Der Umgang mit dem Tod erscheint im kulturellen oder religiösen Kontext als ein wandelbares gesellschaftliches Konstrukt und veränderte sich im Laufe der letzten Jahrtausende, Jahrhunderte und Jahrzehnte ebenfalls in seiner Darstellung und (Er-)Forschung. Gerade durch die fortschreitende Digitalisierung, neue Forschungsmethoden und neue handwerkliche Techniken, ist das Themenfeld der Sepulkralkultur ein sich ständig wandelnder Forschungsbereich. Am 23. März 2024 wurde diesem im Museum für Sepulkralkultur auf der 13. Tagung mit dem Titel transmortale nachgegangen. Die transmortale setzt sich, deutschlandweit einzigartig, mit neuen Forschungen rund um Sterben, Trauer(kultur) und dem Tod im Allgemeinen aus den Perspektiven unterschiedlicher Fachrichtungen auseinander und bringt Forschende zusammen. Sie bietet ein Forum für Vertreter:innen aus den Kultur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften und weiteren Disziplinen, aber auch für Praktiker:innen, die sich die sich mit Sterben, Tod und Trauer auseinandersetzen und sich austauschen möchten.
Der erste Vortrag von JANA PAULINA LOBE (Bamberg) setzte sich mit der Fragestellung auseinander, ob es einen „Tod mit Biosiegel“ gäbe und wie dieser nachhaltige Bestattungsprozess aussehen könnte. Dazu befasste sich die Referentin zuerst mit dem Begriff Nachhaltigkeit. Sie umriss ihn mit einer Zusammengehörigkeit zur Klimaneutralität und Umweltverträglichkeit. In Bezug auf das Bestattungswesen in Deutschland stellte sie fest, dass die häufigste Bestattungsform die Kremation sei, bei der CO2 ausgestoßen werden würde. Anhand von qualitativen Expert:inneninterviews untersuchte Lobe alternative Bestattungsformen. Sie wies darauf hin, dass der Anbieter „Meine Erde“ die so genannte „Reerdigung“ als umweltfreundlichste Bestattungsart in Deutschland darstellt. Hierbei wird der tote Körper in einem dafür entwickelten Behälter quasi „kompostiert“. Andere Möglichkeiten einer nachhaltigen Bestattung bestünden auch in schneller abbaubaren und nachwachsenden Materialien der Urnen und Särge. Doch müsse sich diese vermeintlich „nachhaltige“, sich neu entwickelnde Bestattungsbranche als Markt zukünftig auch dem Vorwurf des „Greenwashings“ stellen. Die Diskussionsrunde griff den Begriff der Nachhaltigkeit aus Sicht der Bestatter:innen selbst auf. So wurde angeregt, dass auch der Beruf des Bestatters und der Bestatterin „emotional“ nachhaltiger werden müsste. Gerade im Bereich der emotionalen Arbeitsbelastung müssten hier neue Konzepte der Prävention und des nachhaltigen Arbeitsschutzes entstehen.
JENS TERBRACK (Münster) griff das Thema der palliativen Versorgung von selbstverwahrlosten Menschen im häuslichen und im stationären Umfeld auf. So stellte er bei seiner eigenen Arbeit im palliativen Zusammenhang sowohl eine Tabuisierung von Selbstverwahrlosung, aber auch der Beerdigung selbst fest. Terbrack arbeitete heraus, dass diese Selbstverwahrlosung meist temporär auf Krisensituationen oder „chronisch“ auf psychische Erkrankungen zurückgehe. Das Alter, das Geschlecht (meist seien weibliche Patientinnen betroffen gewesen), der Gesundheitszustand und der sozioökonomische Status, könnten hierbei verstärkend auf die Selbstverwahrlosung einwirken, so Terbrack. Um diese besonderen Umstände bei der palliativen Versorgung berücksichtigen zu können schlug der Referent vor, dass hierfür eine multidisziplinäre und emphatische Herangehensweise entwickelt werden müsste, in deren Rahmen auch Aufklärungsarbeit bei dem vermeintlich tabuisierten Thema der Selbstverwahrlosung geleistet werden sollte. Im Plenum wurde seitens Pfleger:innen, Bestatter:innen und Ehrenamtlichen aus der Pflegebranche festgestellt, dass das Phänomen der Selbstverwahrlosung bei Patient:innen und Todesfällen in den letzten 10 Jahren stark zugenommen hätte. So sei ein dementsprechendes neues Schulungsprogramm dringend von Nöten. Auch wurde die Frage rund um das Recht auf Privatsphäre inklusive des Rechts auf Selbstverwahrlosung kontrovers diskutiert. Einen eindeutigen „moralisch richtigen Weg“ schien es demnach im Umgang mit der rechtlichen Frage nicht zu geben.
