Illegitimate Violence during the French Revolutionary and Napoleonic Wars (1792–1815)

Illegitimate Violence during the French Revolutionary and Napoleonic Wars (1792–1815)

Organisatoren
Tanja Bührer, Paris Lodron Universität Salzburg; Isabelle Deflers, Universität der Bundeswehr München; Gundula Gahlen, Paris Lodron Universität Salzburg
Veranstaltungsort
Paris Lodron Universität Salzburg
PLZ
5020
Ort
Salzburg
Land
Austria
Fand statt
Hybrid
Vom - Bis
22.02.2024 - 24.02.2024
Von
Marius Müller, Fachbereich Geschichte, Paris Lodron Universität Salzburg

In seinem 1758 publizierten Traktat „The Law of Nations“ legte der Schweizer Rechtsphilosoph Emer de Vattel einen vielbeachteten Begriff des europäischen Völkerrechts vor, der auf der Grundlage des modernen Naturrechts sämtliche Akteure im internationalen Staatensystem dazu verpflichtete, ihr außenpolitisches Handeln nach gemeinsamen moralischen und rationalen Grundsätzen auszurichten.1 Dies galt insbesondere für militärische Konflikte, die bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in den Kabinetten der Potentaten ausgetragen wurden und in erster Linie der Sicherung der fürstlichen Souveränität im europäischen Staatensystem dienten. Mit den Revolutionskriegen vollzog sich allerdings ein radikaler Bruch, der nicht nur das etablierte „Gleichgewicht der Mächte“ erschütterte, sondern ganz neue Formen des Kriegswesens, der Heeresorganisation und der militärischen Gewaltpraxis zutage förderte.2 Das revolutionäre Frankreich legitimierte nun die kriegerische Expansion seiner modernen Nationalarmee mit dem ideologisch motivierten Anspruch, die Völker Europas aus der Schreckensherrschaft des Adels zu befreien. Durch die konterrevolutionäre Reaktion der europäischen Monarchen auf die französische Offensive und die Zuspitzung der militärischen Gewaltexzesse weit über die Grenzen Europas hinaus entwickelte sich in der Folge eine Dynamik, die das Bild des „revolutionären Zeitalters“ als eine von Krieg und Gewalt durchzogene Scharnierepoche zwischen 1789 und 1815 nachhaltig prägen sollte.3

Eben hier setzte die aus der DFG-Forschungsgruppe „Militärische Gewaltkulturen — Illegitime militärische Gewalt von der Frühen Neuzeit bis zum Zweiten Weltkrieg“4 hervorgegangene Tagung an. Die auf Englisch und Französisch abgehaltene Konferenz setzte sich zum Ziel, den Bedingungen, Ursachen und Veränderungen in der Ausübung und Wahrnehmung von Gewalt in einer breiten räumlichen Perspektive nachzugehen und danach zu fragen, in welchen spezifischen Kontexten die Zeitgenoss:innen bestimmte Gewalthandlungen als illegitim erachteten. In ihren einleitenden Worten betonte GUNDULA GAHLEN (Salzburg), dass die Verwendung des weitgefassten Begriffs der Illegitimität in diesem Zusammenhang einen methodisch-konzeptionellen Rahmen bereitstelle, um verschiedene nationale Rechtssysteme, Normen und Konventionen zu vergleichen. Denn nicht zuletzt durch gelehrte Debatten der Aufklärung unterlagen Wertvorstellungen und Ordnungskonzepte in der abgesteckten Zeit vielfältigen Dynamisierungs- und Vereinheitlichungstendenzen. Im Fokus der Konferenz standen dabei dezidiert Praktiken, also unterschiedliche Formen gewaltgeprägter Handlungen der Kriegsparteien, wie auch die sie begleitenden Diskurse, die in Politik, Militär und Öffentlichkeit ausgetragen wurden.

