Hanse und Bischöfe

Organisatoren
Rudolf Holbach / Carsten Jahnke, Hansischer Geschichtsverein e.V.
Ort
Hildesheim
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
20.05.2024 - 23.05.2024
Von
Maria Seier, Lehrgebiet Geschichte und Gegenwart Alteuropas, FernUniversität Hagen

Für den 20.-23. Mai 2024 hatte der Hansische Geschichtsverein zu seiner 139. Pfingsttagung nach Hildesheim geladen. Angeregt durch die mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte der Stadt Hildesheim, die zum einen als Kathedralstadt einem bischöflichen Landesherrn unterstand und zum anderen in die wirtschaftlichen und politischen Netzwerke der Hanse eingebunden war, stand thematisch bei der von Rudolf Holbach und Carsten Jahnke ausgerichteten Tagung das Verhältnis von Kaufleuten und Bürgern wie auch der Hanse als Ganzes zu solchen Trägern geistlicher und weltlicher Macht im hansischen Aktionsraum im Mittelpunkt. Fragen danach, wie sich die Herrschaftsverhältnisse gestalteten, in welcher Weise sie durch innerstädtische Auseinandersetzungen oder Stiftsfehden unter Druck gerieten oder welche Verflechtungen zwischen Bürgerschaft und Geistlichkeit auf verwandtschaftlicher oder amtsbezogener Ebene bestanden, sollten näher beleuchtet werden. Ebenso sollte nach den wirtschaftlichen Beziehungen wie auch nach den religiösen oder kulturellen Implikationen geistlicher Stadtherrschaft gefragt werden.

In seiner thematischen Einführung unterstrich RUDOLF HOLBACH (Oldenburg) die Bedeutung, die der Bischof in seiner Doppelfunktion als weltlicher und geistlicher Herrscher für die ihm untergebenen Städte gehabt habe. Dabei sei von durchaus heterogenen Beziehungen und Kräfteverhältnissen zwischen Städten und Bischöfen auszugehen, beeinflusst durch die Größe der Städte und der Bistümer, durch bestehende Verwandtschaftsverhältnisse und andere Netzwerke oder beeinflusst durch die unterschiedlichen Beziehungen der Bischöfe nach Rom und die jeweilige Zusammensetzung des Domkapitels. Ein Mit- oder Gegeneinander könne auf den unterschiedlichsten Ebenen beobachtet werden, seien es politische und militärische Allianzen oder Landfriedensbündnisse, seien es Handelsgeschäfte und Kreditvergaben an den Bischof oder aber Anfragen an die bischöfliche Kanzlei zur Unterstützung bei der Abfassung oder Beglaubigung von Schriftstücken.

Die Frage nach der städtischen Autonomie und dem Grad an Kooperation oder Konfrontation in Fällen, wo der Bischof zugleich als weltlicher und geistlicher Herrscher fungierte, griffen mehrere Beiträger auf. So lenkte HENNING STEINFÜHRER (Braunschweig) den Blick nach Halberstadt, der sich schon wegen der äußerst breiten Überlieferungslage lohne, die bislang von der Forschung kaum ausgeschöpft worden sei. Er konstatierte für Halberstadt ein wechselvolles Verhältnis zwischen Stadt, Bischof und Domkapitel. Dank wirtschaftlicher Prosperität und der Einbindung in den Sächsischen Städtebund sei es dem Rat gelungen, die eigenen Rechte und die Autonomie der Stadt zu festigen. Aber auch das Domkapitel habe seine Position gegenüber dem Bischof ausbauen können und immer wieder versucht, mal gegen die Stadt, mal gegen den Bischof zu opponieren. Demgegenüber zeichnete JÜRGEN SARNOWSKY (Hamburg) für die Situation in Bremen ein harmonischeres Bild, das überwiegend durch Kooperation und Zusammenarbeit gekennzeichnet gewesen sei, die beiden Seiten zu Gute kam. Ablesbar sei dies z. B. an der Landfriedenspolitik, der Intervention des Erzbischofs zugunsten einzelner Kaufleute oder ganzer Städte, der Gewährung von Geleit für städtische Gesandte oder dem Hinzuziehen des Erzbischofs als Vermittler. Im gesamthansischen Kontext seien Bremer Erzbischöfe jedoch nur selten greifbar gewesen. Noch weitreichender war die Unterstützung, die man in der Stadt Hildesheim dem Bischof entgegenbrachte, wie MICHAEL SCHÜTZ (Hildesheim) anhand der Ereignisse der Stiftsfehde von 1519-1523 schilderte. Schon vor der Stiftsfehde habe weitgehendes Einvernehmen zwischen Stadt und Bischof bestanden, das sich noch verstärkte, als es dem Bischof gelungen sei, die Stadt im Kontext der Stiftsfehde für sein Bündnis zu gewinnen. Ein militärisches Engagement der Hildesheimer Bürger sei jedoch erst dann erfolgt, als ihnen der Bischof das ausschließliche Braurecht im Stiftsbereich zugestand. Insofern habe nach Einschätzung von Schütz eine pragmatisch-nüchterne Vorteilsberechnung die städtische Haltung bestimmt. MICHAEL SCHOLZ (Potsdam) beleuchtete die Beziehungen der Altstadt Magdeburg zu seinem bischöflichen Herrscher, der sich durch seine Ämterhäufung kaum in der Stadt aufhielt.

