Haus - Familie - Ordnung

Haus - Familie - Ordnung

Organisatoren
Arbeitskreis Haus im Kontext – Kommunikation und Lebenswelt
Ort
Rheinfelden, Hochrhein
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.11.2010 - 26.11.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Maurice Cottier, Institute of Advanced Study in the Humanities and the Social Sciences (IASH), Universität Bern

Bei der dritten Jahrestagung des Arbeitskreises Haus im Kontext: Kommunikation und Lebenswelt wurde das Haus mit den Konzepten Familie und Ordnung in Beziehung gesetzt. Die Organisierenden Simone Derix (München), Joachim Eibach (Bern) und Inken Schmidt-Voges (Osnabrück) setzten die Schwerpunkte der Beiträge auf die Themen Hausgemeinschaft, Partnerschaft und Verwandtschaft. Die ausgewählten Referate sollten insgesamt die Sattelzeit zwischen Früher Neuzeit und Moderne abdecken.

INKEN SCHMIDT-VOGES (Osnabrück) problematisierte einführend das Konzept des ganzen Hauses von Otto Brunner und wies dabei auf die bisherigen ungenügenden Versuche hin, dieses zu ersetzen. Das Haus als Quellenbegriff sollte nicht unreflektiert als Analysekategorie verwendet werden, noch darf es als eine rein ökonomische Kategorie (Haushalt) gedacht werden. Schmidt-Voges schlug als Lösung eine normativ-politische Konzeption des Hauses vor, welche dieses als Produkt einer wechselseitigen Beziehung von sozialen Normen und politischen Strategien untersucht.

JOACHIM EIBACH (Bern) stellte erneut die grundlegende Frage, was mit dem Konzept Haus eigentlich gemeint ist und gab darauf eine raumsoziologisch orientierte Antwort. Seine Perspektive stützte er mit der Feststellung, dass das Haus ein konstruiertes, veränderbares und damit ein durch die Akteure verhandelbares räumliches Ensemble darstellt. Diese Konzeption unterscheidet sich wesentlich von Otto Brunners _ganzem Haus. Die Idee der Aushandelbarkeit des Raumes schärft gerade den Blick für die Symbolik von Grenzen (Wänden, Türen, Schwellen), welche das Haus im Innern aufteilen sowie gegen aussen abschliessen, aber eben auch öffnen. Eibach plädierte für die Analyse der Umweltbeziehungen der Akteurinnen und Akteure im Haus mit Blick auf alltägliche Interaktion und Praktiken. Wichtige Umwelten stellten bzw. stellen z.B. Nachbarn, Verwandte und Freunde, aber auch obrigkeitliche Justiz und funktional ausdifferenzierte Expertenkulturen dar. Mittels der Erforschung der sozialen Beziehungen im räumlichen Ensemble des Hauses kann viel über gesellschaftliche Ordnung gesagt werden.

Vor dem Hintergrund ihrer Forschungen zur deutschen Industriellenfamilie Thyssen fokussierte SIMONE DERIX (München) in ihrer Einführung auf soziale Nahbeziehungen und das Haus in der globalisierten Welt. Bei der bisherigen Forschung wurden soziale Nahbeziehungen eng an die Konzepte Haushalt und Kernfamilie gebunden, was den Blick zu stark auf Ehe- und Eltern-Kind-Beziehungen sowie auf Kohabitation einengte. Gerade in der globalisierten Welt seit dem 19. Jahrhundert werden soziale Nahbeziehungen auch über weite räumliche Distanzen aufrechterhalten. Dadurch konnte sich auch die Bedeutung des Hauses verändern, welches dann nicht mehr primär zur Kohabitation diente, sondern als identitätsstiftender Ort der imagined family wichtig wurde. Durch diese erweiterte Perspektive, die sich auf verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen ohne gemeinsame Lokalität ausdehnt, wird verdeutlicht, dass sämtliche soziale Nahbeziehungen (auch z. B. sog. genannte Blutsverwandtschaften) immer ausgehandelt oder angeordnet werden und nie einfach gegeben sind. Dies bedeutet auch, dass in diesem Aushandlungsprozess dem Haus unterschiedliche Bedeutungen zukommen können.

