Höchste Gerichtsbarkeit in Kriegszeiten

Höchste Gerichtsbarkeit in Kriegszeiten

Organisatoren
Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit, Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
02.04.2008 - 04.04.2008
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Von
Verena Kasper, Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Wechselseitige Auswirkungen von Krieg auf Recht beziehungsweise Krieg auf Gerichtsbarkeit und vice versa standen im Mittelpunkt der vom Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit und der Forschungsstelle Reichskammergericht gemeinsam mit dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien veranstalteten Tagung „Höchste Gerichtsbarkeit in Kriegszeiten“. Verrechtlichungsprozesse und die Institutionalisierung der Rechtsstruktur des Alten Reiches wurden dabei dem Prozess der Kriegsverdichtung gegenübergestellt, was insbesondere für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts mit 30jährigem Krieg und Westfälischem Frieden als Höhepunkte beider Entwicklungen herausgearbeitet werden sollte, so eine der Veranstalter Anette Baumann (Wetzlar). Steffen Wunderlich (Frankfurt a.M., Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit) hob in seinen einleitenden Worten die Auswirkungen der Kriegszeiten auf die Institutionen Reichskammergericht und Reichshofrat als besonderen Schwerpunkt hervor. Dies sowohl auf struktureller Ebene in Form personeller Auswirkungen, örtlicher Verlegungen des Gerichtsortes oder Einstellen der gerichtlichen Tätigkeit, was ganz unmittelbar auf das institutionelle Gefüge im Reich gewirkte habe, als auch auf prozessualer Ebene durch erhöhte Prozessfrequenzen und bestimmte Verfahrensarten.

Die erste Sektion war jedoch zunächst im 16. Jahrhundert angesiedelt und behandelte zum einen die sich ausbildende Rolle des Reichskammergerichts als Friedenswahrer, zum anderen die selten erhaltenen Entscheidungsmotive von Prozessrichtern, hier speziell in Kriegszeiten. MIRIAM DAHM (Bochum) zeigte in ihren Ausführungen die kriegspräventive, friedenssichernde Funktion der Pfändungskonstitution der Reichskammergerichtsordnung von 1555 auf. Auch nach dem Ewigen Landfrieden (1495) sei die eigenmächtige Pfändung, beispielsweise bei Schulden oder Besitzstörung, eine häufige Form der Selbsthilfe geblieben, was der angestrebten Friedensregelung entgegengestanden hätte. Bereits zeitgenössisch umstritten war dabei die definitorische Abgrenzung zwischen Landfriedensbruch und eigenmächtiger Pfändung, die neben der einerseits strafrechtlichen andererseits zivilrechtlichen Dimension auch Fragen nach Maß und Unmaß tolerabler Gewalt umfasste. Am Beispiel eines Grenzkonfliktes zwischen dem Fürstentum Wolfenbüttel und der Reichsabtei Corvey in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verwies Dahm auf das hohe Konfliktpotential, das die Verzahnung verschiedener Herrschaftsrechte mit sich brachte und im Rahmen dessen eine eigenmächtige Pfändung üblicher Handlungsmechanismus gewesen sei. Mit der Festschreibung der Pfändungskonstitution seien nunmehr „Gerechtigkeiten“, also Obergerichtsbarkeit, prozessrechtlich ausschlaggebend geworden, die wie im Falle Corveys nicht notwendig mit Besitz, Landherrschaft und Gewaltmonopol zusammenfallen mussten. Dies habe die Prozessparteien zunehmend dazu gezwungen, Verträge zu schließen, die im Zweifelsfall als Beweismittel angeführt werden konnten, die gleichzeitig aber auch zu Verrechtlichung und Stabilisierung friedlicher Beziehungen führten. Im Vergleich zu den langwierigen Landfriedensprozessen agierte das Reichskammergericht in Pfändungsprozessen zumeist rasch mit einer Restitution des Pfandes, um den akuten Konflikt zu beenden, bevor über die rechtliche Situation argumentiert wurde. Dies habe zum einen dazu geführt, dass viele Prozesse konsensual beendet werden konnten, andererseits aber auch dazu, dass offenkundige Landfriedensbrüche auch von Klägerseite nun bevorzugt als Pfändungsprozesse deklariert wurden. Die definitorische Unschärfe verursachte also eine prozessuale Gemengelage, die von den Prozessparteien genutzt werden konnte.
STEFFEN WUNDERLICH (Frankfurt a.M.) zeigte anhand eines privaten Protokollbuchs des Reichskammergerichtsassessors Mathias Alber (1532/33), wie dieser bei Prozessen im Umfeld des Bauernkrieges in drei exemplarischen Fällen seine Urteilsbegründungen argumentierte. Er betonte dabei, dass für Albers nicht das ius commune, sondern vielmehr die Achtbarkeit und Unantastbarkeit von Obrigkeit leitendes Rechtsdenken war. Während dem Reichskammergericht vom Reichstag, wie beispielsweise im Reichsabschied 1530, Untertanenfreundlichkeit vorgeworfen worden sei, habe sich das Reichskammergericht in seinen Entscheidungen tatsächlich eher restriktiv gezeigt. Standesstruktur und Untertanengehorsam bildeten, zumindest im speziellen Falle Albers, den gedanklichen Rahmen, in denen das klassische Argument von armem Untertan versus tyrannischer Obrigkeit nicht unbedingt gepasst habe. Wie Siegrid Westphal (Osnabrück) in der Diskussion anmerkte, gelte es aber hier zwischen individuellen und kollektiven Untertanenklagen zu unterscheiden. Thomas Lau (Fribourg) stellte zudem die Schwierigkeit für das Gericht heraus, bei Untertanen-/ Bürgerklagen durch ein Mandat zunächst die Tyrannei einer Obrigkeit feststellen zu müssen, was einem Urteil schon beinahe gleichkam. Hier hätte, wie Eva Ortlieb (Wien) anmerkte, der Reichshofrat beispielsweise einen wesentlich flexibleren Handlungsspielraum gehabt, da er sich nicht allein auf seinen Gerichtscharakter zurückziehen konnte beziehungsweise musste und auch nicht nur die Handhabe des Mandats zur Verfügung hatte.

