Stadt und Öffentlichkeit (15. - 19. Jahrhundert). 39. Kolloquium des Instituts für vergleichende Städtegeschichte und des Kuratoriums für vergleichende Städteschichte e.V.

Stadt und Öffentlichkeit (15. - 19. Jahrhundert). 39. Kolloquium des Instituts für vergleichende Städtegeschichte und des Kuratoriums für vergleichende Städteschichte e.V.

Organisatoren
Institut für vergleichende Städtegeschichte; Kuratorium für vergleichende Städteschichte e.V.; Werner Freitag
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.03.2009 - 24.03.2009
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Von
Eric Piltz, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Die Stadt ist ohne Öffentlichkeit nicht zu denken. Ihre Entwicklung war geprägt durch die Formen und Nutzungen der Medien, die sie bereitstellte und die Räume, an denen Öffentlichkeit wirksam und hergestellt wurde. Das 39. Kolloquium des Instituts für vergleichende Städtegeschichte widmete sich diesen immer wieder aktuellen Fragen. Dazu umriss GERD SCHWERHOFF (Dresden) einleitend die Perspektiven der Forschung zu Stadt und Öffentlichkeit. Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit diente ihm dabei als weiterhin relevante Folie, um die Öffentlichkeitsdebatte zu skizzieren. Er unterschied zwischen einer Verwendung von Öffentlichkeit in einem emphatischen Sinn und „regulativer Leitdee“ (Bernhard Peters) auf der einen Seite und dem unemphatischen Verständnis einer Sphäre des Öffentlichen als des allgemein Zugänglichen und legte damit die häufig impliziten Prämissen der Forschung offen, die entweder das eine oder das andere Modell im Hinterkopf habe. Die „repräsentative Öffentlichkeit“, wie sie Habermas profiliert hat, gekennzeichnet durch körperliche Präsenz und Performanzen, werde in der neueren Forschung aber weniger am Hof erkennbar, sondern mit Blick auf und in die Stadt. Als Analysekriterien, um die Öffentlichkeit an Orten greifen zu können, nannte er Zugänglichkeit, Funktionalität, Medialität des jeweiligen Raumarrangements und soziale Ordnung, wie sie auch in der Folge auf der Tagung durchgespielt und erprobt werden sollten.

Der theoretische Impuls der Tagung ging von RUDOLF SCHLÖGL (Konstanz) aus, der Öffentlichkeit in einer kommunikationstheoretischen Perspektive im Anschluss an Niklas Luhmann fasste. Gerade dessen differenztheoretisches Analysemodell ermögliche es, Differenzierungen zu historisieren und selbst zu beobachten. Eine der zentralen Annahmen des Schlöglschen Ansatzes einer Vergesellschaftung unter Anwesenden besteht in der Feststellung, dass Schrift und Druck lange Zeit vor allem in ihrer Aufbewahrungsfunktion genutzt wurden. Erst allmählich wirkte das Druckmedium in seiner Steuerungsfunktion, Kommunikation erwartbar zu machen. Zentral blieben weiterhin Körpermedien mit ihrer performativen Form des Politischen und der Schrift als ein Teil dessen. Der gesamte politische Prozess war insofern nicht ausdifferenziert, als die Beobachtung immer nur als Teil des politischen Prozesses selbst stattfindet und nicht auf einer anderen Beobachterebene. Der Stadt, so die Schlussfolgerung, fehlte das über sich selbst raisonierende Medium, das sich erst langsam ausbildete.

SUSANNE RAU (Lyon/ Paris) verwies auf die transregionalen Vernetzungen und die Netze in der Stadt, die über Handel, Waren- und Informationstransfer stabilisiert wurden. So wurde in der zeitgenössischen Beschreibung Lyon zentral an den Schnittpunkten europäischer Handelswege wahrgenommen. Anhand von drei Beispielen zog sie dann die Bildung von Netzwerken öffentlicher Orte innerhalb der Stadt nach. So gab es halböffentliche informelle Netze wie den Schwarzmarkt. Mit Metzgereien und Viehhandel am Rande oder vor den Toren der Stadt gehörte dieses flexible klandestine Netz von Orten durch seine teilweise Tolerierung oder mangelnde Regulierung auch zur städtischen ökonomischen Identität. Die policeylichen Wege der Patrouillen liefen dagegen entlang von Routen, die erst eine Verbindung der öffentlichen Orte schufen. Durch die policeyliche Zuschreibung markierten sie den lieu public, an dem obrigkeitlicher Ordnungsanspruch sichtbar wird. Eine weitere Praxis der Vernetzung von Orten der Stadt waren die regelmäßigen Prozessionen. Ein doppelsinniges Beispiel liefert ein burleskes Theaterstück von 1683, das einen Gang durch die Stadt in Form eines Parcours beschreibt, der an spezifischen Orten Geschichten entfaltet, und als Literatur selbst auf ein Publikum zielt. Schließlich waren die vielfältigen Orte der Gastlichkeit durch ihre Multifunktionalität Vernetzungszentren innerstädtischer Öffentlichkeit und zugleich durch Vertragsabschlüsse oder Warenauslagen Gateways nach außen. Lyon stellte somit sowohl ein intellektuelles Klima als auch den materiellen Rahmen für Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Stadt erscheint aber nicht als einheitlicher Raum, sondern als viele Orte, die unterschiedlich miteinander verbunden waren durch die Konstruktionsleistung der Akteure. Somit schlug Rau vor, anstatt von „der Öffentlichkeit“ zu sprechen, Orte und ihre jeweiligen Verbindungen in den Blick zu nehmen.

