Konsum von Alltagsgütern in sozialen Räumen in der Vormoderne

6. Jahrestagung des Arbeitskreises „Materielle Kultur und Konsum in der Vormoderne“

Organisatoren
Aris Kafantogias, Dr. Janine Maegraith, Henning Bovenkerk und Manuel Mozer, Arbeitskreis Materielle Kultur und Konsum in der Vormoderne
Veranstaltungsort
Universität Wien
PLZ
1010
Ort
Wien
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
07.07.2022 - 09.07.2022
Von
Flavio Schily / Hunor Attila Biró, Universität Wien

In den 40 Jahren nachdem Neil McKendrick den Begriff consumer revolution etablierte und Roman Sandgruber das Buch „Die Anfänge der Konsumgesellschaft“ veröffentlicht hat, haben Wissenschaftler:innen aus aller Welt versucht, die historische Entwicklung der europäischen Konsumgesellschaft der frühen Neuzeit zu definieren und zu analysieren. Die Konferenz brachte Universitätswissenschaftler:innen, unabhängige Forscher:innen und Doktorand:innen aus verschiedenen Bereichen und diversen europäischen Ländern zu diesem Zweck zusammen.

ANGELINA ILLES (Wien) leitete die Konferenz sowie das erste Panel mit ihrer Präsentation über die Verbreitung traditioneller japanischer Gewänder in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts ein. Der Import solcher Gewänder wurde durch die exklusiven Handelsrechte der Vereinigten Niederlande mit Japan ermöglicht, welche Städte wie Amsterdam zu Zentren für „exotische“ Produkte machten. Auf der Suche nach den Gründen und Bedeutungen des Tragens von ausländischer Tracht für die Konsumenten und mithilfe sowohl bildlicher als auch schriftlicher Quellen ermöglichte Illes einen Einblick in das Geschäft des Importes und der späteren Replikation japanischer Kleidung zwecks des Konsums in den Niederlanden und Europa. Aufgrund der limitierten Verfügbarkeit des verwendeten Materials (Seide), waren die Gewänder teure Luxusgüter, welche auf den Gemälden meist von männlichen Akademikern getragen wurden und sie an ihrem Arbeitsplatz zeigt.

Die zweite Präsentation der Tagung von SÜMMEYE HOSGÖR BÜKE (Wien) gab einen Einblick in die Konsumgeschichte von Kleidung im Istanbul des 18. Jahrhunderts. Sie charakterisierte den Zeitraum von etwa 1700-1760 als Periode wachsenden Konsums und verwies des Weiteren auf die große Vielfalt an Farben und Stoffen, sowie auf die teils opulenten Dekorationen, welche in der Periode üblich waren. Weiters wurde ausgeführt, dass das Kleidungsgesetz von 1725 und andere Aufwandgesetze regelmäßig übertreten wurden. Zeitgenössische Osmanische Autoren kritisierten den zunehmenden Gebrauch von Luxusgütern, welchen Büke als „displaying“ bezeichnete. Laut Bükes Quellen kam es ab etwa 1760 zu einem regelrechten Schwund von Luxusgütern, was auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges von 1768-1774 zurückzuführen sei. Büke argumentierte jedoch, dass die Praxis des „displaying“ in weiterer Folge mit billigeren und einfacheren Methoden fortgesetzt wurde.

