Stiftungen und Stiften im Wandel der Zeiten – Internationale Winterschule

Stiftungen und Stiften im Wandel der Zeiten – Internationale Winterschule

Organisatoren
Thomas Adam (Arlington); Oliver Auge (Kiel)
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.02.2015 - 13.02.2015
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Von
Lisa Kragh, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Als universales Phänomen sind Stiftungen seit nunmehr 5.000 Jahren überall auf der Welt präsent und stehen in enger Wechselwirkung mit Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft. Dementsprechend sollte die Beschäftigung mit Stiftungen und Stiftern keinesfalls nur als fachwissenschaftliches Spezialthema angesehen werden; vielmehr eröffnet diese Einblicke in verschiedenste Bereiche der Geschichtsforschung (Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Wissenschafts-, Universitäts- und Mentalitätsgeschichte), sodass sie folglich auch unsere Gesamtinterpretation von Geschichte beeinflussen sollte. Seit den 1990er-Jahren hat diese Feststellung zwar die Etablierung der historischen Stiftungsforschung befördert, doch erfährt die Thematik im schulischen und universitären Lehrbetrieb bis heute kaum Resonanz. Um diesem Missstand abzuhelfen, veranstalteten Thomas Adam (Arlington) und Oliver Auge (Kiel) vom 9. bis 13. Februar 2015 am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald eine Winterschule mit dem Ziel, zukünftige Lehrer/innen und den wissenschaftlichen Nachwuchs zu befähigen, Stiftungsgeschichte in ihre Lehrveranstaltungen zu integrieren und somit dazu beizutragen, dieses vernachlässigte Themengebiet in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken.

Um den teilnehmenden Historikern, Medizinern sowie Politik- und Islamwissenschaftlern an den fünf Veranstaltungstagen überblickshaft die Entwicklungslinien, Kontinuitäten und Zäsuren der fünf Jahrtausende währenden Stiftungsgeschichte verschiedener Kulturkreise vorzustellen, stellten die Organisatoren ein vielseitiges Programm zusammen: Referiert wurde über Stiftungen von der Antike bis heute, in Christentum, Islam und Judentum, von Greifswald über Persien und China bis in die USA. Diese Vorträge und die sich anschließenden Diskussionen schärften so – ergänzt durch Exkursionen in Archive und Stiftungen in Greifswald, Berlin und Potsdam – den Blick der Teilnehmer/innen für die Charakteristika, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der diversen Erscheinungsformen von Stiftungen und verdeutlichten deren historische und gegenwärtige Relevanz.

Die wichtigsten Erkenntnisse und Diskussionspunkte der Veranstaltung sollen im Folgenden zusammengefasst werden. Neben einer Chronologie der Stiftungsgeschichte sowie transnationalen und transreligiösen Vergleichen gehören dazu schwerpunktmäßig außerdem Ergebnisse zur Stiftermotivation, zu den Empfängern und Nutznießern sowie zum Einfluss und den Formen der Kritik an Stiftungen.

Gewisse Grundzüge stellten sich im Laufe der Veranstaltung als Kontinuitäten der langen Philanthropiegeschichte heraus: Hierzu gehört, dass bei einer Stiftung der unwiderruflichen Übergabe eines Kapitals immer eine irgendwie geartete, oft immaterielle Gegengabe gegenübersteht, die – einem „Dreieckshandel des Gabentauschs“ gleich – meist nicht von den unmittelbaren Nutznießern der Stiftung, sondern vielmehr von einer göttlichen Macht oder aber den Peers des Stifters ausgeht. Der Kapitaleinsatz erfolgt hierbei in Hinblick auf einen bestimmten Zweck, zu dessen Verwirklichung üblicherweise nur die Zinserträge des Vermögens eingesetzt werden, um dem Prinzip der Dauer, das Stiftungen von Schenkungen unterscheidet, zu entsprechen. Stiftungsakte werden in der Regel in schriftlicher Form festgehalten, vorrangig in Stiftungsurkunden und Testamenten.

