1723 ordnete der preußische König Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) die Gründung von Kriegs- und Domänenkammern an. Damit bildete er neue Provinzial- oder Mittelbehörden, die dem Generaldirektorium in Berlin als oberster und zentraler preußischer Administration weisungsgebunden waren. Bereits 1713 hatte der Monarch Reformen eingeleitet, um die Herrschaft in seinen zahlreichen, teils unverbundenen Territorien auszubauen, die Infrastruktur und die Steuerkraft zu verbessern. In diesem Jahr jährt sich die Bildung dieser Verwaltungsinstanz zum 300. Mal. Dies bot den Anlass, auf die preußische Mehrfachherrschaft in den westlichen Provinzen und die Kriegs- und Domänenkammer (KDK) Minden zu blicken, die neben Minden-Ravensberg zeitweise auch Tecklenburg und Lingen verwaltete.
Die Tagung beschäftigte sich mit Fragen zu den internen Abläufen und Aufgabenbereichen, dem regionalen Einfluss und Reformabsichten innerhalb der Mindener Kriegs- und Domänenkammer. Die Stadt und Region Minden als Forschungsgegenstand ermöglichte die Beschäftigung mit Spannungsverhältnissen verschiedener Herrschaftsebenen. Der Weg der Stadt aus der Selbstverwaltung in die preußische und schließlich in eine reformorientierte napoleonische Verwaltung verdeutlicht dies. Minden zeichnete sich, so Peter Kock in seinen Grußworten, durch intensiven Austausch und Wechselwirkungen mit anderen Ebenen, Instanzen und Regionen aus. Die Stadt erhielt zahlreiche Impulse von außen, sei es im Bereich der Kultur, Gesellschaft oder Politik. Dies macht die Stadt zu einem interessanten Provinzialbeispiel preußischer Herrschaft.
In seiner thematischen Einführung ging WILFRIED REININGHAUS (Senden-Bösensell) auf die Strukturprobleme der preußischen Herrschaft in Westfalen ein. Er gab einen Überblick über die Forschungsgeschichte und sprach Probleme der Datenerfassung an. Reininghaus warf methodische Fragen auf drei Ebenen auf: der Wechselbeziehung zwischen Preußen und Westfalen auf staatlicher Ebene, den notwendigen Vergleichen mit anderen Provinzen und dem Vergleich preußischer mit geistlichen Territorien in Westfalen auf der Ebene der lokalen Verwaltung. Er plädierte dafür, die Zeit nach 1763 als entscheidende Zäsur zu sehen. In diesem Zusammenhang diskutierte er die Professionalisierung des Personals und stellte die westlichen Provinzen als Experimentierfeld dar, auf dem eine Verbreitung aufklärerischer Gedanken durch das Kammerpersonal stattfand.
Im Anschluss beleuchteten vier Vorträge Aspekte des „Kammeralltags“ aus verschiedenen Perspektiven. LASSE STODOLLICK (Münster) ermöglichte einen Einblick in den Alltag der Verwaltung, indem er das Eigenleben der Mindener Behörde darlegte. Er beschäftigte sich mit dem Ratskollegium, einem Gremium, das in Anwesenheit tagte, Eingänge diskutierte und Mehrheitsbeschlüsse fasste. Zentrale Aspekte seines Vortrags waren die Formen von Kollegialität, Solidarität sowie unausgesprochene Regeln und Bräuche. Zur Untersuchung dieser Aspekte beschäftigte sich Stodollick mit der Anwesenheitspflicht in der Verwaltung, dem Einfluss der architektonischen Strukturen auf den Verwaltungsalltag und den sogenannten Konduitenlisten. In diesen erkannte Stodollick eher eine Art Stimmungsbild als ein Mittel zur Disziplinierung. Stodollick stellte die These auf, dass bei engem täglichem Kontakt zu den Bürgern mehr Kritik geübt worden sei. Die Eintracht sei jedoch wichtiger gewesen als das eigentliche Urteil der Konduitenlisten. Mit einem Ausdruck aus der Soziologie, dem „Gesetz des Wiedersehens“, bezeichnete Stodollick so ein Schema, das zum Vorrang eines Vertrauensvorschusses vor Sachargumenten geführt und die Dauerhaftigkeit der Interaktionen berücksichtigt habe. Stodollick betonte, dass eine Verwaltungsgeschichte nicht vollständig von den Befehlen des Königs oder des Generaldirektoriums zu denken sei. Sie müsse den Alltag und die sozialen Eigengesetze der jeweiligen Behörde berücksichtigen. In einer daran anknüpfenden Diskussion wurde unter anderem über das Home-Office des 18. Jahrhunderts sowie das oft aggressive Verhältnis zwischen Regierung und Kammer gesprochen.
