Mobilität und regionale Vernetzung: Frankfurt (Oder), Thorn/Toruń, Königsberg/Kaliningrad und ihre Regionen im Wandel der Zeit

Mobilität und regionale Vernetzung: Frankfurt (Oder), Thorn/Toruń, Königsberg/Kaliningrad und ihre Regionen im Wandel der Zeit

Organisatoren
Projekt „Trialog“
Ort
Frankfurt an der Oder
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.11.2010 - 19.11.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Olga Kurilo, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

Die erste Konferenz des deutsch-polnisch-russischen Trialogs, die vom 17. bis 19. November 2010 an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) stattfand, stellte die erste gemeinsame Veranstaltung der dreibeteiligten Universitäten dar. Sie sollte einerseits den Auftakt zum Projekt „Trialog“ bilden, andererseits das Thema „Mobilität und regionale Vernetzung zwischen Oder und Memel“ aus verschiedenen Perspektiven behandeln.

Die Konferenz war der Mobilität und Vernetzung im historischen Staat Brandenburg-Preußen und heutigen deutsch-polnisch-russischen Raum, den Akteuren und Phänomenen, den Wegen und Bewegungen sowie dem kulturellen Erbe der historischen Mobilität, wie sie heute in Deutschland, Polen und Russland wahrgenommen und eingeschätzt werden, gewidmet.

Schon Jahrhunderte bevor die EU Gestalt annahm, bestanden durch die Mobilität von Händlern und Militär, Wissenschaftlern und Studenten, Malern und Handwerkern, Künstlern und Pilgern Vernetzungen des europäischen Raumes. Der Verbindung zwischen West und Ost dienten Hanse-Handelswege, Post- und Reichsstraßen und Pilgerrouten (z.B. der Jakobsweg), die heute wieder entdeckt werden. Im 19. Jahrhundert fand dann eine Verdichtung der Mobilität statt, die mit der Industrialisierung und der Eisenbahnentwicklung einherging. In der Zeit der radikalen Umbrüche und Katastrophen des 20. Jahrhunderts (Erster und Zweiter Weltkrieg) und während des Kalten Krieges wurden diese kulturellen und verkehrstechnischen Verbindungen allerdings unterbrochen. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Erweiterung der EU lebten alte Beziehungen im politischen, wirtschaftlichen sowie kulturellen Bereich wieder auf und nahmen neue Formen an.

Den Grundstein dieser Thematik legte KARL SCHLÖGEL (Berlin / Frankfurt (Oder)) in seinem Vortrag „Eine europäische Landschaft neu zusammensetzen“ zur Eröffnung des Trialogs, in dem er verschiedene Arten der Mobilität und Vernetzungen im Raum zwischen Oder und Memel und einen radikalen Wandel des Raumes registrierte, „der einmal existiert hat, zusammengebrochen ist und sich nach dem Krieg neu gebildet hat, der wiederum abgelöst oder überlagert wird von einem Raum, der die Spaltungen, Fragmentierungen, Korridorbildungen des Nachkriegs hinter sich lässt.“

Insgesamt wurden im Rahmen der Konferenz 20 Vorträge in russischer, deutscher und polnischer Sprache von Professoren, Dozenten und Nachwuchswissenschaftlern der drei Universitäten vorgetragen, die Verschiedene Aspekte der Mobilität in den Blick nahmen. Im einführenden Beitrag von VALERIJ GALCOV (Kaliningrad) wurde der traditionelle Charakter der Beziehungen zwischen verschiedenen Universitäten, die heute in Deutschland, Polen und Russland liegen, deutlich. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er der wissenschaftliche Kooperation zwischen den Universitäten in Frankfurt (Oder) und Königsberg/Kaliningrad, die diese schon im 16. Jahrhundert pflegten. RADOSŁAW BISKUP (Toruń) behandelte in seinem Beitrag Mobilität der Kanoniker der Ordenskapitel, die an verschiedenen Universitäten Europas (Königsberg, Culmsee, Marienwerder) studierten.

In mehreren Beiträgen wurde das Thema „Militär“ angesprochen. In seinem einführenden Vortrag zum Thema „Militär als Faktor der Mobilität - Toruń - Kaliningrad - Frankfurt (Oder)“ hob WERNER BENECKE (Frankfurt (Oder) / Słubice) die ursprünglich wichtige Rolle des Militärs bei der Entfaltung der Mobilität hervor. GRZEGORZ PODRUCZNY (Słubice) beschäftigte sich mit der Schlacht bei Kunersdorf. JAN MUSEKAMP (Frankfurt (Oder)) widmete seinen Beitrag der Königlich Preußischen Ostbahn Berlin-Königsberg, die er als Rückgrat des europäischen Ost-West-Verkehrs bezeichnet und sprach über die bedeutende Rolle des Militärs bei seiner Entwicklung.