Dass diese allgemeingültigen Charakteristika in verschiedenen Epochen bzw. an verschiedenen Orten in ganz unterschiedlichen Ausprägungen begegnen können, führten den Teilnehmern/innen vor allem der einführende Vortrag MICHAEL BORGOLTEs (Berlin), sowie die Vorträge von SITTA VON REDEN (Freiburg), BERNHARD EBNETH (München) und TANJA AHRENDT (Köln) vor Augen. Ein Beispiel hierfür ist das Prinzip der Dauer, das in Abhängigkeit von Stiftungszweck, -motivation und -reglementierung immer wieder neu definiert wird: Während für Götterstiftungen und Stiftungen für das eigene Seelenheil bzw. die eigene Memoria ein Ewigkeitsanspruch postuliert wird, der der ewigen Existenz der Götter bzw. der Unsterblichkeit der menschlichen Seele Rechnung trägt, verliert diese Praxis mit der Säkularisierung des Stiftungswesens in der Moderne an Funktionalität. Stattdessen setzt man auf operative Stiftungen, die der wachsenden Dynamik moderner Gesellschaften besser gerecht werden, weil der Stiftungszweck bei Bedarf angepasst werden kann. In den USA wurde der Dauerhaftigkeit von Stiftungen aus Furcht vor Kapitalakkumulation in der Toten Hand entgegengewirkt, indem Stiftungen in den 1960er-Jahren dazu verpflichtet wurden, mehr als nur die erwirtschafteten Zinserträge auszuschütten, was mittelfristig zur Aufzehrung des Stiftungskapitals führt. Maßnahmen wie diese sollen bei der Kontrolle des erheblichen gesellschaftspolitischen Gestaltungspotenzials von Stiftungen helfen, dem schließlich keine demokratische Legitimation zugrunde liegt.

Auch die allgemeine Ausrichtung von Stiftungen war Veränderungen unterworfen: Für die antike Stiftungspraxis konstatierte von Reden eine allmähliche Veränderung von der Verehrung der Götter hin zu der der Stifter in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten. Mit der wachsenden Bedeutung des Individuums und vollends mit der Durchsetzung monotheistischer Religionen setzte außerdem eine Ethisierung des Stiftungswesens ein. Die Hauptmotivation der Philanthropen war fortan das eigene Seelenheil, auf das damaligen Auffassungen nach auch durch postmortale Stellvertreterhandlungen (zum Beispiel Beten) positiv eingewirkt werden könne. Während diese religiöse Grundausrichtung auch nach der Reformation überdauerte, stellte Ebneth für die frühe Neuzeit insofern eine Veränderung der Stiftungslandschaft Mitteleuropas fest, dass eine verstärkte Konfessionalisierung und Territorialisierung eintrat. Stipendienstiftungen beispielsweise erlaubten oft nur Stipendiaten einer bestimmten Konfession als Empfänger und waren an das Studium an einer bestimmten Universität gebunden, was die Einflussnahme der Stiftung auf diese erleichterte.1 Als Stiftermotivation im Bildungsbereich trat nun neben die zentrale Memoria verstärkt die Förderung eigener Fach- bzw. Forschungsinteressen. Festzuhalten bleibt, dass Bildungsstiftungen der frühen Neuzeit, die lange vor allem Familienstiftungen waren, keineswegs eine Öffnung der Universitäten zum Ziel hatten, sondern vielmehr die Elitenbildung förderten. Somit bestätigt sich hier das Bild von der frühneuzeitlichen, von Gelehrtendynastien dominierten „Familienuniversität“. Die tiefgreifendste Zäsur der neuzeitlichen deutschen Stiftungsgeschichte verursachte die Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg: Stiftungsvermögen schmolzen zusammen, was die Bildung von gebündelten Stiftungsfonds beförderte. Aber auch die gesetzliche Neuregelung des Stiftungswesens in Deutschland, die die Investitionen auf mündelsichere Anlagen beschränkte, wodurch sich die Regierung gewissermaßen einen eigenen Kreditgeber schuf, bedeutete THOMAS ADAM (Arlington) zufolge einen folgenreichen Einschnitt. Heutige Bildungsstiftungen streben neben der Förderung bestimmter Fächer häufig danach, Lücken im staatlichen Fördersystem zu schließen.

