Governing Lives. Animals, Parks, and Princely Hunts from the Late Medieval Period to the Nineteenth Century

Governing Lives. Animals, Parks, and Princely Hunts from the Late Medieval Period to the Nineteenth Century

Organisatoren
Nadir Weber, Historisches Institut, Universität Bern, SNF Ambizione-Projekt „Falken in der Höfischen Gesellschaft“
Ort
digital
Land
Switzerland
Vom - Bis
12.03.2021 - 13.03.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Debora Heim, Historisches Institut, Universität Bern

In den letzten Jahren haben verschiedene Formen der vormodernen Fürstenjagd immer mehr das Interesse der historischen Forschung geweckt. Studien zeigten auf, dass die Jagd vormoderner Herrscher und Herrscherinnen mit wichtigen politischen Funktionen wie der Territorialisierung und der symbolischen Repräsentation von Souveränität verbunden war. Darüber hinaus wurde das Thema auch im Hinblick auf die Landschaftsentwicklung untersucht. Vermehrt sind in den letzten Jahren zudem verschiedene Formen von Mensch-Tier-Beziehungen ins Zentrum der Forschungen zur Jagdgeschichte gerückt.

Ziel des internationalen Workshops war es, die soziopolitischen und tierbezogenen Aspekte des Themas miteinander in Verbindung zu bringen, wie Nadir Weber in seiner Einleitung darlegte. Einerseits galt die Aufmerksamkeit der praktischen und symbolischen Funktion von tierlichen Jagdhelfern sowie deren Rolle in der Selbstdarstellung von Potentatinnen und Potentaten. Andererseits wurde ein Schwerpunkt auf die Praktiken der Wildbewirtschaftung gelegt und danach gefragt, inwiefern sich diese Mensch-Tier-Interaktionen als Biopolitik im Sinne von Michel Foucault beschreiben lassen bzw. die im 18. Jahrhundert aufkommende Bevölkerungspolitik inspirierten. Grundlage der Diskussion waren schriftliche Papers, die allen Teilnehmenden vorgängig zugestellt worden waren und von den Autor:innen in Inputreferaten nochmals kurz vorgestellt wurden.

Die erste Sektion befasste sich mit den Konzepten und Praktiken der Falkenhaltung im Mittelalter und in der Renaissance. SEVERIN BRUTTIN (Zürich) analysierte die Ausführungen über die Falkenabrichtung in Kaiser Friedrichs II. bekanntem Werk „De arte venandi cum avibus“ unter dem Gesichtspunkt von Michel Foucaults Konzept der Disziplinarmacht. Bruttin zeigte, dass die Abrichtungsmethoden Friedrichs II. das Ziel verfolgten, Kontrolle über einen lebenden Körper auszuüben, und argumentierte, dass sich die vier Techniken der Disziplin nach Foucault in der Falkenabrichtung wiederfänden. Während Strafen bei Pferden und Hunden wirkungsvolle Mechanismen der Disziplinierung gewesen seien, konnten sie bei Falken jedoch nicht angewendet werden.

MAIKE SCHMIDT (Erlangen-Nürnberg) richtete den Fokus auf die Haltung von Greifvögeln im höfischen Umfeld von König Franz I. von Frankreich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Haltung der Greifvögel war Schmidt zufolge durch ständige Mobilität geprägt. Einerseits zirkulierten gefangene Greifvögel als ökonomische Ware und diplomatische Geschenke. Andererseits wurde die Mobilität der Greifvögel zusätzlich durch die Mobilität des Hofs verstärkt. Um Kollateralschäden durch zu häufige Ortswechsel und nicht tiergerechte Haltung zu vermindern, wurden die wertvollen Jagdhelfer in der Regel nicht zentral bei Hof, sondern dezentral bei adligen Experten untergebracht und trainiert.

Die zweite Sektion befasste sich mit Praktiken des Wildtiermanagements. KRISTIN LANGEFELD (Marburg) thematisierte die Konflikte zwischen den Landgrafen von Hessen-Kassel und der Bevölkerung im Hinblick auf die Nutzung des Waldes. Während die Bevölkerung Nutzungsansprüche hatte, deklarierten Fürst und Adel Schutzansprüche für jagdbares Wild. Aus diesen Konflikten entstand eine Vielzahl von Jagdordnungen, die Langefeld zufolge eine sich etablierende herrschaftliche Verwaltungsaktivität bestätigen. Die Jagdordnungen waren zudem eine Durchsetzung herrschaftlicher Machtansprüche gegenüber den Untertanen und spiegelten die Souveränität des Herrschers und die fürstlichen Sonderrechte wider.

Auch NADIR WEBER (Bern/Berlin) beschäftigte sich mit der Frage, wie statusgemäßer Jagderfolg sichergestellt werden konnte. Er nahm den kaiserlichen Jagdpark in Laxenburg bei Wien in den Blick und zeigte, dass sowohl die räumliche Gestaltung des Parks wie die Interaktionen mit Falken und Federwild darauf angelegt waren, die Erfolgsquoten kaiserlicher Beizjagden zu erhöhen. Dennoch kam es immer wieder zu Misserfolgen. Einerseits spielten äußere Bedingungen wie das Wetter eine Rolle, andererseits konnten die involvierten Falken, Reiher und Milane der Szenerie entfliegen. Die Organisation der Falkenjagd bedingte folglich in Webers Worten ein „Rechnen mit der dritten Dimension“.

