Diplomacy meets Landesgeschichte: Akteure, Netzwerke, Berichterstattung

Diplomacy meets Landesgeschichte: Akteure, Netzwerke, Berichterstattung

Organisatoren
Institut für Bayerische Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ort
München
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
01.02.2024 - 02.02.2024
Von
Maik Mattes, Institut für Bayerische Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der Workshop thematisierte epochenübergreifend Perspektiven und Methoden der neuen Diplomatiegeschichte in Verknüpfung mit einer modernen Landesgeschichte. Besonders in den Fokus gerückt wurden dabei vielfältige Prozesse der Vernetzung sowie des Informations- und Kulturaustausches in Verbindung mit dem Gesandtschafts- und Konsulwesen von der Frühen Neuzeit bis in das 21. Jahrhundert. Zentraler Ansatz der Veranstaltung war es, anhand eigener Disserationsprojekte und anderer Forschungsarbeiten unterschiedliches diplomatisches Personal, deren Berichterstattung sowie deren Einbettung in das politische, kulturelle und soziale Umfeld ihrer jeweiligen Zeit zu untersuchen.

Den Auftakt zum Workshop bildete ein abendlicher Vortrag von Madeleine Herren von der Universtität Basel am 1. Februar 2024. In seinem Grußwort betonte FERDINAND KRAMER (München) vorab die Verbindungen des Instituts für Bayerische Geschichte mit der Schweiz, die bis in die Anfangszeit der Forschungseinrichtung zurückreichen würden. Der Bayerische Ministerpräsident und Mitbegründer des Instituts, Wilhelm Hoegner, habe im Zuge seines Zürcher Exils ein tiefgründigeres Demokratieverständnis gewonnen und dieses bei seiner Rückkehr 1945 nach Bayern mitgebracht. Eng verbunden damit sei auch die Möglichkeit für ein Auslandsstipendium, dessen Chancen Max Spindler angesichts einer zunehmenden Internationalisierung bereits früh erkannt habe. Gelegen in der Mitte Europas sei Bayern, ähnlich wie die Schweiz, ebenfalls ein Land des Transfers und Austausches par excellence.

In ihrem anschließenden Abendvortrag gab MADELEINE HERREN (Basel) Einsichten in die Struktur zwischenstaatlicher Beziehungsgefüge, bei denen die Repräsentation der jeweiligen Staaten nicht die alleinige Ebene der Akteure darstellte. Durch das Aufkommen neuer Kommunikationstechnologien habe sich der Bezug zwischen Öffentlichkeit und Diplomatie im 19. Jahrhundert grundlegend verändert. Sinnbildlich dafür seien etwa vom britischen Journalisten William T. Stead organisierte Veranstaltungen der Zivilgesellschaft, die parallel zu den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 ausgerichtet worden waren. Diese seien als Teil einer kommunikationstechnologischen Offensive von Stead zu verstehen, die das bisherige Informationsmonopol der Diplomatie deutlich hinterfragte. Weiterhin wurden zunehmend auch Händler und Firmen zu diplomatischen Akteuren, sodass schweizerische Unternehmen in Ostasien schon bald viele Funktionen konsularischer Vertretung einnahmen. Hervorzuheben sei unter anderem der schweizerisch-japanische Handels- und Freundschaftsvertrag von 1864, an dessen Zustandekommen unter der Leitung von Aimé Humbert maßgeblich Schweizer Uhren- und Textilindustrielle beteiligt waren. Diese vielseitigen Entwicklungen boten in Ansätzen auch Frauen einige Möglichkeiten, um als diplomatische Akteure aktiv zu werden. Den großen Umbruch in diesem Feld habe dann jedoch erst das Ende des Ersten Weltkriegs und die Eröffnung des Völkerbundes gebracht. Das Völkerbundsekretariat sei langfristig als eine Art Hintertüre zum Diplomatenstatus für Frauen zu sehen und konnte weiblichen International Civil Servants wie Rachel Crowdy einen Diplomatenpass ermöglichen.