Zu den einzelnen Beiträgen
Im I. Block zu den familialen und nicht-familialen Hausgemeinschaften referierte STEFAN DORNHEIM (Dresden) am Beispiel von Ehejubiläen in lutherischen Pfarrfamilien über die Genese einer protestantisch-bürgerlichen Erinnerungskultur. Das 50-jährige Ehejubiläum fiel meist in eine Zeit des innerfamiliären Generationswechsels und sollte der frühneuzeitlichen Institution der Familie und des Hauses in dieser kritischen Situation zu Stabilität verhelfen. Ehejubiläen fanden im 19. Jahrhundert vermehrt auch in bürgerlichen Familien Verbreitung. Die Erforschung dieser Jubiläen in lutherischen Pfarrfamilien legt daher, so die These, die Anfänge bürgerlicher Erinnerungs- und Familienkultur offen. Der Beitrag von ELIZABETH HARDING (Wolfenbüttel) fokussierte darauf, wie der Helmstedter Professorenhaushalt im 18. Jahrhundert als sozialer Verband in der städtischen Lebenswelt erfahrbar wurde. Dabei untersucht Harding einerseits die Unterschiede beim Begräbnis von Professoren und ihren Gattinnen und anderseits das Professorenhaus als Gasthaus für Studenten. KIRSTEN BERNHARDT (Münster) zeigte anhand von ländlichen Armenhäusern in Münster, wie sich die häuslichen Ordnungsvorstellungen vom 17. bis ins frühe 20. Jahrhundert wandelten. Während die Armenhausbewohner in der Frühen Neuzeit einzig durch die Materialität des Hauses verbunden waren, wurden sie ab dem 19. Jahrhundert unter der Leitung eines Vorstehers zum gemeinsamen Hausen verpflichtet. STEPHAN SANDER (Graz/Zürich) zeigte anhand eines Beispiels aus dem venezianischen Zadar des 17. Jahrhunderts, dass Familienstreitigkeiten sachlich bedingt waren und deren Aushandlung durch eine hohe Akzeptanz des juristischen Apparats geprägt waren.

PHILIP HAHN (Frankfurt/Main) eröffnete den II. Block zu Partnerschaft und häuslicher Ordnung zwischen Früher Neuzeit und Moderne und präsentierte dabei einen quasi klangvollen Zugang zu den häuslichen Ordnungsvorstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Sowohl die sogenannte Hausmusik als auch die auf das Zusammenleben im Haus bezogene Katzenmusik als europäische Phänomene mit sich wandelnder Praxis und Symbolik ermöglichen Einblicke in die Vorstellungen häuslicher Ordnung seit der Frühen Neuzeit. STEFANIE WALTHER (Bremen) führte am Beispiel einer ernestinischen Fürstenehe vor, wie in der alltäglichen konfliktreichen Ehepraxis die bestehenden Normen herausgefordert und wiederhergestellt wurden. Das Haus und die häusliche Ordnung stellen bei diesem strategischen Aushandeln einen zentralen Referenzpunkt dar. Anhand von sog. Dispensgesuchen, mit denen um eine Heiratserlaubnis unter Verwandten oder Verschwägerten angefragt wurde, gab MARGARETH LANZINGER (Wien) einen Einblick in die Ordnung der Ehe in der Diözese Brixen (Tirol/Vorarlberg) des 19. Jahrhunderts. Viele Heiratswillige lebten bereits unter einem Dach zusammen. Die Bitten um Dispense nahmen nach 1800 stark zu. Lanzinger zeigte dabei, dass die Ordnung der Ehe von den historischen Akteuren argumentativ immer auch mit der Ordnung bzw. der Ehre des Hauses verknüpft wurde. KRISTIANE GERHARDT (Göttingen) behandelte in ihrer Präsentation den Wandel der aschkenasisch-europäischen Ehe- und Geschlechternormen und -praxis vom 18. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Konkret zeigte sie diesen Wandel anhand von Selbstzeugnissen und literarischen Darstellungen von jüdischen Männern, die diesen Transformationsprozess in ihren Darstellungen als erlebten Generationenkonflikt beschrieben. Um die Eheschliessung und Ordnung des Hauses in der Biedermeierliteratur drehte sich der Beitrag des Germanisten CHRISTIAN VON ZIMMERMANN (Bern). Er betrachtete die von ihm vorgestellten Texte von Gotthelf, Sealsfield und Stifter als Teil des zeitgenössischen biopolitischen Diskurses, in dem sittliche Inhalte und letztlich soziale Ordnung konstituiert wurden. Typisch für das politische Selbstverständnis der Liberalen in Mitteleuropa wie in den USA war die angestrebte Republik der Hausväter.

