Property in Eastern Europe. The Notion, Institutions and Practices of Property to Land in the 20th Century

Property in Eastern Europe. The Notion, Institutions and Practices of Property to Land in the 20th Century

Organisatoren
Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.11.2007 - 01.12.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Stefan Dyroff, Historisches Institut, Universität Bern

Veranstalter: Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig
Datum, Ort: 30.11.2007-01.12.2007, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig
Autor: Stefan Dyroff, Historisches Institut, Universität Bern. stefan.dyroff@hist.unibe.ch

Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen der ostmittel- und südosteuropäischen Neumitglieder zur Europäischen Union erreichten diese mehrjährigen Übergangsfristen, in denen entgegen des Grundsatzes der Kapitalverkehrsfreiheit landwirtschaftlicher Boden nicht als freie Handelsware angesehen wird. Die historische, rechtliche, soziale, anthropologische und wirtschaftliche Dimension der dabei sichtbar werdenden besonderen Beziehung zu Grund und Boden in diesem Raum im 20. Jahrhundert war Gegenstand einer internationalen Konferenz. Diese war Teil des von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Forschungsprojektes „Bodenrecht, Kataster und Grundbuchwesen im östlichen Europa 1918–1945–1989“.1

Zur Einführung in das Thema „Property in Eastern Europe. The Notion, Institutions and Practices of Property to Land in the 20th Century” referierten die beiden Projektleiter HANNES SIEGRIST und BOGDAN MURGESCU, wobei sich vor allem Siegrists Thesen zur Propertisierung der Gesellschaft und Kultur als Klammer der gesamten Veranstaltungen erweisen sollten.2 Ausgehend von der These, dass Individuen, kollektive Akteure und Organisatoren ihre Beziehungen und den Umgang mit materiellen sowie immateriellen Objekten zunehmend eigentumsförmig gestalten, versteht Siegrist Eigentum als soziale, kulturelle und rechtliche Konstruktion. Auf einer anderen Analyseebene sieht er Eigentum als Institution oder Strategie, was es ihm ermöglicht die Interessen bestimmter Berufsgruppen an der Ausgestaltung der Eigentumsordnung zu berücksichtigen. Diesen Zusammenhang verdeutlichte Siegrist vor allem in seinem Kommentar zum Vortrag der rumänischen Geodätin ANA CORNELIA BADEA zum Thema „Der Kataster im 20. Jahrhundert in Rumänien. Zwischen Technologie und Geschäft“, in dem er anmerkte, dass diese eindeutig die Interessen ihrer Berufskollegen an einer bestimmten Art der Eigentumserfassung dargestellt habe.

Im weiteren Verlauf der Tagung folgten Vorträge von Historikern, Geografen, Juristen, Sozialwissenschaftlern und Ingenieuren, die in die Sektionen „Eigentum im Spannungsfeld von Recht und Politik“, „Eigentumskonzepte zwischen Transfer und Anverwandlung“, Vermessung, Registrierung und Symbolisierung des Eigentums“ sowie „Die Praxis des Eigentums“ unterteilt waren. In der letzten Sektion stellten die Projektteilnehmer ihre vorwiegend anthropologisch orientierten Feldforschungsberichte aus jeweils zwei Regionen Polens, Rumäniens und Serbiens vor. Das präsentierte empirische Material, die Thesen der Vorträge und der Verlauf der Diskussion waren dabei durchaus geeignet, über den teilweise thematisch engen Gegenstand hinaus weiterführende Schlüsse zu ziehen.

Der Hallenser Sozialanthropologe CHRIS HANN regte so in der Diskussion von Siegrists Ausführungen an, dass neben dem institutionellen Ansatz auch der materialistische nicht vergessen werden dürfe. Die mit diversen Statistiken und Zahlen unterlegten Ausführungen von Murgesu zu „Landwirtschaft und Bodeneigentum in der rumänischen Wirtschaftsgeschichte“ stellten nicht nur aus diesem Blickwinkel eine ideale Ergänzung zu Siegrists Ansatz der Eigentumsforschung dar. Siegrist verteidigte seine institutionelle Herangehensweise dennoch mit dem Verweis darauf, dass Institutionen Zeit bräuchten um zu wirken. Auch nach der französischen Revolution habe es Jahrzehnte gebraucht, bis sich die neue Eigentumsordnung endgültig durchgesetzt habe.

