Let’s historize it! Jugendmedien im 19. und 20. Jahrhundert

Let’s historize it! Jugendmedien im 19. und 20. Jahrhundert

Organisatoren
Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte; in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes
Ort
Saarbrücken
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.09.2016 - 09.09.2016
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Von
Katharina Thielen, Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte, Universität des Saarlandes

Jugendmedien werden in der Geschichtswissenschaft kaum wahrgenommen. Als eigenes Forschungsfeld wurden sie bisher sowohl in einschlägigen Überblicksdarstellungen zur deutschen1 als auch in Handbüchern zur britischen und US-amerikanischen Mediengeschichte2 weitgehend ausgespart.3 Um diese Forschungslücke ein Stück weit zu schließen und den derzeitigen Forschungsstand auszuloten, fand in Saarbrücken am 8. und 9. September 2016 der Workshop „Let’s historize it! Jugendmedien im 19. und 20. Jahrhundert“ statt. Die vom Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes veranstaltete Tagung bot vor allem Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Möglichkeit, neue Forschungskonzepte vorzustellen und in interdisziplinärem Umfeld zu diskutieren.

Das übergeordnete Ziel, das Organisatorin ALINE MALDENER (Saarbrücken) zu Beginn formulierte, bestand in der Historisierung von Jugendmedien. Um diese sowohl in ihren Inhalten und in ihrer Ästhetik als auch in ihrer Eingebundenheit in soziokulturelle und soziopolitische Rahmenbedingungen zu beleuchten, so Maldener, müsse grundsätzlich das „Verhältnis von Jugend und Medien“ bestimmt und „eine wissenschaftlich operationalisierbare Definition von Jugendmedien“ gefunden werden. CLEMENS ZIMMERMANN (Saarbrücken) griff diesen Gedanken auf und rief zur Kontextualisierung von Jugendmedien fernab der gängigen Jugendbuch-Perspektive auf. „Medien von und für Jugendliche“ seien in erster Linie marktorientierte Phänomene der Neuzeit, die sich durch zielgruppenorientierte Eigenarten auszeichnen, welche es zu bestimmen gilt. Doch wie lassen sich Jugendmedien von Kinder- und Erwachsenenmedien abgrenzen? Wie stark artikulieren sich Bedürfnisse von Jugendlichen tatsächlich in Medien und wie hat man sich die jugendspezifische Nutzung von Erwachsenenmedien angesichts der komplexen Medienlandschaft vorzustellen? Um sich diesen Fragen anzunähern, schlug Maldener in Anlehnung an ihr Dissertationsprojekt vor, Jugendmedien in ihrer Multimodalität zu erfassen und mit Rücksicht auf transnationale Einflüsse zu analysieren. Ihre Intermedialität erfordere Interdisziplinarität, das heißt eine kritische Anwendung unterschiedlicher methodischer Herangehensweisen, aus denen dann eigene Standards erwachsen können.

Auf der Basis dieser weitgesteckten Ziele begann der erste Tag mit zwei Sektionen, die die politischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen der Entstehung von Jugendmedien zum Gegenstand hatten und sub- bzw. gegenkulturelle Jugendgruppen und ihre medialen Ausdrucksformen in den Fokus rückten.

Zunächst präsentierte STEFAN RINDLISBACHER (Fribourg) „TAO – Eine transnationale Jugendzeitschrift in der Zwischenkriegszeit“ und die mit ihr verbundene Lebensreformbewegung. Die Ergebnisse seiner Inhaltsanalyse deuteten auf eine allgemeine Suchbewegung hin, die vor allem von jüngeren Generationen getragen wurde. Er sah in der Zeitschrift weniger ein Kommunikations- und Unterhaltungsmedium als vielmehr ein Identifikationsmedium, das eine transnationale Gemeinschaft schuf.

Gemeinschaftsfördernd und identitätsstiftend waren auch die von KARL SIEBENGARTNER (München) im Anschluss thematisierten Fanzines. Er untersuchte die als historische Quellengattung bislang vernachlässigten Hefte für die Punkszene in München und stellte die These auf, dass Fanzines als Kommunikationsträger eine wichtige Rolle bei der Schaffung transnationaler jugendkultureller Räume spielten. Siebengartner betonte ihren hohen Stellenwert innerhalb der Punk-Szene, da Fanzines als selbstproduzierte, oft bewusst dilettantisch gestaltete Jugendzeitschriften einer gewissen Eigendynamik folgten, die bei der Analyse beachtet werden müsse. Dem Referenten zu Folge waren sie Teil einer allgemeinen Do-it-yourself-Maxime und trugen zur Reproduktion der eigenen gruppenspezifischen Identität bei.

