Theoretische und methodische Zugriffe auf die spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte am Beispiel von Quellen zum Rechnungswesen

Theoretische und methodische Zugriffe auf die spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte am Beispiel von Quellen zum Rechnungswesen

Organisatoren
Arbeitskreis spätmittelalterlicher Wirtschaftsgeschichte
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.12.2014 - 02.12.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Simon Liening, a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, Universität zu Köln

Der im Jahr 2013 gegründete Arbeitskreis für spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte veranstaltete seine zweite gemeinsame Tagung am 01./02. Dezember 2014 in Mannheim. Nachdem man sich ein Jahr zuvor unter dem Rahmenthema „Neue Methoden der spätmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte“ getroffen hatte, lud der Arbeitskreis nun mit einem verstärkten Fokus auf „Theoretische und methodische Zugriffe auf die spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte am Beispiel von Quellen zum Rechnungswesen“ zu einer weiteren Tagung ein.

In ihrer Begrüßung erläuterte TANJA SKAMBRAKS (Mannheim) im Namen der Veranstalterinnen (Julia Bruch (Köln), Ulla Kypta (Frankfurt am Main), Tanja Skambraks (Mannheim)) die grundsätzlichen Ziele des Arbeitskreises und das Konzept der Konferenz. Dabei ging sie auf Fragen, Tendenzen und Probleme der aktuellen wirtschaftsgeschichtlichen Forschung ein, insbesondere auf das Themenfeld Wirtschaftsgeschichte und quantitative Methoden. Es sei danach zu fragen, inwiefern Geschichts- und Wirtschaftswissenschaften diesbezüglich zusammenfinden und voneinander profitieren können. Die Aktualität wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen mache eine derartige Zusammenarbeit der Disziplinen notwendig. Die Tagung solle mit ihrer Ausrichtung auf theoretische und methodische Zugriffe hierzu einen Beitrag leisten.

Ihrer Forderung nach einer verstärkten Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen wurden die Organisatorinnen sogleich gerecht, da sie mit LARS BÖRNER (London) einen Wirtschaftswissenschaftler der London School of Economics für die Keynote gewinnen konnten, dessen Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Wirtschaftswissenschaft und Geschichtswissenschaft angesiedelt sind. Unter dem Titel „Quantitative Methoden in der Wirtschaftsgeschichte“ präsentierte er eine Analyse von Makler- und Unterkäuferregeln aus Städten Zentral- und Westeuropas im Zeitraum von 1200 bis 1700. Börner konnte dabei ca. 1.400 Regelungen in 59 Städten ausmachen. Es könne nachgewiesen werden, dass die Einführung derartiger Ordnungen zu positiven Wirtschaftseffekten in den jeweiligen Städten geführt habe. Insgesamt konstatierte Börner ein hohes Potenzial derartiger Datenerhebungen und deren Auswertung für die Forschung, da sie verschiedenartige und weiterführende Fragestellungen zuließen.

Der erste Tagungsblock– moderiert von Tanja Skambraks (Mannheim) – wurde mit einen Vortrag von SEBASTIAN FELTEN (London) eröffnet, der die Gutsverwaltung und bäuerliche Buchhaltung im 17. und 18. Jahrhundert in Gelderland zum Thema hatte. Diesbezüglich stellte der Beitrag die Existenz verschiedener Buchhaltungssysteme heraus. Felten legte bei der Betrachtung dieser Quellen einen Schwerpunkt auf die Art und Weise der Angabe der geleisteten Abgaben (Geldbeträge oder Naturalgüter) und fragte nach den Gründen für diese unterschiedlichen Eintragungen in den Rechnungsbüchern. Insgesamt sei an der Buchhaltung und deren Inhalten eine verstärkte Tendenz zur Monetarisierung im Untersuchungszeitraum erkennbar.

Einen etymologischen Ansatz zur Erforschung von Amtsbezeichnungen für Rechnungsbeamte im spätmittelalterlichen westlichen Mittelmeerraum am Beispiel von Frankreich und Katalonien wählten STEPHAN KÖHLER (Mannheim) und GOTTFRIED LIEDL (Wien) für ihren Beitrag aus. Dabei betonte Stephan Köhler, dass eher eine etymologische Betrachtungsweise als eine Methode im eigentlichen Sinne zum Einsatz kommen solle. Die Referenten gingen den Ursprüngen verschiedener Bezeichnungen für Rechnungsbeamte im Untersuchungsgebiet nach.

