Just City – Was ist eine gerechte Stadt? Eine deutsch-amerikanische Konferenz am Center for Metropolitan Studies

Just City – Was ist eine gerechte Stadt? Eine deutsch-amerikanische Konferenz am Center for Metropolitan Studies

Organisatoren
Center for Metropolitan Studies (CMS) / Transatlantisches Graduiertenkolleg an der TU Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.05.2006 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Florian Urban, Center for Metropolitan Studies, TU Berlin

Amerikanische Ideen zu einer gerechten Stadt? Ist das nicht ein Widerspruch in sich, in Anbetracht der himmelschreienden Ungerechtigkeiten in amerikanischen Großstädten? Was soziale Gerechtigkeit betrifft, sieht die Bilanz der letzten Jahrzehnte in der Tat vernichtend aus. Nicht nur in Amerika, sondern auch in Berlin und fast überall auf der Welt werden die Reichen reicher und die Armen ärmer. Können und sollen Stadtpolitiker und Stadtplaner dem entgegenwirken? Das war das Thema der Konferenz „Just City – Was ist eine gerechte Stadt?“, die in zwei Teilen im Januar und im Mai 2006 am Center for Metropolitan Studies (CMS)/Transatlantisches Graduiertenkolleg an der TU Berlin stattfand, und die von Oliver Schmidt und Florian Urban organisiert wurde. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den USA und Deutschland war diese Frage zunächst ein konzeptuelles Problem. Gerechtigkeit im Sinne von sozialem Ausgleich ist anders als früher kaum mehr eine stadtpolitische und städtebauliche Vision für die Zukunft. Die Politikwissenschaftlerin und Stadtplanerin Susan Fainstein, die an der New Yorker Columbia University lehrt, erklärt warum. Die Idee einer sozial gerechten Stadt ist bereits einmal tragisch gescheitert– in den 1960er Jahren nämlich, als Stadtplaner auf angeblich wissenschaftlicher Grundlage dem Rest der Welt ihre Vision für eine sozial ausgeglichene Stadt aufzwingen wollten. Die Ergebnisse auf beiden Seiten des Atlantiks sind bekannt: hier Kahlschlagsanierung und Betonburgen, dort Stadtautobahnen, Urban Renewal und Public Housing. Das Scheitern dieses Ansatzes, so Fainstein, habe die Stadtplanung dazu verleitet, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Aus Angst vor dem totalitären Potenzial einer totalen Vision habe man sich damit abgefunden, klein zu denken und stadtplanerische Aktivitäten nur auf einzelne städtische Gruppen zu konzentrieren. Beispiele seien etwa die amerikanischen Versuche, ethnische Minderheiten zu stärken oder die deutsche Bürgerbeteiligung. Diese Ansätze wiederum hätten an den Verhältnissen einer ungerechten Stadt nichts grundlegend geändert.

Susan Fainstein ist nicht bereit, sich damit abzufinden. Sie möchte, dass ein Stadtplaner weiß, was gut und was schlecht ist. Als Alternative zum egalitären Gerechtigkeitsbegriff der Moderne – für alle möglichst gleiche Wohn- und Lebensverhältnisse – bietet sie den capabilities approach (Ansatz der Fähigkeiten) an, der auf die amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum zurückgeht. Er setzt nicht bei der Gruppe, sondern beim Einzelnen an und fordert Gerechtigkeit als möglichst hohe Chance für jeden, seine Fähigkeiten auszuleben. Eine sozial polarisierte Stadt wäre danach also nicht etwa deswegen unakzeptabel, weil sie armen Gruppen schlechtere Lebensverhältnisse bietet als reichen, sondern weil sie es jedem einzelnen armen Menschen versagt, seine individuellen Fähigkeiten zu entwickeln.

Fainsteins Forderung nach einer neuen moralischen Grundlage der Stadtplanung schwebte als gemeinsamer Bezugsrahmen über der Konferenz. Die meisten Sprecherinnen und Sprecher sympathisierten mit Fainsteins neuer Utopie, übten jedoch konstruktive Kritik. Insbesondere wurde die Frage aufgeworfen, ob die Stadt der richtige Bezugsrahmen sei. Peter Marcuse, der ebenfalls an der Columbia University lehrt und der wie Fainstein bereits im Januar am CMS zu Gast war, gab zu bedenken, dass eine gerechte Stadt nicht innerhalb einer zutiefst ungerechten Gesellschaftsordnung möglich sei. Für Robert Beauregard, Professor an der New Yorker New School University, taugt Gerechtigkeit als Entscheidungsgrundlage für Politiker und Planer, solange man sich ihrer moralischen Uneindeutigkeit bewusst sei. Beauregard gab die räumliche Dimension von Gerechtigkeit zu bedenken. Man könne kaum von sozialer Gerechtigkeit in europäischen Städten sprechen, denn die – im weltweiten Vergleich – relativ gerechten Lebensumstände hier seien oft auf Ungerechtigkeiten anderswo begründet. Er zitierte hierfür seinen Kollegen David Harvey, der die reichen nordeuropäischen Länder als „die Villenvororte der Welt“ bezeichnete. Gerechtigkeit müsse daher nach Beauregard immer in räumlichen Beziehungen gedacht werden.