GERHARD AMMERER (Salzburg) widmete sich mit dem Kaffeehaus einem Raumtypus, der als öffentlich sowohl im Sinne seiner Zugänglichkeit als auch in seiner Erzeugung von Öffentlichkeit im Habermas’schen Verständnis gelten kann. Ammerer stellte in seinem Vortrag das Kaffeehaus als Unruheherd, als Ort des Spiels und Ort der Kommunikation dar. Ende des 18. Jahrhunderts erließ der Fürsterzbischof ein Mandat gegen Ruhestörung. Verbunden mit Tumulten (für „Freiheit und Gleichheit“) stellte das Kaffeehaus somit auch einen sicherheitspolitischen Unruheherd dar. Als Ort des Spiels enthielt es auch Angebote des Zeitvertreibs. Eine Billardpartie entsprach dabei in etwa dem Preis einer Tasse Kaffee. Vermutlich findet sich in Salzburg um 1700 auch der erste öffentliche Billardtisch. Das erste große Kaffeehaus entstand 1809 (Steigersches Kaffeehaus), übrigens mit Separierung der Raucher. Hier waren in der Tat bürgerliche Intellektuelle und adlige Aufgeklärte anzutreffen, die aus diesem Ort einen Ort des öffentlichen Raisonnements machten, begleitet durch literarische Angebote und Auslage von Intelligenzblättern. Das Kaffeehaus, dies bestätigte Ammerer einmal mehr, war ein wichtiger (männlicher!) Ort der Nachrichtenrezeption und des Meinungsaustauschs und leistete damit auch der Herausbildung des normativen emphatischen Typus von Öffentlichkeit Vorschub.

BEAT KÜMIN (Warwick) gestaltete den zugleich materialreichen und elegant-eloquenten Abendvortrag im Fürstenberghaus. In Absetzung von der älteren These Peter Clarks, Wirtshäuser seien „run by the poor for the poor“, konnte er das breite Spektrum der Nutzung und der Nutzer aufzeigen. Zwar seien die Trinkstuben lange als destabilisierende Zentren männlicher Soziabilität wahrgenommen worden. Doch sind mit neueren kulturgeschichtlichen Fragen auch die Geschlechterrollen und das soziale Kapital der Ehre in den Blick geraten. Insgesamt, so sein Fazit der Forschung, sei das Wirtshaus weiblicher, elitärer und respektabler geworden. Die System stabilisierende Kraft des Wirtshauses für die Soziabilität zeige sich, so Kümin, nicht zuletzt an Zahlen, die das Verhältnis von Einwohner je Betrieb wiedergeben, was im Falle Englands zu der erstaunlichen Zahl von 84:1 führe. Als politische Orte waren Wirtshäuser Schauplätze von Debatten und politischer Gruppenbildung, Plattformen der Normverhandlung wie des Widerstandes, rechtliche wie soziale Entscheidungsstätten und Repräsentationsorte und zusammen als solche auch selbst Reflexions- und Streitobjekte. Ein legitimer politischer Ort wurde das Wirtshaus spätestens dann, wenn hier Ratstreffen stattfanden oder Gericht gehalten wurde. Aber auch eine ortsspezifische personale Identität von Ratsherr und Wirt wirkte politisierend. Die Obrigkeit musste nicht körperlich präsent sein, sondern war repräsentiert durch Wirtshausschilder, Wappen und angeschlagene Mandate, die zugleich stets potentielles Ziel von Spott und Subversion waren. Das Wirtshaus war aber nicht per se ein politischer Ort. Vielmehr konfigurierte sich das Politische in Mikroräumen situativ. Man könne daher, so Kümin, besser von social sites sprechen mit der Koexistenz von performativer und medialer Öffentlichkeit.

