Am 21. Juni 2024 folgten zahlreiche Gäste dem Aufruf, am 324. Hessisch/Mittelrheinischen Kolloquium des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte teilzunehmen, um sich erneut über die neuesten Forschungsergebnisse auszutauschen. Die Arbeitssitzungen des Konstanzer Arbeitskreises blicken auf eine lange Tradition zurück und werden seit 1964 in der Regel einmal pro Semester abgehalten. Die drei Referentinnen stellten ihre Forschungsergebnisse vor und eröffneten den versammelten Gästen so vielseitige Einblicke in ihre Arbeit.
Den Aufschlag machte JULIA BÜHNER (Frankfurt am Main), die in ihrem Vortrag die Eroberung der Kanarischen Inseln durch die katholischen Könige im Spanien des 15. Jahrhunderts thematisierte. Dabei zeichnete sie nach, wie es den spanischen Herrschern gelang, die Inseln schrittweise zu erobern und in ihren Herrschaftsbereich zu integrieren. Bühner stellte klar, dass die conquistas der Kanarischen Inseln im Kontext der Reconquista zu betrachten seien und erläuterte, wie die Inseln des Archipels unter dem immer gleichen Dreischritt, den sie mit „erbeuten“, „erobern“ und „beherrschen“ beschrieb, unter die Kontrolle der spanischen Krone gebracht wurden. Zuerst ging sie hierbei auf die sogenannten capitulaciones ein, welche zwischen den spanischen Fürsten und den Konquistadoren geschlossen wurden. Im Kern gestanden die Fürsten den Konquistadoren hierin das Recht zu, in ihrem Namen neue Gebiete zu erobern und beanspruchten zugleich einen Teil der Einnahmen für sich.
Nach der Erbeutung der Inseln galt es diese zu erobern. Die Inseln waren zu dieser Zeit bereits bewohnt und wurden von lokalen Adelsfamilien beherrscht. Bühner führte aus, dass sich die Interaktion zwischen spanischen Eroberern und lokaler Bevölkerung sehr unterschiedlich gestaltete. Diese reichte von friedlicher Koexistenz bis hin zum offen ausgetragenen bewaffneten Konflikt. Zu guter Letzt richtete Bühner ihren Blick auf die Beherrschung der Inseln und die Legitimationsversuche, die angestellt wurden, um die vorausgegangene Unterwerfung der Insel zu rechtfertigen. Sie stellte drei Legitimationsstrategien vor: Erstens die der Reconquista, zweitens die der Niederschlagung von Aufständen und drittens die der Rückeroberung christlicher Gebiete.
ANNE FOERSTER (Paderborn) lenkte den Blick von den spätmittelalterlichen Eroberungsfahrten hin zu den Wendenkreuzzügen. In ihrem Vortrag stellte sie klar, dass vom König zwar erwartet wurde, sich im Krieg zu behaupten, dieser als christlicher Herrscher aber auch gerecht zu handeln hatte. Kriegsführung bedurfte daher auch im Früh- und Hochmittelalter einer Legitimierung, was zur Etablierung einiger Rechtfertigungsstrategien führte. Der Vortrag bezog sich hierbei auf historiographische Quellen und Dichtung. Die Texte stammten meist aus dem höfischen Kontext. Foerster zeichnete in ihrem Vortrag nach, wie sich die noch während der Karolingerzeit auf Identitätsstiftung und Herrscherlob ausgerichtete Historiographie bereits in der Ottonenzeit gewandelt hatte. Sie zeigte auf, dass die antike Idee des bellum iustum, die sowohl im Früh- als auch im Hochmittelalter breit rezipiert und seit Mitte des 12. Jahrhunderts systematisiert wurde, als Grundlage für die Legitimation der Herrscher diente. Als Grundlage dienten hier sowohl Schriften Ciceros als auch Augustinus‘. Im Fortlauf des Mittelalters gestalteten sich sodann vielseitigere Argumentationen aus, um Krieg zu rechtfertigen, wie etwa das Stürzen eines tyrannischen Herrschers – und damit der Errettung der Bevölkerung – sowie die Möglichkeiten einer Expansion des Reiches. Foerster ging darüber hinaus der Frage nach, inwiefern die Bekehrung eines unchristlichen Volkes als legitimes Kriegsziel galt. Um dies zu bewerkstelligen, ging sie auf Helmold von Bosau ein, der eine Zwangsmissionierung ablehnte und auf eine friedliche Bekehrung setzte. Daraus schloss sie, dass ein Krieg zur Bekehrung von Andersgläubigen gemeinhin nicht als legitim erachtet wurde.
Im letzten Vortrag des Tages gab VANINA KOPP (Münster) einen Einblick in ludische Aktivitäten im Mittelalter. Sie legte dar, dass Spiele im Mittelalter keineswegs nur dem Zeitvertreib dienten, sondern eine ernste Angelegenheit waren und normative Aufgaben erfüllten. Sie ging sowohl auf Spiele ein, die der körperlichen Ertüchtigung dienten, als auch auf Spiele, die die kognitiven Fähigkeiten der Spieler trainieren sollten. Sie gab hierbei mehrere Beispiele aus mittelalterlichen Handbüchern, welche sich mit Kampf, Tanz und Liebeskasuistik befassten. Kopp betonte, dass die Spiele von Zeitgenossen unterschiedlich rezipiert wurden, wobei die Spanne von einer Beurteilung als moralisch verwerflich bis hin zu moralisch nützlich reichte. Besonderes Augenmerk lag bei dem Vortrag auf der Frage, welche Aspekte des Spiels im Laufe der Zeit als handlungsrelevant erachtet und entsprechend kodifiziert wurden sowie ob es bei dem Prozess zu einer Normierung, Komplexifizierung und einer sozialen oder moralischen Bedeutungserweiterung kam.
Das nunmehr 324. Kolloquium des Konstanzer Arbeitskreises war wieder einmal sehr gut besucht und eröffnete den Anwesenden vielfältige und spannende Einblicke sowohl in mittelalterliche Eroberungspraxis und deren Legitimationsstrategien als auch in ludische Betätigungen im Mittelalter. Hierbei zeigte sich, sowohl am Beispiel der römischdeutschen Kaiser, als auch der spanischen Könige, dass kriegerische Konflikte und Eroberungen im Mittelalter keineswegs als selbstverständlich erachtet wurden. Die Frage nach der Legitimation von Herrschaft und Eroberung unter Anwendung von Gewalt ist damit eine Konstante, die sich nicht nur das gesamte Mittelalter durchzog, sondern auch heute nichts von ihrer Brisanz und Aktualität verloren hat. Das Kolloquium kann damit als voller Erfolg betrachtet und knüpfte an die lange Tradition an. So ebnete es zugleich den Weg für das 325. Kolloquium des Konstanzer Arbeitskreises im nächsten Semester.
Konferenzübersicht:
Ingrid Baumgärtner (Kassel) / Christian Jaser (Kassel): Einführung
Julia Bühner (Frankfurt am Main): Erbeuten, erobern, beherrschen. Die Conquistas der Kanarischen Inseln im Spiegel der Capitulaciones
Anne Foerster (Paderborn): Von Habgier und Glaubenseifer. Die (De)Legitimierung von Eroberungen slawischer Gebiete zur Zeit der ersten Kreuzzüge
Vanina Kopp (Münster): Ludische Betätigungen im europäischen Mittelalter zwischen normativen Vorgaben und gelebter Umsetzung