Die konstruktive Funktion bestimmter Medien stand auch im dritten Beitrag im Vordergrund. NIKOLAI OKUNEW (Berlin) legte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dar, „wie DDR-Metal-Fans sich selbst historisieren“ und stützte seine Ausführungen ebenfalls auf Fanzines. Im Unterschied zu seinem Vorredner handelte es sich dabei um zeitgenössische Hefte, die sich einer vergangenen Jugendkultur verpflichten und die Metal-Szene des 20. Jahrhunderts medial wieder aufleben lassen. Anhand des Fanzines „Eisenblatt. Das Zentralorgan für Metall in Ostdeutschland“ gelang es Okunew, eine nachträgliche durchweg positive Selbststilisierung ehemaliger Szene-Anhänger aufzuzeigen, die er als Teil einer gemeinsamen Erinnerungskultur bewertete.

Sektionsleiter GUNTER MAHLERWEIN (Mainz/Saarbrücken) bezeichnete die Metal-Fanzines deshalb als „nachholende Jugendmedien“ und nahm sie zum Anlass, die Definition des Tagungsthemas erneut zur Diskussion zu stellen. Seiner Meinung nach hatten bereits die bislang thematisierten Print-Medien offenbart, wie groß die Bandbreite der dem Begriff Jugendmedien zugehörigen Formate sein kann. Gemeinsam sei ihnen lediglich der Anspruch, mit Hilfe alternativer Medien alternative Strukturen aufzubauen – ein durch und durch politisches Anliegen, das generell eher von jungen Altersgruppen verfolgt wurde. Um das spezifisch Jugendliche herauszufiltern, regte er zu einer genauen Untersuchung visueller Aspekte und zu einem Vergleich zu den zeitgleich aufsteigenden kommerziellen Jugendzeitschriften an. Auch die nähere Betrachtung des Rezeptionsverhaltens könne hilfreich sein, zumal sich so möglichweise das in den Beiträgen implizierte Übergewicht an männlichen Punk-Anhängern relativieren ließe. Dass insbesondere bei Fanzines keine klare Unterscheidung zwischen Produzent und Rezipient getroffen werden kann, da die Hefte stets zur aktiven Rezeption aufriefen, wurde daraufhin in der Diskussion mit JENS JÄGER (Köln) betont. Die „Definitionsgewalt“ der Medien, die JÖRG REQUATE (Kassel) hinterfragte, sei im Falle des Punk entsprechend hoch gewesen. Neben ihrer Funktion als „Mittel der Stilbildung“ für die Jugendkultur selbst, lässt sich nach Siebengartner oft auch ein spannungsgeladenes Wechselverhältnis zu sogenannten Mainstream-Zeitschriften erkennen, auch wenn die Fanzines mit einer Auflage von circa 200 Exemplaren quantitativ nicht mit diesen gleichzusetzen sind.

Die gesellschaftspolitische Relevanz von Jugendmedien, die sich in der ersten Sektion bereits angekündigt hatte, wurde in der zweiten Sektion unter der Leitung Jägers und Requates weiter ausgeführt. Zu Beginn ließ MAHSHID MAYAR (Bielefeld) Kinder zu Wort kommen, indem sie die „Children’s Periodical Press“ um 1900 vorstellte. Die in den Zeitungen „Saint Nicholas“ und „Harper’s Young People“ abgedruckten und im Vortrag zitierten Leserbriefe beinhalteten ein breites Themenspektrum, das von den alltäglichen Gegebenheiten, über Vorlieben und Eigenschaften bis hin zu „world themes“ mit politischer Aussagekraft reichte. Letzteres blieb oftmals oberflächlich, sagte Mayar und verwies auf ein von der Redaktion verfolgtes pädagogisches Sendungsbewusstsein. Zusätzlich zu der offenkundig ausgeübten Zensur seien oft Erwachsene als Ghostwriter für die durchweg positiv-kindlichen Briefe verantwortlich gewesen. Dennoch belege die Zeitung, dass die Meinung von Kindern wahrgenommen wurde. Sie mache somit nicht nur das zeitgenössische Verständnis von Kindheit und Jugend transparent, sondern liefere eine interessante Grundlage für Studien über das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen.

