Die Wuppertaler Tagung untersuchte das Phänomen der so vorläufig bezeichneten Hofkirchen im hochmittelalterlichen Reich im Hinblick auf die Anwendung durch unterschiedliche Adelsfamilien und somit in näherungsweise allen Reichsteilen. Die „Hofkirche“ versteht sich in Abgrenzung zum kritisch von Jürgen Dendorfer beleuchteten Konzept des „Hausklosters“1.
Einleitend schlug VERA EITENEUER (Wuppertal) das eigens von ihr so bezeichnete Konzept der Hofkirchen vor, das anstelle sogenannter Haus- und Eigenklöster, das Zusammenspiel des adeligen Hofes mit einer von einer Adelsfamilie gestifteten oder geförderten Kirche greifbar machen sollte. Gleich zu Beginn thematisierte sie die Schwierigkeit des Nachweises regionaler Herrscherhöfe im Urkundenbefund etwa und gleichfalls die Problematik, Förderungen im Sinne von Memorialstiftungen für das 12. Jahrhundert festzusetzen.
JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) widmete sich den Grafen von Are und dem Kloster Steinfeld. Die von den Arern auf Eigengut gegründete Benediktinerabtei wurde zeitnah vor dem Abschluss des Wormser Konkordats in eine Kanonikergemeinschaft umgewandelt, erst waren es Augustiner-Chorherren, später Prämonstratenser. Über die Vogtei waren die Steinfelder Mönche an die Grafen von Are gebunden. Die Gründer, Sigebodo und sein Sohn Theoderich von Are, finden als Laien mehrfach Nennung im nur fragmentarisch erhaltenen Nekrolog. Mithilfe der Briefsammlung Propst Ulrichs von Steinfeld konnte Johrendt den engen Kontakt zwischen den adligen Grafen und dem Propst feststellen. Es wurde so ein Beziehungsgeflecht der Steinfelder Abtei, das auch den Papst einband, in den Briefen Propst Ulrichs deutlich, was die Grafen von Are nutzten, um ihre auswärtigen Interessen voranzubringen. Steinfeld fungierte demnach als Hofkirche für die „Außenbeziehungen“ jenseits des gräflichen Herrschaftsgebiets, wenngleich sich dies gerade nicht in der Memoria der Familie in Steinfeld niederschlug.
Mit einer vorangestellten Begriffsdefinition des Hofes näherte sich ROBIN MOENS (Aachen) der Frage nach einer Hofkirche für die am Rand des Reiches begüterten Herren von Oudenaarde an. Sie konnten die Untervogtei über das Kloster Ename halten, jedoch dort nie einen Abt aus ihrer Familie einsetzen. Zudem hatten sie die Vogtei über das prestigeträchtige Kloster Ronse inne, wo ein Sohn der Familie Propst wurde. Moens zeigte, dass dieses Kloster weniger von zentraler politischer Bedeutung, jedoch wichtig für die Memoria der Familie war. Daneben stellte er eine größere Stiftungstätigkeit dar; am Hof der Oudenaarder konnte er Zisterzienser, vorrangig Äbte, nachweisen. Eine im Interesse der Adelsfamilie genutzte Hofkirche ließ sich nur schwierig erkennen und auch für die Präsenz der Kleriker am Hof blieb unklar, ob dies institutionelle oder persönliche Gründe hatte. Nichtsdestotrotz zeigte sich die Nutzung der religiösen Einrichtungen durch die Herren von Oudenaarde, die jedoch vorrangig eher der Ausbreitung territorialer Herrschaft diente.