Den III. Block zur Verwandtschaft zwischen Früher Neuzeit und Moderne eröffnete EBERHARD FRITZ (Altshausen), welcher seine empirischen Netzwerkforschungen zur Verwandtschaft in der ländlichen Gemeinde Altshausen vorstellte. Fritz stellte die Ergebnisse seiner Auswertung von seriellen Quellenbeständen vor und präsentierte dabei Längs- und Querschnitte von Familienverbänden und plädierte dafür, die historischen Akteure vermehrt in den Kontext ihrer Familienbeziehungen zu stellen. Ebenfalls um Kinship History, allerdings aus wissenschaftshistorischer Sicht, ging es bei JON MATHIEUs (Luzern/Zürich) Beitrag zu den Arbeiten der sog. Oslo-Gruppe (David Sabean, Simon Teuscher u.a.), welche sich seit 2000 regelmässig mit dem inhaltlichen Komplex Verwandtschaft, Heiratsbeziehungen und Familienrekonstitution auseinandersetzt. Die Gruppe hat dabei zwei entscheidende historische Makrotrends festgestellt: Im Spätmittelalter ist ein Prozess der Vertikalisierung von Verwandtschaftsbeziehungen hin zur Patrilinearität feststellbar, welche ab 1750 durch eine verstärkte Tendenz hin zur Allianz abgelöst wurde. Entgegen früherer Annahmen konnte gezeigt werden, dass Verwandtschaftsehen im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewinnen. Mathieu unterstrich insbesondere die Relevanz des Kontextes, d.h. Nachbarschaft, Verwandtschaft sowie Beziehungen im Haus, im Konzept des Arbeitskreises. Zugleich betonte er, dass der Hausbegriff Brunners auch in europäischer Perspektive weiterhin dekonstruiert werden muss.

Im IV. Block zum Haus in der Moderne referierte DANIEL MENNING (Tübingen) zum adeligen Familienverständnis in Ostelbien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In sogenannten Familienverbänden wurde die Adelsfamilie als sozialer Verband konstruiert. Dieses making war höchst konfliktreich und eröffnet einen Blick auf Macht und Ungleichheit in den sich nach aussen als harmonisch präsentierenden Adelsfamilien. Im abschliessenden Beitrag widmete sich MAREN MÖHRING (Köln) der Verhaustierung im 19. und 20. Jahrhundert. Eine kurze Begriffsgeschichte des Haustiers zeigt einen semantischen Zusammenhang zwischen Tierhaltung und der jeweiligen historischen Konzeption von Haus. So sind ab dem späten 19. Jahrhundert enge Verbindungen zwischen der Verbürgerlichung, der Verhäuslichung und der Verhaustierung feststellbar. Haustiere nahmen im bürgerlichen Haus den Status von Liebesobjekten ein und sind daher Teil der zunehmenden Emotionalisierung der bürgerlichen Familienbeziehungen.