Den zweiten Tagungsblock moderierte Ulla Kypta (Frankfurt am Main). KATHRIN PINDL (Regensburg) präsentierte ihr Forschungsprojekt zur Rechnungsbuchüberlieferung des Regensburger St. Katharinenspitals, in dem sie eine statistische Analyse von Lohn- und Preisreihen über einen Zeitraum von etwa 550 Jahren anstrebt. Das seit 1354 seriell überlieferte Rechnungsbuch biete ein vielfältiges Erkenntnispotenzial: Preisreihen für verschiedene Güter könnten erstellt, Lohn- und Preisentwicklung sowie Vorratspolitik analysiert werden. Ziel sei es, quantitative Rückschlüsse auf die Entwicklung des Lebensstandards im Regensburger St. Katharinenspital ziehen zu können. Dies werde über die Berechnung von langen Reallohnreihen für verschiedene Berufsgruppen unter Berücksichtigung von Lohndaten nicht monetärer Lohnnebenleistungen – deren empirische Bedeutung bislang ignoriert worden sei – angestrebt.

Unter dem Titel „Kulturwissenschaftliche Perspektivierungen: Beutelisten als Evidenz spätmittelalterlicher Kriegsökonomien?“ stellte MICHAEL JUCKER (Luzern) am Beispiel von Beutelisten des Jahres 1476 aus dem Kontext der Burgunderkriege Analysemöglichkeiten spätmittelalterlicher Beutelisten vor, die er im Rahmen seines abgeschlossenen Habilitationsprojektes eingehend erforscht hat. Die hier behandelten Listen entstanden im Rahmen obrigkeitlicher Verordnungen, die das Einsammeln, vollständige Erfassen und Schätzen der Kriegsbeute zum Ziel hatten, um diese schließlich unter den verbündeten Kriegsparteien angemessen zu verteilen. Jucker konnte dabei verdeutlichen, dass Beutelisten nicht nur für wirtschaftshistorische Fragestellungen, sondern auch für kulturwissenschaftliche und sozialhistorische Zugänge wertvolles Quellenmaterial darstellen.

Einen statistischen Methodenansatz verfolgte MECHTHILD ISENMANN (Leipzig). In ihrem Beitrag zu den Finanzgeschäften des Paulus Behaim (1519-1568) untersuchte sie dessen Handlungs- und Bilanzbuch, welches im Zeitraum von 1556 bis 1565 die Finanztransaktionen des Nürnberger Geschäftsmannes aufführt. Dabei wurde auf den Aufbau und den Inhalt des Buches genauer eingegangen: Verschiedene Transaktionsgruppen, -orte und -termine konnten herausgearbeitet werden. Am Aufbau des Buches seien erste Elemente einer doppelten Buchführung erkennbar.

Anhand des Geseker Kämmereiregisters von 1629 erläuterte WILFRIED REININGHAUS (Senden) im folgenden Vortrag die wirtschaftliche Lage der westfälischen Kleinstadt und ging explizit auf den Aufbau und die Art der Rechnungslegung der behandelten Quelle ein. Städtische Rechnungen als Quellen für den städtischen Finanzhaushalt müssten ernst genommen und diesbezüglich mit finanzwirtschaftlichen Methoden untersucht werden.

CHRISTOF JEGGLE (Bamberg) referierte zu den Rechnungen der Leinenlegge in Münster zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Leinenlegge, die Beschau der Leinen, erfolgte in einem jährlichen Zyklus. Die Rechnungen zeigten, dass es sich bei der Leinenlegge um ein durchorganisiertes System handelte, das durch genaue Inspektion der Ware die Qualität und Quantität sichern sowie durch spezielle Verpackung des Produktes Reklamationen vorbeugen sollte. Lieferanten und Abnehmer der Ware können über die Rechnungen identifiziert werden, was weitere Analysen bezüglich der Marktausrichtung und der vorhandenen Marktnetzwerke interessant mache.

Den zweiten Tagungstag – moderiert von Julia Bruch (Köln) – eröffnete ULLA KYPTA (Frankfurt am Main) mit einem Vortrag zu den englischen Pipe Rolls des 12. Jahrhunderts. Mit einem evolutionstheoretischen Ansatz erläuterte die Referentin Veränderungen in der Rechnungssprache der Pipe Rolls. Die Evolutionstheorie helfe bei der Interpretation der Quellen und zeige auf, dass sich die Abrechnungen ungeplant geändert hätten. Dabei seien verschiedene Schreiber für den Selektionsprozess innerhalb der Rechnungssprache verantwortlich gewesen, die aber weder im Kollektiv noch als Individuen bewusst sprachliche Veränderungen vorgenommen hätten.

HEINRICH LANG (Bamberg) gewährte Einblicke in die Buchführung der Florentiner Kaufmannsbankiers Salviati in Lyon anhand ihrer Schuldbücher aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Insbesondere der Aufbau der Bücher wurde eingehend beschrieben und analysiert. Lang betonte, dass es sich bei den Schuldbüchern der Salviati um eine eigene „Buchführungswelt“ handele, die zahlreiche Perspektiven auf ökonomische Praktiken verschiedener Märkte, wie etwa Waren-, Wechsel- und Bankmärkte, ermögliche und darüber hinaus für eine Geschichte der Buchführung und eine Kulturgeschichte merkantilen Handels bedeutsam sei.