Das rheinländische Beispiel der Zisterze Altenberg mit den Grafen von Berg nahm sich VERA EITENEUER (Wuppertal) als Grundlage ihres Beitrags. Sie skizzierte, dass Adolf II. von Berg mit der Umsiedlung der Stammburg von der Dhünn an die Wupper an der Stelle des alten Sitzes ein Zisterzienserkloster ansiedelte. Wenngleich Altenberg nicht die einzige Gründung des Bergers war – er gründete wohl mit seinem Bruder das Kloster Dünnwald schon zuvor im Jahr 1118 –, so konnte gerade dort ein stiftungslenkendes Engagement der Grafen von Berg und der dieser Familie entstammenden Erzbischöfe von Köln nachgewiesen werden. Neben diesen Familienmitgliedern konnte Eiteneuer einerseits in der Memoria Altenbergs bergische Ministeriale belegen, womit eine Verdichtung der individuellen Vernetzung der Nachfahren Adolfs II. von Berg am vormaligen Herrschaftsschwerpunkt deutlich werden kann. Andererseits wurde eine Stiftungstätigkeit durch Ministeriale und Edelfreie dargestellt. Auch wenn Altenberg aus der häufig belegten Motivation, der Sorge um das eigene Seelenheil, gegründet wurde, so entwickelte sich das Kloster zeitweise insbesondere in der Herrschaftszeit der Grafen Engelbert I. und Adolf III. von Berg zu einer bergischen Hofkirche.
Am Beispiel des Hildesheimer Doms zeigte RONA ETTLIN (Hildesheim) die enge Verbindung der Königsfamilie zum 815 gegründeten Bistum mit der dort befindlichen Bischofskirche. Sie konnte ein enges Verhältnis zwischen Bischof Othwin und Kaiser Otto I. feststellen. Ein Nachfolger, Bernward von Hildesheim, war als Erzieher Ottos III. ebenfalls eng mit dem Herrscherhaus verbunden. Bereits vor seinem Pontifikat wirkte Bernward als Kaplan am Kaiserhof. Im Jahr 1000 traf der Hildesheimer auf den Kaiser in einer Residenz bei Rom. Dabei soll der Herrscher dem Bischof ungewöhnlicherweise entgegengekommen sein, was das enge Verhältnis bekräftigen kann. In seiner Bischofsstadt konnte sich der Bischof mit dem sogenannten Bernwardsziegel baulich verewigen, was das besondere Selbstbewusstsein des Geistlichen in seiner Stadt zeigen kann. Wenngleich Hildesheim nicht zwangsläufig als Hofkirche im Sinne des Tagungskonzepts bezeichnet werden kann, so war sie doch unabhängig der einzelnen Bischöfe und der jeweils herrschenden Kaiserfamilie für das Königtum eine zentrale Kirche in Sachsen.
Den Grafen von Dassel widmete sich NATHALIE KRUPPA (Göttingen), die in einem ersten Schritt die historischen Anfänge dieser Adelsfamilie in das Jahr 1097 mit der Erstnennung und der Bezeichnung der namensgebenden Burg datierte. Kruppa konnte nachzeichnen, dass mit der Verlegung der Burg auch eine Verlegung der Memoria einherging. Als Gedenkort ist die Klosterkirche Lippoldsberg und nicht die Stiftskirche Fredelsloh zu identifizieren. Aufgrund der eher spärlichen Überlieferung für die Dasseler kann ein Hof nicht erkannt werden. Dennoch haben die Grafen die regionalen geistlichen Kommunitäten bedacht, die wiederum ihre Abhängigen ebenfalls förderten. Zwar konnten diese monastischen Gemeinschaften nicht als Herrschaftszentren oder gar Hofkirchen der Dasseler identifiziert werden, doch war eine zum Teil enge Beziehung zwischen den Personen und den Institutionen festzustellen.
Den Blick ins bayerische Kloster Fürstenfeld brachte CYNTHIA STÖCKLE (München). Mithilfe einer Urkunde Herzog Ludwigs II. (1229-1294) zeigte sie auf, dass mehrere dem Hof und zugleich dem Personenverband zugehörige Männer der Wittelsbacher für Fürstenfeld stifteten. Auch ein Neffe Ludwigs II., der Augsburger Bischof Hartmann, bedachte Fürstenfeld, da er der Abtei die Kirche Hollenbach schenkte. Stöckle konnte so herausstellen, dass die monastische Gemeinschaft von der Verwandtschaft des Wittelsbacher Stifters profitierte. Demnach sei Fürstenfeld ein Knotenpunkt der Familie und des Hofes.
