Vormoderne Imperien standen immer vor der Aufgabe, ihr riesiges Herrschaftsgebiet zu organisieren. Neben einer direkten politischen Kontrolle der Kerngebiete nutzten die Herrscher dabei vielfach indirekte Herrschaftsformen. So auch die Herrscher des spätantiken Perserreiches. Diese Formen der indirekten Herrschaft im Sāsānidenreich wurden in der Forschung bislang nur wenig beachtet. Am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena widmet sich daher das von der DFG geförderte Forschungsprojekt „Vasallenherrschaft im Sāsānidischen Commonwealth“ diesem Problemfeld. Im Rahmen dieses Projektes fand vom 7. bis 9. September 2023 eine internationale Konferenz unter dem Titel „Ausdrucksformen des Imperiums. Indirekte Herrschaft im Sāsānidischen Commonwealth“ statt. Der Organisator Frank Schleicher versammelte auf dem Feld der Geschichte und Archäologie des Sāsānidenreichs namhafte Forscher/innen sowie Nachwuchskräfte aus Deutschland, Frankreich, Georgien, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, Polen und den USA in Jena.
TOURAJ DARYAEE (Irvine, CA) eröffnete in einem Abendvortrag unter dem Thema „Divided Loyalities: ‚Barbarization‘ of the Sasanian Army“ die Konferenz. Er widmete sich den Gründen für den Untergang des Sāsānidenreiches im 7. Jahrhundert. Im Fokus standen vorrangig die militärischen Entwicklungen und Reformen der sāsānidischen Armee, die im 7. Jahrhundert in Abwesenheit von starken Herrscherpersönlichkeiten eine zunehmende Dezentralisierung der Truppen bewirkten und damit auch neue Loyalitäten zu den lokalen Heerführern aufbauten.
Die „Sektion I – Grundlagen“ wurde von MAREK OLBRYCHT (Rzeszów) begonnen. Er problematisierte in seinem Vortrag den Übergang von den Arsakiden zu den Sāsāniden im frühen 3. Jahrhundert. Zentrale Faktoren waren die fortschreitende Zersplitterung der arsakidischen Herrscherfamilien – die Rolle der Suren- und Karin-Clans sowie der indoparthischen Gondophariden wurden besonders hervorgehoben –, der Widerstand gegen den arsakidischen Herrscher Artabanos IV. in den Kernländern Adiabene, Media und Persis und die finanzielle Überlegenheit Ardashirs I. durch die Kontrolle wichtiger Handelsrouten am Persischen Golf.
ANDREAS KLINGENBERG (Köln) stellte in seinem Beitrag die Bedeutung des Zoroastrismus für die Herrschaftslegitimation der sāsānidischen Herrscher vor. Der Umgang mit anderen Religionen wandelte sich je nach Herrschergestalt zwischen Beschränkungen der Religionsausübung (z.B. des Judentums unter Ardashir I.), weitgehender Toleranz (besonders unter Shapur I.), Missionierungsversuche (z.B. in der Kaukasusregion) und der Bekämpfung einzelner Religionen besonders in der Spätzeit der sāsānidischen Herrschaft (z.B. des Mazdakismus).
HANSJOACHIM ANDRES (Jena) widmete sich dem sogenannten „Achämenidenerbe“. Er vertrat die These, dass dieses ein römisches Konstrukt gewesen sei, das auf öffentliche pro-römische Verlautbarungen diplomatischer Vorgänge zurückgehe. Dies spiegele sich in den Schilderungen Ammianus Marcellinus wider. Der Ammian gegenübergestellte byzantinische Chronist Zonaras hingegen erwähne das Achämenidenerbe nicht. Seine Schilderungen gehen laut Andres auf den in diplomatischen Belangen gut informierten Petros Patrikios zurück, enthalten einen wahren Kern und sind daher zu bevorzugen.
Sektion II widmete sich der imperialen Herrschaft im Westen und Osten des Sāsānidenreiches. KHODADAD REZAKHANI (Leiden) befasste sich in seinem Beitrag mit der Entwicklung Ost-Irans in sāsānidischer Zeit. Orientierten sich die Sāsāniden im 4. und 5. Jahrhundert verstärkt in Richtung Osten, mussten sie nach dem Auftauchen der Hephthaliten im Gebiet Baktriens diese Region zunächst aufgeben. Die daraus resultierende Unabhängigkeit begünstigte die Entwicklung des „Sogdian Trade Network“. Im Zuge einer „Sasanian Grand Strategy“ wurde die Herrschaft der Hephtaliten im Ost-Iran zerschlagen.