Dass sich der betrachtete Raum keinesfalls auf Deutschland oder Mitteleuropa beschränkte, ist bereits angeklungen. Eine Lokalstudie der Stipendienstiftungen in Greifswald durch OLIVER AUGE (Kiel) bot einen guten Vergleichspunkt für Adams Forschungen zu nordamerikanischen Bildungsstiftungen. Als Ergebnis kristallisierte sich hier vor allem eine allgemein divergierende Haltung zum Stiftungswesen heraus: Während die Deutschen, die die zunehmende Konfessionalisierung nicht als Bedrohung empfanden, als stiftungsfreundlich angesehen werden können, stand man dieser Entwicklung in den USA ablehnend gegenüber, entfernte sie doch die Universitäten von den Bedürfnissen des Staates. Auch die Kapitalakkumulation in der Toten Hand wurde dort wie oben beschrieben als Gefahr angesehen. Deshalb überrascht es nicht, dass Stiftungen kaum im amerikanischen Bewusstsein verankert sind und auch lediglich von einer Handvoll Historikern erforscht werden. Deutsche und nordamerikanische Stiftungen unterscheiden sich außerdem dahingehend, dass deutsche Stifter wesentlich selbstbewusster auftraten und umfangreiche Anweisungen zur Verwaltung und Vergabe ihrer Stiftungen hinterließen – was DIRK ALVERMANN (Greifswald), Direktor des örtlichen Universitätsarchivs, den Teilnehmern/innen am Beispiel Greifswalder Stipendienstiftungen veranschaulichte –, während dies bei amerikanischen Stiftungen weniger der Fall war.

Verglichen wurden zudem die Stiftungspraktiken verschiedener Religionsgemeinschaften: Borgoltes Überblicksvortrag behandelte unter anderem auch vormoderne Stiftungen in China, wo der Glaube an die Einflussnahme der Ahnengeister auf die Lebenden eine Symbiose beider Welten und einen ausgeprägten Totenkult bedingte, und Indien, wo die Prinzipien von Karma und Wiedergeburt einer Entstehung von Stiftungen für das Seelenheil entgegenwirkten. Ausführlichere Vergleiche wurden zwischen christlichen, jüdischen und islamischen Stiftungen gezogen. Als Experte für fromme Stiftungen im Islam (arabisch waqf, pl. auqaf) stellte FRANZ KOGELMANN (Bayreuth) heraus, wie sehr sich islamische und christliche Stiftungsformen prinzipiell ähneln. Als Besonderheit mag die augenfällige Aufgabenvielfalt von Stiftungen in islamischen Gesellschaften gelten, die entsprechend einen hohen sozialen, kulturellen, religiösen, politischen und wirtschaftlichen Stellenwert hatten; vieles, was in zeitgenössischen Sozialstaaten staatlich organisiert ist, übernahmen hier Stifter.2 Die fehlende Anpassungsfähigkeit des islamischen Stiftungswesens an die aufkommende kapitalistische Auffassung von Grund und Boden, die dem Unveräußerlichkeitsgedanken von Stiftungsgut entgegenstand, sowie Korruption und Missmanagement vonseiten der Stiftungsverwalter führten in vielen islamischen Staaten schließlich zu einem Niedergang der Philanthropie. Für die von Adam präsentierten jüdischen Stiftungen wiederum ist vor allem eine andersgeartete Stiftermotivation kennzeichnend; da Juden von Stiftungsprojekten christlicher Philanthropen oft ausgeschlossen wurden, blieben ihre Optionen darauf beschränkt, entweder innerhalb der gesellschaftlich isolierten jüdischen Gemeinschaft zu stiften oder aber wegen ihrer Unterstützung der christlichen Gesellschaft von ihrer Synagoge kritisiert zu werden und gleichzeitig durch ihre Stiftungen implizit die antisemitische Bevölkerung zu fördern.