In seinem Beitrag präsentierte ARIS KAFANTOGIAS (Wien) seine Erkenntnisse über die Veränderungen des Konsums von Kleidung und Accessoires in Wien zwischen 1760-1825 mit einem Fokus auf die mittleren und unteren sozialen Schichten. Basierend auf Nachlassverzeichnissen aus den Jahren 1783/84, 1803, und 1823 zeigte er den starken Anstieg in der Anzahl und im Wert von Kleidungsstücken zwischen 1760-1784, welcher in allen untersuchten sozialen Klassen zu beobachten und bei Frauen stärker ausgeprägt war. Kafantogias argumentierte, dass der Ansatz Roman Sandgrubers von höherer industrieller Produktion sowie dem angeblichen Wunsch der Imitation der oberen Klassen alleine diesen starken Anstieg des Konsums nicht erklären kann. So seien nicht nur Marktkräfte, sondern soziale Entwicklungen und Strukturen in der Stadt für die Veränderungen ursächlich. Er behauptete, dass die wachsende Bevölkerung, die Veränderung des Stadtraums, die neue Öffentlichkeit, der Diskurs über Konsum, der Wiener Kongress und die Entstehung der Wiener Mode die Praktiken der Geselligkeit und des öffentlichen Ansehens stark beeinflusst hatten und ein neues Aussehen, das von Respektabilität und Modebewusstsein charakterisiert wurde, verlangt hatten.

WALTRAUD SCHÜTZ (Wien) blieb thematisch in Wien und präsentierte ihre gemeinsame Arbeit mit JULIA CZACHS (Wien). Auf Basis von Briefen adliger Schwestern gaben Schütz und Czachs ein Beispiel für eine junge Frau, Julie Hoyos, die als Comissionärin für ihre Familie Konsumgüter einkaufte. Schütz argumentierte, dass Hoyos Rolle als Konsumentin durch das Entstehen neuer sozialer Räume und neuer Konsummöglichkeiten in der Stadt ermöglicht wurde. Die Bedeutung einer angeblich spezifischen „Wiener Mode“ wurde als für die Adeligen gering eingestuft, welche fähig und willens waren aus ausländischen Modezentren wie etwa Paris zu kaufen. Czachs und Schütz kamen zu dem Schluss, dass die Rolle der Kommissionärin für Frauen eine seltene Möglichkeit der Teilnahme an den Veränderungen im Konsumverhalten sowie an der Repräsentation der Familie darstellte.

In der Keynote stellte BRUNO BLONDÉ (Antwerpen) bestehende Narrative der Konsummoderne in Frage, insbesondere die These, dass Konsum ein Produkt von fortschreitender Marktintegration sei. Auf den Mangel an empirischen Beweisen für die kulturelle Bedeutung von Konsum und die ungleiche Verteilung von relevantem Quellenmaterial aufmerksam machend, gab Blondé, basierend auf Anzeigen von Auktionen für second-hand Güter aus Londoner Haushalten, Einblicke in die Konsumgesellschaft im England des 18. Jahrhunderts. Seine Erkenntnisse zeigen die Verwendung von einem scheinbar standardisierten Vokabular als Qualitätsmerkmal. Blondé präsentierte die Veränderung der Nutzung der Qualitätsmerkmale, wie sie in den Anzeigen in Verwendung waren für die Perioden 1732-1745 und 1793-1796 und verdeutlichte dadurch das wachsende Interesse an ästhetischen Qualitäten von Produkten sowie die zunehmende Komplexität der die Produkte beschreibenden Begriffe. Während Mode als solche noch nicht im Fokus stand, zeigte sich, dass qualitative Deskriptionen für die Unter- und Mittelschicht von größerer Bedeutung waren, während die oberen Klassen mehr Wert auf Ästhetik legten. Am Beispiel von Bettzeug machte Blondé die wachsende Bedeutung von Designwert im Vergleich zum Eigenwert eines Produktes klar. Für spezifische Produkte wie etwa Spiegel blieb der Eigenwert jedoch weiterhin relevant. Blondé unterstrich die Relevanz des second-hand Marktes als Zugang zur neuen Konsumgesellschaft für alle Klassen.