Mit der Meinung von Jugendlichen befasste sich auch die zweite Referentin der Sektion „Gesellschaftspolitik“. FRIEDERIKE HÖHN (Berlin) beobachtete „Die Debatte um die westdeutsche Wiederbewaffnung in den frühen 1950er-Jahren in Jugendmedien der katholischen und evangelischen Kirche“. Ihre Auswertung des katholischen Verbandsorgans „Wacht“ und der unabhängigen evangelischen Zeitschrift „Junge Stimme“ beförderte nicht die erwarteten eklatanten Meinungsverschiedenheiten zu Tage, wohl aber einen von Grund auf anderen Umgang mit der brisanten Thematik. Höhn erläuterte, dass die „Junge Stimme“ zeitweise als „Diskussionsforum“ fungierte und den Leser mit kritischen Berichten, Statistiken und Umfragen zu einer selbstständigen Meinungsfindung anleitete, wohingegen die „Wacht“ beide Positionen vermittels stark wertender christlich-moralischer Argumente abbildete.

INES HEISIGs (Saarbrücken) Ausführungen über die „Jugend in der Gewerkschaftspresse an der Saar 1945–1955“ basierten auf einem Projekt zur gewerkschaftlichen Jugendförderung auf regionaler Ebene. Hauptquelle war dabei das Publikationsorgan der Einheitsgewerkschaft des Saarlandes mit dem Titel „Die Arbeit“. Bei der Betrachtung der eigens für jugendliche Arbeiter zugeschnittenen Rubrik „Jugend & Arbeit“ bzw. „Der junge Gewerkschafter“ fiel auf, dass Jugendförderung – anders als in anderen Bundesländern – ein von vorneherein wichtiges Anliegen der Funktionäre darstellte. Die von einem Jugendsekretariat gestaltete Rubrik könne rückblickend als ein „Mittel zur Demokratisierung“ betrachtet werden, konstatierte Heisig. Denn neben arbeitspolitischen Informationen, Rätseln und Veranstaltungshinweisen unterstützte die Redaktion deutsch-französische Initiativen im Sinne der Völkerverständigung und forcierte eine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Dass die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur von oben vorangetrieben wurde, führte JÖRG JACOBY (Saarbrücken) den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum Abschluss des ersten Tages vor Augen. Mit Hilfe wortgewaltiger Hörbeispiele konnte er „Punksongs als intergenerationelle Abgrenzungsakte in der Gesellschaft der BRD um 1980“ ausweisen. Jacoby sah das Potential der Stücke vor allem in der Möglichkeit, mit Musik Menschen außerhalb der Szene erreichen zu können und politische Aussagen so in die Öffentlichkeit zu tragen. Musikwissenschaftlich-ästhetische Analysen könnten dies bestätigen und stünden für weitere Forschungsarbeiten noch aus, schlussfolgerte Jacoby.

Auch Jäger plädierte in der anschließenden Diskussion für eine stärkere Gewichtung der musikalischen Komponente. Um ein Urteil fällen zu können, sei neben der Textanalyse die Untersuchung des Zusammenspiels von Songtext und musikalischer Umsetzung sowie die Art der Darbietung wichtig. MICHAEL ESCH (Leipzig) erinnerte außerdem daran, dass andere Jugendkulturen bereits Jahrzehnte zuvor politische Statements über Musik verbreiteten. Zimmermann erkundigte sich nach den medienpolitischen Rahmenbedingungen und stellte für die Periodika die Freiwilligkeit der Leserschaft in Frage. Höhn schätzte die Repräsentativität der konfessionellen Zeitschriften für die Jugend der 1950er-Jahre jedoch hoch ein, da sich kommerzielle Jugendzeitschriften noch nicht durchgesetzt hatten und sich zahlreiche Jugendliche in christlichen Verbänden engagierten. Mit den Worten Requates hatten die Zeitschriften als „kirchlicher Transmissionsriemen zwischen Gesellschaft und Jugend“ zumindest zeitweise eine gewisse Bedeutung. Im Gegensatz dazu schrieb Heisig der Gewerkschaftspresse nur einen geringen Einfluss auf die Lebenswelt der jungen Arbeiter zu. Für Mayar musste die Frage offen bleiben, ob es sich bei den Leserbriefen um die Konstruktion von Kindheit für Erwachsene und somit um ein „Emblem der Erinnerung“ oder die tatsächliche „Stimme der Kinder“ handelte. Überhaupt könne laut Maldener nicht mit Sicherheit bestimmt werden, wer genau innerhalb des gegebenen Zeitraums als Kind bezeichnet wurde und somit der tatsächliche oder vermeintliche Urheber war, da die Begriffe Jugend und Kindheit zum Zeitpunkt der Publikation der Briefe noch synonym gebraucht wurden.