Die zweite Sektion behandelte eines der für diese Tagung als Kernbereich abgesteckten Themenfelder – den Reichshofrat im 30jährigen Krieg und Westfälischen Frieden. THOMAS LAU (Fribourg) zeigte anhand des Beispiels der Reichsstadt Mühlhausen verschiedene Konfliktlagen und Lösungsstrategien von Bürgern, Rat und Reichshofrat im Krieg auf. Im Falle Mühlhausens hatte zwar die Bürgerschaft mit dem Rat am kollektiven Rechtsbruch zugunsten eines Bündnisses mit Schweden und Kursachsen teilgenommen, alsbald aber nutzte der Rat dies durch „Ressourcentransfer“, vor allem übermäßige Kontributionsleistungen der Bürgerschaft, zu seinen Gunsten. Dadurch bildete sich ein gegen den Rat gerichtetes oppositionelles Bündnis aus protestantischen kirchlichen Trägern und Bürgerschaft, die nun den Weg an den Reichshofrat suchten. Dies habe, so Lau , unmittelbar ein neues prokaiserliches Verhaltens-, Kommunikations- und Wahrnehmungsmuster innerhalb der Bürgerschaft befördert. Denn der Reichshofrat habe seine vermittelnde politische wie jurisdiktionelle Funktion unterstrichen: zum einen durch die konsequente Nicht-Verhandlung von religiösen Konfliktfeldern, zum anderen durch die Ernennung protestantischer Reichsstände als kaiserliche Kommissare, wodurch er sich als Garant des überkonfessionellen Rechts erweisen und seine Schutzfunktion für Untertanen hervorheben konnte. Hierdurch zeige sich wiederum die besondere Handlungsmacht des Reichshofrats, anhängige Prozesse flexibel zu verbinden, gegeneinander auszuspielen oder nicht zu verhandeln. Gleichzeitig habe er sich auf das „neutrale“ Agieren der eigentlich pro Rat eingestellten kaiserlichen Kommissare verlassen können, da der Reputationsverlust einer Entziehung dieses Amtes auch für protestantische Reichsstände nicht tragbar gewesen wäre. Der Reichshofrat habe damit aber einen Prozess der Vertrauensbildung in Gang gesetzt, was alsbald reichsstädtische Nachfolgeprozesse von Ulm und Augsburg an den Reichshofrat zog und mit der ab 1648 zunehmenden Angleichung der rechtlichen Strukturen der Reichsstädte korrespondierte. Unterschiede zu vorhergehenden Bürgerunruhen, sah Lau vor allem darin, dass nach 1548 deutlich geworden sei, dass die Institution städtischer Rat nicht anzugreifen, weil kaiserlich geschützt war, eine strukturelle Änderung also nur über den Reichshofrat zu erreichen gewesen sei, was wie im Falle Mühlhausens von der Bürgerschaft genutzt wurde und zu einer längerfristigen Veränderung der Verhaltens- und Entscheidungsstrategie des Reichshofrats geführt habe. Für das allgemeine Prozessaufkommen am Reichshofrat hielt EVA ORTLIEB jedoch in der Diskussion fest, dass sich der 30jährige Krieg negativ auf die Prozessfrequenz auswirkte, auch weil die Reichshofräte aufgrund ihrer politischen Funktion in den Friedensverhandlungen aktiv beteiligt waren und daher ihre gerichtliche Tätigkeit hintanstellen mussten.
RALF-PETER FUCHS (München) befasste sich in seinem Beitrag mit der Rolle des Reichshofrats im Nachklang des Westfälischen Friedens anhand des Konflikts Kurbrandenburg contra Pfalz-Neuburg um die in Osnabrück dem Normaljahr 1624 entsprechend festgelegte konfessionelle Aufteilung Jülich-Kleve-Bergs, deren Einhaltung durch Kurbrandenburg von Pfalz-Neuburg am Reichshofrat einklagt wurde. Dabei habe sich der Reichshofrat klar zum Westfälischen Frieden als Kontrollinstanz der Ausführung der getroffenen Regelungen positioniert. Entsprechend setzte er eine paritätisch besetzte Kommission ein, versuchte aber auch selbst, politisch vermittelnd aufzutreten, um eine Eskalation zu vermeiden. In der schwierigen Situation einerseits als Hüter des Friedenswerkes aufzutreten, andererseits aber die Kommunikation mit dem Kurfürsten aufrechterhalten zu wollen, werde die Flexibilität, mit der der Reichshofrat agierte, besonders deutlich. Als Instanz und Autorität zur Durchsetzung des Westfälischen Friedens in der Übergangsphase von Krieg und Frieden musste der Versuch stehen, alle Reichsstände verpflichtend nach dem Normaljahr zu behandeln – er stand dabei auch in Konkurrenz zu anderen friedenssichernden Mächten wie Schweden und Frankreich. Andererseits zeige sich gerade im Konfliktfall, dass er wie gehabt aus politischem Kalkül die Entscheidungen sensibel anpasste und langfristige, entradikalisierende Lösungen anstrebte, sich also auf seinen Charakter als Ansehensmacht und Friedenswahrer zurückzog. Wie Siegrid Westphal anmerkte, setzte er damit die „alten Lösungsstrategien von Entschleunigung und Vergleichsbestrebung“ ein.

