Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins)

Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins)

Organisatoren
FB05 Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel
Ort
Kassel
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.02.2016 - 20.02.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin Nitsche, Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz; Julia Thyroff, Universität Basel

Bereits zum sechsten Mal fand im Februar 2016 das Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins) statt. Die Forschungsgruppe hält in regelmässigen Abständen Nachwuchskolloquien ab, wobei die beteiligten Professuren an den Universitäten in Eichstätt-Ingolstadt, Kassel, Köln, Hamburg, Paderborn, Rostock und Salzburg sowie an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz im Turnus zu Gastgebenden des Kolloquiums werden. Im Februar 2016 fand die Tagung auf Einladung der Professur für Geschichtsdidaktik an der Universität Kassel statt.

Das Kolloquium versteht sich als Möglichkeit für Nachwuchswissenschaftler/innen, ihre Projekte zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Es kommen sowohl theoretische als auch empirische Arbeiten zur Sprache, wobei unterschiedliche Stadien des Arbeitsprozesses vorgestellt werden sollen und dürfen, angefangen von ersten konzeptionellen Überlegungen hinsichtlich Fragestellung, theoretischer Fundierung und Methodik über Einblicke in die laufende Datenanalyse bis hin zu den Ergebnissen nahezu abgeschlossener Projekte. In diesem Sinn wurden in Kassel insgesamt acht laufende Dissertationsprojekte präsentiert, die sich in unterschiedlichen Arbeitsstadien befinden.

Weit fortgeschritten ist etwa das Projekt von LALE YILDIRIM (Köln), die unter dem Titel "Wer ist Elif?" Ergebnisse ihrer Mixed-Methods-Studie zum Geschichtsbewusstsein Jugendlicher mit türkeistämmigem Migrationshintergrund vorstellte.

MICHAEL WERNER (Eichstätt-Ingolstadt) widmete sich auf theoretischer Ebene einer möglichen Differenzierung unterschiedlicher Arten des Wissens über Vergangenheit, um diese später für seine empirische Untersuchung zum Verhältnis von Wissen und Kompetenzentwicklung fruchtbar zu machen. Dazu unterschied der Vortragende in Geschichtswissen, das von den darüber verfügenden Personen für "wahr" gehalten wird, zwar auswendig gelernt, jedoch nicht begründet oder narrativ hergeleitet werden kann, und Historisches Wissen, das er als Ergebnis narrativierenden und Zeitebenen verbindenden historischen Denkens versteht.

NICOLAI WEIGEL (Kassel) stellte Erkenntnisse aus der Pilotphase seines Projekts vor, in welchem er sich mit dem Einsatz kontrafaktischer Geschichte und deren Nutzen für die Aktivierung von historischem Wissen, Konzepten und historischen Kompetenzen beschäftigt. So deutet die Pilotierung Weigel zufolge darauf hin, dass der Kontakt mit kontrafaktischer Geschichte (sobald als solche identifiziert) bei den Proband/innen Verunsicherung und Nachdenken über den Konstruktcharakter von Geschichte auslöst. Zugleich, dies wurde in der anschliessenden Diskussion deutlich, ist die Aufgabenkonstruktion herausfordernd, wenn sie vermeiden soll, bei den Teilnehmenden Vorstellungen von "wahrer" und "falscher" Geschichte zu verfestigen.

Während sich Yildirim, Werner und Weigel in ihren Studien mit Schülerinnen und Schülern beschäftigen, wendete sich FRANZISKA SAHM (Hamburg) in ihrem Vortrag den angehenden Geschichtslehrpersonen zu. Ihr Forschungsvorhaben besteht darin, ein Testinstrument zur Erhebung von geschichtsdidaktischem Wissen bei angehenden Lehrkräften zu entwickeln. In ihrem Vortrag widmete sich Sahm, ausgehend von vorhandener Literatur zum fachdidaktischen Wissen, der Herleitung einer Definition geschichtsdidaktischen Wissens. Sie bestimmte zugleich mögliche Inhaltsbereiche geschichtsdidaktischen Wissens und glich diese mit dem Wissen über geschichtsdidaktische Prinzipien ab.

JULIA THYROFF (Basel) eröffnete den zweiten Tag mit ersten Ergebnissen aus ihrer Studie zum historischen Denken bei Ausstellungsbesuchenden. Dazu stellte sie die Auswertung von Transkripten Lauten Denkens von Besucher/innen der Ausstellung "14/18 die Schweiz und der grosse Krieg" (Museum für Geschichte Basel) ins Zentrum. Sie zeigte auf, dass Aspekte historischen Denkens im Material zu finden sind, verdeutlichte jedoch auch die individuellen Unterschiede. Die Teilnehmenden diskutierten anhand von Beispielprotokollen, inwiefern das Konzept der "historischen Orientierung" im Material inhaltsanalytisch nachweisbar sowie differenziert erfassbar ist und setzten sich mit dem Wechselverhältnis zwischen den Ergebnissen und dem Erhebungsdesign auseinander.