SABINE AREND (Heidelberg) eröffnete das zweite Panel mit ihrem Vortrag über den Konsum von Milchprodukten in der Frühen Neuzeit. Zunächst besprach sie die Hintergründe für den Konsum und Handel von (Schweizer) Käseprodukten. Die detailliert geführten Aufzeichnungen von Erastus berichten über Zustand und Geschmack des gelieferten Käses und geben Einblicke in die bestehenden Konsumpraktiken. Arend zeigte, dass Erastus Fokus auf Qualität lag und interpretierte die nicht vorhandene Erwähnung von Preisen als ein Indiz dafür, dass die privilegierte Position des Erastus als Spitzenverdiener seinen Konsum überhaupt erst ermöglichte. Die Aufzeichnungen von Opirinus hingegen berichten über die Preise und deren Entwicklung in Basel. Arend verwies auf den hohen Preis für Käse, welcher beispielsweise jenen einer warmen Mahlzeit um das fünf- bis sechsfache überstieg. Dennoch zeugen die Quellen von der Existenz eines regen Exportgeschäftes von Basel in Richtung Norden. Arend kam daher zu dem Schluss, dass Schweizer Käse zur damaligen Zeit nur für die Wohlhabendsten ein alltägliches Konsumgut darstellte.

CLAUDIA RAVAZZOLO (Jena) beleuchtete in ihrer Präsentation zur Kreditökonomie der Frühen Neuzeit am Beispiel der Stadt Bern (ca. 1660-1798) das Wechselspiel zwischen Krediten und Konsum von Alltagsgütern. Auf Grundlage des Werks von Johann Georg Heinzmann gab sie Einblicke in das Konsumverhalten von Familien der damaligen Berner Oberschicht und oberen Mittelschicht. Laut Ravazzolo wurden die meisten Produkte und Dienstleistungen nicht unmittelbar nach dem Erwerb bezahlt, sondern durch die Aufnahme von Schulden. Die Auswirkungen dieser auf Schulden basierenden Wirtschaft zeigen sich anhand der Institution des Geltstag, welcher eine Zwangsversteigerung darstellt. Ravazzolo verdeutlichte hierbei, dass die Mehrheit der Betroffenen Schuldner Männer war, die aus allen Gesellschaftsschichten stammten. Laut Ravazzolo wurde Brot und Fleisch nur selten an Ort und Stelle bezahlt und stattdessen zu bestimmten Zahltagen, beispielsweise einmal im Jahr oder nach Möglichkeit des Schuldners, zusammengefasst beglichen, was darauf hinweise, dass die Praxis des „Anschreibens“ unter allen sozialen Ständen akzeptiert war. Unterschiede im Konsumverhalten seien durch die Art der erworbenen Produkte und soziale Grenzen auszumachen.

Im achten Beitrag setzte sich MANUEL MOZER (Tübingen) mit Pflegschaftsakten als Quelle für seine Arbeit zur Geschichte des Konsumverhaltens von verwaisten Kindern und Heranwachsenden im Tübingen des 18. Jahrhunderts auseinander. Laut Mozer ermöglichen diese Akten einen Einblick in das Konsumverhalten von Kindern und fassen damit, anders als die oftmals verwendeten „Inventuren und Teilungen“, welche laut ihm nur den Ist-Zustand eines Besitzes zeigen, den direkten Kaufprozess. Pflegschaftsakten erweitern ihr Erkenntnispotential dadurch, dass sie auch Aussagen zu den jeweiligen Geschäftspartnern geben. Als Beispiel präsentierte Mozer die Einkäufe eines jungen Handwerkers sowie eines jungen Akademikers, welche die sozialen Aspekte des Konsums von Kleidung hervorheben, in diesem Fall die speziellen Kleidungsstile und Kleidungsstücke, welche einem Gesellen oder aber einem Akademiker zugeschrieben wurden. Des Weiteren argumentierte Mozer, dass Kinder bereits ab einem frühem Alter Einfluss auf Kaufentscheidungen hatten und später selbst bewusste Entscheidungen trafen, wie am Beispiel der beiden Tübinger zu sehen ist.

