HT 2006: Bilderstreit als Argumentationsrepertoire

HT 2006: Bilderstreit als Argumentationsrepertoire

Organisatoren
Thomas Ertl, Deutsches Historisches Institut in Rom/Freie Universität Berlin; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2006 - 22.09.2006
Von
Jörg Schwarz, Historisches Institut, Universität Mannheim

Wer – wie der 46. deutsche Historikertag in Konstanz – nach geschichtlichen Situationen Ausschau hält, in denen Bilder als Argumente verwendet wurden, der wird ohne geschraubte Umdeutungen den byzantinischen Bilderstreit als Paradebeispiel ansehen können. In dem Streit, der als Ganzes von etwa 725 bis 843 andauerte, standen sich Ikonodulen, d.h. Verfechter der Legitimität der religiösen Verehrung der Bilder in der orthodoxen Kirche und Ikonoklasten, d.h. Bilderstürmer und somit Gegner der Ikonodulen gegenüber. Wenn auch somit das Generalthema des Historikertags in diesem Fall mit Händen zu greifen ist, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, dass es eines besonderen Mutes bedurfte, sich der Herausforderung dieses Themas zu stellen; handelt es sich doch um einen Gegenstand, der aufgrund verschiedenster Faktoren innerhalb der Fachgrenzen der Byzantinistik und darüber hinaus als ein von Thesen und Gegenthesen tief zerfurchtes Gelände zu betrachten ist und bei dem letztlich so gut wie nichts als wirklich gesichert erscheint.

Der Respekt vor dem Thema erhöht sich noch, wenn man berücksichtigt, dass die Sektionsleitung in diesem Fall nicht bei einem Byzantinisten, sondern bei einem Mediävisten, beim derzeitigen Gastdozenten des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Thomas Ertl, lag. Der große Reiz der Sektion, die, nach den Worten des Sektionsleiters, im engeren Sinne nach den semantischen Umdeutungen und den Transponierungen von Argumenten in neue Diskussionszusammenhänge im Rahmen dieses Bilderstreits fragen wollte, bestand von seinen innerwissenschaftlichen Voraussetzungen her gesehen sicherlich darin, dass es den Zugriff auf das Thema von mediävistischer, byzantinischer und kunstgeschichtlicher Seite suchte. Der Gedanke, diese unterschiedlichen Zugriffe in der praktischen Durchführung der Sektion zu mischen und so zu einem mediävistisch-byzantinisch-kunstgeschichtlichen Wechselgespräch zu kommen, lag nahe; doch ist es Zufall, dass sich in der Rückschau auf die Sektion weniger das Wechselgespräch, als vielmehr der unterschiedliche Zugriff eingeprägt hat? Die unterschiedlichen Ansätze der Fächer und ihre Methoden sind eben doch nicht so leicht zu überwinden.

Die in zwei Blöcke unterteilte Sektion konzentrierte sich zum einen auf die Auswirkungen des Bilderstreits innerhalb des byzantinischen Reiches, zum anderen auf die Verwendung von Argumenten aus dem Bilderstreit im westlich-lateinischen Mittelalter. Im Rahmen des ersten Themenblocks fragte dabei zunächst Stefan Esders (Berlin) nach der gesellschaftlichen Implementation der Bilderfrage in Byzanz, sodann Bissera V. Pentcheva (Stanford) nach dem Verhältnis von Typos und Graphe in diesem Streit. Esders interessierte dabei im Kern die Frage, wie es im Verlauf der Auseinandersetzungen den Ikonoklasten gelang, das Thema und ihre Position in die Gesellschaft hineinzutragen, eben es in den Alltag der Menschen zu implementieren. Er ging aus von dem (in der Byzantinistik zwar bekannten, aber, wie Esders meinte, in seinen Konsequenzen schon kaum hinreichend bedachten) Faktum, dass die beiden ersten Kaiser der Isaurierdynastie nicht zuletzt deswegen solange Zeit eine erfolgreiche Arbeit als Bilderstürmer leisten konnten, weil sie, im Kampf gegen Araber und Bulgaren, militärisch so außerordentlich erfolgreich waren. Konkret fragte er danach, inwiefern ein Zusammenhang bestanden habe zwischen dem militärischen Erfolg und der Art und Weise, wie sich die beiden Isaurier in der Bilderfrage positioniert haben. Vor allem ein Aspekt wurde von Esders in den Mittelpunkt gerückt, ein Gegenstand, für den er (zumindest was sein Auftreten in westlichen Gesellschaften des Frühmittelalters betrifft) als ausgewiesener Experte gilt: den Eid und die Eidesleistungen. Dabei stellte Esders die spannende These auf, dass durch die Verknüpfung des Eides, den die Isaurier-Kaiser bei nahezu jeder sich bietenden Gelegenheit von der Bevölkerung forderten, mit der Bilderfrage, politische Loyalität und religiöse Anschauungen gleichgesetzt wurden; es seien, so Esders, die Leitbilder, Deutungsmodelle und Praktiken des Heeres gewesen, mittels deren die ikonoklastische Position des Kaisertums durchzusetzen versucht worden sei.