Der zweite Tag der Nachwuchstagung knüpfte an den letzten Beitrag an und befasste sich unter der Leitung von GABRIELE B. CLEMENS (Saarbrücken) mit Musik. Auf der Basis seiner im Vorjahr veröffentlichten Dissertation stellte CHRISTOPH HILGERT (München) das Programmangebot für Jugendliche im „Norddeutschen Rundfunk“ (NDR) dem Jugendradioprogramm der „British Broadcasting Corporation“ (BBC) gegenüber und eruierte, welchen Platz die Jugend innerhalb der Rundfunkpolitik der Nachkriegszeit einnahm. Im Kontrast zu den popmusik-lastigen younger generation programmes der BBC, überwogen im NDR bildungsorientierte Wortprogramme im Sinne des Schulfunks, berichtete Hilgert. Anders als zunächst vermutet habe seine Forschung ergeben, dass diese bei den Jugendlichen jedoch keineswegs auf taube Ohren stießen. Unter Berücksichtigung der Hörgewohnheiten entsprachen sie dem allgemeinen Geschmack und wurden erst im Laufe der 1960er-Jahre schrittweise angepasst.

Aus diesem Grund sprach Hilgert in seinem Résumé von einer „programmgeschichtlichen Sattelzeit“, die von dem nachfolgenden Referent BODO MROZEK (Berlin/Potsdam) weiter spezifiziert wurde. Er brachte transnationale Mechanismen bei der Etablierung von Popmusik im bundesdeutschen Rundfunk der langen 1960er-Jahre am Beispiel des Berliner Senders „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ (RIAS) ans Licht und behandelte musikzentrierte Formate, die zeitweise auf große Widerstände stießen, sich langfristig aber etablieren konnten und zur Internationalisierung der Musikkultur beitrugen.

Ein Beispiel solcher innovativen Formate lieferte MICHAEL KUHLMANN (Krefeld) mit seinem Vortrag über die „WDR-Radiothek“. Als „Urvater der Jugendsendung“ habe die umstrittene Wort-Musik-Sendung des „Westdeutschen Rundfunks“ (WDR) seiner Meinung nach von 1974 bis 1980 eine ganze Generation geprägt und Jugendlichen erstmals eine „Lobby im Radio“ gegeben. Er untermauerte diese These mit Hörbeispielen, die den politisch-provokativen Charakter der Show zum Ausdruck brachten und zeigten, dass die „Radiothek“ eine Sendung „von und für sowie mit“ jungen Altersgruppen war.

Die Diskussion der drei Beiträge zum bundesdeutschen Radioprogramm drehte sich um die Schlagwörter Transnationalität, Medienpolitik und Hörerwünsche. Auf Nachfrage Zimmermanns konnte Hilgert kaum konkrete transnationale Tendenzen beim NDR feststellen, wohingegen Mrozek das Radio grundsätzlich als „Ätherraum“ für internationale Entwicklungen ansah und die Grenzen von Transfers, Wechselverhältnissen und Abgrenzungsmechanismen als fließend einschätzte. Hinsichtlich der Relevanz der politischen Rahmenbedingungen waren im Jugendprogramm des NDRs deutliche Spuren der Entnazifizierung zu finden. Auch ließen sich Konflikte innerhalb der WDR-Redaktion zumeist auf politische Meinungsverschiedenheiten der Akteure zurückführen. Allerdings sollte die politische Tragweite der „Radiothek“ nicht überschätzt werden, merkte Requate an und wies darauf hin, dass die Sendung einem allgemeinen Trend folgte. Die Hörerwünsche konnten ebenso wie viele internationale Zusammenhänge allen drei Referenten zu Folge nur in Einzelfällen hinreichend rekonstruiert werden, da das Prinzip des leeren Schreibtischs die Quellenlage der Rundfunkgeschichte erschwert. Jäger empfahl daher eine Beachtung des gesamten Medienensembles, wie es Andreas Fickers vorgelegt hat4, um crossmediale Prozesse kenntlich zu machen.