SEBASTIAN SCHRÖDER (Preußisch Oldendorf) näherte sich dem Thema Alltag über die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt im Kontext der sich stets verändernden Weser und den damit einhergehenden Herausforderungen in der Verwaltung. Am Beispiel von Heimsen im mindischen Amt Schlüsselburg zeigte er, wie das Gewässer Leben und Alltag der Bevölkerung in dem überwiegend ländlich und von Landwirtschaft bestimmten Kirchspiel beeinflusste. Dabei zeigte sich, wie herausfordernd die Beziehung zwischen Heimsen und der Weser war. Der Strom veränderte das Leben der Menschen, aber auch andersherum: Das Beispiel Heimsen zeigt, wie der Mensch versuchte, der Natur Herr zu werden. So reagierte die Kammer einerseits auf die Naturveränderungen, also den steten Wandel des Verlaufs und der Beschaffenheit der Weser (Uferabsackungen, An- oder Abspülung von Land, Inselbildungen), die für regelmäßige Konflikte unter der Bevölkerung sorgten. Zuständigkeiten mussten geklärt und das Ufer gesichert werden. Andererseits rief die Kammer selbst Veränderungen hervor, um die Natur zu bändigen und zum Vorteil zu nutzen. Die Weser sollte für den Waren- und Personentransport schiffbar gemacht werden. Regelmäßig bereisten Kommissionen die Weser, berichteten über deren Zustand und maßregelten die Bauern und Eingesessenen, Deiche und Ufer gehörig instandzusetzen. Schröder untersuchte, inwieweit die Kammer bei Problem- und Konfliktlösungen beteiligt war und wo die Bevölkerung diese unter sich löste. Sein Beitrag belegte exemplarisch, welches Potenzial die Akten der Kriegs- und Domänenkammer Minden bei der Untersuchung von Mensch-Umwelt-Beziehungen besitzen. Sie zeigen, dass nicht erst mit der Industrialisierung der Versuch aufkam, die Umwelt zu verändern. In der folgenden Diskussion betonten mehrere Teilnehmende die große wirtschaftspolitische Motivation der Kammer.
Im zweiten Teil ging PHILIPP KOCH (Bad Oeynhausen) auf die Weserschifffahrt und den Einfluss Preußens auf diese ein. Er betonte einführend die relativ hohe Kontinuität natürlicher und naturräumlicher Einflussfaktoren auf die vormoderne Schifffahrt auf der Weser. Zugleich existierte eine relativ hohe Kontinuität im vormodernen Straßensystem. Erst 1844/47 folgten mit den Eisenbahnen der Cöln-Mindener und Hannoverschen Staatseisenbahnen (Wunstorf–Bremen) sowie der Dampfschifffahrt strukturelle Zäsuren. Koch stellte die Frage, ob die Bedeutung der Weserschifffahrt und ihrer Flusshäfen für das nordwestdeutsche Handels- und Verkehrssystem in der Frühen Neuzeit bisher unterbewertet sei oder ob die Weserschifffahrt und der Weserschifffahrtshandel schlichtweg keine ökonomische Relevanz besaßen. Er betonte weiter, dass zentrale Regelungen rund um die Weser erst nach der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt werden konnten, nachdem Preußen trotz der Weserschifffahrtsakte von 1823 das Königreich Hannover annektiert hatte. Der Forschungsstand zur Weserschifffahrt sei insgesamt dürftig, die Quellenbestände allein der Kriegs- und Domänenkammer Minden böten dagegen reiches Material, das der Erforschung harre. Exemplarisch verwies Koch auf Bestände zum Elsflether Weserzoll (5 Bände, 1664–1785), zum Mindener Stapelrecht (17 Bände, 1603–1806), zum Schiffslinienzug (12 Bände, 1740–1808) und auf die Bereisungsprotokolle (12 Bände, 1740–1808) im Landesarchiv NRW in Münster. Daraufhin warf er die Frage auf, ob man im 18. Jahrhundert überhaupt von einer preußischen Herrschaft über die Weser in Westfalen sprechen könne. Koch ging auf die spezifischen Aufgaben der Kammer bezüglich der Weser und ihren Einfluss auf die Entwicklung der Weserschifffahrt ein. Er betonte wie Reininghaus, dass die Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg auch für die Aktivitäten der Kammer in der Weserschifffahrt als entscheidende Zäsur anzusehen sei. Er schloss allerdings mit dem Fazit, dass ihr tatsächlicher Einfluss angesichts des geringen Flussanteils Preußens zu gering sei, um im 18. Jahrhundert von einer Herrschaft Preußens über die Weser zu sprechen.