In der Abschlussdiskussion wurde von den Organisierenden der Tagung ein größeres Publikationsprojekt vorgestellt, welches epochenübergreifend ein breites Feld kulturhistorischer Forschung zum Haus und seinen Bewohnern in Europa abdecken soll. Das Projekt möchte das Konzept Haus aus der Sichtweise verschiedener Disziplinen vorstellen. Namentlich sollen theoretisch-konzeptuelle Beiträge aus den Literaturwissenschaften, der Kunstgeschichte und der Sozialanthropologie das Projekt mittragen. Die kommende Tagung des Arbeitskreises Haus im Kontext: Kommunikation und Lebenswelt lädt deshalb ein, Perspektiven aus den kultur- und sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen zu präsentieren und freut sich auf anregende Proposals.

Die Tagung zeigte, dass der Zugang zum historischen Gegenstand des Hauses sinnvollerweise über die historischen Akteure und ihre symbolisch-kommunikativen Handlungen geschieht. Die von dieser Prämisse ausgehenden Beiträge ermöglichten es, die Konzepte Haus, Familie und Ordnung bereichernd zu verbinden. Die konsequente Orientierung an der Akteursperspektive verspricht, dass die Mitglieder des Arbeitskreises auch in Zukunft weitere spannende Kontexte des Hauses gewinnbringend und innovativ erschliessen können.

Konferenzübersicht

Begrüssung und Einführung
Simone Derix (München), Joachim Eibach (Bern), Inken Schmidt-voges (Osnabrück)

I. Hausgemeinschaften – familial und nicht-familial

Stefan Dornheim (Dresden)
Das lutherische Pfarrhaus und die Entwicklung einer familiären Jubiliäumskultur in der Frühen Neuzeit

Elizabeth Harding (Wolfenbüttel)
Bilder vom Haus. Repräsentationsräume und –grenzen des Helmstedter Professorenhaus¬halts im 18. Jahrhundert

Kirsten Berhardt (Münster)
Der Wandel von Ordnungsvorstellungen im Spiegel ländlicher Armenhäuser

Stephan Sander (Graz/Zürich)
„Give back what is rightfully mine.“ Family and household communication during legal proceedings – evidence from 16th century Zadar

II. Partnerschaft und Ordnung zwischen Früher Neuzeit und Moderne

Philip Hahn (Frankfurt/Main)
Katzen- und Hausmusik, oder: Die hörbare Ordnung des Hauses

Stefanie Walther (Bremen)
Die (Un-)Ordnung der Ehe – Fürstenehen der Frühen Neuzeit zwischen Norm und Praxis

Margareth Lanzinger (Wien)
„Unordentliche Zuneigung“ und „ärgerliches Zu¬sammenwohnen“ – Eheanbahnungen „unter einem Dach“ und Ordnungskonflikte im 19. Jahrhundert

Kristiane Gerhardt (Göttingen)
Gelehrte Männlichkeit und die Ordnung der Fami¬lie – Jüdische familiale geschlechterspezifische Ordnungsvorstellungen zwischen früher Neuzeit und Neuzeit 1790-1860

Christian Von Zimmermann (Bern)
Eheschließung und die Ordnung des Hauses in der Literatur des Biedermeier

III. Verwandtschaft zwischen Früher Neuzeit und Moderne

Eberhard Fritz (Altshausen)
Verwandtschaft im Netzwerk der ländlichen Gemeinde

Jon Mathieu (Luzern / Zürich)
„Kinship History“. Themen und Thesen der Oslo-Gruppe, 2000-2010

IV. Haus in der Moderne
Daniel Menning (Tübingen)
Familienverständnis zwischen Norm und Praxis – Ostelbischer Adel 1850-1939

Maren Möhring (Köln/Freiburg)
Haus, Haustier, „Verhaustierung“- Eine (Wissens-)Geschichte der Domestizierung