Die erste Sektion eröffnete KURT BAIRD (York) mit einer Fallstudie zur Rechtfertigung von Gewaltakten der Habsburger Truppen an der Zivilbevölkerung während der Napoleonischen Kriege. Anhand von gedruckten Selbstzeugnissen, Briefen und Tagebüchern von Offizieren und einfachen Fußsoldaten analysierte er die Überzeugungen und Normvorstellungen innerhalb der österreichischen Armee, die zwar den staatlich diktierten Prinzipien humaner Praxis und der „Soldatenehre“ verpflichtet war, aber aufgrund von Ressourcenengpässen, Hungersnöten oder Rachemotiven brutale Gewalthandlungen gegen die Zivilbevölkerung verübte. In den Versuchen des Militärs, das gewaltsame Gruppenverhalten zu korrigieren und die Vorgänge zu unterbinden, werde deutlich, dass den habsburgischen Truppen die Grenzen zwischen legitimer und illegitimer Gewalt durchaus bewusst gewesen waren.

Während Baird die Perspektive der militärischen Akteure einnahm, verlagerte UTE PLANERT (Köln) den Fokus auf die von Gewalttaten, Diebstählen und Plünderungen betroffene Landbevölkerung, indem sie ausgewählte Quellen von Geistlichen, Ortsvorstehern und Gemeindemitgliedern aus Süddeutschland und Vorderösterreich einer erfahrungsgeschichtlichen Analyse unterzog und nach den strukturellen, sozialen, situativen und kulturellen Faktoren der Gewaltausübung fragte. Neben der Versorgungslage und der Stationierung der Armee waren es die Truppengattung, Rangunterschiede und die jeweilige Disziplin, die die gewaltsamen Handlungen bedingten. Seitens der Zivilbevölkerung spielte wiederum Standeszugehörigkeit, Bildungsniveau und Geschlecht eine zentrale Rolle, um sich vor Gewaltakten zu schützen oder sie gar zu verhindern. So demonstrierte Planert, dass die Gemeinden dem Kriegsgeschehen keineswegs hilflos ausgesetzt waren, sondern aktiv als Akteure in Erscheinung traten, indem sie bestimmte Strategien entwickelten, um die Versorgung und die Sicherheit der Gemeinschaft zu gewährleisten.

VALERIA PANSINI (Rennes) befasste sich anschließend mit der Invasion der napoleonischen Armee in Portugal, die zwischen 1810 und 1811 aufgrund des Ausbleibens von weiteren Truppenkontingenten und Versorgungslieferungen Gewalthandlungen an der portugiesischen Bevölkerung beging. Während die zeitgenössischen Berichte der Offiziere das Vorgehen der eigenen Streitkräfte entweder verschweigen oder sie mit Verweis auf ihre prekäre Situation zu legitimieren versuchen, greifen spätere französische Memoiren die Gräueltaten an den Zivilist:innen auf, die sie im Krieg zwischen England und Frankreich zu Opfern beider Kriegsparteien stilisieren. Besondere Aufmerksamkeit widmete Pansini einer im März 1811 durchgeführten amtlichen Untersuchung der Krone Portugals, um die Folgen der französischen Invasion zu erheben. Bemerkenswert ist der Befund, dass die Berichte der Dorfpriester über das Ausmaß der erlittenen Zerstörung reichhaltige Erklärungen und Abhandlungen über persönliche Schicksale der Landbevölkerung enthalten, die sich – so Pansini – einer ideologisch motivierten „Sprache der Totalität“ (language of totality) bedienen.

Im zweiten Panel dekonstruierte MATILDA GREIG (London) das Bild der spanischen Guerillakämpfer im Krieg gegen Napoleon auf der Iberischen Halbinsel anhand verschiedener literarischer Quellen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit einem dezidiert diskursanalytischen Fokus arbeitete Greig nicht nur klassische Motive und Tropen dieser fiktionalen Erzählungen heraus, sondern demonstrierte die Ambivalenz der Darstellung von Guerillataktiken, die entweder als Ausdruck des Widerstands legitimiert oder durch die Verwendung einer kolonial-rassistischen Sprache und Formen des „Othering“ als unmoralisch und barbarisch ausgewiesen wurden, wenn sie die bestehenden Machtverhältnisse und Ordnungskonzepte bedrohten.

