KartenWissen: Territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm

KartenWissen: Territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm

Organisatoren
Stephan Günzel / Lars Nowak, Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2010 - 02.07.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Hedwig Wagner, Zentrum für Medien und Interaktivität, Justus-Liebig-Universität Gießen,

Die Trierer Tagung war von der Konzeption getragen auf der Grundlage von Analysen historischer und aktueller See-, Himmels-, Land- und Stadtkarten die Kartographiegeschichte , die Raum in historischer Hinsicht thematisiert, mit Kulturwissenschaft zu verbinden, die an der Historisierung des Raums interessiert ist. Die Reflexion von Raum in der Pluralität räumlicher Formen und medialer Vermittlungen zu betreiben, also Räumlichkeiten als Verbindung von Wissen und Medialität zu denken und zu erkennen, dass Information abhängig ist von der medialen Vermittlung, die zwischen Bild und Diagramm steht, das war die Aufgabenstellung der Tagung. Die Schwerpunkte waren erstens die theoretische Fragestellung nach der Karte zwischen Bild und Diagramm, die auf die Semiotik abzielte, (Günzel, Farinelli, Pápay, Nowak); zweitens Karten in den Künsten Bildende Kunst (Sick, Leeb), Architektur (Schelbert) und Literatur (von Schöning) sowie in den Medien Fotographie (Starl) und Film (Nowak) und drittens Karten und Kartographie in verschiedenen historischen Epochen, der Antike, speziell Ptolemaios (Stückelberger), dem Mittelalter (von den Brincken), der Neuzeit (Günzel, Howitz, Uhrmacher), dem 19.Jahrhundert (von Schöning) und 20 Jahrhundert (Starl, Nowak) und der Jetztzeit (Schramm).

STEPHAN GÜNZEL (Trier) eröffnete die Tagung mit einer auf sehr hohem Niveau gehaltenen theoretischen Einführung in das Verhältnis der Karte zum Bild einerseits und zum Diagramm andererseits. Der Tagungsleiter gab dabei eine grundsätzliche Orientierung, ohne sich zu sehr in den Details der (Pierce’schen) Semiotik zu verlieren. In der Neuzeit nun, so Günzel, arbeiteten Karten mit Netzentwürfen, die ein Raster für Geoinformationen darstellen, einer Eintragungsmöglichkeit ungeachtet des konkreten empirisch zu erfassenden Territoriums. In diesem Sinne gehe die Karte dem Territorium voraus und sei eine reine Möglichkeit der Eintragung. Die Repräsentation mache die Welt zum Bild. Beim apriorisch konstruierten Darstellungsraum falle, so die Schlussfolgerung Günzels, die systematische Unterscheidung von Diagramm und Bild zusammen, der Raum sei zum Bild geworden.