ANDREA JÄGGI-STAUDACHER (Zürich (CH)) beschäftigte sich als Designerin und als Bestatterin mit der Gestaltung von Abschiedsräumen. Ihre Forschungsarbeit setzt sich mit der Entwicklung eines für die Abschied nehmenden Angehörigen „optimalen atmosphärischen“ Abschiedsraumes auseinander. In ihrem Vortrag arbeitete Jäggi-Staudacher heraus, dass die Komponenten Raum, Angehörige und toter Körper eng miteinander verwobene Bestandteile der Atmosphäre eines solchen Raumes seien. Mithilfe von Gesprächen mit Angehörigen, Pulsmesstechnik, künstlicher Intelligenz und selbst entwickelten Bildkarten versuchte sie den „optimalen Abschiedsraum“ zu ergründen. Resümieren ließe sich, so die Referentin, dass die Einrichtung und die Atmosphäre des Raumes oft stark auf die individuellen Bedürfnisse von Angehörigen ausgerichtet werden müsste. Jäggi-Staudacher forscht demnach weiterhin an der Entwicklung verschiedener in der Praxis anwendbaren Raumkonzepten, die sie mit Hilfe künstlicher Intelligenz in Zukunft verfeinern möchte. Die im Plenum gestellten Fragen befassten sich einerseits mit Wirkung von Farben und Formen von Objekten im Abschiedsraum, aber auch mit der Vorgehensweise der Verwendung von KI. So sei die Wirkung von Farben auch abhängig von individueller Prägung und dem Kulturkreis der Abschied nehmenden Person.
Mit Bestattungen hinduistisch gläubiger Personen befasste sich anschließend ANJULI AGGARWAL (Stuttgart). Sie berichtete aufgrund persönlicher Erfahrungen aus ihrem familiären Umfeld, aber auch durch sieben Interviews inspiriert, von den (Un-)Möglichkeiten hinduistischer Bestattungen innerhalb Deutschlands. Ein großes Problem sei insbesondere der Faktor Zeit. So müssten hinduistische Bestattungen innerhalb von 24 Stunden durchgeführt werden. Diesem zeitlichen Rahmen stünden jedoch deutsche behördliche Vorgaben im Wege. Weiter beschrieb Aggarwal, dass es deutschlandweit wohl nur wenige hinduistische Priester gebe, die für eine Durchführung einer hinduistischen Bestattung ansprechbar wären. Ihr selbst sei lediglich einer bekannt. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage nach der Gesetzgebung gestellt. Gerade ob sich betroffene Hinduist:innen bereits vor Gericht gegen bestehende deutsche Bestattungsgesetze wehren würden. Aggarwal fasste zusammen, dass sich seitens der hinduistischen Gläubigen in Deutschland schon einiges bewegt habe, die deutsche Gesetzeslage jedoch weiterhin in zentralen Aspekten einer angemessenen hinduistischen Bestattung im Weg stünde.