In der Sektion „Politische und wirtschaftliche Beziehungen“ nahmen CEZARY KARDASZ (Toruń) und JURIJ KOSTJAŠOV (Kaliningrad) die wirtschaftliche Mobilität in der Region in den Blick. Cezary Kardasz wandte sich den wissenschaftlichen Beziehungen auf dem Territorium des Ordenslandes Preußen zu, die im Mittelalter verschiedene Städte miteinander verbanden, die heute auf den Territorien Deutschlands, Polens und Russlands liegen. Jurij Kostjašov beleuchtete die Rolle Ostpreußens als wirtschaftliche Brücke zwischen Russland und Europa und ging den politischen Ursachen des Scheiterns der deutsch-russische Zusammenarbeit in der Zeit der Weimarer Republik nach. In weiteren Beiträgen wurden einige politische Entwicklungen des sozialistischen und postsozialistischen Systems analysiert. ROMAN BÄCKER (Toruń) beschäftigte sich mit dem Funktionieren der Kommunikation in den sozialistischen Systemen der Volksrepublik Polen, der DDR und der UdSSR, die zahlreiche Ähnlichkeiten aufwies. ANDREJ JARCEV (Kaliningrad) sprach über die Evolution der regionalen Selbstverwaltung Russlands, Polens und Deutschlands nach 1989 und definierte ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen.

Die Referenten der Sektion „Reisen und regionale Vernetzung“ betrachteten verschiedenartige Formen der Mobilität (Kommunikation, Geschäfts- und Studienreisen, Tourismusreisen) im Mittelalter, in der Neuzeit und der Gegenwart. ROMAN CZAJA (Toruń) untersuchte Wege und Methoden der Kontakte des Ordenslandes im Spätmittealter. DOROTA LEWANDOWSKA (Toruń) widmete ihren Beitrag der Verbreitung des Champagners in Osteuropa. VADIM PŠTYKA (Kaliningrad) nahm die Wasserwege zwischen Deutschland und Polen und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Tourismus in den Blick und machte den Zuhörern klar, dass für Preußen einst wichtige Wasserwege heute im Kaliningrader Gebiet der Wiederherstellung bedürfen.

Eine weitere Sektion war dem „Tourismus als internationales Phänomen“ vorbehalten. Am Beispiel der Seebäder ging OLGA KURILO (Berlin / Frankfurt (Oder)) der Entwicklung des Tourismus in Ost- und Westpreußen, dem heutigen Pomorskie und Kaliningrader Gebiet, nach. VITALIJ MASLOV (Kaliningrad) analysierte die Besonderheiten touristischer Jugendreisen von Kaliningrad in die europäischen Länder zur Sowjetzeit. ŻANETA KOPCZYŃSKA (Toruń) befasste sich mit modernen Tendenzen des Tourismus, die sich in der Inszenierung von Volkskultur zeigen, die heute in Polen, Deutschland sowie Russland zu beobachten ist.

Die Beiträge der letzten Sektion thematisierten Mobilität im Bereich der Architektur und des Kulturerbes. PAUL ZALEWSKI (Frankfurt (Oder) /Słubice) dokumentierte in seinem Beitrag überregionale Kulturbeziehungen in der Thorner Altstadt. IRINA BELINCEVA (Moskau) zeichnete die russische Wahrnehmung Königsbergs und Danzigs Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert nach. WIESŁAW SIERADZAN (Toruń) hob die internationale Bedeutung der Werkstatt der deutschen Denkmalpfleger in Marienburg/Malbork und des Marienburger Konservators Bernhard Schmid hervor. IRINA KUZNECOVA (Kaliningrad) machte auf die Königsberger Bibliothek als internationales Kulturerbe aufmerksam und sprach über die Wanderung ihrer Bestände.