NEBIHA GUIGA (Berlin) nahm sich zum Ziel, die Darstellung von Gewalt gegen verletzte und verwundete Soldaten in Tagebüchern, Memoiren und Briefen zu untersuchen und danach zu fragen, inwiefern diese von Betroffenen, Zivilist:innen und Ärzten diskursiv als illegitime Praktiken verurteilt wurden. Dabei befasste sich der Vortrag zunächst allgemein mit den Versorgungsbedingungen von Verwundeten während der Napoleonischen Kriege, bevor Guiga anhand verschiedener Fallbeispiele aus Dresden, Wien und Prag die Komplexität der Interaktionen zwischen der Zivilbevölkerung und den verletzten Kriegsgefangenen offenlegte. Am Ende setze sich Guiga mit der These auseinander, dass die Pflege der Soldaten auch eine Ausweitung des Kriegsgeschehens und der damit einhergehenden Gewalt auf die Zivilgesellschaft bedeutete.

Dagegen beschäftigte sich LEIGHTON JAMES (Swansea) mit der Diskrepanz zwischen den militärischen Vorschriften im Umgang mit Kriegsgefangenen und den Erfahrungen der deutschen Soldaten während des Russlandfeldzuges von 1812. In ihren Memoiren bedienten sich die Kriegsveteranen zahlreicher Stereotype, um den Kriegsschauplatz und die russische Bevölkerung als grausam und unzivilisiert erscheinen zu lassen. Dies widersprach Leighton zufolge sowohl den behördlichen Anweisungen und Dekreten über die angemessene Behandlung der Gefangenen als auch den Selbstberichten der Soldaten, die in russischer Kriegsgefangenschaft durchaus humane Bedingungen vorfanden.

Die Keynote von PHILIP DWYER (Newcastle), die den ersten Konferenztag beschloss, widmete sich dem Versuch, ein ideengeschichtlich wie praxeologisch informiertes Framework zu entwickeln, das es erlaube, verschiedene Formen illegitimer Gewalt zu identifizieren und danach zu fragen, welche zeittypischen Merkmale die Gewalthandlungen zwischen 1792 und 1815 aufwiesen. Obwohl auch frühere militärische Auseinandersetzungen erhebliche Gewaltschübe freisetzten, zeichne sich diese Epoche insbesondere durch eine zunehmende Ideologisierung der Kriegsmotive aus, die anhand der extremen Rhetorik sichtbar werde. Jede Form der politisch-ideologisch legitimierten Gewalt sei – so Dwyer – daher a priori illegitim.

Die erste Sektion des zweiten Tages widmete sich verschiedenen Fallbeispielen aus Frankreich. Ausgehend von dem Befund, dass selbst rezente Studien der Kulturgeschichte der Gewalt ikonographische Quellen unberücksichtigt ließen, befasste sich AURÉLIEN LIGNEREUX (Grenoble) mit der „Figuration illegitimer militärischer Gewalt in der antinapoleonischen Propaganda“, indem er eine Reihe von Karikaturen, Gemälden und Abbildungen zusammenstellte, die Napoleons Gewalttaten satirisch in Szene setzen. Mit Blick auf seine Quellen kam Lignereux zu dem ernüchternden Ergebnis, dass mangels genauer Kenntnisse über ihre Rezeption kaum gesicherte Aussagen über das Ausmaß der dargestellten Gewalt getroffen werden könne. Der Quellenwert dieser Ikonographien liege vielmehr in ihrem propagandistischen Anspruch, der allenfalls Rückschlüsse auf die nach 1800 zunehmende Kriegsernüchterung erlaube, was bildlich gesprochen einer „Entzauberung des Krieges“ (désenchantement de la guerre) gleichkomme.