Der Workshop am 2. Februar 2024 wurde mit einführenden Worten von KATHLEEN SIEMERMANN (München) und BENEDIKT WALLNER (München) eröffnet, die dabei insbesondere auf die vielseitige Einbindung Bayerns in transnationale Beziehungsgeflechte eingingen. In entsprechenden Forschungen zur Diplomatiegeschichte sei es in der Frage nach der internationalen Positionierung Bayerns unabdingbar, auch das Konsulats- und Gesandtschaftswesen zu berücksichtigen. Dieses werde am Institut für Bayerische Geschichte von der Frühen Neuzeit bis in das 21. Jahrhundert hinein erforscht. Die Diplomatiegeschichte, bei der es sich mit Sicherheit um einen der dynamischsten Bereiche der Geschichtswissenschaften handle, werde im Workshop chronologisch vom Italien des 15. Jahrhunderts bis in das München der Nachkriegszeit behandelt.

Im ersten Doktorandenvortrag des Workshops widmete sich FLORIAN RUNSCHKE (München) daraufhin den Agenten und Gesandten der bayerischen Herzöge im Italien des 15. bis 17. Jahrhunderts. Im Rahmen einer qualitativen Analyse beleuchtete er zunächst exemplarisch die Tätigkeit des bayerischen Gesandten Andreas Fabricius näher, der erster ständiger Abgesandter Bayerns am päpstlichen Hof wurde und als Fürstenerzieher den jüngsten Sohn von Herzog Albrecht V. von Bayern, Ernst von Bayern, in Rom auf eine geistliche Karriere vorbereiten sollte. Überlieferte Hofzahlamtsakten geben dabei einen Einblick in die außerordentliche Entlohnung, die Fabricius für seinen Dienst als Agent in Rom erhielt. Schließlich wurde im Vortrag auch eine quantitative Analyse der Quellen zu den Agenten und Gesandten Bayerns in Italien vorgenommen. So seien etwa von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts 95 Agenten und Gesandte in den Akten nachzuweisen, von denen die Mehrheit in Rom agiert habe. In der Herrschaftszeit von Albrecht V. sei ein starker Anstieg von Agenten in Italien zu verzeichnen, welcher auf dessen Sammlungstätigkeit im Bereich der Kunst und auf Bayerns enge religionspolitischen Verbindungen an den päpstlichen Hof zurückzuführen sei.

Anschließend gab BENEDIKT WALLNER (München) einen Einblick in sein Dissertationsprojekt zur ersten ständigen Gesandtschaft Bayerns am britischen Königshof des 18. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Zeitraum der Jahre 1741 bis 1800, als die Grafen von Haslang die Gesandtentätigkeit ausübten. Konkret stellte er dabei die bisher erfolgten praxeologischen Untersuchungen der Gesandtschaftskorrespondenz des Joseph von Haslang vor, der in seiner mehrere Jahrzehnte währenden Amtszeit insgesamt unter drei Kurfürsten und fünf Außenministern gedient hatte. Anhand der nahezu vollständig überlieferten Akten und Berichte im Bayerischen Hauptstaatsarchiv könnten Fragen zum Denkrahmen, Selbstverständnis und zur Wahrnehmung von Haslangs gestellt werden. Dabei seien einige Routinen und Praktiken festzustellen, die im Laufe der jahrelangen Korrespondenz unverändert blieben. Dies sei unter anderem die generalisierte Vertrauenswürdigkeit von Haslangs, die ihm und seinen übermittelten Informationen seitens der ministeriellen Adressaten beigemessen wurde, sowie der Umstand, dass von Haslang seine Audienzen beim jeweiligen König – wohl mit Blick auf dessen deutsche Abstammung – stets in deutscher Sprache wiedergab, deren Verwendung er in seinen Schreiben ansonsten vermied.

