Kosmos Schloss Erbach – Sammeln als fürstliche Passion

Kosmos Schloss Erbach – Sammeln als fürstliche Passion

Organisatoren
Staatliche Schlösser und Gärten Hessen (Orangerie im Lustgarten)
Ausrichter
Orangerie im Lustgarten
Veranstaltungsort
Jahnstraße 11
Förderer
Hessische Kulturstiftung; Merck'sche Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft e.V.; Kreisstadt Erbach im Odenwald
PLZ
64711
Ort
Erbach im Odenwald
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
10.10.2023 - 11.10.2023
Von
Luisa Kösterke, Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Bruchsal

Als Begründer der Sammlungen wurde Franz I. zu Erbach-Erbach (1754–1823) Schnittpunkt der Vorträge. Im Anschluss an seine Grand Tour in den Jahren 1769 bis 1775 begründete der junge Graf seine Sammlung „merkwürdiger Geweihe“ und Gewehre, die er in zwölf Sammlungskatalogen mit Gestaltungen seines Hofkünstlers Johann Wilhelm Wendt (1747–1815) detailliert auflistete. In späteren Jahren ergänzten die Sammlungsschwerpunkte der Antiken, der mittelalterlichen Glasgemälde und der Zeugnisse der Ritterkultur die Sammlung, welche maßgeblich die Innenausstattung des Erbacher Schlosses beeinflusste. Ein Großteil der Sammlungen des letzten souveränen Landesfürsten lässt sich noch heute im Erbacher Schloss besichtigen. Für deren Erhalt war Eberhardt XV. (1818–1884), der Enkel Franz I, maßgeblich. Die fächerübergreifend ausgerichteten Referent:innen beleuchteten in ihren Vorträgen verschiedenste Aspekte der Erbacher Sammlungsgeschichte.

Die erste Sektion der Tagung führte in die Biographie Franz I. und seinen Einfluss auf die Gestaltung des Erbacher Schlosses ein. ANJA DÖTSCH (Bad Homburg) zeichnete dafür die Baugeschichte des Erbacher Schlosses nach: Aus einer erstmals im 12. Jahrhundert erwähnten mittelalterlichen Wasserburg entwickelte sich mit der Übernahme der Pfälzer Ministerialität im Amt des Hofschenkens 1224 die Notwendigkeit einer standesgemäßen Burg. 1532 wurden die Erbacher Grafen schließlich in den Stand der Reichsritter erhoben. Die barocke Umformung resultierte aus einem Umbau 1736: Eine Enfilade wurde eingefügt, der Bergfried als Treppenturm umgenutzt. Franz I. gestaltete ab 1775 das Innere im frühklassizistischen Stil um. ANJA KALINOWSKI (Bad Homburg) zeigte in ihrem Vortrag die Auswirkungen der Sammelleidenschaft auf die Schlossgestaltung vor dem Hintergrund der Biographie des Grafen: Für die Mittelaltersammlung wurde eigens ab 1805 der Rittersaal geschaffen, für die Antiken wurden Appartements in Sammlungsräume umgewandelt.

Die Antikenbegeisterung lässt sich ebenso in der Gestaltung des nahe gelegenen, 1802 angelegten Eulbacher Parks ablesen. Franz I. veranlasste mithilfe von Funden der von ihm initiierten Limes-Grabung zahlreiche antikisierende Gartenstaffagen, wie die Rekonstruktionen der Tore der Kastelle Würzberg und Eulbach. Ebenso wurden ein pseudoprähistorischer Steinkreis und ein aus Spolien zusammengesetzter Obelisk aufgestellt. STEFAN LEHMANN (Halle-Wittenberg) zog die Parallele zum Wörlitzer Landschaftsgarten, welchen Franz I. auf seiner Grand Tour besucht hatte, und deutete beide Gärten als romantische Antikenverklärung und -begeisterung in kunstvoll arrangierter Natur.

Auf seiner Grand Tour kam der junge Graf auch erstmals mit der Bearbeitung von Elfenbein in Berührung, welche für den Odenwald im 19. Jahrhundert zum florierenden Wirtschaftszweig werden sollte. Mit der Etablierung der Elfenbeindreherzunft in Erbach 1783, welcher Franz I. als Großmeister vorstand, unternahm der Graf einen Versuch, die wirtschaftlich schwache Region zu fördern. In der Sammlung Franz I. finden sich jedoch nur wenige selbstgedrechselte Werke. Diese zeugen nach MARIE-CHRISTIN LIEBERUM (Bad Homburg) eher von wirtschaftlicher Strategie als von fürstlicher Liebhaberei für das Material selbst. Die Bearbeitung durch den Souverän hatte Franz I. an den Höfen von Dresden, Wien und Paris beobachtet. Das Dilettieren, welches zu Franz‘ I. Zeiten als Beschäftigung ohne ökonomische Absicht verstanden wurde, diente der aristokratischen Bildung, um auf diese Weise Wissen über die Zusammenhänge der Welt zu erlernen und den ästhetischen Geschmack zu bilden.