Abschließend sprach BÄRBEL SUNDERBRINK (Detmold) über die Transformation der Kammer während der napoleonischen Umbruchszeit. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation endete zwar 1806 durch die Besatzung Napoleons, als Zäsur sei für die Kammer jedoch das Jahr 1808 viel entscheidender gewesen. Mit dem Königreich Westphalen (1807–1813) entstand ein moderner Verfassungsstaat, in dem die Kriegs- und Domänenkammer Minden in der Umbruchszeit nach 1806 eine ausschlaggebende Rolle spielte. Sie fungierte dabei als unterstützendes und stabilisierendes Element bei der Durchsetzung der napoleonischen Reformprojekte, wobei Sunderbrink exemplarisch die personelle Kontinuität im Übergang zwischen Preußen und dem neuen Modellstaat hervorhob. Die Verwaltung konnte personell auf reformorientierte Beamte zählen. Bereits seit mehreren Jahren versuchte die Kriegs- und Domänenkammer Minden, Reformen umzusetzen, wurde jedoch von der Regierung darin nicht unterstützt. In dieser Umbruchsphase wurden Stellen ausgebaut und alle Beamten übernommen. Probleme traten laut Sunderbrink erst bei der Restauration 1814/15 auf, infolge der es zu Arbeitslosigkeit kam. Neben dem organisationsgeschichtlichen Hintergrund der behandelten Übergangszeit näherte sich Sunderbrink dem Thema auch über einen biografiegeschichtlichen Ansatz.
Die Tagung ermöglichte mit ihren vielfältigen Perspektiven eine erste intensive Beschäftigung mit der Kriegs- und Domänenkammer Minden, ihrem Verwaltungsalltag, ihrem regionalen Einfluss und den Rückwirkungen auf die Kammer selbst. Die Vorträge und Diskussionen warfen viele neue Fragen auf, da die umfänglichen digital verfügbaren Bestände der Mindener Kammer bisher kaum ausgewertet sind. Die Tagung leistete damit einen wichtigen Beitrag, um die Erkenntnispotentiale der Regionalgeschichte aufzuzeigen: Die Veranschaulichung vermeintlich großer Zusammenhänge an kleineren Gegenständen, Wechselwirkungen zwischen verschiedenen politischen und verwaltungstechnischen Ebenen oder Spannungsverhältnisse in lokalen, regionalen und staatlichen Zusammenhängen.
Konferenzübersicht:
Begrüßung
Sven Thomas (Minden) / Peter Kock (Minden) / Burkhard Beyer (Münster)
Einführung
Wilfried Reininghaus (Senden-Bösensell): Strukturprobleme preußischer Herrschaft in Westfalen im 18. Jahrhundert
Sektion 1
Moderation: Philipp Koch (Bad Oeynhausen)
Lasse Stodollick (Münster): Streit, Solidarität und Regelbruch. Über den Alltag der KDK Minden
Sebastian Schröder (Preußisch Oldendorf): Leben an und mit der Weser: Heimsen im 18. Jahrhundert im Spiegel der Überlieferung der Mindener KDK
Sektion 2
Moderation: Sebastian Schröder (Preußisch Oldendorf)
Philipp Koch (Bad Oeynhausen): Die KDK Minden und der Kampf um die freie Schifffahrt auf der Weser
Bärbel Sunderbrink (Bielefeld): Zur Transformation der KDK während der napoleonischen Umbruchzeit
Abschlussdiskussion
Moderation: Philipp Koch (Bad Oeynhausen) / Sebastian Schröder (Preußisch Oldendorf)