Daran anschließend stellte MELISSA CALARESU (Cambridge) ihre Forschung über Orte und Praktiken des Konsums im Neapel des 18. Jahrhunderts vor. Hierfür benützt sie zwei Reihen von Quellen, und zwar Lizenzen für den Verkauf von Lebensmitteln und das Rechnungsbuch des Thomas Jones für seine Kavalierstour nach Italien. In der Quelle werden dabei nicht nur seine täglichen Einkäufe detailliert, oft mit Anmerkungen zur Qualität, Preis und Menge genannt, sondern auch für Rechnungsbücher ungewöhnliche Lebensmittel, wie Kräuter und Wildfleisch, aufgelistet. Ergänzt wird dies durch seine Memoiren von 1803, sowie zahlreicher seiner Bilder, die in seiner Zeit in Neapel entstanden. Calaresu betonte zudem, dass fertig zubereitete Speisen dafür vorgesehen waren an Ort und Stelle verzehrt zu werden. Die Produktion der Speisen war sehr kleinteilig organisiert und wurde in Haushalten vorgenommen. Hinsichtlich der Lizenzen verwies sie auf einen Mangel an Forschung über dieses Thema.

Das dritte Panel wurde von ASTRID WENDEL-HANSEN (Jena) eröffnet. Sie widmete sich dem Thema marginaler Ökonomien im Schweden der Frühen Neuzeit. Wendel-Hansen beschäftigte sich im Rahmen ihres Vortrags mit Diebstählen aus drei Universitätsstädten in Schweden, Finnland und Livland. Das Quellenmaterial wurde von ihr nach Hinweisen auf wirtschaftliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit Diebstählen und den damit verbundenen Netzwerken und Räumen untersucht. Dafür analysierte sie die Tauschwirtschaft, um einen genaueren Einblick in die Komplexität dieser Geschäfte und der involvierten sozialen Beziehungen zu erlangen. Wendel-Hansen argumentiert, dass die Geschäfte komplexer waren, als ein einfacher Tauschhandel, insbesondere wenn es sich um gestohlene Güter handelte. Sie zeigte dabei die komplexen Interaktionen zwischen den Akteuren, wobei Geld als Zahlungsmittel in der damaligen Wirtschaft eine geringere Rolle gespielt zu haben scheint. Dies zeigt sich auch darin, dass selbst der Geldwert nicht absolut, sondern Verhandlungssache war und stark vom sozialen Kontext der Interaktion und den involvierten Objekten abhing.

Daraufhin gab BEVERLY TJERNGREN (Uppsala) einen Einblick in ihre Forschungsarbeit über schwedische Landpfarreien im 18. Jahrhundert. Tjerngren untersuchte acht Pfarreien in Uppland, Schweden. Beispielhaft für ihre Arbeit präsentierte sie eine Fallstudie über einen Pfarrer, welcher von den frühen 1720ern bis 1748 im Amt war, als er 81-jährig starb. Das Nachlassverzeichnis zeigt das Bild eines Pfarrers mit dürftigem Besitz, welcher weder seinem Rang oder Alter entsprach. In Summe überstiegen seine Schulden seine Vermögenswerte deutlich. Dennoch konnte er sich einen gewissen Lebensstandard aufrechterhalten. Daraus schlussfolgerte Tjerngren, dass Kredite wohl auf Basis von Status und Vertrauen und nicht unbedingt aufgrund vorhandener Bonität gewährt wurden.

Der letzte Vortrag dieses Panels wurde von OLGA KOZUBSKA (Ukraine) gehalten und hatte Räume des Konsums in den Kleinstädten Podoliens im 18. und 19. Jahrhundert zum Thema. Sie legte ihren Fokus dabei auf den Klerus, welcher im Laufe des 18. Jahrhunderts damit begann neuartige Genussmittel zu konsumieren. Besonderen Schwerpunkt setzte sie dabei auf Zucker, Kaffee und Tee, da diese Genussmittel für den Klerus dieser Zeit eine immer wichtigere Rolle einzunehmen begannen. Insbesondere Tee hatte sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in der russischen Oberschicht als ein alltägliches Konsumgut durchgesetzt. Ab dem 18. Jahrhundert breitete sich Tee dann auch im podolischen Klerus aus. Kozubska stellte anschließend einige frühe Objekte für den Teekonsum vor. Tee (auch gezuckert) war ein Statussymbol vergleichbar mit Kaffee. Das Teetrinken war auch im unteren Klerus beliebt, Mönche waren laut Kozubska dafür bekannt, gerne und viel Tee zu trinken. Dennoch blieben diese Genussmittel ein Luxusgut und ihr Konsum kann als Indikator für den sozialen Status der Konsumierenden gesehen werden.