Die dritte Sektion befasste sich analog mit dem Reichskammergericht als zweitem obersten Reichsgericht während des 30jährigen Krieges, wiederum in einem regionalen Zugriff. Für den sächsisch-anhaltisch-thüringischen Raum konnte MARKUS MEUMANN (Halle) am Reichskammergericht für den Zeitraum 1515-1660er Jahre rund 1500 Streitfälle ausmachen, wovon 7 bis 8% in den Zusammenhang mit Kriegen zu setzen seien. Neben einem großen prozessualen Anteil an Landfriedensbruch- und Pfändungsklagen, die vor allem im 16. Jahrhundert verhandelt wurden, seien insbesondere Kriegssteuern, Eigentumsprozesse im Gefolge des Krieges, Kriegsschäden und ausstehende Soldzahlungen, damit also vor allem wirtschaftliche Klagegegenstände an das Reichsgericht herangetragen worden. Die rund 30 Mandats-, Citations- und Appellationsklagen kamen jedoch oft erst Jahrzehnte später an das Gericht, seien den Kriegsverläufen also eher nachgelagert gewesen. Vor Gericht agierten daher nicht etwa die tatsächlich Kriegführenden, sondern vielmehr die Betroffenen mit beispielsweise der Obrigkeit wegen Verteilungsstreitigkeiten, was kriegsbedingte Prozesse nur schwer fassbar mache.
ANETTE BAUMANN (Wetzlar) untersuchte genuin für den Zeitraum des 30jährigen Krieges die Prozesstätigkeit der beiden protestantischen Territorien Nassau und Waldeck an den beiden obersten Reichsgerichten im Vergleich. Zwar sei das Fürstentum Waldeck zunächst kaiserfern und durch Lehensvorstellungen zu Hessen geprägt gewesen – dies habe sich jedoch um die Wende zum 17. Jahrhundert geändert, was sich unmittelbar in einer stetigen Prozesstätigkeit gegen Hessen niederschlage. Waldeck habe dabei beide Reichsgerichte gleichermaßen ergänzend zueinander genutzt, das Reichskammergericht im Zeitraum 1618-31 mit meist einem Prozess pro Jahr, den Reichshofrat mit insgesamt 17 Prozessen in diesem Zeitraum. Bemerkenswert sei vor allem, dass in den 1620er Jahren, als Waldeck von Hessen bedroht wurde, der Kaiser trotz Kriegszeiten den kleinen, protestantischen Reichsstand schützte. Ein völlig anderes Bild biete sich hingegen bei Nassau, das zunächst eine enge Verbindung zum Kaiser durch die Lage seiner Territorien und die Nähe zu Frankreich gehabt habe. In den 1620er Jahren klagte Nassau hauptsächlich am Reichskammergericht, danach ausschließlich am Reichshofrat. Als durch erneute Erbteilung in den 1630er Jahren die Nassauischen Söhne eine Anstellung in Schwedischen Diensten erhielten, habe sie der Zorn des Kaisers getroffen, der ihnen die Gebiete entzog und sie ihres Landes verweisen ließ. Die Rebellion gegen den Kaiser schien somit gleichbedeutend mit einer Aufgabe der reichsverfassungsmäßigen Schutzrechte gewesen zu sein. Bestimmend sei daher gerade für kleinere Territorien das persönliche Verhältnis zum Kaiser gewesen.
Der Abendvortrag von RALF PRÖVE (Berlin) nahm die „freiwillig und unfreiwillig Reisenden während des Krieges“ in den Blick, das frühneuzeitliche Militär. Es sei hier eine der bedeutendsten Berufsgruppen und Personenverbände aus dem Blick der Forschung geraten, die sich durch hohe Mobilität, weite geographische Reichweite, Multiethnizität und -konfessionalität auszeichne. So habe ein europaweiter Arbeitsmarkt floriert, der ein Millionenheer auf Kosten der Militärkassen quer durch Europa habe reisen lassen, oft gemeinsam mit deren Familien, denn rund ein Drittel der Söldner war verheiratet. Diesen „multikulturellen Mikrokosmos“ gelte es kulturwissenschaftlich zu untersuchen, denn zumeist lebten die Söldner bei der ansässigen Bevölkerung oder Wirtshäusern einquartiert, Kasernen waren bis ins späte 19. Jahrhundert noch selten. Welche wirtschaftlichen Strukturen und Folgen diese Einquartierungen vor allem bei Wirten gezeitigt hätten, sei kaum untersucht, dabei seien gerade diese Quartiere Kontakt- und Kommunikationsknotenpunkte gewesen, die auch auf Kulturtransfer hin befragt werden könnten. Über die Quellengattung der Soldatentagebücher könne hier, wenn auch, wie Siegrid Westphal anmerkte eher das sozial höher stehende, Militärpersonal fassbar und die Verquickung militärischer und nichtmilitärischer Lebenswelten erfahrbar gemacht werden.