VINCENT PLATINI (Berlin) stellte seine Forschung und Publikation rund um Selbstmordbriefe aus Pariser Archiven vor. Für seine Forschung wählte er aus 555 solcher archivierten und seit dem 18. Jahrhundert entstandenen Briefe 220 aus, welche er beispielsweise hinsichtlich ihrer textlichen Gestaltung untersuchte. Platini stellte heraus, dass Selbstmordbriefe als eigene Gattung gelten müssten, da sie auf Grund der Unmöglichkeit einer Antwort des Empfängers nicht zu Abschiedsbriefen gezählt werden dürften. Die Archivierung der Briefe selbst könne viel über die gesellschaftliche Situation des Verfassungszeitraumes erzählen, so Platini. Der Selbstmord galt in Frankreich bis 1791 als strafbar, sodass die ältesten archivierten Selbstmordbriefe meist den Zweck einer rechtlichen Entschuldigung des „Verbrechens“ erfüllt hätten und deshalb von den polizeilichen Behörden archiviert worden wären. Im anschließenden Plenumsgespräch wurde der Begriff Selbstmord unter der Perspektive der Begrifflichkeit des Mordens kritisch beleuchtet. Weiter wurden die Auswahlkriterien der Briefe im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Briefe durch Vincent Platini ausgewertet. Platini hatte die Verfasser:innen der Briefe als Autor:innen eingestuft und orientierte sich demnach an möglichen Urheberrechten von Autor:innen. Schließlich wurde die Veränderung der Intention des Verfassens der Briefe über die Jahrhunderte hinweg hinterfragt.
MARTIN CHRIST (Erfurt) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der schriftlichen Erfassung von Todesfällen vom 16. bis Mitte des 19. Jahrhunderts. In den in England, Schottland und Irland veröffentlichten „Bills of Mortality“ wurden von den weiblichen sogenannten „Searchers“ Todesfälle in Zusammenhang mit dem Todesort und der Ursache zusammengetragen. Diese gäben der Forschung Einblicke über die Bevölkerungszahl, den allgemeinen Gesundheitszustand, vermehrt aufkommende Krankheiten (z. B. Pest) und allgemeine Städte- und Wohnstrukturen, so Christ. Die „Bills of Mortality“ ermöglichten somit einen Einblick in mögliche frühneuzeitliche Todesarten und den Vergleich von städtischen Infrastrukturen. In der anschließenden Fragerunde wurde die damalige Datenerfassung durch Frauen näher analysiert. Es wurde die These aufgestellt, dass die Datenerhebung möglicherweise deshalb „Frauensache“ war, da Frauen auch in der Tradition der „Heilerinnen“ und Hebammen standen, die eben auch mit Todesfällen konfrontiert gewesen seien. Eine genauere (Er-)Forschung dieses frauengeschichtlichen Themenaspektes der „Bills of Mortality“ steht noch aus.
KERSTIN LEYENDECKER (Bonn) untersuchte in ihrer Forschungsarbeit und vor dem Hintergrund ihres Arbeitsalltags als freiberufliche Trauerbegleiterin den Umgang von Unternehmen und Arbeitgeber:innen mit Todesfällen im Arbeitsumfeld. Zu Beginn arbeitete sie heraus, dass viele Unternehmen in Deutschland in den kommenden Jahren dem demografischen Wandel unterliegen und somit Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen häufiger mit Todesfällen konfrontiert werden würden. In diesem Zusammenhang kritisierte Leyendecker fehlende Schulungsangebote. Daher soll im Rahmen ihrer Forschung insbesondere auf die Bedürfnisse von Arbeitnehmer:innen eingegangen und mögliche Organisationsformen erarbeitet werden, die einen gelungenen Umgang mit Todesfällen im Kontext des Arbeitsalltages darstellen könnten. Leyendecker hat diesbezüglich teilnehmende Beobachtungen sowie beobachtete Teilnahmen in Unternehmen durchgeführt und wertete Interviews mit betroffenen Personen aus. Auch die Rolle der Unternehmen wurde in diesem Zusammenhang untersucht. Vor diesem Hintergrund stellte sie fest, dass Unternehmen stets in einem Spannungsverhältnis zwischen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren Arbeitnehmer:innen und andererseits für die Sicherung der Produktivität am Arbeitsplatz stünden. Schlussendlich entwickelte sie ein Konzept, welches im Rahmen des betrieblichen „Gesundheitsmanagements“ auf die (mentale) Gesundheit der Arbeitnehmer:innen vor, während und nach einem Trauerfall einwirken kann.