Anders gestaltete sich die Lage in Reval (Tallinn), wo der Deutsche Orden und nicht der Bischof Stadtherr war und – je weiter nördlich im Hanseraum je ausgeprägter, möchte man meinen – das geistliche Personal überwiegend bürgerlichen Familien der umliegenden Städte entstammte. MADIS MAASING (Tartu) stellte aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vier Konflikte mit jeweils variierenden Konfliktparteien (Bischof, Domkapitel, Stadtrat und der Deutsche Orden) vor, in denen es z. B. um die Besetzung geistlicher Ämter oder um das Schulmonopol des Domkapitels in Reval ging. Dabei habe sich gezeigt, dass die Allianzen wechselten, wobei sich das Domkapitel oder die Stadt entweder mit dem Orden verbunden hätten oder neutral geblieben seien. Von noch weitreichenderen Formen der Zusammenarbeit zwischen Domkapitel und Stadt berichtete MARKUS KRANZ (Kiel) für Lübeck. So konnte er im 14. und 15. Jahrhundert gleich mehrere Kanoniker ausmachen, die erst als Stadtschreiber für den Rat tätig gewesen seien und zeitgleich oder anschließend als Domherren nachzuweisen waren. Ebenso habe es Fälle gegeben, dass der Lübecker Bischof auf Bitten der Stadt an Gesandtschaften teilgenommen und als Vermittler hinzugezogen worden sei. Der städtische Rat habe aktiv den Fundus gelehrten und hoch angesehenen Personals aus den Reihen des Domklerus genutzt, sodass von einem Gegeneinander zwischen Bischof und Stadt für Lübeck nicht die Rede sein könne. Auch für das preußische Ermland seien enge Verbindungen zwischen dem Bischof und den Hansestädten feststellbar, wie JUSTYNA WUBS-MROZEWICZ (Amsterdam) darlegte. So hatten vier der sieben Bischöfe in der Zeit von 1466 bis 1566 familiäre Beziehungen zu Hansekaufleuten bzw. Ratsleuten in Hansestädten und seien wiederholt auf dem diplomatischen Parkett für die Städte in allgemeinen Problemen, aber auch dezidiert hansischen Angelegenheiten tätig geworden. Die Bischöfe seien sich ihrer Kompetenz und ihres Einflusses wohl bewusst, agierten häufig im Hintergrund, wodurch sie vielleicht noch effektiver gewesen seien. Insofern sei der Rückgriff auf den Bischof für die Hansestädte häufig vorteilhaft gewesen, konnte aber auch problematisch sein, sollte sich der Bischof z.B. bei innerstädtischen Konflikten auf die gegnerische Seite stellen.

Ganz andere Zugänge zum Tagungsthema wählten die Beiträger der dritten Sektion. Im spätmittelalterlichen Stockholm seien die kirchlichen Verhältnisse kompliziert gewesen, wie ALEXANDER ANDRÉE (Stockholm) und JOAKIM KJELLBJERG (Stockholm) ausführten. Verbunden mit dem Aufstieg Stockholms zu einer bedeutenden Stadt, habe sich ein Streit zwischen dem Erzbischof von Uppsala und dem Bischof von Strängnäs um die Zuständigkeit entzündet, sodass die Frage, wer im Spätmittelalter kirchliches Oberhaupt der Stadt gewesen sei, kaum zu beantworten sei, zumal die Bettelorden in der Stadt eine starke Präsenz hatten und im Streit um die Zuständigkeiten mit eingebunden waren. GREGOR ROHMANN (Rostock) konnte anhand von kirchlichem Schriftgut, das rund um die Gefangennahme des Bischofs Thorde von Strängnäs durch die Vitalienbrüder Ende des 14. Jahrhunderts überliefert wurde, aufzeigen, dass Überlegungen zur rechtlichen Einordnung der Vitalienbrüder bereits von den Zeitgenossen angestellt worden waren. PETER BAKKER (Elburg) und RUDOLF BOSCH (Elburg) gaben einen Einblick in die sozio-politischen und finanziellen Beziehungen von Hansestädten zur Geistlichkeit in Geldern und Utrecht.

