„Die Welt ist ihr Markt. Die Internationalisierung von Familienunternehmen“. 18. Sitzung des Arbeitskreises „Familienunternehmen“ der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

„Die Welt ist ihr Markt. Die Internationalisierung von Familienunternehmen“. 18. Sitzung des Arbeitskreises „Familienunternehmen“ der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

Organisatoren
Arbeitskreis „Familienunternehmen“ der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte
PLZ
33332
Ort
Gütersloh
Land
Deutschland
Fand statt
Hybrid
Vom - Bis
21.09.2022 -
Von
Maren-Sophie Fünderich, Bielefeld

Der Eintritt in ausländische Märkte ist für viele Großunternehmen ein Weg, um schnelles Wachstum zu erzielen. Der Arbeitskreis Familienunternehmen der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. befasste sich mit diesem Thema: „Die Welt ist ihr Markt. Die Internationalisierung von Familienunternehmen“. Dabei ging es um Voraussetzungen, Verlauf und Ergebnisse von Internationalisierungsprozessen. Gastgeber war die Miele & Cie. KG in Gütersloh.

Bei der Eröffnung der Sitzung betonten der Wirtschaftshistoriker CHRISTIAN KLEINSCHMIDT (Marburg) und die Vorsitzende des Arbeitskreises JULIA SABINE FALKE-IBACH (Düsseldorf), dass die historische Forschung internationaler werde. Viele Familienunternehmen würden ihre internationalen Beziehungen untersuchen lassen: Wer gab den Anstoß zur Internationalisierung, wo gibt es eine branchenspezifische Finanzierung und auf welche Kund:innen hoff(t)en die Firmen? In seiner anschließenden Begrüßung gab MARKUS MIELE (Gütersloh), Geschäftsführender Gesellschafter der Miele Gruppe, einen kompakten Überblick über „zehn historische Weichen“ des 1899 von dem Techniker Carl Miele und dem Kaufmann Reinhard Zinkann gegründeten Unternehmens, das als Bottichmanufaktur begann und heute Weltmarktführer im Premiumsegment von Haushaltselektrogeräten ist. Zum Familienunternehmen gehören rund 80 Gesellschafter: innen. Mit fast 23.000 Beschäftigten erzielt es einen Umsatz von 4,84 Mrd. Euro. Miele hob insbesondere den Wandel an Produkten hervor. Auf die Milchzentrifugen folgten 1903 die erste Waschmaschine und zwischen 1912 und 1914 sogar Autos. Das Portfolio sei immer breiter geworden und habe auch Handwagen, Melkmaschinen und Fahrräder mit und ohne Motor umfasst. Ab den 1960er-Jahren habe der Fokus verstärkt auf Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen und Geschirrspüler gelegen. Deshalb habe man sich zunächst von Fahrrädern, später von Melkmaschinen und Küchenmöbeln getrennt. Die Internationalisierung bei Miele begann 1953 mit dem ersten Tochterunternehmen in den Niederlanden, weitere kamen bis 1976 in den westlichen, nördlichen und östlichen Nachbarländern hinzu. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurden Tochterunternehmen in Australien, Asien und Osteuropa gegründet. Die Internationalisierung hatte auch Folgen für die Unternehmensleitung. Bis Mitte der 1990er-Jahre stammte jeweils ein Geschäftsführer aus den Familien Miele und Zinkann, die das Unternehmen gemeinsam führten. Mit zunehmender Größe und komplexeren Strukturen wuchs jedoch der Bedarf an externer Unterstützung, so dass heute drei zusätzliche familienunabhängige Geschäftsführer:innen in der Unternehmensleitung tätig sind.

Im ersten Vortrag beschäftigte sich CHRISTIAN KLEINSCHMIDT mit den Internationalisierungsstrategien des Pharma- und Laborzulieferers Sartorius. 1870 als Familienunternehmen in Göttingen gegründet und in der Branche der Optik, Mess- und Regeltechnik tätig, ist Sartorius heute ein international führender Life-Science-Konzern und ein Partner der biopharmazeutischen Forschung. Schon sechs Jahre nach Gründung war das Unternehmen auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia vertreten und habe sich dort gegenüber der internationalen Konkurrenz behauptet, so dass Göttingen zum Standort für Optik, Mess- und Regeltechnik geworden sei. Zwischen 1918 und den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs sei das Unternehmen von seinen ausländischen Märkten weitgehend abgeschnitten gewesen. Erst danach sei die Produktion langsam angelaufen, vor allem von Membranfiltern zur Trinkwasserkontrolle, Sterilfiltern in der pharmazeutischen Industrie, Analysewaagen und Materialprüfgeräten für die Forschung. Kleinschmidt verwies darauf, dass die Internationalisierung bei Sartorius langsam einsetzte, zunächst mit den Niederlanden und Belgien, später auch mit Südafrika und Südamerika. Ab den 1950er-Jahren habe das Unternehmen Kontakte zu Puerto Rico und Russland gepflegt. Puerto Rico war sein Tor zu den USA. Auslandsgründungen und Tochtergesellschaften kamen seit den 1970er-Jahren hinzu. Der weltpolitische Umbruch 1989/90 habe zu Unsicherheiten im Unternehmen geführt, so dass Sartorius auch wegen familieninterner Streitigkeiten in den 1990er-Jahren in ein börsennotiertes und managergeführtes Unternehmen mit einer neuen Konzernphilosophie und einer anderen Organisation umgewandelt wurde. Für die theoretische Einordnung des Fallbeispiels Sartorius schlug Kleinschmidt das Mitte der 1970er-Jahre von S. Carlson entwickelte Uppsala-Modell vor, wonach Unternehmen ihre Internationalisierungsaktivitäten schrittweise erhöhen. Denn Sartorius habe zunächst den heimischen Markt im Blick gehabt und Erfahrungen im Export gesammelt, ehe Handelsvertretungen im Ausland gegründet worden seien und schließlich Direktinvestitionen erfolgten.