RAPHAËL DEVRED (Saclay) beschäftigte sich mit der Kontrolle und Regulierung des Hirschbestandes im Jagdpark des Schlosses Rambouillet. Da für die repräsentative chasse à courre (Parforcejagd) stets genügend jagdbare Tiere zur Verfügung stehen mussten, wurde die Hirschpopulation mit regelmäßigen tabellarischen Zählungen sorgfältig überwacht. Der Zustand der Population konnte darüber entscheiden, ob gejagt werden durfte oder nicht und ob neue Tiere angesiedelt wurden. Außerdem erlaubte das bestehende Wissen über die Reproduktion der Tiere bereits konkrete und gesteuerte Eingriffe in die Hirschbestände. Die Hirschpopulation wurde damit zum Gegenstand von Praktiken der Kontrolle und Steuerung, die sich gemäß Devred als Form der Regierung oder Biopolitik fassen lassen.

Den Anfang der dritten Sektion zum Themenfeld Jagd und Souveränität machte BRUNO FARINELLI (Antwerpen). Er entwarf für den savoyischen Hof das Konzept eines animal court, der neben dem menschlichen Hof existierte und eng mit diesem verflochten war. Dazu gehörten sämtliche Tiere, die der Kontrolle eines Souveräns unterstanden, insbesondere Tiere für die Jagd, exotische Tiere und gejagte Tiere. Jagdparks und Jagdbezirke spielten gemäß Farinelli bei der administrativen und symbolischen Rückeroberung savoyischer Territorien im späten 16. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Die zurückerlangte Stärke des Hauses Savoyen wurde zudem mit sogenannten Kampfjagden unterstrichen, bei denen auch exotische Tiere wie Löwen und Tiger eingesetzt wurden. Die vermehrte Praxis der chasse à courre korrelierte zudem mit der Stärkung der Beziehungen zu Frankreich.

YNE DOM (Antwerpen) stellte mit ihrem Fokus auf die Jagd von weiblichen Herrscherinnen einen Aspekt vor, der bisher erst rudimentär erforscht ist. Am Beispiel von Erzherzogin Maria Elisabeth von Österreich, Regentin der habsburgischen Niederlande im frühen 18. Jahrhundert, zeigte Dom, dass die Jagd auch für Frauen ein wichtiges Instrument war, um Autorität und Souveränität zu demonstrieren. So inszenierte Erzherzogin Maria Elisabeth ihre Schuss- und Falkenjagden als höfische Spektakel und ließ sich auch in Druckmedien als Jägerin darstellen. Mit der Anlehnung an Jagdpraktiken am Kaiserhof in Wien betonte sie zum einen ihre dynastische Herkunft und zeigte sich zum anderen als Regentin, die ihre Herrschaftsrechte aktiv ausübte. Der politische Status überwog in der Selbstrepräsentation das (vermeintlich) schwache Geschlecht.

Der letzte Diskussionsblock zum Thema Jagd und Wissen wurde von MARCEL BERNI (Zürich) eröffnet, der sich mit der Veränderung des Jagdverständnisses am Übergang von der Frühen Neuzeit zur Moderne beschäftigte. Unter sozialen Gesichtspunkten wurde die Jagd von einem Privileg des Adels zur Freizeitbeschäftigung des politisch emanzipierten Bürgertums. Parallel dazu differenzierte sich das in Handbüchern festgehaltene Wissen, das im Verlauf des 18. Jahrhundert Züge einer entstehenden Jagdwissenschaft annahm. Während fürstliche eingestellte Jagden noch vom Ziel eines maximalen Jagderfolgs bestimmt waren, wurde im 19. Jahrhundert die Weidgerechtigkeit zur zentralen normativen Orientierungsgröße. Jagd wurde nun als Naturerlebnis inszeniert, dessen Erfolg eher ungewiss war und das eine zuvor unbekannte Bescheidenheit des menschlichen Jägers erforderte.

ALINE VOGT (Basel) beleuchtete die Wissensgeschichte der Sattelzeit aus der Perspektive der Naturgeschichte. Das in der Aufklärung zusammengetragene neue Wissen über Tiere war nicht nur für den philosophischen Diskurs bedeutsam, sondern wirkte sich auch auf den konkreten Umgang mit Tieren aus, der zusehends im Zeichen einer biopolitischen Nutzbarmachung stand. Vertreter des Sensualismus erkannten, dass die Macht der Menschen über die Tiere nicht uneingeschränkt war. Autoren wie Charles-Georges Leroy zufolge hatten Tiere ihre eigenen Bedürfnisse, ihren eigenen Willen und durchliefen auch eigene Erkenntnisprozesse. Wollten Menschen sie dressieren oder domestizieren, mussten sie der individuellen Tiernatur Rechnung tragen. Dabei wurden gemäß Vogt die Erfahrungen von Jägern zu einer wichtigen Bezugsquelle für das Wissen über tierliches Verhalten und dessen mögliche Modifikation.