Die westliche Perspektive nahm JAKOB RIEMENSCHNEIDER (Innsbruck) ein. Anhand von drei Fallstudien (Lazika, Armenien und Dailamiten) untersuchte er die Darstellung der persischen Vasallen bei Procopius, Agathias und Theophylactus Simocatta. Unabhängig voneinander finden sich bei allen Autoren gewisse Gemeinsamkeiten, wie etwa die scheinbare Übereinstimmung bei der Ausgestaltung der indirekten römischen und sāsānidischen Herrschaft oder die Fragilität bei der Durchsetzung direkter Kontrolle.
„Sektion III – Imperiale Herrschaft im Norden und Süden“ begann mit einem Bericht von MARTINA MÜLLER-WIENER (Berlin) über die archäologischen Grabungen in al-Hira am Unterlauf des Euphrats. An der Grenze zwischen Euphratregion und arabischer Wüste gelegen, konnten in der Residenz der Lachmiden bisher nur nachsāsānidische Siedlungsstrukturen aufgefunden werden.
EBERHARD SAUER (Edinburgh) stellte die nördlichen Verteidigungsanlagen (Gorgan-Mauer östlich des Kaspischen Meeres, Dariali-Festung im Kaukasus) der Sāsāniden vor. Der Druck aus dem Norden regte im 4. und 5. Jahrhundert den Bau von massiven Befestigungsanlagen an, die die Eroberung der Kerngebiete verhinderten und es dem Reich ermöglichten, sich von Rückschlägen zu erholen und zu expandieren. Die schiere Dimension der Anlagen lässt den enormen finanziellen Aufwand für das Staatswesen nur erahnen.
ISABEL TORAL (Berlin) besprach in ihrem Beitrag die arabische Geschichte im Spannungsfeld zwischen Rom und den Sāsāniden. Die Beziehungen schwankten zwischen Kooperationen einzelner arabischer Gruppen mit einem der beiden Reiche und Konflikten untereinander bzw. mit den Großreichen.
Sektion IV wurde von DESMOND DURKIN-MEISTERERNST (Berlin) eingeleitet, der eine Analyse des 15. Kapitels der „Armenischen Geschichte“ des Sebeos vornahm. Es illustriert die Problematik Armeniens im Spannungsfeld zwischen Ostrom und den Sāsānidenreich zur Zeit der Herrschaft des Maurikios. Durch ins armenische eingesickerte Lehnworte lässt sich feststellen, dass der kulturelle Einfluss auf Armenien unter den Sāsāniden geringer gewesen zu sein scheint als unter den Arsakiden.
In seinem Vortrag über die iberischen pitiaxši plädierte TASSILO SCHMITT (Bremen) aufgrund chronologischer und linguistischer Überlegungen für die Etablierung des Amtes nach der Eingliederung Iberiens in den sāsānidischen Herrschaftsbereich im 3. Jahrhundert. Noch bis ins späte 4. Jahrhundert hinein entwickelten sich die pitiaxši zu einem einzelnen zentralen Amt hin, erst dann waren Differenzierungen und territoriale „Zuständigkeiten“ möglich.
LARA FABIAN (Freiburg) erörterte in ihrem Beitrag die Bedeutung von Heiratsverbindungen in den südkaukasischen Gesellschaften Iberiens, Armeniens und Albaniens. Trotz historischer Unterschiede traten auf einer soziokulturellen Ebene durchaus Gemeinsamkeiten auf. Daneben war die Heiratsdiplomatie nicht – wie üblich angenommen – ein „Integrationsmotor“, sondern eine Verhandlungsstrategie und ein Zeichen von Unabhängigkeit anstatt von Integration.
Sektion V begann mit dem Vortrag von NICOLAS PREUD’HOMME (Paris) über die sāsānidische Expansion in den westlichen Kaukasusraum. Gründe für die Expansion waren unter anderem wirtschaftliche Faktoren, wie beispielsweise der Zugang zu den reichen Goldvorkommen der Region. Sie scheiterte an der geographischen Abgeschiedenheit, einer verzerrten Wahrnehmung des iranischen Erbes und dem christlichen Glauben als pro-römische Faktoren.
GIORGI UGULAVA (Tbilisi) sprach über das Königreich Iberien als Kontakt- und Konfliktzone zwischen Armenien, Rom und den Sāsāniden. Konnte sich das Königreich in arsakidischer Zeit eine relative Autonomie zwischen den Großreichen bewahren, intervenierten die Sāsāniden verstärkt in dieser Region. Dies spiegelt sich auch in den georgischen Quellen wider, insbesondere in der Chronik „Das Leben Kartlis“, in denen die Perser im Gegensatz zu Armeniern und Römern meist negativ geschildert werden.