Der anschließende Vortrag von NATALIE PETITEAU (Avignon) bot eine methodologische Reflexion über die Frage, wie die Zeitgenoss:innen illegitime Gewaltpraktiken der Kriege ohne ihre rechtliche Normierung überhaupt als solche wahrgenommen haben. Anhand verschiedener Kriegsschauplätze der Napoleonischen Armee diskutierte Petiteau die Auswirkungen der militärischen Gewalt im Hinblick auf die betroffene Zivilbevölkerung, Gefangene und Tiere. Dabei wies sie zurecht auf die Herausforderungen bei der Interpretation der Quellen hin, die verwendete Beschreibungssprache als Diskurs ernst zu nehmen und nach den bewusst ausgelassenen Aspekten zu fragen, um die impliziten zeitgenössischen Normen sichtbar zu machen.

ANNE ROLLAND-BOULESTREAU (Angers) beschloss das Panel mit einer bemerkenswerten Mikrogeschichte über den Aufstand der Landbevölkerung der Vendée gegen die Armee der Ersten Französischen Republik. Ausgehend von der Frage, wie die beteiligten Akteure ihr gewaltsames Vorgehen während des Bürgerkrieges in der Region rechtfertigten, entwickelte Rolland-Boulestreau eine überzeugende „analytische Typologie“, anhand derer sie eine akteurszentrierte Klassifizierung der Art und Intensität von Gewalt vornahm. Die Rechtfertigungsstrategien reichten von der Anwendung bestimmter repressiver Gesetze über militärische Praktiken – etwa in Form der autonomen Machtausübung der stationierten Truppen (généralocratie) – bis hin zur Dehumanisierung der lokalen Bevölkerung, die zum Feind der republikanischen Ordnung erklärt wurde.

Der Vortrag von RENAUD MORIEUX (Cambridge) widmete sich dem Indischen Ozean als Kriegsschauplatz und eröffnete damit eine globale verflechtungsgeschichtliche Perspektive auf die Revolutionskriege, die er mit den kolonialen Verhältnissen des langen 18. Jahrhunderts gewinnbringend in Beziehung setzte. Dabei rekonstruierte Morieux die Praktiken der Deportation von französischen Kriegsgefangenen durch die British East India Company und betonte die Bedeutung von informellen Absprachen zwischen europäischen und indischen Akteuren. Durch die Verbindung von rechtlichen und sozio-kulturellen Aspekten zeichnete Morieux ein hochkomplexes Bild von diversen lokalen Bedingungen der Kriegsgefangenschaft, die mangels fehlender Rechtskodifizierung von Uneindeutigkeiten geprägt war.

Hier schloss JASPER HEINZEN (York) thematisch an, der in einem ersten Schritt die Entwicklung des internationalen Kriegs- und Völkerrechts hinsichtlich der Stellung von Kriegsgefangenen darlegte, bevor er anschließend unter Berücksichtigung gelehrter Debatten über das Naturrecht nach den Bedingungen moralisch gerechtfertigter und illegitimer Kriegsgefangenschaft fragte. Neben philosophischen Traktaten berücksichtigte Heinzen auch Bittschriften von Kriegsgefangenen und diskutierte die Möglichkeiten und Grenzen von Moralkonzepten, die gerade im Zuge der fortschreitenden Globalisierung des Kriegsgeschehens mit lokalen Mächten ausgehandelt und ständig aktualisiert werden mussten.

BRENDAN SIMMS (Cambridge) schilderte in seinem Vortrag zunächst den historischen Kontext des britischen Angriffs auf Kopenhagen von 1807, woraufhin er die Ereignisse vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Diskurse über das ius ad bellum und das ius in bello sowie hinsichtlich des genuin britischen Ordnungskonzepts der „Balance of Power“ verortete. Unter Berufung auf das Naturrecht legitimierte Großbritannien nicht nur den folgenreichen Angriff, sondern verteidigte die pragmatische Auslegung der staatlichen Freiheit gegenüber der Kritik, dass das britische Vorgehen gegen das internationale Völkerrecht verstoße.