Am Beispiel Augsburg versuchte PHILIPP T. WOLLMANN (München), dem Phänomen der Hofkirche bei geistlichen Herren nachzugehen. Als Hof definierte er dabei das gesamte bischöfliche Umfeld, Ministeriale und weitere Kleriker. Wenngleich die Augsburger Bischöfe im 12. Jahrhundert keine eigenen Klöster gründeten, gab es aber Stiftungen für andere für das Bistum relevante Kirchen wie St. Ulrich und Afra oder St. Moritz. Die Gründungen fallen in eine frühere Zeit und die Motivationen seien vielmehr seelsorgerischer bzw. geistlicher und weniger herrschaftlicher Ursache gewesen.
Im Rahmen eines Abendvortrags widmete sich JÜRGEN DENDORFER (Freiburg) den Zähringern und St. Peter auf dem Schwarzwald, ein Hauskloster nach gängigen Kriterien. Für das Seelenheil beschenkten sowohl die Herzöge als auch Edelfreie und Ministeriale aus zähringischem Umfeld, also möglicherweise dem Hof, das Kloster. Der aus klösterlicher Perspektive verfasste Rotulus San Petrinus legt nahe, dass die stiftenden Ministerialen aus dem Gefolge der Zähringer stammten. Hier betonte Dendorfer jedoch auch, dass diese Quellen zum einen spärlich überliefert und zum anderen aus klösterlicher und nicht aus adliger Perspektive verfasst sind. Dabei könnte jedoch weniger ein Zwang der Herzöge, als vielmehr ein Wunsch der Ministeriale nach Memoria dafür gesorgt haben.
Mit dem Bischofssitz Speyer und der Frage, ob die Speyrer Kirche als salische Hofkirche betrachtet werden könne, befasste sich MATTHIAS WEBER (Bochum). Die besondere Bedeutung dieser Kirche für diese Königsfamilie wurde dabei am Beispiel Heinrichs IV. deutlich, da es Heinrich V. erst nach langen Aushandlungsprozessen gelang, den letzten Wunsch seines Vaters durchzusetzen, die Bannung des Vaters posthum aufzuheben und die Gebeine bestatten zu lassen. Schon umfangreiche Schenkungen Konrads II. unterstützten den Wandel der eher rückständigen Stadt, wobei zu diesem Zeitpunkt Speyer gerade nicht als dynastische Grablege, zu der sie sich entwickelte, geplant wurde. Speyer war ein Zentrum, aber nicht Mittelpunkt der Memoria und kann in den Tagen Konrads II. nicht als Hofkirche im Sinne der Tagung verstanden werden. Zwar konnte Weber herausarbeiten, dass Speyer im Fokus der Salier stand, aber anfangs zum einen als Grablege lediglich der engsten Familie Konrads II. dienen sollte, zum anderen in der Memoria umfangreich vor allem Heinrichs V. Vater Heinrich IV. gedacht wurde. Zum Speyrer, im Zuge der Bestattung Heinrichs IV. ausgestellten Privilegium stellte Weber fest, dass es aufgrund der wohl getreuen Abbildung Heinrichs V. darauf identitätsbildende Kraft hatte und insofern die Bürger symbolisch an den König band.