In der vierten Sektion wurde das schwedische Wismarer Tribunal als ausländisches Militärgericht innerhalb des Reiches in den Vergleich miteinbezogen. JANA ZIMDARS (Rostock) stellte hierbei fest, dass in den Kriegsjahren nicht mehr oder weniger Fälle an das Tribunal gelangten, sondern kriegsbedingte Prozesse sich wiederum erst nach den aktiven Kriegsjahren niederschlugen. Dabei stellte auch sie, ähnlich Markus Meumann, die gehäufte Anzahl an Prozessen um wirtschaftliche Belastungen wie Schulden oder Einquartierung fest, während beispielsweise Gewalt selten Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen geworden sei. Das Tribunal habe dabei durch beschwichtigende Schriftwechsel eine Mittlerfunktion inne gehabt und befasste sich hauptsächlich mit Bürgerklagen gegen Militärangehörige, während Prozesse gegen Zivilisten an die jeweiligen örtlichen Gerichte verwiesen wurden. Bei nachgewiesenen Schulden durch Kriegsfolgen war dabei die Chance einer Rückerstattung durch die schwedische Krone durchaus hoch. In seinem daran anschließenden Vortrag zeigt NILS JÖRN (Wismar) auf, dass das Tribunal als Substitut der Reichsgerichte in der besetzten Region fungierte und durch die engmaschige Kontrolle der Schwedischen Krone wesentliche Qualitätsverbesserungen erreichen konnte. Zwar habe zumindest in der Großmachtzeit bis 1720 der Anspruch dahinter gestanden, falls größere Ambitionen im Reich umsetzbar wären, die bestehenden Justizstellen schnell und problemlos füllen zu können. Ungeachtet dessen waren die besten Juristen Schwedens am Wismarer Tribunal tätig, die neben Militärstatuten auch Römisches Recht und Reichsrecht zur Geltung brachten. Für die zu Beginn aufgeworfene Fragestellung, inwiefern sich Kriege strukturell auf Gerichte auswirken könnten, sei für Wismar festzustellen, dass sich die Kriegsbelastung ganz unmittelbar bei der Errichtung des Tribunals durch äußerst geringe Personalaufnahme gezeigt habe, die erst in den Friedensjahren bis 1700 deutlich erhöht wurde. Dann jedoch dauerte die Prozessdauer am Wismarer Tribunal durchschnittlich nur eine Woche, war also sehr effektiv. Als Wismar 1716 eingenommen wurde, sei das Tribunal darauf vorbereitet gewesen, habe die Archivbestände nach der nahe gelegenen Reichsstadt Lübeck verbracht oder in die Hände Wismarer Bürger gegeben. Es schien unter allen beteiligten und betroffenen Kriegsparteien der Konsens zu bestehen, dass das Archiv nicht angetastet werden dürfe, da nur so Rechtssicherheit gewährleistet werden könne.