Anschließend demonstrierte ANKE FISCHER-KATTNER (München) die Verwobenheit zwischen Praktiken und Diskursen am Beispiel des Stellungskrieges um die Festung Philippsburg von 1799. Hierbei arbeitete Fischer-Kattner in mikrogeschichtlicher Perspektive zunächst Kontinuitäten in der Form des Kriegswesens heraus und diskutierte anschließend die Bedeutung einer „dramatischen Rhetorik der Humanität“ in den Gesprächen der Heerführer sowie in den propagandistischen Darstellungen der Belagerung, wodurch die praktischen wie diskursiven Grenzen zwischen legitimer und illegitimer Gewalt sichtbar wurden.

AMERIGO CARUSO (Bonn) untersuchte im anschließenden Vortrag die Konzeptionen und Anwendungen des Ausnahmezustandes, wobei er die Perspektive geographisch auf die Kolonien erweiterte und verschiedene Fallbeispiele aus Frankreich, Süditalien, Algerien und den atlantischen Kolonien vergleichend gegenüberstellte. Dabei diskutierte Caruso erstens die Bedeutung von Diskursen über den (il-)legitimen Einsatz von Notfallprovisionen und extremen Gewaltformen, zweitens die Verflechtungen exzessiver Gewalt von europäischen und kolonialen Kriegsschauplätzen sowie drittens spätere Debatten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die extensive Anwendung des Ausnahmezustandes in ihrem Charakter und Umfang eine neue Dimension erhielt.

JULIA HASSELHORN (Frankfurt) widmete sich in einem luziden Vortrag den Kommunikationsstrategien von Fürsten, die aus der Ferne über ein fremdes Territorium herrschten. Am Beispiel der bayerischen Kurfürsten, Karl Theodor und dem späteren König Maximilian I. Joseph, sowie König Ferdinands IV. von Neapel analysierte sie die Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der Fürsten und ihrer Untertanen hinsichtlich der in München und Neapel ausgeübten militärischen Gewalt, die sie durch gezielte kommunikative Strategien zu legitimieren versuchten. Unter dem Begriff der „Moderation von Fremdherrschaft“ betonte Hasselhorn den Prozesscharakter dieser prekären Herrschaftsform, die sich an jeweilige rechtliche und soziale Rahmenbedingungen anzupassen hatten.

In der letzten Sektion der Tagung beschäftige sich GUNDULA GAHLEN (Salzburg) mit der Frage, inwiefern das gewalttätige Vorgehen der französischen und österreichischen Armeen durch räumliche Gegebenheiten beeinflusst wurde. Ausgehend von einem sozialen Raumverständnis untersuchte Gahlen zunächst unterschiedliche Kriegsschauplätze in Bezug auf die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und zeigte anschließend anhand von vier Raumkategorien, dass beide Kriegsparteien – trotz unterschiedlicher Gewaltkulturen – gleichermaßen versuchten, bestimmte Prinzipien der humanen Praxis und der Verhältnismäßigkeit zu achten. Unter dem Eindruck jedoch, dass die gegnerische Armee diese Prinzipien in den Kriegsschauplätzen nicht anerkannte, stieg auch das Ausmaß der Gewalt.

Dagegen präsentierte FRIEDEMANN PESTEL (Freiburg) im folgenden Vortrag den „Haitischen Unabhängigkeitskrieg als Raum der unkontrollierten Gewalt“. Pestel diskutierte dabei die Rolle der Wiedereinführung der Sklaverei durch Napoleon und der sich daraufhin rasant zuspitzenden Spirale der Gewalt durch die asymmetrische Kriegsführung unter dem Einfluss afrikanischer Militärtaktiken in der Karibik, die eine „colonial Vendée“ darstelle. Abschließend fragte Pestel nach den Verflechtungen von (de-)kolonialen Kriegsformen und rassischen Kategorien am Beispiel der gens de couleur und politischer Führungsfiguren der Sklavenerhebung in Saint-Domingue, wodurch nicht nur die Bedeutung der Entstehung einer kolonialen, Schwarzen Identität (Black Identity) sichtbar werde, sondern zudem, wie sich Haiti durch militärische Aneignungsprozesse von einem Raum antikolonialer Emanzipation zu einem Raum antikolonialer Selbstbehauptung entwickelte.