Der Workshop wurde von zwei perspektivischen Schlusskommentaren abgerundet. BAUDOUIN VAN DEN ABEELE (Louvain-La-Neuve) betrachtete die Genese verschiedener Jagdformen seit dem Mittelalter und stellte fest, dass diese in der Forschung bisher unterschiedlich gut repräsentiert sind. Dabei könne etwa das reiche Quellenmaterial zur höfischen Falknerei aus der Frühen Neuzeit auch neue Perspektiven auf diese Jagdform im Mittelalter geben, das bisher im Fokus der Forschung stand. Auch für die eingestellten Jagden fehle es bisher an vergleichender Forschung. Das Konzept der Biopolitik könne es erlauben, bekannte Quellen anders zu lesen, sollte aber auch nicht überdehnt werden, da gerade Jagdtraktate vielfach Idealvorstellungen wiedergeben. Rechnungen, Korrespondenzen oder materielle Artefakte erlaubten es dagegen, näher an vergangene Jagdpraktiken und die damit zusammenhängenden Mensch-Tier-Beziehungen heranzukommen.

Abschließend warf GRÉGORY QUENET (Versailles/Paris) einen umweltgeschichtlichen Blick auf die Tagung und auf die weiteren Perspektiven der Forschung. Er griff zunächst das Konzept der Biopolitik auf und stellte fest, dass die Beiträge der Tagung darauf hinwiesen, dass die Jagd tatsächlich ein wichtiges, bisher weitgehend übersehenes Experimentierfeld war, in welchem Regierungsinstrumente zum Einsatz kamen, die um den Begriff der Population kreisten. Interessant wäre es, zu wissen, wie der liberale Laisser-faire-Ansatz des 19. Jahrhunderts sich zum Aufkommen neuer ökologischer Konzepte bei der Jagd und in der Forstwirtschaft verhalte. Tiere erschienen dabei als ökologische Akteure, deren Verhalten die räumliche und soziale Morphologie mitbestimmten. Die Geschichte der Jagd und der Jagddiskurse könnte als Schnittstelle zwischen verschiedenen Handlungs- und Wissensfeldern neue Zugänge etwa zur Geschichte des Körpers und von Nachhaltigkeitskonzepten eröffnen.

Insgesamt zeigte der Workshop die Fruchtbarkeit eines tiergeschichtlichen Zugangs zur vormodernen Fürstenjagd. Die diskutierten Papers verdeutlichten einerseits die Komplexität der Interaktionen mit tierlichen Jagdhelfern und gehegtem Wild im Vorfeld der Jagden, andererseits ihre zentrale, in manchen Fällen auch den Erwartungen zuwiderlaufende Rolle im Jagdgeschehen selbst. Auch aus der diskursiven und visuellen Repräsentation der Fürstenjagd, deren eminente politische Rolle einige Papers unterstrichen, waren sie nicht wegzudenken. Eine Publikation der überarbeiteten Beiträge ist in Vorbereitung.

Konferenzübersicht:

Nadir Weber (Bern): Courtly biopolitics? Introductory remarks

1. Falconry and Power Relations

Severin Bruttin (Zürich): Sehen und essen. Die Machtbeziehung zwischen Menschen und Tieren in der vormodernen Falknerei

Maike Schmidt (Erlangen-Nürnberg): „Vostre sacret blanc a esté un peu degoutté, mais il est sain.“ Falkenhaltung in den Briefen von Louis de Brézés (1463-1531) und anderen Quellen höfischer Provenienz

2. Practices of Game Management

Kristin Langefeld (Marburg): Die Jagdverordnungen der Landgrafen von Hessen-Kassel vom 17. bis 18. Jahrhundert

Nadir Weber (Bern): Rechnen mit der dritten Dimension. Falken und Federwild im kaiserlichen Jagdpark von Laxenburg bei Wien (18. Jahrhundert)

Raphaël Devred (Saclay): Les Princes des Animaux: Gouverner le gibier au domaine de Rambouillet (1783–1870)

3. Hunting and Sovereignty

Bruno Farinelli (Antwerpen): A beastly court: parks, animals and power in the Duchy of Savoy (1559–1633)

Yne Dom (Antwerpen): The battle of preservation: printing ordinances to keep the Sonian Forest (to oneself)

4. Hunting and Knowledge

Marcel Berni (Zürich): Vom Praeludium Belli zum weidgerechten Pirschgang: Genese und Evolution des frühmodernen Jagdwissens

Aline Vogt (Basel): Tiere zwischen philosophischem Diskurs und höfischer Praxis – Biopolitik und der Wille zum Wissen im Sensualismus

Conclusion

Baudouin Van den Abeele (Louvain): Comment

Grégory Quenet (Paris/Versailles): Comment