Die zweite Sektion fokussierte sich auf die Sammlungsintention und die Gestaltung der Sammlungsräume in Bezug auf fürstliche Erinnerungskultur und Herrschaft. Der Rittersaal wurde dabei im Spannungsfeld von romantischem Ahnenstolz und Reaktion auf die napoleonische Mediatisierung diskutiert. WOLFGANG GLÜBER (Darmstadt) zweifelte in seinem Vortrag an der These der Mediatisierungsreaktion: Zwar fiel die Grafschaft 1806 an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, Franz I. habe jedoch bereits durch seinen Lehrer von Sternfeld eine ausgeprägte Begeisterung für das Mittelalter entwickelt. Zudem sei die Sammlung zum Baubeginn des Rittersaals 1805 bereits abgeschlossen gewesen. Viel eher vermutete Glüber Standeskompensation der Ministerialfamilie durch den Bau der Mischung aus Zeughaus, Kirche und Saal.

Auch die Intention der Einbringung des Einhard Sarkophages in die Einhardskapelle durch den Grafen wurde vor dem Hintergrund der Begründung von Anciennität diskutiert. Trotz Kinderlosigkeit des Biographen Karls des Großen wurde Einhard immer wieder als Stammherr der Erbacher Grafen herangezogen. HERMANN SCHEFERS (Bad Homburg) zeichnete die Geschichte des Sarkophags nach, welcher zuerst in der Einhards-Basilika in Steinbach bei Michelstadt aufgestellt war, 828 aber nach Seligenstadt transferiert wurde. Nach der Aufhebung des Klosters fand der Sarkophag 1810 über Umwege den Weg nach Erbach.

Als einem der Sammlungsschwerpunkte des Grafen widmeten sich zwei Vorträge den Antiken. Durch den Erwerb von Vasen in schlechtem Zustand wurde die zweite Italienreise des Grafen 1791 für den Hofmaler Johann Wilhelm Wendt zum Anlass, das Restaurieren zu erlernen. DOROTHEE SCHULZ-PILLGRAM (Bad Homburg) beleuchtete in ihrem Vortrag dessen Verständnis von Restaurierung. Anhand dreier Beispiele zeigte sie, dass Wendt dabei – zugunsten des Vortäuschens eines intakten Objektes – über den heute im Mittelpunkt der Restaurierung stehenden Erhalt der Originalsubstanz hinwegsah. VOLKER HEENES (Erfurt) verglich die heutige Deutung der Vasenmotive in der gräflichen Sammlung mit jener des Grafen und der seines Zeitgenossen Friedrich Creuzer. Der Heidelberger Professor für Klassische Philologie und Alte Geschichte, welcher Franz I. durch Publikationen bekannt war, interessierte sich wohl aufgrund ihrer dionysisch-bacchischen Deutbarkeit für die Erbacher Bestände. Diese Interpretation wurde jedoch schon bald falsifiziert, sodass sich deren Korrektur bereits in den Veröffentlichungen Eberhards XV. zu den Sammlungen seines Großvaters niederschlug.

Die Vorträge von MARTIN SCHULTZ (Santa Fe), JUDIT GARZÓN RODRÍGUEZ (Mainz) sowie DANIEL SUEBSMAN (Köln) boten Gelegenheit, den Blick für die außereuropäischen Sammlungsgüter in der gräflichen Sammlung zu weiten. Ursprünglich waren Objekte aus Nord- und Südamerika, Ozeanien, Asien, Afrika und dem Orient Teil der Sammlung gewesen. Für die jeweiligen Sammlungskonvolute außereuropäischer Provenienz arbeiteten die Referierenden heraus, dass es sich hierbei keineswegs um Sammlungsschwerpunkte handle. Stattdessen etablierte sich in der darauffolgenden Diskussion die Beschreibung als „Beifang“, der in Form von Geschenke oder durch Dekorationsansprüche seinen Weg in die Sammlung fand. Heute befindet sich ein Großteil jener Objekte nicht mehr in Erbach, da sich der eigene Bestand durch die Auslagerungen, welche das Schloss im Zweiten Weltkrieg aufnahm, verstreute.

Die letzte Sektion „Dynastische Politik und Repräsentation in Ahnengalerien“ widmete sich schließlich der Oraniergalerie im Erbacher Schloss. ALMUT POLLMER-SCHMIDT (Stuttgart) entschlüsselte die Porträtierten und ordnete die Bildnisse den niederländischen Porträtmanufakturen Van Dyck und Honthorst zu. Zwar hatten die Erbacher Grafen sowohl über die Schwester Franz I. als auch über die erste Ehefrau seines Urgroßvaters Magdalena von Nassau-Dillenburg (1595–1633) eine familiäre Verbindung zum Haus Oranien-Nassau, die hier Dargestellten hätten dazu jedoch keinen Bezug. In der Ahnengalerie vermutet Pollmer-Schmidt ein Konstruieren historischer Bedeutsamkeit. In den Katalogen Franz‘ I. wurden die Bildnisse nicht aufgeführt, erst 1876 finden sie Erwähnung. Eberhard XV. dagegen schreibt, die Porträts seien „seit jeher hier“ gewesen. KATHARINA BECHLER (Bad Homburg) vermutete, die ersten Bildnisse könnten bereits mit Magdalena nach Erbach gekommen sein, während die Herkunft der jüngeren Bildnisse jedoch unklar sei.