Die Konferenz konnte so ein komplexes Thema wie „Mobilität und regionale Vernetzung“ nicht umfassend behandeln. Es fehlten z.B. spezielle Beiträge über Hanse- und Pilgerwege oder Migrationströme, die ohne Zweifel dazu gehören. Sie hat allerdings historische und heutige Beziehungen der Region zwischen Oder und Memel ganz unterschiedlicher Art in den Blick genommen und einen Mangel an Forschungen in diesem Bereich festgestellt. Sie hat auch eine Grundlage für weitere Forschungen geschaffen, die auf den geplanten Projektkonferenzen im Jahr 2011 in Toruń und im Jahr 2013 in Kaliningrad noch vertieft werden können.1

Konferenzübersicht:

Offizielle Eröffnung des internationales Projektes Trialog

Eröffnung des Projektes und der Konferenz durch Gunter Pleuger (Präsidenten der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder))

Grußwort von Danuta Janicka (Prorektorin der Nikolaus Kopernikus Universität Toruń)

Grußwort von Valerij Galcov (Dekan der Russischen Staatlichen Kant-Universität Kaliningrad)

Karl Schlögel (Berlin/Frankfurt (Oder)): Eine europäische Landschaft neu zusammensetzen

Valerij Gal’cov (Kaliningrad): Historische und heutige Beziehungen zwischen den Universitäten in Frankfurt an der Oder und in Königsberg/Kaliningrad

Sektion I.: Mobilität und Entwicklung

Werner Benecke (Frankfurt (Oder)/Słubice): Militär als Faktor der Mobilität: Toruń – Kaliningrad – Frankfurt (Oder)

Gregorz Podruczny (Słubice): Schlacht bei Kunersdorf – ein Gefecht auf dem Weg von Königsberg nach Berlin

Jan Musekamp (Frankfurt (Oder)): Die Königlich-Preußische Ostbahn Berlin-Königsberg als Rückgrat des europäischen Ost-West Verkehrs

Sektion II.: Politische und wirtschaftliche Beziehungen

Jurij Kostjašov (Kaliningrad): Ostpreußen als Brücke zwischen Russland und Europa. Ursachen für das Scheitern der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Zeit der Weimarer Republik

Roman Bäcker (Toruń): Kommunikation im totalitären System: formelles Kommunikationsmonopol vs. informelle Kommunikation im gesellschaftlichen Raum

Cezary Kardasz (Toruń): Die Stadt im Wirtschaftsraum des Ordenslandes Preußen – mittelalterliches Thorn und seine Einwohner auf dem Kreditmarkt

Andrej Jarcev (Kaliningrad): Die Evolution der Selbstverwaltung in den Regionen Russlands, Polens und Deutschlands nach 1989: Gemeinsamkeiten und Differenzen

Sektion III: Reisen und regionale Vernetzung

Roman Czaja ((Toruń): Die Wege und Methode der Kommunikation im Ordensland im Spätmittelalter

Radosław Biskup (Toruń): Universitätsstudium von Kanoniken der Ordenskapitel (Königsberg, Culmsee, Marienwerder) in Preußen (14.-16. Jh.)

Dorota Lewandowska (Toruń): Frankfurt an der Oder, Thorn, Königsberg – Gemeinschaft des Geschmacks?

Vadim Pštyka (Kaliningrad): Wasserwege zwischen Deutschland und Polen und ihre Rolle für die Entwicklung des Tourismus.

Sektion IV: Tourismus als internationales Phänomen

Olga Kurilo (Berlin/Frankfurt (Oder)): Entwicklung des Tourismus im Ost- und Westpreußen: Der Fall Seebäder

Vitalij Maslov (Kaliningrad): Besonderheiten touristischer Reisen der Jugend aus Kaliningrad in die europäischen Länder zur Sowjetzeit

Irina Dragilewa (Kaliningrad): Richtungen der grenzüberschreitenden Kooperation zwischen dem Kaliningrader Gebiet und Polen im Bereich Tourismus

Żaneta Kopczyńska (Toruń): Reisen als Kulturphänomen am Beispiel Toruńs und seiner Umgebung

Sektion V: Architektur und Kulturerbe

Paul Zalewski (Frankfurt (Oder)/Słubice): Die Thorner Altstadt als Zeugnis von überregionalen Kulturbeziehungen

Irina Belinceva (Moskau): Architektur westeuropäischer Städte mit Agen russischer Reisender im 18. Jahrhundert: Königsberg und Danzig

Irina Kuznecova (Kaliningrad): Die Königsberger Bibliothek und die Wanderung ihrer Bestände.

Wiesław Sieradzan (Toruń): Das Werkstatt des deutschen Dankmalpfleger Bernhard Schmids (1872-1947) in Marienburg

Anmerkung:
1 Für alle Interessenten an den Forschungsergebnissen zum Konferenzthema steht zudem ab sofort ein Konferenzband zur Verfügung, der im Berliner Wissenschaftsverlag mit finanzieller Unterstützung des DAAD und des Auswärtigen Amtes erschienen ist: Olga Kurilo (Hg.): Mobilität und regionale Vernetzung zwischen Oder und Memel: eine europäische Landschaft neu zusammensetzen, Berlin 2011.


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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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