Der sich hieran anschließende Vortrag von Bissera B. Pentcheva über „Typos and Graphe in Byzantine Iconoclasm“, der aufgrund einer Verhinderung der Referentin von Albrecht Berger (München) widergegeben wurde, entwickelte eine völlig neue Theorie des byzantinischen (Heiligen-)Bildes. Ausgehend von der Grundtatsache, dass der byzantinische Bilderstreit eine hochentwickelte Stufe der Diskussion um die Theorie des Bildes und seiner realen Bedeutung in der Welt gebildet habe, kam Pentcheva vermittels einer Fülle von minutiös ausgebreitetem Belegmaterial zu dem Schluss, dass sich die Idealform des byzantinische Heiligenbildes in Form eines „medallion metal relief“ ausgeprägt habe. Eine derartige Dominanz der „relief icons“ gegenüber den Bilddarstellungen im 9. und 10. Jahrhundert werde, wie Frau Pentcheva im weiteren detailliert ausführte, durch die konkrete Funktion der Bilder erhärtet, die nicht in öffentlichen Prozessionen gezeigt worden seien und somit nicht im Mittelpunkt von öffentlichen Zeremonien gestanden hätten.

Der Vortrag von Thomas Ertl (z. Zt. Rom), mit dem er die zweite Halbzeit der Sektion eröffnete, versuchte den Bilderstreit mit einem ähnlich problematischen und thesenreichen Themenfeld zu verklammern: mit dem Kaisertums Karls des Großen und dessen gedanklichen Verankerungen im intellektuellen Umfeld des Kaisers. Unter der Vielzahl der Deutungen, die es über diesen Gegenstand gibt, knüpfte Ertl an die Versuche von Helmut Beumann (1912-1995) und Arno Borst (*1925) an, die sich (vor einem Vierteljahrhundert und länger) bereits mit der Nomen- bzw. Namentheorie am Karlshof befasst haben, erweiterte deren Ansätze aber dezidiert durch eine konsequente Einbettung seiner Interpretation in das Argumentationsrepertoire des Bilderstreites. Ertl stellte dabei die These auf, dass mit der Übertragung des Problemfeldes Bild – Abbild auf die Ebene der politischen Sprache der Karlshof eine entscheidende Anregung erhalten hatte, über die Beziehung von Namen (nomen) und Sache (res) nachzudenken. Konkret habe sich dieses Nachdenken niedergeschlagen in dem Treueid des Jahres 802, den Karl seine Untertanen auf den Kaisernamen schwören ließ sowie in der (ungewöhnlich ausführlichen) Berichterstattung, die hierüber auf Seiten der fränkischen Historiografie existiert.

Die transkulturellen Austauschprozesse, die Ertl in der Zusammenfassung seines Vortrags hervorhob, ließen sich auch geltend machen (d.h. sie wurden zumindest gesucht) im Rahmen der Ausführungen von Beate Fricke (Zürich) über „Artifex alter deus – oder haben wir den Schatz in irdenen Gefäßen?“ Der primär kunstgeschichtlich ausgerichtete Vortrag fragte vornehmlich nach der Rezeption des Johannes Damascenes, einem der spannendsten byzantinischen Bildtheologen des 8. Jahrhunderts, im Westen und widmete sich in seinem zweiten Teil einer Analyse des Schmerzensmannes von Albrecht Dürer (1493). Dürers Freund, der Nürnberger Humanist Willibald Pirckheimer, war nachweislich ein Damaszenus-Rezipient, und vorsichtig, doch mit guten Gründen, deutete Fricke die Möglichkeit an, dass über diese Schiene eine Inspirationsquelle der (in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten) Aussagen des Schmerzensmannes gelaufen sein könnte.

Die ambitionierte Sektion leistete insgesamt einen wichtigen Beitrag zu einer unabdingbaren Horizonterweiterung der Mediävistik. Die Notwenigkeit, hier neben dem in der letzten Zeit stark im Vordergrund stehenden arabisch-islamischen Bereich Byzanz nicht zu vergessen bzw. erneut in den Blickpunkt zu rücken, wurde nachdrücklich bewiesen. Auch wenn noch viel Vermittlungsarbeit notwendig sein wird: Das Totaliter aliter muss Byzanz – bei aller Fremdheit – nicht sein. Und es war dies, vom westlichen Europa aus gesehen, auch in seiner Geschichte nicht.

http://www.uni-konstanz.de/historikertag/
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