In der abschließenden Sektion wurden laufende Dissertationsprojekte zu Reichskammergericht und Reichshofrat vorgestellt. Neben der medialen Inszenierung der Reichskammergerichtsvisitation in Druckschriften (ALEXANDER DENZLER, Augsburg) und dem Verhältnis von königlichem Landgericht und Reichskammergericht (MICHAEL JACK, Bochum) stand dabei unter anderem auch die zeremoniell inszenierte Person des Richters am Reichskammergericht im Blickpunkt (MARIA VON LOEWENICH, Münster). Für die Besetzung dieses Amtes zeigte Loewenich auf, dass ab dem Wechsel nach Wetzlar nicht mehr der ansässige oder umliegende Hochadel, sondern kaiserliches Klientel ins Amt berufen wurde. Die Position des Reichskammerrichters habe meist am Ende einer Hofkarriere gestanden und machte die Richter damit nicht nur zeremoniell nach außen zu Vertretern des Kaisers. Dabei sei dieses Amt zwar auf den ersten Blick ein eher repräsentatives, organisierte der Reichskammerrichter doch hauptsächlich den formalen Ablauf. Gerade darin aber habe seine hohe Lenkungsmöglichkeit bestanden, da er jeweils die Referenten und Assessoren der Prozesse bestimmte und gleichzeitig wie kein anderer Einblick in alle Gerichtsprozesse gehabt habe. Diese Handlungsmöglichkeiten ebenso wie der hohe Prestigegewinn hätten dieses kostspielige und unrentable Amt daher stets von politischer Bedeutung und damit begehrt sein lassen. Die vorgestellten Reichshofratprojekte stellten den besonderen Status der jüdischen Minderheit am Reichshofrat heraus, der sich in zahlreichen Prozessen vor allem im 18. Jahrhundert niederschlug. Dies kann, wie in den Referaten von VERENA KASPER (Graz) und ANDRÉ GRIEMERT (Marburg) gezeigt, über quantitative Erhebungen beispielsweise auf die Bedeutung der Institution Reichshofrat für die jüdische Bevölkerung, die sich in der Inanspruchnahme widerspiegelt, die geographische Reichweite von Konflikten oder auch ständische Beteiligung hin befragt werden.