DIETMAR HÜSER (Saarbrücken) schloss die Tagung mit einer Sektion zu „Fernsehen und Neuen Medien“. Den Anfang machte ANDRE DECHERT (Augsburg) mit der Vorstellung seines Dissertationsprojektes zu „US-amerikanischen TV-Serien im Deutschen Fernsehen 1956–1962“. In Bezug auf das Tagungsthema verfolgte er den Ansatz, Jugendmedien von der Rezeptionsseite her zu definieren, sodass auch Kinder-, Erwachsenen- oder Familienserien unter diese Kategorie fallen können, vorausgesetzt sie hatten eine gewisse Popularität innerhalb des jüngeren Publikums. Unter dem schon mehrfach geforderten Rückgriff auf ein breites Medienensemble gelang es Dechert so, die US-amerikanischen Familienserien „Fury“ und „Am Fuß der blauen Berge“ als bundesdeutsche Jugendserien zu enttarnen.

Ebenfalls beliebt war die von „Radio Bremen“ regelmäßig ausgestrahlte Jugendsendung „Beat-Club“. MICHAEL ESCH (Leipzig) demonstrierte mit einzelnen Sequenzen, wie Musik in der Kultsendung medial inszeniert und kontextualisiert wurde und welche Rolle die Macher sowie die Moderatorin dabei spielten. Um „Beat als Musik, Mode und Jugendbewegung möglichst authentisch darzustellen“, sei den Zuschauern eine geringe Distanz zu den Stars suggeriert und Uschi Nerke als modebewusste Identifikationsfigur angeboten worden. Ihre „rebellische Attitüde“ verlor sich jedoch in den 1970er-Jahren und wurde durch kapitalismus- bzw. konsumkritische, ja fast belehrende Berichte ersetzt, so Esch. Für ihn hatte sich der „Beat-Club“ somit „von einem musikalischen Dienstleister hin zu einem musikalischen Produkt gewandelt, das den Anspruch verfolgte, Kulturgut zu sein“.

Dass die Geschichte der Jugendmedien im 20. Jahrhundert zahlreichen Wandlungen unterlag, bestätigte JULIA ERDOGAN (Potsdam) zum Abschluss der fünften Sektion. In ihrem Vortrag ging es um die „Aneignung des neuen Mediums Computer in BRD und DDR“ und die damit verbundene Jugendkultur. Sie führte aus, dass der Computer im Laufe der 1980er- und 1990er-Jahre immer breiteren Raum innerhalb jugendlicher Freizeitgestaltung einnahm und zu einem Arbeits-, Unterhaltungs- und Kommunikationsmedium avancierte, das die Basis für die Kultur der „Computerkids, Freaks und Hacker“ bildete. Als männlich dominierte, aber keineswegs frauenfeindliche Jugendkultur beanspruchte diese kleine Gruppe fortan die Deutungshoheit über das neue Medium und testete seine Grenzen aus. Wie genau man sich das vorzustellen hatte und warum die Aktionen der Hacker von politischer Brisanz waren, veranschaulichte Erdogan am Beispiel des Chaos-Computerclubs. Dabei stellte sich heraus, dass die frühe Hackerkultur – ungeachtet der Nutzung des Mediums im Privaten – eine offene Kommunikationsgemeinschaft war, die bestimmte Werte vertrat und noch nicht das heute verbreitete negative Image hatte.

Abschließend waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung einig, dass besonders im Falle der zuletzt besprochenen Jugendmedien neue methodische Herausforderungen gemeistert werden müssen, auf die Zimmermann bereits in der Einleitung hingewiesen hatte. Ebenso mangele es bisher noch an detaillierten Studien über das Verhältnis von Jugendmedien und Amerikanisierungsprozessen, in deren Zusammenhang Aneignungsprozesse aufgearbeitet werden könnten. Die Beziehung zwischen Jugendlichen und Medien jedoch, so Maldener in ihrem Fazit, konnte im Rahmen der Tagung näher bestimmt werden. Auch die Übereinkunft über eine Definition des Gegenstandes sei unproblematisch gewesen, da die Spezifität und Diversität von Jugendmedien in den Beiträgen deutlich zu Tage getreten war.