Die enge wissenschaftliche Fokussierung seitens der Veranstalter, Stephan Günzel und Lars Nowak vom Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum an der Uni Trier (HKFZ), die territorialen Räume zwischen Bild und Diagramm zu denken, war für viele Vortragende leitend. Ganz dezidiert widmete sich dieser hochkomplexen Denkaufgabe der Kartograph GYULA PAPAY (Rostock), der eine eigenständige semiotische Klassifizierung der Karte entwarf und die zeichentheoretische Bestimmung von Bild und Diagramm in all ihren Bestimmungen und Distinktionskriterien mittels einer Powerpoint-Präsentation in Diagrammen visuell vermittelt präsentierte und die Karte als spezifische Zeichenkonfiguration zwischen Bild und Diagramm bestimmte. In dieser Spezifizierung ging er weit über seine in der Kulturwissenschaft breit rezipierten Artikelveröffentlichungen hinaus.1 Das ebenso reichhaltige Kartenmaterial, das er präsentierte, vermittelte sehr gut zwischen Theorie und Anschauung. ALFRED STÜCKELBERGER (Bern) führte ebenfalls mit vielen Bildfolien sehr detailliert und in großer Kennerschaft das Wissen und die Grundzüge der Kartierung von Ptolemaios vor, indem er das Wissen der Antike, das sich aus Karten und Reisebeschreibungen speiste, sowie die mathematischen Berechnungen, die er selbst rekonstruierte, vorführte. Damit konnte der Vortragende die Exaktheit der Karte des Ptolemaios für einzelne Erdteile beweisen bzw. bei anderen Erdteilen deren Abweichungsgrad bestimmen. Stückelberger stellte die Ptolemaios‘sche Kartenprojektion allgemeinverständlich dar und vermittelte damit zugleich sehr gut eine Einsicht in die editorische Arbeit an der Neuauflage.2 Der Vortrag des englischsprechenden Italieners FRANCO FARINELLI (Bologna) kulminierte im Gedanken, dass der Staat eine Kopie der Karte sei, denn der moderne Nationalstaat, der dem kleinterritorialem Gebilde der Feudalzeit entgegengesetzt sei, sei territorial homogen, isotrophisch (das heißt auf ein Zentrum ausgerichtet),von Kontinuität und Homogenität bestimmt . Schon allein um existieren zu können, müssten moderne Staaten ein geometrisches Schema haben, ein Modell zur Bildung des Staates, des Staatsgebildes. In diesem Sinne sei der Staat eine Kopie der Karte. Die moderne Welt sei ein Abbild der Karte. Auf die Semiotik bezogen, auf de Saussure und Benveniste, argumentierte Farinelli, dass Sprache auf Konzepte, nicht auf Dinge und auch Karten auf Konzepte und nicht auf Realität referieren, insofern sei die Karte eine Konstruktion von Welt. Die Karte als Ur-Metapher wurde dann auch philosophiegeschichtlich zurückverfolgt. Günzel fasste den Vortrag spontan nochmals zusammen, sodass auch eine Diskussion darüber möglich wurde. ANNA-DOROTHEE VON DEN BRINCKEN (Köln) hat in einem einstündigen Abendvortrag mit den mittelalterlichen TO-Karten (mit einer Rahmung versehene imago mundi-Darstellungen, die das Erdrund mit einem mittig gesetzten trennenden T-Balken darstellen, der die Erdteile Asien, Europa und Afrika voneinander scheidet) die Bildsymbolik mittelalterlicher Karten bild- , detail- und kenntnisreich präsentiert. Die Darstellung der Ökumene einerseits und des Kosmos andererseits, die Rahmung der Welt anhand der Entwicklung von den TO-Karten mit ihren symbolisch zu lesenden Erdteilen und Gewässerdarstellung wurde bildreich vor Augen geführt. Symbolik und Emblematik erläuternd, wurde die Kartendarstellung als Ausdruck der Philosophie der Antike erkennbar und einsichtig, dass das Text-Bild-Verhältnis durch Darstellungstradition geprägt ist. Insbesondere wurden die an der Karte ablesbaren Darstellungsschwierigkeiten vorgeführt, seien diese einer mangelnden Beherrschung der Kulturtechnik geschuldet oder aber der Schwierigkeit, Wissen und Ikonologie zu vereinen.

Mit diesen Hauptvorträgen der Tagung waren die geschichtliche und die theoretische Grundlegung der Kartographie erfolgt, der sich dann das Panel anschloss, das exemplarisch einzelne geschichtliche Etappen zur Kenntnis brachte.

Mit JULIANE HOWITZ (Berlin) wandte sich die Tagung der kartographischen Darstellbarkeit frühneuzeitlichen Himmelswissens zu, den figürlich-allegorischen Sternbildern und den Himmelsprojektionen. Die überraschende Erkenntnis des Vortrags von Juliane Howitz war, dass die Himmelskartographie der frühen Neuzeit nicht an die Landkartographie dieser Zeit anschliesst, sondern im Darstellungswiderspruch zwischen dem Erfahrungsraum und dem mathematisch-physikalischen Systemraum, also dem nach Kepler und Galileo entstandenem Wissen um die Himmelskörper und ihrer Bewegungen, steckt und daher in der kartographischen Erfassung zur Undarstellbarkeit neigt. Die mathematische Berechenbarkeit des Himmels hat keine adäquate kartographische Darstellung gefunden. Die visuelle Darstellbarkeit bzw. Undarstellbarkeit reflektiert damit ex negativo auf die mediale Dimension von Himmelskarten. MARTIN UHRMACHER (Luxemburg) wandte sich angesichts des Pyrenäenfriedens von 1659 dem Problem einer instrumentellen Kartenpolitik zu, dem Machterhalt und der Expansion dienend, wobei der besondere Fokus auf der in historisch-politischer Dimension gefertigten retrospektiven Rekonstruktionsleistung von Karten lag. Hier spielte historisch insbesondere die Detailgenauigkeit und die Größe eine Rolle, aber auch – wie sich in der anschließenden Diskussion herausstellte – die Farbgebung und die scharfe Linienabtrennung in der eigenen kartografischen Rekonstruktionstätigkeit des Referenten. ANTONIA VON SCHÖNING (Basel) hat in ihrem Vortrag unter Bezugnahme auf die Akteur-Netzwerk-Theorie und die Foucault‘sche Biomacht – Politik das hygienische Dispositiv Paris‘ um 1800, das Wasser-, Abwasser-, und Kanalisationssystem in Hinsicht auf die Konstruktionsleistung der Kanalisation hervorgehoben. Sie hat den organischen Körper der Stadt theoretisch geborgen und in seiner Relevanz für Technik, Sozialorganisation und für die literarische Fiktion herausgearbeitet.