Den Abschluss bildete ÉTIENNE DOUBLIER (Köln) mit einem Blick nach Italien und dem Fall der Abtei Polirone, die wohl polyvalente Funktionen für die Gründerfamilie erfüllte. Eine Bestattungsfunktion erfüllte das 1003/7 bis 1024 durch Markgraf Tedald von Canossa gegründete Polirone als Bestattungsort erst für Mathilde von Canossa, was nicht nur wegen der persönlichen Nähe zur Gräfin, sondern auch aufgrund der cluniazensischen Religiosität des Konvents begründet wird. Andere Mitglieder der Canossaner Familie dagegen wurden auf der namensgebenden Burg oder beispielsweise in den Bischofskirchen von Mantua und Pisa bestattet. Die Familie förderte zahlreiche Kirchen und Klöster, jedoch gab es keinen Ort als Mittelpunkt für mehrere Generationen. Gleichzeitig war die Schenkungstätigkeit Mathildes von unterschiedlichen Phasen, auch aufgrund der militärischen Situation durch Heinrich IV., geprägt. Politische Bekannte der Markgräfin agierten auch als Stifter, als Hof Mathildes konnte Doublier diese jedoch nicht identifizieren. Vielmehr seien die konkret zu erkennenden Personen und weniger ein nicht genau fassbarer Hof Mathildes zu betrachten.
In der Abschlussdiskussion fasste CARLA MEYER-SCHLENKRICH (Münster) den Rundgang durch das römisch-deutsche Reich des vorrangig 12. und 13. Jahrhunderts zusammen. Am Beispiel Altenberg konnte der Begriff der Hofkirche idealtypisch skizziert werden. Die anderen Referate lassen zwar zweifeln, ob es sich beim Begriff um einen neu einzuführenden Forschungsbegriff handeln kann, brachten aber in jedem Fall ein großes Assoziationsfeld, das erst die Formulierung dieser Begrifflichkeit ermöglicht hatte. Die Teilnehmenden betonten die besondere Wirkung der Memoria und die Aktivität der Adligen, wenngleich die Tagungsbeiträge deutlich machten, wie plural Adelsherrschaft über einen großen Raum war.
Die Tagung zeigte deutlich auf, dass neben traditionellen methodischen Begriffen weitere Ansätze die Diskussion der Adelsherrschaft in der Epoche des Hochmittelalters bereichern können. Die Beiträge haben verdeutlicht, dass ein regional belegbares Phänomen in besonderer Weise lohnend auch für andere Teile des hochmittelalterlichen Reiches anzuwenden ist, um die Herrschaft anscheinend vorrangig weltlicher Herren und ihres Hofes im Zusammenspiel mit geistlichen Institutionen systematisch erfassen zu können.
Konferenzübersicht:
Vera Eiteneuer (Wuppertal): Einleitende Worte
Jochen Johrendt (Wuppertal): Steinfelder Mönche am Hof der Grafen von Are
Robin Moens (Aachen): Religiöse Einrichtungen als Artikulation der territorialen Herrschaft – Das Haus Oudenaarde im 12. und 13. Jahrhundert
Vera Eiteneuer (Wuppertal): Wozu noch eine Kirche? Graf Adolf II. von Berg und die Zisterze Altenberg
Rona Ettlin (Hildesheim): Der Dom zu Hildesheim und seine Bedeutung für die Herrscher des Früh- und Hochmittelalters
Nathalie Kruppa (Göttingen): Die Grafen von Dassel und ihr Hof – Spuren in der Memorialüberlieferung?
Cynthia Stöckle (München): „Für euer Wohlergehen“. Das Kloster Fürstenfeld als Knotenpunkt bayerischer Adelsfamilien
Philipp T. Wollmann (München): Bischöfliche Klosterprivilegierungen zwischen hochstiftischer und adeliger Territorialpolitik in Augsburg (12./13. Jahrhundert)
Jürgen Dendorfer (Freiburg i. Br.): Adelige und ihre Kirchen im hohen Mittelalter. Beobachtungen an südwestdeutschen Beispielen
Matthias Weber (Bochum): Speyer als salische „Hofkirche“? Überlegungen zur Regierungszeit Heinrichs V.
Étienne Doublier (Köln): Mathildische Hofkirchen? Zur Stiftungstätigkeit im Canossaner Herrschafts- und Einflussbereich um 1100
Anmerkung:
1 Jürgen Dendorfer, Gescheiterte Memoria? - Anmerkungen zu den "Hausklöstern" des hochmittelalterlichen Adels, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 73 (2014), S. 17–38.