LANA CHOLOGAURI (Tbilisi) beendete die Konferenz mit der Vorstellung von römischen und sāsānidischen Silbergefäßen im Kaukasusgebiet. Die höchste Konzentration stammt aus der Zeit vom Beginn des 2. Jahrhunderts bis zum Ende des 3. Jahrhunderts, die Phase, in der Iberien den Höhepunkt seiner politischen und kulturellen Entwicklung erlebte. Bisher konnten 137 römische und sieben sāsānidische Gefäße gefunden werden, die aufgrund des Grabkontextes als diplomatische Geschenke charakterisiert werden können.
Außerhalb des Tagungsthemas stellte Maia Danelia (Tbilisi) das umfangreiche Enzyklopädieprojekt „Caucasus Antiquus“ aus Georgien vor, welches die Geschichte des Kaukasus in der Antike aufbereitet. Eine englische und deutsche Publikation wird angestrebt.
Die in den Vorträgen präsentierten archäologischen, numismatischen, epigraphischen und literarischen Zeugnisse illustrieren die vielfältigen Ausprägungen der indirekten Herrschaft im Sāsānidenreich. Mit Hilfe variierender Mechanismen – diplomatische Geschenke, Missionierung bis hin zu militärischer Gewalt – sollte die Unterstützung der Vasallen für das Zentralkönigtum gesichert werden. Es kristallisierte sich jedoch heraus, dass trotz der persischen Macht die Vasallen ihre Handlungsspielräume behielten. Im Laufe der Jahrhunderte nahm der direkte Zugriff der Sāsāniden stetig zu und wurde so zur Bedrohung für die Existenz der Vasallenreiche an sich. Die Tagung zeigte deutlich auf, dass durch einen interdisziplinären Ansatz die Formen indirekter Herrschaft besser erfasst und beschrieben werden können.
Konferenzübersicht:
Touraj Daryaee (Irvine, CA): Divided Loyalties: “Barbarization” of the Sasanian Army
Sektion I – Grundlagen
Moderation: Monika Schuol (Kiel)
Marek Olbrycht (Rzeszów): The Fall of Arsakid Parthia: the Pivotal Factors
Andreas Klingenberg (Köln): Die sāsānidische Religionspolitik in den Randzonen und Einflussgebieten des Perserreichs
Hansjoachim Andres (Jena): Ammianus Marcellinus, Petros Patrikios und das „Achämenidenerbe“
Sektion II – Imperiale Herrschaft im Osten und Westen
Moderation: Annegret Plontke-Lüning (Jena)
Khodadad Rezakhani (Leiden): Sasanians & Hephthalites after 488
Jakob Riemenschneider (Innsbruck): Indirect Rule in Contested Spaces: Managing Vassals from a Greek Perspective
Sektion III – Imperiale Herrschaft im Süden und Norden
Moderation: Jenny Oesterle (Regensburg)
Martina Müller-Wiener (Berlin): Archäologische Arbeiten in al-Hira, 2015–2023
Eberhard Sauer (Edinburgh): Sasanian Military Infrastructure
Isabel Toral (Berlin): The Sasanians and the Arabs. History of a long and intense relationship
Sektion IV – Imperiale Herrschaft im Nordwesten
Moderation: Udo Hartmann (Jena)
Desmond Durkin-Meisterernst (Berlin) Chapter 15 of the Armenian History attributed to Sebeos
Tassilo Schmitt (Bremen) Der iberische pitiaxši: Überlegungen zur sasanidischen Herrschaft im Kaukasus
Lara Fabian (Freiburg) Heiratspolitik: Verbindungen zwischen der südkaukasischen und der iranischen Welt in der Spätantike
Sektion V – Die kaukasische Perspektive
Moderation: Frank Schleicher (Jena)
Nicolas Preudʼhomme (Paris), Sasanians and Western Caucasia: History of an Imperial Aporia (3rd–7th c. CE)
Giorgi Ugulava (Tbilisi) Die fortwährende Bedrohung Iberiens durch die Perser aus der Perspektive der lokalen Überlieferung
Lana Chologauri (Tbilisi): Sasanian Silver Vessels from the Territory of Georgia
Maia Daniela (Tbilisi): Caucasus Antiquus: Die Erschließung der antiken Quellen zur Geschichte Kaukasiens (Projektvorstellung)