Die Magie der Geschichte. Geschichtskultur und Museum

Die Magie der Geschichte. Geschichtskultur und Museum

Organisatoren
Thomas-Morus-Akademie und Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler Gefördert durch den Landschaftsverband Rheinland und die Bundeszentrale für politische Bildung
Ort
Bergisch Gladbach
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.08.2007 - 28.08.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Irmgard Zündorf, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der „Magie der Geschichte“ sollte am 27. und 28. August 2007 in der idyllischen Atmosphäre der Thomas-Morus-Akademie in Bensdorf nachgespürt werden. Die Konferenz verstand sich als Fortführung der 2005 begonnen „Magie-Reihe“1 des Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler. Mit „Magie“ war vor allem die Faszination gemeint, die offensichtlich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten von „Geschichte“ ausgeht und sich in einem starken öffentlichen Interesse an und einer vielfältigen Beschäftigung mit Geschichte zeigt. Die Organisatoren der Studienkonferenz (Peter Ellenbruch, Stefan Nies, Martina Padberg, Martin Schmidt, Christiane Syré) hatten diese in zwei Teile gegliedert: Am ersten Tag kamen vor allem die unterschiedlichsten kommerziellen „Anbieter“ zu Wort, um ihren Umgang mit und ihre Vermarktung von Geschichte zu präsentieren. Am zweiten Tag wurde danach gefragt, wie die Museen auf diese Entwicklung künftig reagieren sollten bzw. inwieweit sie bereits neue eigene Ideen umsetzen. Die Aufteilung der Konferenz versprach somit eine interessante Mischung aus Theorie und Praxis sowie spannende Diskussionen der Vertreter unterschiedlichster Genres.

Den Auftakt und theoretischen Einstieg in die Materie bot Bernd SCHÖNEMANN (Universität Münster) mit einem geschichtsdidaktischen Blick auf die „Geschichtskultur als Wiederholungsstruktur“. Er erläuterte zunächst die Wege der Forschung zur Geschichtskultur von Karl-Ernst Jeismann über Jörn Rüsen bis zu Jan und Aleida Assmann. Anschließend führte er kurz vier konkurrierende diesbezügliche Konzepte aus der zeithistorischen Forschung vor: die „Vergangenheitspolitik“ (Norbert Frei), die „Geschichtspolitik“ (Edgar Wolfrum), die „Erinnerungskultur“ (Christoph Cornelißen) und schließlich die von ihm so bezeichnete „Geschichtskultur ohne besondere Berücksichtigung der Geschichtsdidaktik“, die er Martin Sabrow zuwies. Die ersten drei Ansätze seien entweder zu eng auf die Politik fixiert oder zu weit gefasst, um noch eine Analysegrundlage zu bilden. Den Ansatz von Sabrow2 betrachtete Schönemann zudem als Plädoyer für eine Beschränkung der Geschichtsdidaktik auf rein schulische Belange, die er schlicht als Zumutung für seine Zunft bezeichnete. Er setzte den verschiedenen Konzepten der Zeithistoriker seinen Ansatz aus der Perspektive der Geschichtsdidaktik entgegen, der weit über die Minimalversion der Didaktik als Unterrichtsvorbereitung hinaus reichte. Vielmehr sah er ihre Aufgabe darin, Geschichtskultur „lesbar“ zu machen und sie in ihrer „Wiederholungsstruktur“ deutlich werden zu lassen. Für die Museen speziell bedeute dies, dass beispielsweise sie ihre eigene Geschichte und die ihrer Objekte stärker in den Vordergrund stellen sollten.

Abgeschlossen wurde der erste Tagungstag durch die Künstlerin Silke KOCH (Leipzig), deren Arbeit unter dem Motto „Rock my tradition“ auf die Infragestellung unseres vermeintlichen Wissens über „historische Fakten“ zielt und damit in gewisser Weise eine subversive „Antwort“ auf die Vermarktungskonzepte des Tages darstellte.