Das vierte Panel „Warenströme“ begann mit dem Vortrag von HEINRICH LANG (Leipzig / Wien) über Konsumkultur und Buchhaltungsgepflogenheiten in toskanischen Städten der Renaissance, mit einem Schwerpunkt auf Florenz. Er analysiert im Rahmen seiner Forschung zuerst den Prozess der Buchhaltung, dann die Objekte und schließlich die Buchführungspraktiken. Lang argumentiert, dass Rechnungsbücher kognitive Artefakte sind und dabei helfen Netzwerke sozialer Beziehungen aufzudecken. Die von ihm vorgestellten Quellen beinhalteten unter anderem das „Libro di amministrazione dell` eredità di Baldovino Riccomani“, welches Einblick in die damals verwendeten Textilien gewährt und ein Haushaltsinventar eines Mitglieds der Strozzi Familie aus dem Jahr 1377. Dieses Inventar beinhaltet eine Auflistung der Objekte des Haushalts, jedoch ohne Wertangaben. Das deckt sich mit den übrigen Quellen, da der Wert der Objekte sich laut Lang aus den sozialen Beziehungen ergab und diese keinen intrinsischen Geldwert hatten. Gegen Ende seines Vortrags kam die Bildung übergeordneter Netzwerke zur Sprache, die sich aus den in der Buchhaltung präsentierten materiellen Vermögenswerten ergeben.

Die Tagung wurde mit dem Vortrag von HENNING BOVENKERK (Münster), über den Konsum gehandelter Alltagsgüter in Westfalen, fortgesetzt. Er analysierte rund tausend Nachlassverzeichnisse aus der ländlichen Umgebung von Münster und seiner Nachbargemeinden Steinfurt, Flaesheim und Nordkirchen. Diese unterscheiden sich in ihren sozio-ökonomischen Kontexten, beispielweise die vorherrschende Arbeitsformen oder Marktzugänglichkeit. Die Nachlassverzeichnisse bezeugen starke Verbindungen zu den Niederlanden und beinhalten viele Objekte, die importiert und am Markt gekauft werden mussten. Solche Güter waren erstens Geschirr und Besteck, zweitens Bettzeug und schließlich Objekte, die für die Zubereitung und den Konsum von Kaffee und Tee benötigt wurden. Hinsichtlich Importwaren hatte Münster als Stadt eine vorteilhafte Lage und durchlebte eine weitaus dynamischere Entwicklung als die anderen Gebiete. Textilien finden in den Verzeichnissen nur wenig Erwähnung, aber vormals exotische Textilien scheinen laut Bovenkerk mit der Zeit immer alltäglicher geworden zu sein. Die Verfügbarkeit solcher Güter war jedoch stark abhängig von lokalen Standortfaktoren und dem Zugang zu Märkten.