Der Vergleich zur Entwicklung der Institution Eigentum in Westeuropa kam auch in der Diskussion weiterer Vorträge immer wieder zur Sprache, wobei deutlich wurde, dass der angenommene Regelfall Westeuropa sich keinesfalls linear von der Ablösung des Feudalsystems in Richtung einer marktliberalen Eigentumsordnung entwickelt hat. In diesem Zusammenhang wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob in puncto Eigentum nicht Westeuropa die Ausnahme und Osteuropa, Ostasien sowie andere Teile der Welt der Regelfall seien.

Dagegen vertrat der Jurist HERBERT KÜPPER in seinem Vortrag die Auffassung, dass die Stagnation der Rechtsordnungen in Ostmitteleuropa seit dem Spätmittelalter und das Fehlen einer politischen Grundlage zur Einführung eines bürgerlichen individuellen Volleigentums zu einer bis heute psychologisch nachwirkenden Sonderentwicklung geführt habe. Es sei zwar nicht mehr illegal, aber weiterhin moralisch verwerflich, wenn Ackerboden wie eine frei handelbare Ware behandelt werde. Als Beispiel führte er Art. 99 Abs. 2 der polnischen Märzverfassung aus dem Jahr 1921 an, in der der Boden als einer der wichtigsten Faktoren der Existenz der Nation und des Staates bezeichnet wurde. Der Unterschied zu Westeuropa bestehe jedoch nicht in zusätzlichen Restriktionen, sondern in der möglichen Politisierbarkeit der Bodenfrage. Das Bedürfnis zur Einschränkung der Handelsfreiheit des Bodens sei nicht spezifisch osteuropäisch, sondern leite sich daraus ab, dass ein einmal zerstörter Boden einen für die Gesellschaft irreparablen Schaden darstelle.

Die von Küpper angesprochene politische Dimension der Bodenfrage in Osteuropa fand sich unter dem Stichwort „Historische Gerechtigkeit“ auch in zahlreichen anderen Vorträgen wieder. Neben der in den Vorträgen von DIETMAR MÜLLER, CLAUDIA KRAFT und JOVICA LUKOVIC betonten ethnischen und sozialen Komponente, wies RADEK ZALESKI auf eine weitere Dimension von Gerechtigkeit bei der Bodenverteilung hin. Am Beispiel der Enteignung eines örtlichen Waldbesitzers in der Volksrepublik Polen zeigte er, wie eine Dorfgemeinschaft unter Anwendung sozialistischer Schlagwörter einen Kollaborateur mit dem nationalsozialistischen Besatzungsregime durch Kollektivierung seines Eigentums bestrafte und dadurch in ihrem Sinne Gerechtigkeit herstellte.

Dass neben den in den meisten Vorträgen sichtbaren neueren kulturwissenschaftlichen Ansätzen auch die klassische Ökonometrie nicht vernachlässigt werden darf, belegte der Vortrag des Wirtschaftshistorikers Murgescu. Er leitete aus seinem empirischen Datenmaterial die These ab, dass der Markt und die ökonomische Rationalität kaum eine Rolle auf die Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion gehabt hätten. In den Jahren, in denen der Weltmarktpreis am niedrigsten war, exportierte Rumänien nämlich die größte Menge an Getreide und umgekehrt. Setzt man dies zu den Ausführungen des Osteuropahistorikers DIETMAR MÜLLER über den zunehmenden staatlichen Dirigismus im Bereich der rumänischen Bodenpolitik in Beziehung, wird deutlich, dass zumindest in Rumänien die Gestaltung der Eigentumsverhältnisse nicht zur Steigerung der Wirtschaftskraft, sondern zur Veränderung der Gesellschaftsstruktur verwendet wurde. In diesem Licht erscheint auch Müllers Hauptthese, dass die Behinderung der marktwirtschaftlichen Entfaltung der Landwirtschaft in Rumänien und Jugoslawien schon in der Zwischenkriegszeit begann und sich in der kommunistischen Periode nach 1945 lediglich fortsetzte, weniger polemisch als auf den ersten Blick.

Der Geograf KURT SCHARR hatte dagegen am Beispiel des am 23. Dezember 1817 durch den österreichischen Kaiser Franz I. eingeführten Franziszeischer Kataster deutlich gemacht, dass dieser zwar vordergründig eine Erhöhung der Steuereinnahmen zum Ziel hatte, jedoch vor allem eine Dynamisierung der landwirtschaftlichen Produktion bewirkte. Damit konnte er eindrücklich aufzeigen, dass nicht jede staatliche Regelung des Bodeneigentums die private Verfügung über diesen beschränkt und somit die ökonomische Entwicklung hemmt. Diese beiden konträr zu einander verlaufenden Prozesse im Österreich des 19. Jahrhunderts und im Rumänien des 20. Jahrhunderts stützen wiederum eine der Hauptthesen von Siegrist, der deutlich gemacht hatte, dass es keine allgemeine Form der Propertisierung gäbe, sondern viele verschiedene Typen. Entscheidend dafür sei das jeweilige Verständnis von Eigentum. Gerade die Fallstudien zu Polen, Rumänien und Serbien zeigten auf, dass sich nach der politischen Wende von 1989 in Osteuropa mit der Gesellschaft auch das Verständnis von Bodeneigentum nach und nach ändert. Wie es JOVANA DJOKOVIC formulierte, wird das eigene Stück Land immer weniger als Ort der Familienbiografie wahrgenommen und stattdessen als ökonomische Ressource angesehen.