So lässt sich zusammenfassend festhalten, dass es der Tagung gut gelungen ist, ein vielfältiges Bild der Verhältnisse zwischen Hansestadt und Bischof zu zeichnen. Lagen weltliche und geistliche Herrschaft in gleicher Bischofshand, so wurden die Beziehungen häufig von dem Bemühen dominiert, die städtische Autonomie zu erhalten bzw. weiter auszubauen. Hier scheinen Städte mit einem ausschließlich weltlichen Herrscher unbelasteter auf Bischof und Domkapitel als Verbündete oder Vermittler zurückgegriffen haben. Ein weiterer wichtiger Punkt, auf den auch CARSTEN JAHNKE (Kopenhagen) in seiner zusammenfassenden Schlussbetrachtung hinwies, hängt mit der Zusammensetzung des Domklerus zusammen. Je weitreichender im Domklerus Söhne bürgerlicher Familien vertreten waren, desto umfassender sei eine Einbindung der Kathedraleliten in die städtische Verwaltung und Politik erfolgt – eine Beobachtung, die es weiter zu vertiefen gelte. Ebenso seien auf der Tagung Fragen danach, welche Implikationen die bischöfliche Herrschaft auf die Religiosität und Glaubenspraxis in den Städten hatte und dazu, wie der Stadtraum als Raum des Bischofs genutzt worden sei, zu kurz gekommen. Hier gebe es noch weiteren Forschungsbedarf. Ergänzen möchte man, dass dies auch für die durch die Reformation hervorgerufenen Umwälzungen gilt, durch die sich die Herrschaftsverhältnisse und –strukturen im hansischen Aktionsraum neuerlich veränderten. Zudem wäre es für die Zukunft eine Bereicherung, wenn diese und andere Aspekte des Themas auch mit dem Blick und Interesse von mehr Forscherinnen beleuchtet würden.

Konferenzübersicht:

Sektion 1
Ulla Kypta (Hamburg): Moderation

Rudolf Holbach (Oldenburg): Hansestädte und Bischöfe. Einführung in das Tagungsthema

Henning Steinführer (Braunschweig): Zwischen Konflikt und Kooperation. Zum Verhältnis von Bischof, Stadt und Hanse in Halberstadt im späten Mittelalter

Jürgen Sarnowsky (Hamburg): Das Erzbistum Bremen und die Hansestädte im späteren Mittelalter

Michael Scholz (Potsdam): Bischof, Stadt und Reformation. Zum Verhältnis der Altstadt Magdeburg zum Erzbischof in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Projektvorstellungen
Carsten Jahnke (Kopenhagen): Moderation

Lovisa Olsson Södertörn (Uppsala): In Profit and Loss: Merchant Networks and Town Politicians in the 16th Century Towns of the Baltic Rim

Niels Fieremans (Gent): Law, Leverage, and Litigation. The legal strategies of foreign merchants before the courts of late medieval Bruges

Christian Manger (Amsterdam): Verhandeltes Gemeinwohl – Städtische Diplomatie in Reval (Tallinn) und Lübeck, 1470–1570

Zachary Potter-Zimmerman (Gainsville): Devotion and Penitence: Following the Steps of Pilgrims from the 15th-Century Lübeck

Öffentlicher Abendvortrag

Michael Schütz (Hildesheim): Hildesheim, der Bischof und die Hansestädte in der Stiftsfehde 1519-1523

Sektion 2
Angela Huang (Lübeck): Moderation

Markus Kranz (Kiel): Die dienstlichen Beziehungen zwischen den Bischöfen zu Lübeck, dem Klerus und der Stadt im 15. Jahrhundert

Madis Maasing (Tartu): Die Verbindungen des Bistums und der Stadt Reval (Tallinn) im Hinblick auf deren Beziehungen mit dem Deutschen Orden im 15. Jahrhundert.

Justyna Wubs-Mrozewicz (Amsterdam): Bischöfliche Diplomaten im späten Mittelalter und im sechzehnten Jahrhundert: Das Beispiel des Bischofs von Ermland

Rudolf Bosch (Elburg) / Peter Bakker (Elburg): Macht und Ohnmacht. Sozio-politische und finanzielle Beziehungen zwischen Hansestädten und kirchlichen Institutionen im Herzogtum Geldern und Fürstbistum Utrecht, ca. 1400-1550

Sektion 3
Carsten Jahnke (Kopenhangen): Moderation

Alexander Andrée (Stockholm) / Joakim Kjellbjerg (Stockholm): Who governed the Church in medieval Stockholm?

Gregor Rohmann (Rostock): Zwischen Mecklenburg, Stockholm und Rom. Die „Vitalienbrüder“ und der Bischof Thorde von Strängnäs

Carsten Jahnke (Kopenhagen): Zusammenfassung