Die Tagung bot einen umfassenden Blick auf die Erbacher Sammlungsgenese unter Franz I. und deren Entwicklung bis heute. Die zwischen den Sektionen stattfindende Diskussion thematisierte darüber hinaus die Sammlungsmotivation des Grafen: Persönlich soll Franz I. stets von wissenschaftlicher Neugier getrieben gewesen sein, was sich besonders an der didaktischen Präsentation der Gewehre ablesen lässt. Bereits zu seiner Zeit war die Sammlung zudem durch Führungen zu besichtigen. In Bezug auf das Haus Erbach spielte jedoch die Begründung von Anciennität eine wichtige Rolle: Grundlegend sei die Rückbesinnung auf römische Adelsfamilien in Form der Antiken, aber auch der Jagd als fürstlicher Tradition mithilfe der Gewehre und Geweihe. Besonders die Einrichtung des Rittersaals sowie die Integration des Einhardsarkophags waren zur Kompensation des Standesverlusts der ehemaligen Ministerialfamilie veranlasst worden. Zu anderen Themenkomplexen innerhalb der Sammlungsgeschichte bedarf es weiterer Forschung: Der Einfluss einzelner Destinationen während der Grand Tour auf die spätere Sammlungstätigkeit, der Weg des Elfenbeines in den Odenwald und die Sammlungsintentionen und -praktiken Eberhards XV., um nur wenige Beispiele zu nennen. Ob der kommenden mehrjährigen Grundsanierung wurde daher zur weiteren Erforschung des Gesamtkunstwerkes Schloss Erbach aufgerufen.

Konferenzübersicht:

Kirsten Worms (Bad Homburg) / Peter Traub (Erbach) / Eva Claudia Scholtz (Wiesbaden): Begrüßung

Katharina Bechler (Bad Homburg): Einführung

Sektion 1: Graf Franz I. zu Erbach-Erbach: Impulse für eine süddeutsche Residenz in der Zeit um 1800
Sektionsleitung: Matthias Müller (Mainz)

Anja Kalinowski (Bad Homburg): Vom Sammeln, Ausstellen und Dokumentieren: Graf Franz I. und die „Neigung für das Edle und Merkwürdige“

Marie-Christin Lieberum (Bad Homburg): Graf Franz I. – Dilettierender Fürst und Förderer des Elfenbeinhandwerks

Stefan Lehmann (Halle-Wittenberg): Klassische und vaterländische Altertümer in den Landschaftsgärten Eulbach (Odenwald) und Dessau-Wörlitz in der Elbniederung

Anja Dötsch (Bad Homburg): Zur Baugeschichte von Schloss Erbach

Rahmenprogramm: Führungen im Schloss Erbach und im Deutschen Elfenbeinmuseum

Abendvortrag
Moderation: Katharina Bechler (Bad Homburg)

Wolfgang Augustyn (München): Standesherr und Forscher: Adalbert Graf zu Erbach-Fürstenau (1861–1944) und die Kunstgeschichte

Sektion 2: Die Sammlungen als Mittelpunkt und Mittler fürstlicher Erinnerungskultur und Herrschaft
Sektionsleitung: Dirk Syndram (Dresden/Wien) / Paulus Rainer (Wien)

Wolfgang Glüber (Darmstadt): Franz I. und der Rittersaal im Schloss zu Erbach

Hermann Schefers (Bad Homburg): Der Einhard-Sarkophag

Volker Heenes (Erfurt): Die Vasensammlung Graf Franz I. zu Erbach-Erbach – Neues zur Interpretation der Vasenbilder

Dorothee Schulz-Pillgram (Bad Homburg): Der Hofkünstler Johann Wilhelm Wendt als Restaurator

Martin Schultz (Santa Fe): Die Erweiterung des Horizontes – Ethnographische Sammlungen auf Schloss Erbach

Judit Garzón Rodríguez (Mainz): Ägyptische Artefakte in der Sammlung der Grafen von Erbach

Daniel Suebsman (Köln): Die ostasiatischen Porzellane in der Sammlung der Grafen zu Erbach-Erbach

Sektion 3: Dynastische Politik und Repräsentation in Ahnengalerien
Sektionsleitung: Renger de Bruin (Utrecht)

Almut Pollmer-Schmidt (Stuttgart): Die Oraniergalerie der Grafen zu Erbach-Erbach

Katharina Bechler (Bad Homburg): Das familienpolitische Programm der Oraniergalerie in Schloss Erbach im Kontext mit Oranierschlössern in den Niederlanden und Deutschland

Redaktion
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