Somit kann abschließend gesagt werden, dass momentan vieles darauf hinweist, dass sich die „Bauernfrage“ in den postsozialistischen Transformationsstaaten mehr und mehr zu einer „Landfrage“ entwickelt. Dieser von David Mitrany 1930 postulierte Unterschied zwischen West- und Osteuropa 4 scheint sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts somit aufzulösen. Daher stellt sich auch beim Thema Bodeneigentum die in den Osteuropawissenschaften ständig virulente Frage nach einer im Vergleich zu Westeuropa verspäteten Modernisierung nach westlichem Muster. Diese sollte aber in Zukunft in Kooperation mit Experten zur Land- und Bauernfrage in Westeuropa diskutiert werden. Das darin liegende Potential des Vergleichs deuteten der Österreicher HELMUT AUER und der Waliser Chris Hann in einigen ihrer Diskussionsbeiträge an, wobei sie aber mangels eigener Forschungsarbeiten in diesem Bereich nur aus der Perspektive ihrer lebensweltlichen Erfahrung berichten konnten.

Konferenzübersicht

Hannes Siegrist (Leipzig): Propertisierung der Gesellschaft und Kultur/ Propertisation of society and culture
Bogdan Murgescu (Bukarest): Landwirtschaft und Bodeneigentum in der rumänischen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts/ Agriculture and land property in the economic history of 20th century Romania
Herbert Küpper (München/Regensburg): Eigentum in der ostmitteleuropäischen Rechtskultur/ Property in East Central European legal culture
Claudia Kraft (Erfurt): Eigentum und Staatsbürgerschaft/ Property and citizenship
Dietmar Müller (Leipzig): Die Zwischenkriegszeit. Eigentum zwischen Entgrenzung und Nationalisierung/ The interwar period. Property between delimitation and nationalisation
Jovica Lukovic (Frankfurt am Main): Der sozialistische Eigentumsbegriff und seine Rezeption in Jugoslawien/ The socialist notion of property and its reception in Yugoslavia
Kurt Scharr (Innsbruck): Das habsburgische Kataster- und Grundbuchsystem im europäischen Kontext/ The Habsburg system of cadastre and land registers in the European context
Helmut Auer (Wien): Grundbuchsysteme in Europa und deren Bedeutung für Eigentumssicherung/ European systems of land registers and their importance for providing security for property
Ana Cornelia Badea (Bukarest): Between technology and business: Cadastre in 20th century Romania/ Der Kataster im 20. Jahrhundert in Rumänien. Zwischen Technologie und Geschäft
Pawel Klint (Breslau), Radek Zaleski (Warschau): Central Poland and Galicia
Cornel Micu (Jena), Marius Drasovean (Bukarest): The Regat and Transylvania
Srdjan Milosevic, Jovana Dikovic (Belgrad): Shumadiia and Vojvodina

Anmerkungen:
1 Vgl. die Ankündigung des Projektes bei H-SozuKult: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/projekte/id=141>
2 Vgl. Siegrist, Hannes, Die Propertisierung von Gesellschaft und Kultur. Konstruktion und Institutionalisierung des Eigentums in der Moderne, in: ders. (Hrsg.): Entgrenzung des Eigentums in modernen Gesellschaften und Rechtskulturen, Comparativ 16 (2006), H. 5/6, S. 9-52.
[3] Botsch, Elisabeth, Eigentum in der Französischen Revolution. Gesellschaftliche Konflikte und Wandel des sozialen Bewusstseins, München 1992.
4 So eine der Hauptthesen von Mitrany, David, The Land and the Peasant in Roumania. The War and Agrarian Reform 1917-1921, London 1930.

Kontakt

Dr. Dietmar Müller

Beethovenstr. 15
04107 Leipzig
0341 97 356 92
0341 97 356 98
muellerd@uni-leipzig.de


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Französisch, Deutsch
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