Mit Trauerpraktiken und der Auseinandersetzung mit Todesfällen in den sozialen Netzwerken setzte sich SANDRO WICK (St. Gallen (CH)) auseinander. Er untersuchte dafür verschiedene Umgangs- und Kommunikationsformen in digitalen Formaten, beispielsweise virtuelle Kondolenzbekundungen, „Online-Friedhöfe“ und Trauerforen. Auch damit einhergehende (mediale) Berichte standen im Fokus der Forschung rund um diese neue Trauerformen. Als eine Quelle für seine Forschungen nutzte Wick das in Zürich angesiedelte Projekt „Trauerpraktiken im Internet“. Im Rahmen dieses Projektes wurde sich mit (Zeitungs-) Artikeln, Beiträgen aus Radio und Fernsehen, Kolumnen und mit Interviews auseinandergesetzt. Wick erforschte, wie (Online-) Trauerpraktiken in den Medien aufgegriffen werden und welche sprachlichen Muster sich im Zuge medialer Darstellungen von Trauer und Tod im Internet ergeben würden. Ihm sei aufgefallen, dass sich auch die Darstellungen selbst danach unterscheiden würden, ob einer Privatperson oder einer prominenten/bekannten Person gedacht werde.
Die transmortale XIII stellte sich als eine Tagung rund um die Themenbereich Tod, Trauer und Bestattung heraus, die auch neue Formen (digitaler) Darstellungen dieser Bereiche ins Blickfeld nahm. So vermischten sich geschichtswissenschaftliche, literaturhistorische Beiträge mit weiteren transdisziplinären Forschungen und Quellenarbeiten. Dies machte gerade den Reiz der diesjährigen transmortale aus. Einige der Referent:innen haben sich zudem in ihren Forschungen der Methode des Interviews bedient, was ihre Forschungsthemen sehr nahbar werden ließ.
Konferenzübersicht:
Dirk Pörschmann (Kassel): Einführung
Jana Paulina Lobe (Bamberg): Nachhaltigkeit stirbt zuletzt? Einblicke in den grünen Umbruch der Bestattungsbranche
Jens Terbrack (Münster): Leben in Würde – Sterben in Würde? Die Herausforderung mit selbstverwahrlosten Menschen in der ambulanten Palliativversorgung unter Berücksichtigung multiprofessioneller Akteure
Andrea Jäggi-Staudacher (Zürich): „Abschiedssphären – das Design der letzten Begegnung“ (2022–2027)
Anjuli Aggarwal (Stuttgart): „Dying in Germany is a punishment“. Narrative eines stillen Leidens: Bestattungspraktiken und -erfahrungen von Hindus in Deutschland
Vincent Platini (Berlin): Geisterschriften: Entstehung einer Selbstmordbriefsammlung
Martin Christ (Erfurt): Mehr als Statistiken: die „Bills of Mortality“ in England, Schottland und Irland, c. 1600–1850
Kerstin Leyendecker (Bonn): Tod und Trauer am Arbeitsplatz und die Auswirkungen auf das Tun und Handeln innerhalb von Unternehmen in Deutschland
Sandro Wick (St. Gallen): „Das Netz füllte sich mit Trauer.“ Medienberichterstattung über Trauerpraktiken im Internet aus diskurslinguistischer Perspektive
Abschlussdiskussion