Das anschließende Panel widmete sich der Kunst, einmal aus kunstgeschichtlicher Perspektive (Schelbert), die Kunst der Architektur mit der Kartographie in Beziehung setzend, zwei weitere Male aus der Perspektive der künstlerischen Praxen selbst, einmal aus Sicht der Performance und der Installation (Sick), einmal aus der Bildenden Kunst (Leeb). GEORG SCHELBERT (Trier) hat die Rompläne des 16. bis 18.Jahrhunderts bildreich unter der Bildfigur der Architekturvedute ins Blickfeld gerückt und dabei in der kartographischen Entwicklung den Bogen von der Integration von Architekturveduten, bildlich in den Stadtplan gesetzt als an dieser Stelle Roms befindliche Sehenswürdigkeit, bis hin zu den am Kartenrand platzierten Veduten als zierende Bildelemente geschlagen, die lediglich auf eine Vorstellung von Rom referenzieren. ANDREA SICK hat von der künstlerischen Praxis von Katharina Hinsberg und Linda Karshan ausgehend, die spezifischen Raumpraktiken in diesen Arbeiten expliziert und sie in Bezug zu den Grundanforderungen gesetzt, die eine Karte erfüllen muss bzw. die die Kartographie auszeichnen. Die Vortragende machte dies, indem sie die Negation oder vielmehr die Inversion darstellte, die mit den künstlerischen Verfahren der Rasterung, der Aus- und Aufzeichnung von Räumen erzielt werden. Von der planimetrischen Karte, der Einfaltung des dreidimensionalen Raums in die eindimensionale Karte gehen diese künstlerischen Arbeiten den umgekehrten Weg, kommen zur umgekehrten Praxis: die Bodengrundfläche wird in den dreidimensionalen Raum entfaltet. SUSANNE LEEB (Berlin) hingegen hat künstlerische Praxen vorgestellt, die Karten selbst in die bildkünstlerische Arbeit integriert haben. Wie Karten als Instrument der Machtpolitik subversiv auf ihre territoriale Inbesitznahme – oder im Falle der Migration: des permanenten Raumentzugs – hin kritisch hinterfragt werden können, das führte Leeb mit Arbeiten von Dierk Schmidt vor. Auch hier wurde ex negativo oder inversiv das Utopische und das Imaginäre der Karten in der Verfehlung oder Verkehrung der kartographischen Fähigkeiten erkennbar.

TIMM STARL (Wien) hat die Fotogeschichte nach allen möglichen Bezügen zwischen Fotografie und Kartographie durchschritten, Photos in Landkarten, Karten in Photomontagen und Postkartenbildern aufgezeigt, wobei touristische Unternehmungen als eine analoge Vorversion von Geocaching erkennbar wurden. Luftbildaufnahmen als Landvermessungsinstrumente kamen ebenso vor wie nachbearbeitete Photos als Karten. Dies warf die vom Referenten unbearbeitete Frage nach der Definition von Karte und der theoretischen Fassung von diesen Hybriden auf. Dies wurde dann insbesondere relevant für die von MANUEL SCHRAMM (Chemnitz) präsentierten technischen Innovationen in der digitalen Kartographie und den ersten Geographical Information Systems (GIS). Er behandelte technische Entwicklungen in der Kartographie, wie z.B. die Technik des layering zur Kartenerstellung, brachte den Aspekt der praktischen Operationalität und der Reversibilität sowie die Abrufbarkeit von verschiedensten geografische Informationen in einer digitalen Karte zur Sprache, ohne all die Aspekte zu theoretisieren. LARS NOWAK (Trier), Mitorganisator der Tagung, hat im letzten Beitrag der Tagung auf viele andere Vorträge Bezug genommen. Aus seinem zunächst sehr spezialisiert erscheinendem Filmkorpus arbeitete er jedoch aus der Konkretion die allgemeinen Probleme und Fragestellungen der Thematik und damit der Tagung insgesamt heraus. So war ein Gesichtspunkt die Positionierung der Karten zwischen Bild und Diagramm, die anhand der Ästhetik der im Film verwandten Karten entschieden wurde. Ein anderer Gesichtspunkt war der instrumentelle politische Gebrauch von Karten, dabei insbesondere das zum Verschwindenbringen oder die Überblendung/Überlagerung der ethnischen Minderheit zeigend. Dass das Kartenwesen militärischen Ursprungs ist, ist am Subgenre des Kriegsfilms, der world war II combat –Filme von Ende der 1940er-Jahre so exemplarisch wie die neoimperialistische Aneignung des Pazifik-Atolls durch die USA in den späten 1940er-Jahren in den Atomtestfilmen.