Im zweiten theoretischen Vortrag stellte Jan FREITAG (Universität Jena) aus soziologischer Perspektive den „Konsum von Kultur“ vor und versuchte dabei, die Gegenwartsgesellschaft über ihre Kultur bzw. ihre „Massenkultur“ zu beschreiben. Auf sehr abstrakte Weise beschrieb er die immer stärkere Standardisierung und Technisierung von Kulturgütern und die Entstehung einer „Erlebnisgemeinschaft“, der niemand mehr entrinnen könne. Schönemann betonte dagegen, dass die These von der „Erlebnisgemeinschaft“ sich nur begrenzt auf die Präsentation von Geschichte im Museum oder in anderen Medien anwenden lasse. Wie die Inszenierung von Geschichte trotzdem versucht wird, demonstrierten die folgenden Vorträge.

In der Sektion „Geschichte berichten“ beschrieb zunächst Beate SCHLANSTEIN (WDR, Köln) anhand zweier Fernsehdokumentationen („Damals in der DDR“ und „Die Germanen“) die Form und den Einsatz von „Reenactment“ als Geschichtsinszenierung im Film. Dabei betonte sie, dass diese Nachstellungen so eng wie möglich an den Quellen erarbeitet würden. Als Beleg für Seriosität betrachtete sie dabei die Vermeidung von Dialogen in ihren Produktionen; dieser Verzicht wurde allerdings von vielen Tagungsteilnehmern als „Pseudo-Zurückhaltung" bewertet: Wenn schon Bewegungen, Mimik oder Kleidung von Menschen unterschiedlichster Epochen nachgestellt würden, warum dann nicht auch die Sprache? Könne man nicht vielmehr gerade über die Sprache verdeutlichen, dass es sich hier um nachgestellte Szenen handle?

Cay RADEMACHER (Geo Epoche, Hamburg) zeigte anhand der Zeitschrift „Geo Epoche“ die Rekonstruktion von Geschichte in einem Hochglanz-Printmedium mit einer Auflage von derzeit zwischen 150.000 und 200.000 Exemplaren. Dort werden die einzelnen Artikel im Präsens, also in der Form einer Reportage verfasst. Die Autoren sind sowohl Journalisten als auch Historiker, deren Auftrag darin besteht, Geschichte in Geschichten aufzulösen. Dabei betonte auch Rademacher, dass nur niedergeschrieben werde, was sich historisch belegen lasse; wenn es also zu bestimmten Themen keine Quellen für geeignete Geschichten gebe, werde darüber auch kein Heft erstellt.

Ganz anders nähert sich die Romanautorin Tanja KINKEL ihren Geschichten. Sie betonte in ihrem Vortrag, dass sie zwar weitgehend den historischen Kontext ihrer Romane und ihrer historischen Figuren recherchiere. Darüber hinaus ziehe sie aber immer ihre Romangeschichte der „historischen Wahrheit“ vor und sei insofern durchaus bereit, bestimmte Gegebenheiten „anzupassen“. Volker HEISE (Berlin) zielt in seinen „Geschichts-Spiel-Dokus“ ebenfalls nicht in erster Linie auf die Vermittlung von Geschichtswissen, sondern betonte deutlich, dass das Ziel seiner Arbeit in einer hohen Einschaltquote liege. Mit Produktionen wie dem „Schwarzwaldhaus“ oder dem „Gutshaus“ versucht er, den Alltag einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Gruppe von Menschen nachzustellen. Das beste Ergebnis über eine gute Quote hinaus liege darin, einen „Aha-Effekt“ bei den Zuschauern zu erreichen. Auch Frank HERMANN (Electronic arts, Köln) zielt mit seinen Computerspielen weniger auf die Vermittlung von Geschichte als vielmehr auf steigende Verkaufzahlen. Er betonte, dass vor allem in Deutschland Spiele mit „historischem Hintergrund“ stark nachgefragt würden. Dabei lässt sich das „Historische“ an den Spielen aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive kaum erkennen. Einen anderen Zugang zu „Geschichte spielen“ lieferte Martin KLOEFLER (Facing the past, Köln) der als Vertreter der „Living History“ bei privaten oder kommunalen Feiern, aber auch in Museen Geschichte in historischen Kostümen nachspielt. Sein Ziel liegt dabei wieder vorrangig in der Geschichtsvermittlung. Im Vergleich zu historischen Museen möchte er die einzelnen Objekte „aus den Vitrinen holen“ und den Blick für Details und für ihren Kontext schärfen. Die genannten Beispiele verdeutlichten am Ende des ersten Tages vor allem, dass es viele Vermittlungsmöglichkeiten von Geschichte gibt und dass die Museen davon auf unterschiedliche Art lernen können.