RAINER KARLSCH (Berlin) sprach anschließend über adidas und die Expansion auf dem osteuropäischen Markt als first mover. Das 1949 gegründete Unternehmen adidas warb schon seit den 1950er-Jahren mit osteuropäischen Sportlerpersönlichkeiten wie dem Langstreckenläufer Emil Zatopek, die mit adidas ausgestattet wurden. Zunächst habe die Produktwerbung im Vordergrund gestanden, später dann die Sportpolitik. So habe es 1964 Ausrüstungsverträge mit Verbänden in der Sowjetunion und der DDR gegeben, 1971 zudem mit tschechoslowakischen Fußballvereinen. Mit dem Umbruch 1989/90 habe die Globalisierung zum Niedergang der Sportartikelproduktion in Mittel- und Osteuropa geführt. Dadurch sei adidas vor allem bei Lohn- und Lizenzfertigungen in Schwierigkeiten geraten. Ausländische Vertragspartner etwa erhielten das Recht, Produkte nach Vorgaben von adidas herstellen zu lassen und zu vertreiben, mit der Folge, dass adidas-Produkte imitiert und Qualitätsstandards nicht eingehalten worden seien. Nach einem Eigentümerwechsel in den 1990er-Jahren sei die Lizenzproduktion in Osteuropa drastisch reduziert worden. Im Frühjahr 2022 habe adidas wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine das Russland-Geschäft gestoppt und 500 Läden geschlossen. Der Umsatzverlust betrug 250 Mio. Euro bei einem Gesamterlös von 21,2 Mrd. Euro im Jahr 2021. In der folgenden Diskussion wurde die Stabilisierung des amerikanischen Marktes für Sportartikelhersteller in den 1990er-Jahren durch Nike und adidas betont, auch wenn beide Unternehmen natürlich Konkurrenten waren.

Nach einer Führung durch das Miele-Firmenmuseum wurde JÖRG LESCZENSKI (Frankfurt am Main) digital zugeschaltet. Er stellte das 1898 in Hoechst bei Frankfurt am Main gegründete Unternehmen Messer vor, den größten familiengeführten Hersteller für Industriegase der Welt, der in den relevanten Märkten in Europa, Asien und Amerika aktiv ist. Lesczenski betonte, dass die Unternehmensgeschichte von Messer ein Wechselspiel von Expansion und De-Internationalisierung gewesen sei. Aus einer kleinen Werkstatt entstand bis 1914 ein größeres Unternehmen mit Tochtergesellschaften in Wien, London und Philadelphia. Nach Rückschlägen durch die beiden Weltkriege sei das Unternehmen vor allem durch seine Auslandsgeschäfte wieder stetig gewachsen, bis diese Expansion Anfang der 1960er-Jahre auf interne Grenzen gestoßen sei. 1965 fusionierte die Adolf Messer GmbH mit Teilen der Knapsack-Griesheim AG aus dem Konzernverbund der Hoechst AG zur neuen Messer-Griesheim GmbH. Dadurch habe die Familie Messer unternehmenspolitische Macht verloren, ihren Einfluss aber durch Sonderverträge mit Hoechst abgesichert. Unter dem Dach der Hoechst AG sei eine Expansion zwingend vorgegeben gewesen. Auf die harmonische Zusammenarbeit zwischen Hoechst und Messer folgte laut Lesczenski eine überhitzte Globalisierung: Nachdem bei Messer 1993 erstmals ein familienfremder Manager an die Spitze getreten war, sei 1996 zwar der höchste Gewinn der Firmengeschichte erzielt worden, wenig später jedoch seien die Schuldenlast explodiert und zahlreiche Strukturprobleme sichtbar geworden. Erst Finanzinvestoren und eine De-Internationalisierung hätten das Unternehmen Anfang der 2000er-Jahre gerettet, nämlich durch eine Konzentration auf Kerngeschäfte in Europa und Nordamerika und eine Trennung von vielen Beteiligungsgesellschaften in Asien, Afrika und Lateinamerika. Lesczenski zufolge waren die beiden entscheidenden Ziele bei der Neujustierung der Unternehmenspolitik die Unabhängigkeit von Wettbewerbern bei der Produktversorgung und ein vorsichtiger expansiver Wachstumskurs ab 2004, vor allem auf den chinesischen Märkten.