ANDRÉ KRISCHER (Münster) hatte bei seinem Vortrag dezidiert öffentliche städtische Großrituale wie Prozessionen, Bürgermeisterbegräbnisse oder fürstliche Einzüge in vornehmlich süddeutschen Reichsstädten im Blick. Daran entfaltete er seine These von der passiven Rolle des Publikums bei Ritualen, die den Alltag der Bevölkerung durchaus auch unliebsam unterbrachen. Die Quellen legen nahe, die öffentlichen Rituale vor allem in ihrer Normierung des Verhaltens und die Zuschauer damit nicht als die Adressaten zu sehen. Krischer folgt nicht der Lesart einer bürgerlichen Partizipation durch das Ritual. Vielmehr konstituierten die Quellen als Medien selbst erst den Gegenstand. Er unterschied die Ritualquellen als Verbreitungs-, Reflexions- und Speichermedien mit je differenzierten Öffentlichkeitsbezügen. So bilanzierten die Zeremonienbücher nicht nur das Ritual, sondern waren auch eine Form der Selbstdarstellung des Rates im Medium seiner Akten und dienten in diesem Sinne dem Machterhalt. Am Ende, so Krischer, stehe der ernüchternde Befund, dass die städtischen Großrituale Herrschaftsverhältnisse eher konservierten, wenig kritisches Potential enthielten und die meisten deutschen Städte im Medium des Rituals keine Öffentlichkeiten ausbilden konnten, die der Ausdifferenzierung des modernen Bürgertums entsprachen. Mit dem 18. Jahrhundert dürften die Rituale selbst stärker auf Öffentlichkeit angewiesen gewesen sein als die Öffentlichkeit auf jene.

DAGMAR FREIST (Oldenburg) diagnostizierte am Londoner Beispiel und den sogenannten newsbooks einen veränderten Umgang mit den Medien, dem (mangelnden) Wahrheitsgehalt (im Gegensatz zum Manuskript) und eine kritische Haltung gegenüber dem bezahlten und vermarkteten Druck. Freist benannte deutlich die Veränderungen der Wahrnehmungsmuster in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts: das Eigenleben der Medien, eine verbreiterte Rezeption und Kommentare, die kommerzielle Verbreitung und die verbreiterte Partizipation und damit letztliche eine veränderte Wahrnehmung von Herrschaft. London mit seiner Zeitungskultur und Verbreitungszentren von News wie Charing Cross oder Somerset House war sicherlich eine Besonderheit. Unterschieden werden müssten aber Räume, in denen Kommunikation zufällig entstand, Räume, die für Informationen gezielt aufgesucht werden wie die London Stock Exchange und bekannte Informationsbörsen ohne Exklusivität (wie der Saint Pauls Walk oder Buchläden). Die Einrichtung eines Büros zur Konzentrierung von Information durch Samuel Hartlib zeige die Rationalisierung von Kommunikation. Insgesamt konnte Freist somit klare Tendenzen ausmachen: eine Kommerzialisierung, eine Intermedialisierung und Ansätze einer kritischen Öffentlichkeit im Umgang mit den Medien und der Obrigkeit.

Der Ausgangspunkt von PATRICK SCHMIDT (Gießen) war die Handwerksgeschichte, die bislang kaum Zünfte hinsichtlich ihrer Öffentlichkeit untersucht hat. Bekannt ist zwar ihre Bedeutung als Teil einer repräsentativen Öffentlichkeit (bei Schwörtagen oder Prozessionen), weniger klar ist dagegen die Teilöffentlichkeit der Zünfte selbst. Gemeinhin wurden Zünfte sehr negativ wahrgenommen. Besonders ausgeprägt waren die Vorwürfe der Rückständigkeit und der fehlenden Teilnahme am öffentlichen Diskurs um 1800. Schmidt fragte aber, ob nicht auch neue Formen öffentlicher Diskurse Eingang in traditionale Formen und Orte gefunden hätten, wenn Theater und Bücher im Zunfthaus Einzug hielten und die Zunftchroniken städtische wie auch weltweite Ereignisse von Kornregen bis zum Attentat auf Ludwig XV aufzeichneten. Als Besonderheit aber strich er die ausbleibende Reaktion der Zünfte auf Kritik und Infragestellung heraus. Die Strategie des Ignorierens und Beschweigens sei augenfällig. Erst als die Bedrohung durch praktische Politik existentiell wurde, reagierten sie und begannen sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen.