Der letzte Vortrag wurde von MATTHIAS BAUMGARTL (Bamberg) gehalten und hatte Handel und Konsum der Deutschbalten im späten 18. Jahrhundert zum Thema. Baumgartl präsentierte dazu ein rund 500-seitiges Rechnungsbuch aus Mitau, dem heutigen Jelgava in Lettland, welches er in einem Editionsprojekt erschloss. Dabei finden sich vor allem Debitoren im Buch, die einen Großteil der Konten hatten. Lediglich zehn Zulieferer finden sich in der Quelle. Basierend auf den Erkenntnissen des Geschäftsbuchs konnten Handelsbeziehungen zu Russland und Westeuropa nachgewiesen werden. Anhand der Daten wurden von Baumgartl auch individuelle Kundenprofile erstellt und analysiert. Das Unternehmen war vorrangig in den Textilhandel involviert, aber in geringerem Umfang werden auch Modeaccessoires, Kaffee, oder Nägel erwähnt. Baumgartl betonte, dass die Produktpalette der bearbeiteten Quelle die zeitgenössischen Berichte über das luxuriöse Leben in Mitau, der Residenzstadt des Herzogtums Kurland und Semgallen, bestätigen. Er merkte zudem an, dass ein dichtes Vertriebsnetz die wesentliche Voraussetzung für eine moderne Konsumgesellschaft sei und sich dies im vorliegenden Rechnungsbuch zu bestätigen scheint.

In der folgenden Abschlussdiskussion wurden die Erkenntnisse der einzelnen Vorträge besprochen. Allgemein konnte festgestellt werden, dass die zahlreichen vorgestellten Quellen weitreichende Einblicke in das Konsumverhalten von Akteuren aus nahezu allen Schichten und Räumen möglich machten. Die Teilnehmer:innen der Tagung waren sich indes einig, dass noch viel Erkenntnispotential in der historischen Konsumforschung liegt.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Kleidung und Mode

Angelina Illes (Wien): From gift to luxury good – Japanese gowns and its variants in seventeenth-century Dutch painting

Sümeyye Hoşgör Büke (Wien): Some observations on the change of the clothing consumption of the Ottomans in the eighteenth century: The case of Galata

Aris Kafantogias (Wien): The wardrobes of the Viennese middle strata: Changes in consumption of clothes and accessories, 1760–1825

Julia Czachs (Wien) / Waltraud Schütz (Wien): Adelige Schwestern als Konsumentinnen im frühen 19. Jahrhundert

Keynote

Bruno Blondé (Antwerpen): Aesthetics for a Polite Society? Re-assessing the consumer revolution through the consumer values on the London auction market of the eighteenth century

Panel 2: Alltagsgüter

Sabine Arend (Heidelberg): Ich möchte auch gern leiden, ir schicktet mir jetz ein oder ii gute Schweitzer Käß. Milchprodukte als Alltagskonsumgüter in den Briefen südwestdeutscher Theologen 1550-1620

Claudia Ravazzolo (Jena): Leben auf Pump? Konsum von Alltagsgütern und Dienstleistungen im Rahmen der frühneuzeitlichen Kreditökonomie am Beispiel Berns (ca. 1660 – 1798)

Manuel Mozer (Tübingen): Einkaufen in Tübingen im 18. Jahrhundert. Pflegschaftsakten als Quelle der Konsumgeschichte

Melissa Calaresu (Cambridge): The practices and places of ‚everyday consumption of a Grand Tour household in the ‘Italian account book’ of Thomas Jones (1780 – 1783)

Panel 3: Randgruppen

Astrid Wendel-Hansen (Jena): Beyond beg, borrow, and steal? Marginal economies in early modern Sweden

Beverly Tjerngren (Uppsala): Consumption practices of Swedish rural parish rectors in the eighteenth century

Olga Kozubska (freiberufliche Wissenschaftlerin / Ukraine): Spaces of consumption in small towns of Podolia in the second half of the eighteenth to the early nineteenth century

Panel 4: Warenströme

Heinrich Lang (Leipzig / Wien): Cultures of consumption and practices of accounting in Tuscan cities in the Renaissance

Henning Bovenkerk (Münster): Von brüggischer Kinderkleidung und flämischen Betten – Konsum gehandelter Alltagsgüter in Westfalen, 17. – 18. Jahrhundert

Matthias Baumgartl (Bamberg): Handel und Konsum der Deutschbalten im Spiegel eines kurländischen Geschäftsbuchs des späten 18. Jahrhunderts

Abschlussdiskussion