Über Methoden der Digital Humanities informierte SIMONE WÜRZ (Mainz) anhand eines an der Universität Mainz angesiedelten Editionsprojektes der Augsburger Baumeisterbücher. Der insgesamt 67 Bände umfassende Bestand bildet im Zeitraum von 1320 bis 1466 den städtischen Haushalt ab. Aufgrund dieser enormen Quellenbasis und weiterer Herausforderungen bei der Erstellung einer Edition, etwa verschiedene fachspezifische Interessen, habe man sich für die Anfertigung eine Online-Edition entschieden. Hierbei biete sich ein breiteres Spektrum an Auswertungsmöglichkeiten, da im Gegensatz zu herkömmlichen Editionen eine Online-Edition vielseitigere Darstellungsmöglichkeiten – wie etwa die parallele Ansicht von Transkription und Digitalisat – eröffne.

Die Zusammenfassung der Tagung übernahm abschließend ANGELA HUANG (London) und stellte dabei die dargebotene Methodenvielfalt heraus, die bei der Erarbeitung wirtschaftshistorischer Themen zur Verfügung stehe. Es sei zukünftig zu konkretisieren, welche Methoden für welches Quellenmaterial sinnvoll seien und welche Erkenntnisziele man damit konkret verfolge. Die an wirtschaftshistorischer Forschung beteiligten unterschiedlichen Disziplinen, vorrangig die Geschichts- und Wirtschaftswissenschaften, müssten zu diesem Zweck zukünftig besser zusammenarbeiten, um sich gegenseitig die unterschiedlichen Methoden und Konzepte näher zu bringen.

Die Mannheimer Tagung stieß nicht nur bei den Referent_innen, sondern auch bei zahlreichen auswärtigen Tagungsteilnehmer_innen auf reges Interesse. Dass das zeitliche Spektrum der Tagung nicht nur die spätmittelalterlichen Jahrhunderte umfasste, wie der Titel der Veranstaltung zunächst vermuten lässt, sondern auch die Jahrhunderte der Frühen Neuzeit mit einbezog, war von Seiten des Arbeitskreises ausdrücklich erwünscht und kann als gelungenes Konzept bezeichnet werden: Der Tagungsverlauf hat gezeigt, dass die epochenübergreifende Auseinandersetzung mit verschiedenen theoretischen und methodischen Zugänge am Beispiel von Quellen zum Rechnungswesen gewinnbringend ist und sich ungeachtet der zeitlichen Zuordnung der jeweiligen Einzelbeiträge oftmals ähnliche Problem- und Fragestellungen ergeben haben.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Tanja Skambraks (Mannheim)

Keynote
Lars Börner (London), Quantitative Methoden in der Wirtschaftsgeschichte

Moderation: Tanja Skambraks (Mannheim)

Sebastian Felten (London), Information management analysis: Gutsverwaltung und bäuerliche Buchhaltung in Gelderland (17. / 18. Jh.)

Stephan Köhler (Mannheim) / Gottfried Liedl (Wien), Rechnungsbeamte im westlichen Mittelmeerraum – Eine etymologische Betrachtungsweise

Moderation: Ulla Kypta (Frankfurt am Main)

Kathrin Pindl (Regensburg), Statistische Analyse vormoderner Lohn und Preisreihen. Die serielle Rechnungsbuchüberlieferung des Regensburger Katharinenspitals ab 1354

Michael Jucker (Luzern), Kulturwissenschaftliche Perspektivierungen: Beutelisten als Evidenz spätmittelalterlicher Kriegsökonomien?

Mechthild Isenmann (Leipzig), Statistische Analyse des „Handlungs- und Bilanzbuchs“ Paulus Behaims (1519-1568). Finanzgeschäfte und Klientel eines Nürnberger Financiers

Wilfried Reininghaus (Senden), Die wirtschaftliche Lage einer Kleinstadt in Westfalen. Das Geseker Kämmereiregister von 1629

Christof Jeggle (Bamberg), Konventionen und Märkte. Wirtschaftssoziologische Analysen der Rechnungen der Leinenlegge in Münster / W. (1615-1620)

Moderation: Julia Bruch (Köln)

Ulla Kypta (Frankfurt am Main), Evolutionstheorie: Pipe Rolls des 12. Jahrhunderts

Heinrich Lang (Bamberg), Abstraktion, Abrechnung, Agency. Eine Kulturgeschichte der Schuldbücher der Florentiner Kaufmannbankiers Salviati in Lyon (1508-1558)

Simone Würz (Mainz), Methoden der Digital Humanities in der Bearbeitung und Erforschung mittelalterlicher Rechnungsbücher – Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel der digitalen Edition der Augsburger Stadtrechnungsbücher (1320-1466)

Angela Huang (London), Zusammenfassung