Der letzte Vortrag der Tagung von MICHAEL WENZEL (Deutsch-Wagram) bot einen Einblick in österreichische Archive mit ihrer „Perspektive“ auf die von der Zivilbevölkerung wahrgenommene illegitime Gewalt. Anhand zahlreicher Egodokumente, Polizei- und Augenzeugenberichte sowie verschiedener Einträge aus Kirchenbüchern zu exzessiven Gewalttaten der französischen Armee in Niederösterreich und Wien zeigte Wenzel anschaulich, inwiefern sich seit 1809 durch gezielte Propaganda eine anti-französische Stimmung in der österreichischen Gesellschaft verbreitete, die nicht zuletzt zur Entwicklung eines spezifischen nationalen Patriotismus führte.

In ihrem Abschlusskommentar führte KAREN HAGEMANN (Chapel Hill) die angesprochenen Thematiken schlüssig zusammen und vertiefte die Komplexität der Befunde. Im Ergebnis zeigte sich die Vielschichtigkeit und soziale Konstruktion militärischer Konflikte in einer von Kontinuitäten und Wandlungsprozessen charakterisierten Zeit. Neben der akteurszentrierten Fokussierung auf Täter, Betroffene, Beobachtende und Berichterstatter betonten die Beiträge die Bedeutung räumlicher und lokaler Verhältnisse der europäischen und globalen Kriegsschauplätze, die in imperiale wie koloniale Gewaltkontexte eingebettet waren. Dabei brachte Hagemann erstmals auch eine intersektionale Perspektive in die Abschlussdiskussion ein, indem sie die ambivalente Bedeutung von race, class und gender herausstellte und kritisch hinterfragte, warum gerade geschlechtergeschichtliche Fragestellungen in der Militärgeschichte immer noch vernachlässigt werden.

Insgesamt eröffnete die Tagung damit auch neue Wege für zukünftige Forschungen, das produktive Potential der praxeologischen und diskursiven Auseinandersetzung mit Illegitimität von Gewalt als theoretisch-methodischen Ansatz zu nutzen, um geschlechtliche, ethnische und soziale Dimensionen in gewaltgeprägten Interaktionen globaler wie regionaler Konflikte vergleichend zu untersuchen.

Konferenzübersicht:

Welcome and Introduction

Tanja Bührer (Salzburg) / Isabelle Deflers (München) / Gundula Gahlen (Salzburg): Illegitimate Violence during the French Revolutionary and Napoleonic Wars: An Introduction

Panel 1: Military Violence against Civilians
Chair: Brendan Simms (Cambridge)

Kurt Baird (York): "Abandoning the Spirit of Revenge": Legitimising Violence against Civilians in the Habsburg Army, 1792-1816

Ute Planert (Köln): Close Encounters: Patterns of Violence and Atrocity (online)

Valeria Pansini (Rennes): Violence without Enemy. Analyzing Forms of Violence against Civilians during the Portugal Campaign (1810-1811)

Panel 2: Irregular Violence against Soldiers
Chair: Arno Strohmeyer (Salzburg)

Matilda Greig (London): The Illegitimacy of the Irregular: Accounts of Guerrilla Warfare in the Peninsular War

Nebiha Guiga (Berlin): Violence against the Wounded in a Non-Insurrectionary Context during the Napoleonic Wars (1805-1813)

Leighton James (Swansea): "the whole people were in arms against us": German Soldiers' Experiences and Representations of Violence during the Russian Campaign 1812