Am zweiten Tag führte Michael JEISMANN (FAZ, Frankfurt) in das Thema „Geschichtskultur und Museum“ ein. Dabei gab er zunächst einen historischen Abriss zur Entwicklung der deutschen Museen seit den 1970er-Jahren und der sich darin widerspiegelnden „Selbstentdeckung Deutschlands“. In Bezug auf die am Vortag vielfach geforderte Form des Geschichtenerzählens betonte er, dass auch immer „die Geschichte“ erzählt werden müsse. Dies lasse sich jedoch nicht immer mittels Objekten umsetzen. Deshalb forderte Jeismann eine andere Herangehensweisen an Ausstellungen: Nicht von den Objekten müsse ausgegangen werden, sondern von Fragen. Auf diese Weise könnten sich die Museen der Magie der Geschichte nähern, die letztendlich im Verstehen liege.

Michael FEHR (UdK, Berlin) verstand darüber hinaus die Museen als Teil der Massenmedien, die die Chance der Kommunikation nicht verpassen dürften. Am Bild der Zeitmaschine von H.G. Wells erläuterte er die Aufgabe der Museen, mit der Zeit umzugehen. Dabei sollten sie diese nicht als einfachen Zeitstrahl verstehen, sondern – und damit knüpfte Fehr an die Argumente des ersten Tages an – sie als Narration präsentieren. Hierin könnten die historischen Museen noch viel von den Bildenden Künsten lernen. Er empfahl daher, eine Ausstellung als begehbare Installation zu betrachten.

Nach diesen ersten, wiederum eher theoretischen Ansätzen der Museumspräsentation folgte eine Reihe von Praxisberichten aus sieben verschiedenen Museen bzw. Ausstellungen: Sven LÜKEN (Deutsches Historisches Museum, Berlin), Daniel HESS (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg), Barbara RÜSCHOFF-THALE (LWL-Museum für Archäologie, Herne), Klaus KÖSTERS (LWL-Museumsamt für Westfalen, Münster), Claudia GOTTFRIED (Rheinisches Industriemuseum, Ratingen), Sabine THOMAS-ZIEGLER (Rheinisches Freilichtmuseum, Kommern) und Stefan SENSEN (Museen Burg Altena, Altena/Westfalen) berichteten jeweils über die Geschichte und das Konzept ihrer Häuser. Während im Deutschen Historischen Museum mit der neuen Dauerausstellung der Präsentation einzelner Objekte entlang eines eher klassischen Ausstellungskonzeptes der Vorrang gegeben wird und auch im Germanischen Nationalmuseum das Originalobjekt weiter im Mittelpunkt der Präsentation steht, zeigten sich vor allem in den Darstellungen der kleineren Häuser vielfältigste Formen der Inszenierung. Die geringsten Möglichkeiten dazu scheinen im Industriemuseum gegeben, das mit der Konzentration von mehr oder weniger großen Maschinen in ihren ursprünglichen Räumlichkeiten relativ eingeschränkt ist. Auch hier zeichnete sich ein Wandel der Umgangsweise mit den eigenen Objekten ab, der allerdings noch ganz am Anfang steht. Abzusehen ist, dass die Fragestellung der Industrie- und Technikmuseen erweitert werden muss, da das Interesse am Industriezeitalter als eigener Erlebniswelt der Besucher langsam schwindet. Besonders beeindruckend war dagegen die Präsentation des Archäologie-Museums, das sowohl die einzelnen Objekte in engen Zusammenhang mit ihrer Entdeckungsgeschichte stellt und diese als Fundstücke „in der Erde“ ausstellt. Die Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Präsentation und inszenierter Unterhaltung ist auch in den Museen Burg Altena interessant gelöst, gezeigte Ausstellungsbeispiele erinnerten bereits an die von Fehr geforderte begehbare Installation. Kösters berichtete, dass in Detmold wiederum eine andere Art der Inszenierung konzipiert werde, die vor allem auf die Anregung zum Nachdenken über einen Mythos abziele: 2009 soll dort die Rezeptionsgeschichte der Varus-Schlacht im Mittelpunkt einer Ausstellung stehen. Eine gänzlich andere Form der Ausstellung wurde in den Bildern des Rheinischen Freilichtmuseums deutlich, das sich wie eine Art großer Puppenstube darstellt. Solche Figurinen werden zwar von vielen Museumsfachleuten nach wie vor sehr kritisch beäugt und sind bei Universitätswissenschaftlern gänzlich verpönt, dennoch müssen beide Berufsgruppen neidvoll die hohen Besucherzahlen entsprechender Ausstellungen zur Kenntnis nehmen.