DANIEL BELLINGRADT (Berlin) markierte den urbanen Raum als geprägt durch die Präsenz von Edikten, Flugschriften und –blättern und angeschlagenen Zetteln. Indem er die Diskursnachhaltigkeit eines Anlass gebundenen Kleinschrifttums untersuchte, konnte er die Dynamisierung von Kommunikation nachvollziehen. Wie beim Gülich-Aufstand der 1680er-Jahre oder den „Peterswirren“ in Köln sei hier eine Inszenierung von Öffentlichkeit festzustellen, in dem Flugdrucke als Beschleunigungsmedien fungierten. Ein ähnlicher zunächst kirchlicher Streit in Hamburg Ende des 17. Jahrhunderts wurde über Drucke ausgetragen, die mit hoher Auflage eine große Nachhaltigkeit erzielten und Anschlusskommunikation provozierten. Bellingradt interpretierte die Stadt als ‚medialen Resonanzraum’, in dem ein einmal erzeugtes Forum auch zur Vermittlung anderer eigener Themen und Interessen genutzt wurde. Die Omnipräsenz der Flugdrucke machte alle vom Verfasser über den Drucker, Austräger zum Auftraggeber, den geschmähten Personen und schließlich dem Leser zu Akteuren im medialen Raum.

HOLGER ZAUNSTÖCK (Halle) plädierte im Anschluss an Martin Mulsow für eine Historische Konstellationsforschung, die die Topographie der Orte, die Lebenswelt und das Umfeld der Akteure mit einschließe. Als Beispiel dienten ihm der Hallesche Pietismus und dessen auch baulich manifester Veränderungsimpuls. So wies der Bau des Waisenhauses Glaucha vor Halle als Zentrale des pietistischen Reformprojekts aus und erschien auf Veduten und Drucken gleichberechtigt neben den markanten Renaissancebauten und Kirchen der Stadt. Eine zweite Konstellation bildete die Disziplinarpolitik der Stadt mit ihrer Universität. Gegen das Tumultuieren, Ehrenduelle und andere Formen studentischer Performanz ging die Obrigkeit mit dem Verweis auf den gemeinen Nutz vor. Die Studenten waren sowohl Kontrollobjekte der Obrigkeit und der Erziehung als auch künftige Träger der Franckeschen Ideen, wodurch eine auch überlokal und national rückgebundene Mesoebene (Mulsow) zum Vorschein kam. Auch Zaunstöck schlug letztlich vor, anstatt von der Öffentlichkeit zu sprechen, „das Öffentliche“ zu untersuchen als einen nicht an spezifische Inhalte gebundenen Mechanismus, mit dem Akteure kommunizierend Handlungszusammenhänge herstellen. Der Vorteil liege nun darin, dass es in seiner prozessualen und praktischen Ausrichtung dem frühneuzeitlichen Herrschaftsverständnis als mehrpoligem Bezugssystem gerecht werde.

FRANK MÖLLER (Greifswald) reflektierte mehrere Pole im Verhältnis von Staat und Öffentlichkeit. So sei staatliches Handeln, gleich welcher Staatsform, grundsätzlich auf Zustimmung öffentlicher Meinung angewiesen. Städtische Öffentlichkeit baute sich in Stufen dezentral auf, wobei Meinungsprozesse durchaus „von unten nach oben“ verliefen. Die aufgeklärte Öffentlichkeit des späten 18.Jahrhunderts sei aber sehr elitär in ihrer Abgrenzung nach unten und eine gewisse Krähwinkelei in Immobilität und Abgrenzung sei nicht von der Hand zu weisen. Zahlreiche Gesellschaften wirkten in Übereinstimmung mit staatlichem Handeln und Reformen, weswegen sie als Instrumente der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. An zahlreichen Orten und Vereinen bildeten sich neue Praktiken heraus. Theater traten mit dem Anspruch der Herstellung einer nationalen Öffentlichkeit auf, ermöglichten aber zugleich ein gemeinsames Erleben bei fortgeschriebener Distinktion. In Augsburg war die Kaufleutestube Ort der Kommunikation und zugleich der bürgerlichen Opposition. Viele Haushaltsvorstände waren in Vereinen verzeichnet, was diese als Orte der Bürgergesellschaft ausweise. Eine Zäsur sei im Vormärz anzusetzen, da sich hier ein Zusammenwachsen der städtischen Teilöffentlichkeiten vollzogen habe und über nationale Vereine und Burschenschaften erst jetzt lokale Konflikte auf nationaler Ebene verhandelt wurden. Von dieser neuen Stufe zeugten auch die Leserbriefe lokaler Zeitungen, die nicht länger nur Spiegel der face-to-face-Gesellschaft waren.

