauen. Eben jene Empathie führte dann allerdings auch zu der Frage, warum sich diese bei einigen Besuchern auch auf die Täter ausweite. Die Antwort hierauf glaubte man in den biopolitischen Argumenten gefunden zu haben. Weiterführend schlussfolgerte man daraus, dass eben jene „distanzierten“ biopolitischen Argumente den Zugriff auf das Tagesgeschehen und aktuelle Debatten nicht nur ermöglichen sondern auch notwendig machen, denn über die Gratwanderung zwischen Betroffenheit und Distanz soll der Besucher letztlich zu der Frage der persönlichen Relevanz geführt werden.

Einen empirischen Beitrag zur Frage der Rezeption von Ausstellungen seitens der Besucher leisteten Volker Schönert von der Berliner Agentur VisitorChoise und Bert Pampel, Mitarbeiter der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Durch eine von der Agentur VisitorChoice durchgeführte Befragung evaluierte das Deutsche Hygiene Museum die Rezeption der Ausstellung Tödliche Medizin seitens geführter Schülergruppen. Auch die Gedenkstätte Pirna Sonnenstein erhebt zu diesem Sachverhalt Daten. Pampel verwies dabei auf die Erfahrung von Nähe und Distanz durch die Besucher beim Thema der NS-Krankenmorde.

Bedeutet unterschiedliches Ausstellen zugleich unterschiedliches Erinnern? Dieser Frage stellte sich Detlef Hoffmann (Universität Oldenburg) und kam dabei auf die Frage zurück, ob es spezifische amerikanische und deutsche Ausstellungsphilosophien gebe. Dieser Gedanke durchzog den gesamten Workshop und evozierte auch in diesem Zusammenhang unterschiedliche Meinungen. Das Plenum arbeitete sich an dem auf Umberto Eco zurückgehenden Begriff des Hyperrealismus ab. Generell wurde auf die anderen Möglichkeiten zur Präsentation von NS-Medizinverbrechen in amerikanischen Museen hingewiesen, die sich durch die räumliche und persönliche Distanz ergeben.

Die Unterschiede amerikanischer und deutscher Museumskultur standen auch in der abschließenden Podiumsdiskussion im Zentrum. Nach Stefanie Endlich müssen sich auch deutsche Museen den Darstellungsformen stellen, wie sie in den Nachbarländern schon länger geübt werden – ohne dass feststehe, welche Konsequenzen für die Museen vor Ort daraus abgeleitet werden. Vor diesem Hintergrund wurden bestehende Ausstellungen in Berlin und München angesprochen, welche eher problematische Zugriffe bei der Präsentation versuchen. Norbert Haase, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, stellte in der Diskussion die Unterschiede von Museen und Gedenkstätten heraus, die, auch bei gleichem Gegenstand, unterschiedliche Zugänge zu ihren Themen ermöglichen. Damit ging man erneut auf die Interdependenz von Tatort, Erinnerungsort, Nähe und Distanz ein, die Formen der Erinnerung prägt.

Gerade in der Abschlussdiskussion wurde damit der Anspruch des Workshops eingelöst, auf verschiedene Formen der Darstellung und Vermittlung von NS-Medizinverbrechen einzugehen und diese zu diskutieren, wobei schon von den Teilnehmern her der Schwerpunkt auf der Konzeptionalisierung und Darstellung, weniger auf der pädagogischen Vermittlung lag. Dennoch war es eines der Ergebnisse der Tagung: mit der wachsenden zeitlichen Distanz büßt das Thema nichts von seiner Emotionalität ein – und auch in Zukunft werden verschiedene Ansätze unternommen werden, um den Zugriff auf das Thema zu ermöglichen.

Kontakt

Stiftung Deutsches Hygiene-Museum
Telefon: 0351 4846-856
Fax: 0351 4846-594
E-Mail: tagungszentrum@dhmd.de

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