Den Abschluss der Winterschule bildete eine fachdidaktisch orientierte Gruppenarbeit. Unter der Leitung von DETLEV KRAACK (Plön) wurden die Arbeitsergebnisse der Woche zusammengefasst und wertvolle Ansätze entwickelt, wie diese von den Teilnehmern/innen über ihre eigene Lehrtätigkeit weitergetragen werden könnten. Insbesondere die Möglichkeit, anschauliche Regional- und Gegenwartsbezüge sowie ein Gefühl für die Historizität der eigenen Region herzustellen, sei, so resümierte das Plenum, ein Argument für die Thematisierung von Stiftungen in schulischen und universitären Lehrveranstaltungen.

Abschließend sollen einige Forschungsdesiderate benannt werden, die die Winterschule aufdeckte: Eng verbunden mit der Frage nach der Stiftermotivation und der hier stets inhärenten Spannung zwischen Egoismus und Altruismus blieb ungeklärt, wie verbreitet anonyme Stiftungen waren und sind. Lebhaft diskutiert wurde auch, ob Stiftungen generell als städtisches Phänomen gelten müssen oder ob diese Einschätzung vor allem der Vorgehensweise bei ihrer Erforschung geschuldet ist; allerdings deutete sich an, dass städtische Gesellschaften das Stiften befördern, da sie die zur dauerhaften Durchführung einer Stiftung nötigen Institutionen bereitstellen. In diesem Zusammenhang betonte Borgolte, dass Arbeitsteiligkeit und Kapitalakkumulation Grundvoraussetzungen für die Entstehung von Stiftungen seien. Vertagt werden musste auch die Frage nach Funktion und Nutzen privater Stipendienstiftungen für die städtische Finanzverwaltung sowie für die Universitäten und die mit der Stiftungsverwaltung beauftragten Personen.

Insgesamt erfuhr die Winterschule sowohl von den Teilnehmern/innen als auch von den Referenten/innen eine äußerst positive Resonanz. Besonders freut die Veranstalter die Ankündigung mehrerer Teilnehmer/innen (von den Universitäten Würzburg und Kiel), die Erkenntnisse aus Greifswald zukünftig in eigenen Lehrveranstaltungen weitergeben zu wollen. Multiplikatoren wie diese lassen hoffen, dass das Thema Stiftungen in Zukunft stärker in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit rücken wird.

Konferenzübersicht:

Michael Borgolte (Berlin), Stiftungen in der Weltgeschichte (öffentlicher Abendvortrag)

Sitta von Reden (Freiburg), Stiften in der Antike

Oliver Auge (Kiel), Stiften in Greifswald

Dirk Alvermann (Greifswald), Besuch im Greifswalder Universitätsarchiv: Quellen zur Geschichte der Stiftungen an der Universität Greifswald

Franz Kogelmann (Bayreuth), Stiftungen im Islam

Exkursion: Maecenata Institut (Berlin) / Königin-Luise-Stiftung (Berlin) / Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (Potsdam)

Thomas Adam (Arlington), Jüdische Stiftungen

Tanja Ahrendt (Köln), Die Praxis der Bildungsförderung durch eine Stiftung heute: Das Beispiel des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (moderierte Gruppenarbeit)

Bernhard Ebneth (München), Bürgerliches Stiften in der Frühen Neuzeit

Thomas Adam (Arlington), Stiften für die Bildung: Die Studienförderung an deutschen und amerikanischen Universitäten von 1800 bis 1945 im Vergleich

Detlev Kraack (Plön), Stiften und Stiftungen im Geschichtsunterricht an Universitäten und Schulen (moderierte Gruppenarbeit)

Anmerkungen:
1 Andere gängige Kriterien für die Vergabe eines Stipendiums waren der Beruf des Vaters und die legitime bürgerliche Geburt. Bei Familienstiftungen kommt als Kriterium außerdem die Verwandtschaft mit dem Stifter oder teilweise auch nur mit einem früheren Stipendiaten hinzu. Die meisten Stipendien waren außerdem an spezifische Studienfächer gebunden.
2 Zu nennen sind hier die Versorgung von Armen und Bedürftigen, der Bau und Unterhalt von Asylen, Krankenhäusern und öffentlichen Anlagen wie Bädern und Backhäusern, die Wasserversorgung sowie die Aufrechterhaltung der religiösen Infrastruktur.