Dies bot einen guten Übergang zur Abschlussdiskussion, die FRÉDÉRIC BARBIER (Paris) einleitete. Als bedeutender Kenner der Buchgeschichte zeigte er, wie das Paradigma der Öffentlichkeit sich änderte in und mit der Logik des Mediums, das diese trägt und vermittelt. Der kurze Parcours durch Buchhandlungen, den Palais Royal, den Bouquinisten u.v.m. zeigte nicht nur ein Panorama öffentlicher Orte, sondern veranschaulichte auch, wie entlang von Medien und ihren Räumen eine Typologisierung und Historisierung von Öffentlichkeit gelingen kann. ANDREAS GESTRICH (London) griff in seinem Abschlusskommentar zunächst die Frage nach der politischen Öffentlichkeit, dem Charakter der Öffentlichkeit in der der Stadt und dem Strukturwandel auf und betonte die Wichtigkeit der langen Perspektive. Erst in einem längerfristigen Wandlungsprozess, so seine These, lassen sich die punktuell entstehenden medialen Öffentlichkeiten zusammenhängend verstehen. Da, wie einzelne Beiträge gezeigt hätten, Öffentlichkeit nicht immer (politische) Partizipation implizieren müsse, legte er eine Loslösung von der Habermas-Öffentlichkeit nahe, ohne handlungstheoretische Aspekte dabei auszublenden. Indem er benannte, was nicht zur Sprache gekommen war, wie die Professionalisierung von Journalismus oder die Bedeutung einzelner Ereignisse wie Kriege als Auslöser zur Veränderung oder Herstellung von Öffentlichkeit, deutete er an, wie viel Potential die Frage nach dem Verhältnis von Stadt und Öffentlichkeit noch zu bieten hat.

Werner Freitag plädierte abschließend zu Recht für einen generell verstärkten Städtebezug der Forschung unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenheiten und Funktionalitäten. Und Gerd Schwerhoff wies darauf hin, dass die Sphäre des Öffentlichen in der Stadt nicht zwangsläufig auf das Politische zielen müsse, gleichwohl es auf der Tagung einen starken Einschlag in diese Richtung gegeben habe. Insgesamt sprach die große Anzahl der Tagungsgäste nicht nur für eine gelungene Themen- und Referentenauswahl, sondern kann auch als Zeugnis der guten und hoffentlich weiterhin ausreichend geförderten Arbeit des Instituts für vergleichende Städtegeschichte gewertet werden.

Konferenzübersicht:

I. Einleitungssektion

Werner Freitag (Münster): Begrüßung
Gerd Schwerhoff (Dresden): Stadt und Öffentlichkeit – Perspektiven der Forschung
Rudolf Schlögl (Konstanz): Stadt als Anwesenheitsgesellschaft

II. Orte der Öffentlichkeit in der Stadt
Leitung: Karen Lambrecht (Stuttgart/ Konstanz)

Gerhard Ammerer (Salzburg): Das Salzburger Kaffeehaus im 18. und 19. Jahrhundert – Aspekte von Öffentlichkeit
Susanne Rau (Lyon/ Paris): Das Netz öffentlicher Orte in Lyon
Beat Kümin (Warwick): In vino res publica? Politik im Wirtshaus der Vormoderne

III. Städtische Öffentlichkeit(en) und ihre Medien
Leitung: Karen Lambrecht (Stuttgart/ Konstanz)

André Krischer (Münster): Ritual, Repräsentation und Schrift in Städten
Dagmar Freist (Oldenburg): Medien der Öffentlichkeit im frühneuzeitlichen London
Patrick Schmidt (Gießen): Zünfte und frühneuzeitliche Öffentlichkeiten. Überlegungen zu einem facettenreichen Verhältnis
Daniel Bellingradt (Berlin): Flugpublizistik im urbanen Raum der Frühen Neuzeit

IV. Stadt und überlokale bzw. universale Öffentlichkeit
Leitung: Ulrich Rosseaux (Dresden)

Holger Zaunstöck (Halle): Konstellationen des Öffentlichen und städtischer Raum im 18. Jahrhundert
Frank Möller (Greifswald): Stadt, Staat, Nation – Gestufte Öffentlichkeit 1750-1850

Schlusskommentare:

Frédéric Barbier (Paris)
Andreas Gestrich (London)


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