In ihren Untersuchungen zur französischen Diplomatie in München während der Revolutionszeit betrachtete JULIA HASSELHORN (Frankfurt am Main) die Krisenkommunikation der damaligen Gesandten in den Jahren 1789 bis 1799. Die entsprechenden Berichte der französischen Diplomaten könnten als Quelle einerseits eine wertvolle Außenperspektive auf die Situation in München während der letzten Regierungsjahre Karl Theodors liefern und andererseits auch Rückschlüsse darüber zulassen, welche Rolle französische Gesandte als Akteure im öffentlichen Kommunikationsprozess der Zeit spielten. Auffallend sei der in den Akten nachweisbare, häufige Wechsel der Gesandten, sodass eine Vertrauensbasis und Netzwerke regelmäßig neu aufgebaut werden mussten. Weiterhin hätten die jeweils amtierenden Diplomaten stets versucht, sich in diesen krisenhaften Jahren als persönliche Garanten für Stabilität zu inszenieren, sodass deren hohe Einschätzung ihrer Eigenwirkung sich auch in ihren Berichten niederschlug. Als Akteure vor Ort hätten sie nicht nur die Herrschaftseffizienz der Regierung Karl Theodors beurteilt, sondern zugleich mit Blick auf die Zukunft bereits früh mit späteren Regierungsvertretern Max Josephs interagiert, woran langfristige strategische Überlegungen Frankreichs abzulesen seien.

Die zweite Sektion des Workshops wurde mit einem Vortrag von LUISA GÖTZ (Würzburg) zu Frankfurt am Main als Knotenpunkt der europäischen Diplomatie eröffnet, wobei sie einen besonderen Fokus auf die Gesandtschaft der ernestinischen Fürstentümer am Bundestag legte. Das Wirken mindermächtiger Kleinstaaten sei bislang wenig erforscht, da der Schwerpunkt bei Untersuchungen zur Geschichte des Deutschen Bundes zumeist auf den Dualismus zwischen den Großmächten Österreich und Preußen abziele. Ein bedeutsamer Umstand sei gewesen, dass die ernestinischen Staaten am Bundestag durch einen gemeinschaftlichen Gesandten vertreten wurden, der jedoch durch die kombinierte Stimmkraft der Kleinstaaten zumindest theoretisch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Politik des Deutschen Bundes einnehmen konnte. Für die ernestinischen Fürstentümer, welche bislang nur wenige Vertretungen in anderen Staaten unterhalten hatten, war die Akkreditierung auswärtiger Diplomaten am Bundestag von besonderer Bedeutung, da ihrem gemeinsamen Gesandten in Frankfurt auf diese Weise der Zugang zur internationalen Diplomatie und den damit verbundenen Informationsnetzwerken maßgeblich erleichtert wurde.

Anschließend ging SVEN MÖRSDORF (Florenz) am Beispiel Österreich-Ungarns der Frage nach, wie mit Auslassungen und Streichungen in Konsularkorrespondenzen umzugehen sei. Viele Themen, die in den geglätteten politischen Berichten des k.u.k. Auswärtigen Dienstes nicht behandelt wurden, seien in den oftmals wesentlich ausdrucksstärkeren österreichischen Administrativdokumenten und insbesondere „amtlichen Privatschreiben“ zu finden. Exemplarisch für das Forschungspotenzial in diesen Quellen seien etwa die im Österreichischen Staatsarchiv erhaltenen Briefe der Diplomatengattin Teresina Lippich von Lindburg. Aus diesen gehe hervor, dass sie sich an der Seite ihres früh verstorbenen Ehemannes, des Generalkonsuls Friedrich Lippich von Lindburg, regelmäßig als informelle Vermittlerin eingesetzt hatte und somit einen entscheidenden Beitrag bei verschiedenen diplomatischen Vorgängen leisten konnte. Dass ihre Verdienste in den späteren Berichten unsichtbar gemacht wurden, sei den bisherigen Untersuchungen zufolge auch als Resultat des ministeriellen Geschäftsganges einzuordnen. Somit sei es wichtig, bei Quellenrecherchen nicht nur auf die Dokumente der obersten Ebene zu blicken, sondern ebenfalls Zusatzinformationen aus den Administrativüberlieferungen miteinzubeziehen.