In der Rückschau stand am ersten Tag die Bedeutung von Jugendmedien für die Bildung jugendkultureller Identitäten im Speziellen sowie für soziokulturelle und soziopolitische Entwicklungen im Allgemeinen im Vordergrund. Dabei wurde ersichtlich, dass Jugendkulturen auf einem breiten Medienensemble aufbauen und Jugendmedien nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Zudem sind sie – so hat der zweite Tag gezeigt – in medienpolitische Prozesse eingebettet, die einer dynamischen Entwicklung folgen und ein facettenreiches, nicht immer einfach zu analysierendes Quellenspektrum hinterlassen. Lösungsvorschläge, die Jugendmedien-Macher und -Nutzer innerhalb eines transnationalen Raums greifbar machen, wurden vorgestellt und zeigten schließlich, dass Jugendmedien als Indikatoren für gesellschaftliche Transformationsprozesse Antworten auf sozial- und kulturgeschichtliche Fragen liefern können, die über die Generationsfrage hinausgehen.

Konferenzübersicht:

Empfang, Eröffnung, Einführung
Clemens Zimmermann/Aline Maldener

Sektion I: Sub- und Gegenkultur
Moderation u. Sektionskommentar: Gunter Mahlerwein (Saarbrücken/Mainz)

Stefan Rindlisbacher (Fribourg), TAO. Eine transnationale Jugendzeitschrift in der Zwischenkriegszeit

Karl Siebengartner (München), Fanzines als Jugendmedien. Die Punkszene in München von 1979–1982

Nikolai Okunew (Berlin), Schwere Zeiten. Wie DDR-Metal-Fans sich selbst historisieren

Sektion II: Gesellschaftspolitik
Moderation u. Sektionskommentar: Jens Jäger (Köln) und Jörg Requate (Kassel)

Mahshid Mayar (Bielefeld), Children’s Periodical Press and the Unintentional Archive

Friederike Höhn (Berlin), Die Debatte um die westdeutsche Wiederbewaffnung in den frühen 1950er Jahren in Jugendmedien der katholischen und evangelischen Kirche

Ines Heisig (Saarbrücken), "Wir klagen an!" Jugend in der Gewerkschaftspresse an der Saar 1945-1955

Sektion III: Radio
Moderation u. Sektionskommentar: Gabriele B. Clemens (Saarbrücken)

Christoph Hilgert (München), Der junge Hörer, das unbekannte Wesen: Programm-angebote für Jugendliche im westdeutschen und britischen Hörfunk, 1945-1963

Bodo Mrozek (Berlin/Potsdam), Wellenzeit. Vom Jugendfunk zum Rockradio: trans-nationale Einflüsse in den 1950er- und 60er Jahren

Michael Kuhlmann (Krefeld), Jugendradio in Deutschland – politisch (zu) explosiv. Die ersten reichweitenstarken Jugendprogramme in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der WDR-Radiothek (1974–1980)

Sektion IV: Fernsehen und Neue Medien
Moderation u. Sektionskommentar: Dietmar Hüser (Saarbrücken)

Andre Dechert (Augsburg), Familienprogramm oder Kinder- und Jugendsendungen? US-amerikanische TV-Serien im Deutschen Fernsehen, 1956-1962

Michael Esch (Leipzig), Vom Wandel der Form zum Wandel der Funktion: Der Beat Club als Quelle für eine Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der "langen Sechziger Jahre"

Julia Erdogan (Potsdam), Computerkids, Freaks, Hacker: Die Aneignung des neuen Mediums Computer in BRD und DDR

Anmerkungen:
1 Frank Bösch, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt am Main 2011.
2 Asa Briggs / Peter Burke, Social History of Media. From Gutenberg to the Internet, Cambridge 2010; Anthony Fellow, American Media History, 3. Ed., Boston 2013; Kevin Williams, Get Me a Murder Day! A History of Media and Communication in Britain, 2. Aufl., London 2010.
3 Eine Ausnahme bildet Bill Osgerby, Youth Media, London 2004, der Jugendmedien und ihre Historizität aus kommunikationsgeschichtlicher Perspektive für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts beleuchtet.
4 Exemplarisch sei auf Andreas Fickers, Eventing Europe. Europäische Fernseh- und Mediengeschichte als Zeitgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte 49,3 (2009), S. 391–416 verwiesen.