UTE SCHNEIDER (Duisburg-Essen) hat das Afrikakartenwerk, das im Rahmen des Projektes der Weltkarte entstanden ist, untersucht und den (post-)kolonialistischen Impact in diesem Unternehmen sehr klar herausgestellt. Das Afrikakartenwerk, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) als Forschungsgroßprojekt gefördert wurde, wurde 1963 begonnen und ging von der ehemaligen kolonialen Aufteilung Afrikas aus und hantierte mit deren Fremdheitszuschreibung bzw. der Herabsetzung Afrikas gegenüber der westlich-europäischen fortschrittlichen Zivilisation. Dies wurde über den Diskurs der Entwicklungsgeschichte fortgeschrieben und 1989 scheiternd beendet.

Raumtheoretiker/-innen sind in vielen Disziplinen zu Hause. Dass sie sich auf hohem Niveau verständigen können, auch wenn sie aus unterschiedlichen Disziplinen kommen und unterschiedliche Zugangsweisen haben, das zeigte die Tagung KartenWissen auf das Beste. Besonders bemerkenswert war dabei das durchgängig hohe Niveau der Vorträge und des sich daran anschließenden Dialogs. Die Zusammensetzung der Vortragenden war nicht nur interdisziplinär und international, sie war auch hinsichtlich des Bekanntheitsgrades und der wissenschaftlichen Arriviertheit, des Alters der Vortragenden gut durchmischt. Man könnte sagen, sie war nicht nur interdisziplinär und international, sie war auch intergenerationell und zwischen den akademischen Statusgruppen. Eine internationale Fortführung des Dialogs ist mit der Tagung „Einen Metapher wie alle anderen? ‚Mapping‘ und Kartographie in der Literatur und den Kulturwissenschaften“ in Limoges im November 2010 zu erwarten. Abstracts zu den Vorträgen sowie Audio- und Videomitschnitte finden sich auf der Homepage des HKFZ3.

Konferenzübersicht:

Stephan Günzel (Trier): Das Medium Karte zwischen Bild und Diagramm

Franco Farinelli (Bologna): MapKnowledge - the Territory, the Space, the Copy

Alfred Stückelberger (Bern): Erfassung und Darstellung des geographischen Raumes bei Ptolemaios

Gyula Pápay (Rostock): Historische und theoretische Reflexionen der Beziehungen der Karte zum Bild und Diagramm

Juliane Howitz (Berlin): Entgrenzung, Entordnung, Entortung. Kartographische Darstellbarkeit frühneuzeitlichen Himmelswissens

Martin Uhrmacher (Luxemburg): Der Pyrenäenfrieden von 1659 und seine Umsetzung im Spiegel der historischen Kartographie. Zur Analyse der Darstellung komplexer dynamischer Prozesse im Raum

Antonia von Schöning (Basel): Kartenwissen und Kanalisation

Georg Schelbert (Trier): Plan und Bild. Die Rompläne des 16. bis 18. Jahrhunderts im Spannungsfeld zwischen Karte und Architekturvedute

Andrea Sick (Bremen): Auszeichnen und Aufzeichnen von Räumen. Zum Vergleich zweier künstlerischer Verfahren

Susanne Leeb (Berlin): Die Utopie der Karte und der Un-Ort der Kunst

Anna-Dorothee von den Brincken (Köln): Die Rahmung der 'Welt' auf mittelalterlichen Karten

Ute Schneider (Duisburg-Essen): Das Afrikakartenwerk

Timm Starl (Wien): Photographie und Kartographie. Zum Verhältnis zweier Bildmedien

Manuel Schramm (Chemnitz): Kartenwissen und digitale Kartographie

Lars Nowak (Trier): Washington im Pazifik. Karten in den popularisierenden Atomtestfilmen der US-Regierung

Anmerkungen:
1 Vgl. Gyula Pápay, Kartographie. In: Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt am Main 2005, S.281-295. Gyula Pápay, Kartographie. In: Stephan Günzel (Hrsg.), Raumwissenschaften, Frankfurt am Main 2009, S.175-191.
2 Alfred Stückelberger u.a. (Hrsg.), Klaudius Ptolemaios, Handbuch der Geographie. Basel 2006/2009.
3 <http://www.hkfz.uni-trier.de/?ac=showlongnws&nwsid=178&sessionid=&userid=000p;userid=000> (29.07.2010).


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