Keynote
Chair: Sönke Neitzel (Potsdam)

Philip Dwyer (Newcastle): Illegitimate Violence during the French Revolutionary and Napoleonic Wars

Panel 3: Violence illégitime: Zoom sur la France
Chair: Isabelle Deflers (München)

Aurélien Lignereux (Grenoble): Plus qu'une Ombre au Tableau: La Figuration des Violences Guerrières Illégitimes dans la Propagande Antinapoléonienne

Natalie Petiteau (Avignon): Enquête sur la Violence de Guerre Illégitime dans les Armées Napoleoniénnes

Anne Rolland-Boulestreau (Angers): Violences et Guerre Civile, Combattre en Vendée Militaire (1793-1796)

Panel 4: Violence against Prisoners of War and Deportees
Chair: Christin Pschichholz (Potsdam)

Renaud Morieux (Cambridge): Political Deportation in the Indian Ocean. The Deportation of Alleged French 'Jacobins' by the British East India Company

Jasper Heinzen (York): Prisoners of War, Custom, and the Negotiation of (Il)legitimate Violence in Uncertain Times

Panel 5: Legal Norms and Discourses
Chair: Jasper Heinzen (York)

Brendan Simms (Cambridge): British Violence in Europe: The Case of Copenhagen

Anke Fischer-Kattner (München): (In-)Humanity in Siege Warfare? French Revolutionary Violence Against the Imperial Fortress of Philippsburg in 1799

Amerigo Caruso (Bonn): Patterns of (Extra)ordinary Violence: The 'Political' State of Siege in a Transnational Perspective, 1790- 1850

Panel 6: Communication Strategies in Dealing with illegitimate Violence
Chair: Philip Dwyer (Newcastle)

Julia Hasselhorn (Frankfurt): How does one Moderate Foreign Rule? Communication Strategies of Rulers Using the Example of Violent Excesses in the Context of Republican / Napoleonic Foreign Rule in the Kingdoms of Naples and Bavaria

Panel 7: Space as an Explanation of lllegitimate Violence
Chair: Laurence Cole (Salzburg)

Gundula Gahlen (Salzburg): Space as an Explanation of Illegitimate Violence in the Austrian and French Armies

Friedemann Pestel (Freiburg): Peace, Enslavement, Extermination and Revenge: The Haitian War of Independence as Space of Unbound Violence, 1802–4

Michael Wenzel (Deutsch-Wagram): Illegitimate Violence in 'Eastern Austria' in 1809 as Seen from the Perspective of Austrian Civilian Archives

Final Discussion
Chair: Tanja Bührer (Salzburg)

Karen Hagemann (Chapel Hill): Final Comment

Anmerkungen:
1 Emer de Vattel, The Law of Nations, Or, Principles of the Law of Nature, Applied to the Conduct and Affairs of Nations and Sovereigns, with Three Early Essays on the Origin and Nature of Natural Law and on Luxury, hrsg. von Béa Kapossy / Richard Whatmore, Indianapolis 2008.
2 Robert Chickering / Stig Förster (Hrsg.), War in an Age of Revolution, 1775–1815, Cambridge 2010, S. 4f.; Frank Tallett / David J. B. Trim (Hrsg.), European Warfare, 1350–1750, Cambridge 2010, S. 9; Jörn Leonhard, Bellizismus und Nation. Kriegsdeutung und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten 1750–1914, München 2008, S. 207–211; Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongreß, 5. Aufl. München 2008 (1. Aufl. 1986), S. 42.
3 Eric Hobsbawn, The Age of Revolution, 1789–1848, London 1962; Ute Planert, Wann beginnt der „moderne“ deutsche Nationalismus?, in: Jörg Echternkamp / Sven Oliver Müller (Hrsg.), Die Politik der Nation: Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760 bis 1960, München 2002, S. 25–59.
4 Zur Homepage der DFG-Forschungsgruppe: https://www.uni-potsdam.de/de/military-cultures-of-violence/ (24.4.2024).