Auch die Anthropologin Setha Low, die an der City University of New York lehrt, nutzt den neuen Gerechtigkeitsbegriff, und fordert eine Form von Stadt, in der nicht nur Ressourcen gerecht verteilt werden, sondern in der auch ein freier und damit gerechter Zugang unterschiedlicher Gruppen zu öffentlichen Räumen gewährleistet ist. Das, so Low, sei die Voraussetzung für Toleranz und gegenseitigen Respekt aller Stadtbewohner, und ein Gegenmittel gegen die Angst, die in der neoliberalen Stadt vor Andersartigen geschürt werde.

John Mollenkopf, Professor für Politwissenschaften an der City University of New York, zog aus Fainsteins Ansätzen scharfe Kritik an der derzeitigen stadtpolitischen Praxis in Europa. Der europäische Sozialstaat, so Mollenkopf, sei in Wahrheit ein Instrument der Ausgrenzung. Er habe versagt, den Migranten die Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu gewährleisten. In Europa sei es im Gegensatz zu Amerika zwar gelungen, die schlimmste Armut durch Sozialleistungen abzuschaffen. Die dazu entwickelten Staats- und Gesellschaftsformen seien aber so undurchlässig, dass sie Einwanderern die Teilnahme am Wirtschafts- und Sozialleben auf Generationen versage.

Hier setzte auch Margit Mayer an, die als Professorin für Politwissenschaften am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin lehrt. In Deutschland, so Mayer, werde viel über Migranten gesprochen und wenig mit Migranten. Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen äußerte Mayer große Vorbehalte gegen den Begriff der Gerechtigkeit als Heilmittel für die kränkelnde Stadtplanung. Sie deutete Fainsteins Ansätze als Ruf nach einer Europäisierung Amerikas, und setzte sie vor den Hintergrund der katastrophalen Zustände von Armut und Elend in amerikanischen Städten, gegen die Stadtplaner wie Fainstein und ihre Kollegen bislang wenig auszurichten vermochten. Der „bürgerliche“ Gerechtigkeitsbegriff, der so oft als Trostpflaster gebraucht worden sei, sei daher nach Mayer vielleicht nicht der effektivste Ansatz; das „Recht auf Stadt“ müsse jedoch vor allem für marginalisierte Gruppen durchgesetzt werden, und nicht allein für „die Cappuccino-Fraktion“.

Als Beispiel für einen städtischen Zusammenhang der sozialen Ungerechtigkeit wurden schließlich die Ereignisse in New Orleans vor und nach der Zerstörung durch den Wirbelsturm Katrina analysiert, sowohl von dem deutschen Kulturwissenschaftler Berndt Ostendorf (Ludwig-Maximilians-Universität München) als auch von dem amerikanischen Soziologen Kevin Gotham (Tulane University, New Orleans und National Science Foundation, Washington). Die Stadt, so waren sich die Beteiligten einig, sei ein Beispiel für die Unzulänglichkeit der amerikanischen Gesellschaftsordnung, oder, wie es Gotham ausdrückte, „Katrina is everywhere“. Die neue Definition von Gerechtigkeit könne in Amerika wie in Europa ein Leitbild für eine bessere Stadt bieten. Es bleibe jedoch die Aufgabe bestehen, das Ziel sozialer Gerechtigkeit gemeinsam mit einer Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen umzusetzen.

In diesem Zusammenhang wehrte sich etwa Robert Beauregard gegen den Vorwurf von Kevin Gotham, die Disziplin der Stadtplanung beschränke sich darauf, Erfüllungsgehilfe der Wirtschaftsmächtigen zu sein und die Polarisierung zwischen Arm und Reich in diesem Sinne ein planerischer „Erfolg“. In den Beiträgen der Konferenzteilnehmer zeigte sich das Anliegen, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland die Debatte über die Grundlagen der Stadtplanung anzuregen und zu vertiefen.


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Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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