Zusammenfassend schien insbesondere aus den Referaten von Lau, Meumann und Zimdars deutlich zu werden, dass es gerade die wirtschaftliche Seite des 30jährigen Krieges in Form von Kriegsschäden, Schulden und Verteilungsstreitigkeiten war, die an die obersten Gerichte gelangte. Dabei habe das Kriegsgeschehen keinen unmittelbaren Niederschlag in der Prozesstätigkeit an den Reichsgerichten beziehungsweise dem Wismarer Tribunal gefunden, wobei anzumerken bleibt, dass hier regionale Schlaglichter auf die Inanspruchnahme geworfen wurden. Ausstehend blieben überregionale Untersuchungen der Prozesstätigkeit an Reichskammergericht und Reichshofrat, die hier möglicherweise andere Ergebnisse zeitigen würden. Denn wie Eva Ortlieb anmerkte, ist bei der Gesamtinanspruchnahme des Reichshofrats beispielsweise doch ein Rückgang des Prozessaufkommens während des 30jährigen Krieges festzustellen. Hier wäre auch ihrem Hinweis auf die besondere Rolle der Reichshofräte in den Westfälischen Friedensverhandlungen nachzugehen, die dem gegenüber sicherlich eine positive Rückwirkung auf Status und Ansehen des Reichshofrats zur Folge hatte. Deutlich wurde erneut die größere Handlungsflexibilität des Reichshofrats im Vergleich zum Reichskammergericht, die jedoch stets in seine politischen Verflechtungen eingebettet blieb. (Ein Tagungsband ist geplant)

Konferenzübersicht:

Kommentatorin: Anja Amend (Frankfurt a.M.)
Die Pfändungskonstitution der RKGO von 1555 als reichsrechtliches Instrument der Kriegsprävention: Miriam Katharina Dahm (Bochum)
„Ne daretur occassio subditis proterniendi contra superiorem!“ – Folgeprozesse von Untertanen am Reichskammergericht nach demverlorenen Bauernkrieg: Steffen Wunderlich (Frankfurt a.M.)

Kommentatorin: Eva Ortlieb (Wien)
Vom Religionstyrannen zum Hüter des Rechts – Bürgerklagen vor
dem Reichshofrat in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Thomas Lau (Fribourg)
Dem Westfälischen Frieden verpflichtet? Der Reichshofrat und der Normaljahrskrieg 1651: Ralf-Peter Fuchs (München)

Kommentatorin: Siegrid Westphal (Osnabrück)
Um Steuergerechtigkeit, Schadenersatz und Restitution. Reichskammergerichtsprozesse im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg im sächsisch-anhaltisch-thüringischen Raum: Markus Meumann (Halle)
Die Nutzung von Reichskammergericht und Reichshofrat durch Nassau und Waldeck während des Dreißigjährigen Krieges: Anette Baumann (Wetzlar)

Öffentlicher Abendvortrag im Saal des Haus-, Hof- und Staatsarchivs: Kulturtransfer und Militärsystem in der zweiten Frühneuzeithälfte: Ralf Pröve (Berlin)

Kommentator: Ralf Pröve (Berlin)
Die Festungs- und Garnisonsstadt Wismar unter schwedischer Krone – im Spiegel der Akten des Hohen Tribunals (1653-1716): Jana Zimdars (Rostock)
Die Arbeitsweise des Wismarer Tribunals während des Nordischen Krieges 1700-1720: Nils Jörn (Wismar)

Kommentator: Stephan Wendehorst (Wien)
Die Visitation des Reichskammergerichts von 1767-1776: Ein mediales Großereignis und seine Bedeutung für die Kommunikations- und Rechtsgemeinschaft des Alten Reiches: Alexander Denzler (Augsburg)
Amt und Prestige. Die Reichskammerrichter in der ständischen Gesellschaft (1648-1806): Maria von Loewenich (Münster)
Kaiserliche Landgerichte und das Reichskammergericht: Michael Jack (Bochum)
Die Frankfurter Judengemeinde am Reichshofrat unter Joseph II. (1765-1790): Verena Kasper (Graz)
Jüdische Prozesse vor dem Reichshofrat. Ein diachroner Vergleich der Regierungszeiten Ferdinands III. (1637-1657) und Franz I. Stephans (1745-1765): André Griemert (Wien)


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