SEBASTIAN BERNDONCK (Köln) widmete sich in seinem Vortrag der Projektkonzeption zur Frage, wie mittels leichter Sprache im Geschichtsunterricht historische Kompetenzen bei Schüler/innen mit diversen Lernvoraussetzungen gefördert werden können. Dazu stellte der Referent die historische Entwicklung des Konstruktes "Leichte Sprache" vor und ordnete es in die Diskussionen um inklusiven Geschichtsunterricht ein. Als Zugang schlug er ein experimentelles Vorgehen vor, in dem das Schulbuchverständnis von Regelschüler/innen (Haupt-/Realschule) und Sonderschüler/innen anhand von extra entworfenen Schulbuchkapiteln in leichter Sprache verglichen werden soll. In der Diskussion wurde die Bedeutung des Vorhabens unterstrichen und Herausforderungen an das Design sowie alternative Vorgehensweisen diskutiert.

DENNIS ERK (Kassel) konturierte ein Forschungsvorhaben im Bereich der Geschichtskulturforschung. Er interessiert sich einerseits für die Performanz und Geschichtsbilder von Teilnehmenden an Living History Aufführungen und fragt andererseits danach, inwiefern beide Aspekte im sozialen Austausch verändert werden. Erk ordnete dazu seine Überlegungen in geschichtsdidaktische, soziologische und theaterwissenschaftliche Theorien ein und skizzierte anschließend verschiedene Erhebungsmöglichkeiten. Im Anschluss wurde die theoretische Anbindung intensiv diskutiert und die Notwendigkeit unterstrichen, mehr über die Bedeutung von Geschichtsinszenierungen für das historische Denken von Personen zu erfahren.

PATRIZIA SEIDEL (Hamburg) gab zum Abschluss der Veranstaltung einen Einblick in ihre Studie zur Auswirkung von Kooperationen zwischen angehenden Regel- und Sonderschullehrpersonen auf die Konzeption von inklusivem Geschichtsunterricht. Ihr Projekt stellt dabei eine Begleitstudie für die Umsetzung von gemeinsamen Praxisphasen für Regel- und Sonderschullehrpersonen während der Geschichtslehrerausbildung an der Universität Hamburg dar. Mit Hilfe von Erhebungen an verschiedenen Zeitpunkten – vor und nach der Begleitlehrveranstaltung sowie nach der Schulpraxis – hat Seidel vor, die Veränderungen der Konzeptionen inklusiven Geschichtsunterrichts bei den Proband/innen zu erfassen, um den Nutzen des Ausbildungssettings einschätzen zu können.

Die Abschlussdiskussion "Inklusion und Integration – Möglichkeiten und Grenzen in der Geschichtsdidaktik" knüpfte thematisch nahtlos an Seidels Vortrag an. Darin debattierten die Kolloquiumsteilnehmenden zum Teil kontrovers den Stand der Konzeption der "Inklusion" in der Geschichtsdidaktik und thematisierten bildungs- und gesellschaftspolitische Chancen und Grenzen. Einigkeit bestand darin, dass es in der gegenwärtigen Situation notwendig sei, die geschichtsdidaktischen Überlegungen im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit an die bildungswissenschaftliche Inklusionsdebatte zu überprüfen.

Das nächste FUER-Nachwuchskolloquium wird voraussichtlich im Oktober 2016 in Rostock stattfinden und erneut ein etabliertes geschichtsdidaktisches Podium für den konstruktiven, wissenschaftlichen Austausch zwischen Nachwuchswissenschaftler/innen und Hochschullehrer/innen bieten.

Konferenzübersicht:

Lale Yildirim (Universität zu Köln): "Wer ist Elif?"

Michael Werner (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Historisches Wissen und Geschichtswissen. Empirischer Nutzen einer theoretischen Unterscheidung

Nicolai Weigel (Universität Kassel): Kontrafaktische Geschichte als empirisches Mittel - Erste Erkenntnisse der Pilotierung und Konsequenzen

Franziska Sahm (Universität Hamburg): Fachdidaktisches Wissen angehender Geschichtslehrkräfte. Validierung eines Wissenstests

Julia Thyroff (Universität Basel): Was denken Ausstellungsbesuchende? Einblicke in den Codierprozess und gemeinsame Materialanalyse

Sebastian Berendonck (Universität zu Köln): Leichte Sprache - Der Weg zu einem reflektierten Geschichtsbewusstsein?

Dennis Erk (Universität Kassel): Inszenierte Geschichte: Welche Funktionen erfüllen Living History Aufführungen?

Patrizia Seidel (Universität Hamburg): Kooperation von Geschichtslehramtsstudierenden - Ein Katalysator für inklusiven Geschichtsunterricht?

Podiumsdiskussion zum Thema "Inklusion und Integration - Möglichkeiten und Grenzen in der Geschichtsdidaktik"


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Deutsch
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