Mit dem Zeitenwandel bei der Internationalisierung von Familienunternehmen befasste sich ANN SOPHIE LÖHDE (Witten). Sie befragte für ihre Studie 35 Unternehmen. Demzufolge sei die Internationalisierung in den letzten beiden Jahrzehnten ins Zentrum der Wachstumsstrategien gerückt. Allerdings würden Familienunternehmen im Unterschied zu Publikumsgesellschaften risikoärmere, weniger kapitalintensive und langfristigere Strategien wählen. Zu den neuen Herausforderungen zählte Löhde globale geopolitische Spannungen wie den Ukrainekrieg, die Spannungen zwischen den USA und China, aber auch zwischen Taiwan und China sowie die COVID-19-Pandemie und die globale Erderwärmung. Geopolitische Spannungen machten die hohe Ressourcenabhängigkeit sichtbar. Politische Unsicherheit wie der russische Angriff auf die Ukraine führe zu wirtschaftlicher Unsicherheit. Geopolitische Konflikte bedeuteten finanzielle Risiken für die deutsche Wirtschaft und ihre internationalen Geschäfte. Eine Diversifizierung importierter Ressourcen und eine Strategieanpassung könnten helfen. Im Zuge der globalen Erderwärmung könne sich die deutsche Industrie als Klimaschützer profilieren.

Den Abschlussvortrag hielt HARALD WIXFORTH (Bremen) über hidden and obvious champions in Ostwestfalen-Lippe und ihre jeweiligen Internationalisierungsstrategien. Ostwestfalen-Lippe sei ein Zentrum mittelständischer (Familien-)Unternehmen, aber die Forschungslage sei aufgrund fehlender Unterlagen und Unternehmensarchive schlecht. Außerdem merkte Wixforth an, dass Familienunternehmen häufig nur im Zuge von Jubiläen erforscht und dabei in der Regel nur Erfolgsgeschichten präsentiert würden. Der wirtschaftliche Strukturwandel in Ostwestfalen-Lippe sei durch den Niedergang der Textilindustrie mit ihren Webereien und Spinnereien beschleunigt worden und Firmen wie Miele, Oetker und Bertelsmann konnten hier zu Weltmarktführern werden. So habe sich Oetker nicht mehr nur auf Haushaltsprodukte konzentriert, sondern auch auf den Getränkemarkt, auf Banken, Reedereien, Hotels und Gastronomie. Bertelsmann sei bis 1945 ein kleiner Verlag für christliche Literatur gewesen, der nach dem Krieg durch den Buchclub („Bertelsmann Lesering“) so groß wurde, dass er in andere Bereiche diversifizieren konnte, zum Beispiel in Druckereien, in die Tonträgerbranche und schließlich mit RTL ins Fernsehen. Dabei habe Bertelsmann immer auch den Markt in den USA beobachtet. Als Fazit hob Wixforth hervor, dass es Familienunternehmen seien, die in Ostwestfalen-Lippe die Wirtschaftsstrukturen prägten und der Standort des Familienunternehmens immer gesichert werden müsse. Nur durch Standortsicherung könnten sich Familienunternehmen dem jeweiligen Wandel anpassen. In der anschließenden Diskussion wurde betont, dass Ostwestfalen-Lippe ein Cluster traditionsreicher Familienunternehmen aus unterschiedlichen Branchen sei, das es in Deutschland kein zweites Mal gebe und die Region vor einer Strukturkrise bewahre.

Die Vorträge der Arbeitskreissitzung machten deutlich, wie unterschiedlich Voraussetzungen, Verlauf sowie Ergebnisse von Internationalisierungsprozessen in Familienunternehmen sein können – entweder als schrittweise Internationalisierung, als überhitzte Globalisierung oder als Wechsel von Expansion und De-Internationalisierung. Schließlich wurde hervorgehoben, dass Internationalisierung in Familienunternehmen nicht nur von Marktchancen abhängig sei, sondern auch von Besonderheiten in den Eigentümerfamilien. Somit hänge Zukunft auch immer von Herkunft ab.

Konferenzübersicht:

Julia Sabine FalkeIbach / Jörg Lesczenski (Vorsitzende des AK Familienunternehmen): Begrüßung und Einführung

Markus Miele (Geschäftsführender Gesellschafter der Miele Gruppe): Zehn historische Weichen in der Unternehmensgeschichte der Miele & Cie. KG

Christian Kleinschmidt (Marburg): Internationalisierungsstrategien eines KMU: Das Beispiel Sartorius

Rainer Karlsch (Berlin): adidas und die Expansion in den Osten

Jörg Lesczenski (Frankfurt am Main): Konjunkturen der Internationalisierung. Der Industriegas-Spezialist Messer 1965 bis 2019 (hybrid)

Ann Sophie Löhde (Witten): Zeitenwandel bei der Internationalisierung von Familienunternehmen

Harald Wixforth (Bremen): Hidden and obvious Champions: Familienunternehmen im östlichen Westfalen und die Internationalisierung der Märkte

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