Schließlich beschäftigte sich KATHLEEN SIEMERMANN (München) in ihrem Vortrag mit den Netzwerken des US-Generalkonsuls Charles W. Thayer im München der 1950er-Jahre. Der Fokus auf die konsularische Vertretung in München sei besonders spannend, da es in den Umbrüchen der Nachkriegsjahre auf amerikanischer Seite oftmals nötig gewesen sei, Zuständigkeiten und Aufgaben eigener Institutionen in der Besatzungszone neu auszuhandeln. Thayer selbst sei durch frühere Karrierestationen in Moskau, als Leiter des Office of Strategic Services in Österreich sowie als Direktor von Voice of America in New York prädestiniert für den Posten als US-Generalkonsul gewesen. Eine wichtige Quelle für die Erforschung von Thayers Netzwerken in München sei sein in der Harry S. Truman Presidential Library erhaltenes „Office Diary“, das er vom Juni 1952 bis zum März 1953 führte. Trotz der inhaltlichen Grenzen dieser Quelle liefere sie dennoch erste quantitative Erkenntnismöglichkeiten zu Thayers Münchner Kontakten und ihrer Frequenz, insbesondere auch in Hinblick auf den Austausch mit Vertretern der bayerischen Staatsregierung. Durch die Verknüpfung mit anderen Quellen wie den offiziellen Akten des Generalkonsulats sei es so möglich, die Entscheidungsprozesse Thayers genauer zu rekonstruieren.

Im Rahmen der Abschlussdiskussion zeichnete LENA OETZEL (Salzburg) die aus den Vorträgen des Workshops ersichtlichen roten Linien noch einmal in einem einordnenden Kommentar nach. Die drei Dimensionen der Akteure, Praktiken und Räume seien bei Untersuchungen der Diplomatiegeschichte zentral und würden epochenübergreifend sowohl Kontinuitäten aufweisen als auch Veränderungen durchlaufen. In Hinblick auf künftige Forschungsperspektiven im Bereich diplomatischer Akteure sei es neben der bereits angesprochenen Rolle von Diplomatengattinen weiterhin bedeutend, Stiftungen und Institutionen mitzudenken. Bei den Praktiken der Diplomatie sei eine große Konstanz in der Art der vielfältigen Quellengattungen zu erkennen, wobei der oftmals unterschätzte Faktor der Beilagen als Teil von Kommunikationsprozessen ebenfalls Berücksichtigung finden solle. Außerdem sei schließlich die räumliche Dimension für die Diplomatiegeschichte signifikant, um etwa Vorgänge informellen Handelns zu identifizieren. Wie mehrfach im Laufe des Workshops dargestellt, seien Gesandte abschließend als vielfach vernetzte Akteure vor Ort zu verstehen, für deren effektives Handeln nicht nur der Aufbau von Beziehungen am Einsatzort, sondern auch die Aufrechterhaltung der Kontakte zur heimatlichen Entsendezentrale entscheidend sei.

Konferenzübersicht:

Ferdinand Kramer (München): Grußworte und Moderation

Madeleine Herren-Oesch (Basel): Diplomacy on the Margins: Globaler Handel und internationale Beziehungen

Ferdinand Kramer (München): Eröffnung des Workshops

Kathleen Siemermann (München), Benedikt Wallner (München): Einführende Worte

Sektion I: Frühe Neuzeit
Moderation: Franziska Sedlmair (München)

Florian Runschke (München): Agenten und Gesandte der bayerischen Herzöge im Italien des 15.–17. Jahrhunderts

Benedikt Wallner (München): Londoner Berichte (1741–1783) – Die Gesandtschaftskorrespondenz des Joseph von Haslang aus praxeologischer Sicht

Julia Hasselhorn (Frankfurt am Main): Französische Diplomatie in München während der Revolutionszeit (1789–1799)

Sektion II: 19. und 20. Jahrhundert
Moderation: Tassilo Soos (München)

Luisa Götz (Würzburg): Frankfurt am Main: Ein Knotenpunkt der europäischen Diplomatie – Die Gesandtschaft der ernestinischen Fürstentümer am Bundestag

Sven Mörsdorf (Florenz): Das Nichtberichtete – Zum Umgang mit Auslassungen und Streichungen in der k.u.k. Konsularkorresponden

Kathleen Siemermann (München): Cold War Consul? Die Netzwerke des US-Generalkonsuls Thayer im München der 50er Jahre

Lena Oetzel (Salzburg): Abschließendes Fazit

Ferdinand Kramer (München): Schlussworte