Auch diese Feststellung führte zu der immer wiederkehrenden Frage, was denn nun ein „gutes“ Museum sei. Ein Kriterium, das angesichts von Mitteleinsparungen immer wichtiger wird, ist die Höhe der Besucherzahl. Darüber hinaus kristallisierte sich die Erkenntnis heraus, dass in einem modernen Museum Geschichte nicht allein als Geschehen ausgestellt, sondern auch als Konstrukt erkennbar werden sollte. Zum Handwerk des Ausstellungsmachers schließlich gehört eine angemessene Verbindung von Texten, Objekten, audiovisuellen Angeboten und Design. Das Objekt wird dabei als sinnliches Angebot an den Besucher verstanden, wobei immer deutlich bleiben sollte, dass es nur ein Bruchstück der Geschichte darstellt (Sensen). Die Museen müssten die Besucher, so Jeismann, mit den Objekten „abstoppen“ und Neugier wecken. Neben diesen Wünschen an die Museumswelt dürften allerdings nicht die politischen Ansprüche an Geschichtskultur und schließlich die ökonomischen und bürokratischen Grenzen, die der Erzeugung von „Magie“ gesetzt sind, vergessen werden.

Die abschließende Diskussion ging noch einmal der Frage nach, wie weit Ausstellungen der Unterhaltung und wie weit sie der Bildung dienen sollten. Letztendlich konnte die Frage auch hier nicht geklärt werden. Es wurde aber deutlich, dass sich die Museen mit dieser Abwägung zwischen Wissenschaft und Event permanent auseinandersetzen müssen. Ein Ansatzpunkt, der bestimmt noch weiteren Diskussionsstoff für die „Magie-Reihe“ bieten dürfte, schien der Weg über die Kunst: Die Konzeption einer Ausstellung als mit Informationen durchsetzte künstlerische Installation. Insgesamt war die Konferenz vor allem durch die disziplinäre Mischung der Referenten und Teilnehmer, die aus Museum, anderen Geschichts-Vermittlungsinstitutionen sowie der Universität kamen, sehr fruchtbar. Gerade dieses interdisziplinäre Potenzial hätte allerdings durch mehr Zeit für Diskussionen noch wesentlich besser genutzt werden können.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Tagungsband: Kirchhoff, Heike; Schmidt, Martin (Hrsg.), Das Magische Dreieck. Die Museumsausstellung als Zusammenspiel von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern, Bielefeld 2007.
2 Der Stein des Anstoßes war ein Artikel von Sabrow aus dem Jahr 2005: Sabrow, Martin, Nach dem Pyrrhussieg. Bemerkungen zur Zeitgeschichte der Geschichtsdidaktik, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 2 (2005), H. 2, URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Sabrow-2-2005>.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts