The Fragile Tradition - The German Cultural Imagination since 1500

The Fragile Tradition - The German Cultural Imagination since 1500

Organisatoren
Forschungsgruppe "Cultural History & Literary Imagination", Universität Cambridge
Ort
Cambridge
Land
United Kingdom
Vom - Bis
01.10.2002 - 03.10.2002
Von
Christian Emden und David Midgley, Cambridge

Eine interdisziplinäre Tagung der kulturwissenschaftlichen Forschungsgruppe "Cultural History & Literary Imagination" am St. John's College und Sidney Sussex College, Cambridge
Organisiert von Christian Emden und David Midgley (Cambridge)

Vor etwa zwei Jahren hat sich unter dem Namen 'Cultural History & Literary Imagination' im German Department der Universität Cambridge eine neue Forschungsgruppe gebildet, die es sich zum Ziel gemacht hat, durch den engen Kontakt zwischen britischen und deutschen Forschern die kulturwissenschaftliche Wende literaturwissenschaftlicher Disziplinen gerade im englischsprachigen Raum zu fördern. Gerade hinsichtlich der durchaus unterschiedlichen Traditionslinien der anglo-amerikanischen 'cultural studies' und der deutschen Kulturwissenschaft soll hierbei versucht werden, beide Perspektiven in einem historisch orientierten Rahmen zusammenzuführen. Hierbei greift die Forschungsgruppe weit über die diskursiven Grenzen literaturwissenschaftlicher Disziplinen hinaus und sucht die aktive Auseinandersetzung bspw. mit der Kunstgeschichte, der Medientheorie, der Geschichtswissenschaft sowie der Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte, ohne dabei die Relevanz literarischer Texte und Medien im Hinblick auf die Herausbildung kultureller Orientierungsversuche unterschätzen zu wollen.

Ausgehend von dieser theoretischen Neuorientierung auf der Basis einer Zusammenführung von historischer Kulturwissenschaft und 'cultural studies', fand vom 1. bis 3. Oktober 2002 an der Universität Cambridge die erste internationale Konferenz dieser Forschungsgruppe statt. Unter dem Titel 'The Fragile Tradition: The German Cultural Imagination since 1500' trafen sich mehr als 40 Teilnehmer aus Großbritannien, Deutschland, Irland, Österreich, Italien und den USA.

In ihrer Ankündigung hatten die Organisatoren, David Midgley (St. John's College, Cambridge) und Christian Emden (Sidney Sussex College, Cambridge), folgende Schwerpunkte für die einzelnen Beiträge festgesetzt: 1. Änderungen in der materiellen Kultur des deutschsprachigen Raumes und deren literarische Reflexion; 2. die Konstruktion kultureller Bedeutung durch literarische Texte, historische Erklärungsmodelle, historiographische Repräsentationsformen und Mediensysteme; 3. die Formen und der Stellenwert historischer Erinnerung und des kulturellen Gedächtnisses (Stichwort 'lieux de mémoire') sowie deren Repräsentation in literarischen und theoretischen Texten sowie visuellen Medien; und 4. Fragen der Forschungsmethodik einer transdisziplinär angelegten und historisch orientierten Untersuchung kultureller Denkformen und ihrer medialen Repräsentation in Texten, Bildern, Filmen etc.

Das zugegebenermaßen breit gefächerte Themenspektrum der Konferenz sollte weniger programmatisch als deskriptiv verstanden werden. Einerseits machte es dieser ungewöhnlich weit gesteckte historische Rahmen möglich, sowohl die Kontinuitäten als auch die Diskontinuitäten kulturgeschichtlicher Prozesse über einen längeren Zeitraum zu verfolgen, wobei sich oftmals direkte und unerwartete Anschlußpunkte zwischen der kulturellen Einbildungskraft der Reformation und den Fluchtlinien des kulturellen 'imaginaire' im 20. Jahrhundert ergeben haben. Andererseits hat diese Perspektive zugleich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Historikern und Literaturwissenschaftlern ermöglicht, die sich im akademischen Alltag - sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien - nicht immer einfach herstellen läßt. Hierzu gehörte ebenfalls der direkte Kontakt zwischen international etablierten Tagungsteilnehmern und jüngeren Wissenschaftlern.

Fünf 'keynote speakers' waren eingeladen, deren programmatische Vorträge nicht zuletzt für eine präzisere Fokussierung der Diskussion sorgten und damit zugleich den thematischen Rahmen der Konferenz bestimmten. Helen Watanabe-O'Kelly (Oxford) widmete sich der Organisation des Wissens in den Kunstkammern des Dresdener Hofes im 16. und 17. Jahrhundert. Joachim Whaley (Cambridge) nahm das in jüngster Zeit neu erwachte Interesse für die Institutionen des Heiligen Römischen Reiches zum Anlass, die politischen Perspektiven der gegenwärtigen deutschen Geschichtswissenschaft zu überprüfen. Ulrich Gaier (Konstanz) verfolgte am Beispiel schwäbischer Identität aus dem Blickwinkel einer historischen Anthropologie die Generierung und Tradierung kollektiver Mythen nationaler Identität. Manfred Engel (Saarbrücken) verfolgte in historisch orientierten Analysen von Hölderlins späten Gedichten die Formen und Funktionen kultureller Identitätsstiftung im Spannungsfeld Deutschland/Griechenland. Aleida Assmanns (Konstanz) Vortrag widmete sich einer schon seit geraumer Zeit überfälligen nachhaltigen Konkretisierung kultureller Gedächtnisbegriffe, in dem sie am Beispiel von Günter Grass das komplexe Zusammenspiel zwischen individuellen, sozialen, politischen und kulturellen Erinnerungformen nachzeichnete und so das komplexe Verhältnis zwischen historischer Erfahrung und medial vermittelten Erinnerungsinhalten verdeutlichte.

Auf der Basis dieser theoretischen und historischen Vorgaben griffen die weiteren Beiträge der Konferenz zum Teil verwandte Themen in unterschiedlicher Perspektivierung auf: So wurde z.B. in einer Sektion die frühe Historiographie der Reformation (Susan Boettcher, Austin/Texas; Susanne Rau, Dresden) neben dem historischen Verständnis von Renaissance (Martin Ruehl, Cambridge) und Reformation (Wilhelm Ribhegge, Münster) im 19. und 20. Jahrhundert behandelt, in einer zweiten das intellektuelle Feld des deutschen Liberalismus (Lothar Schneider, Gießen) neben dem 'Kulturtransfer' der französischen Galanterie (Jörn Steigerwald, Bochum) sowie des englischen 'Gentleman-Ideal' (Martina Lauster, Exeter), und in einer dritten das Erbe der Aufklärung in Deutschland und Österreich (Stefan Busch und Ritchie Robertson, beide Oxford) neben der Entstehung der modernen Lyrik im 18. Jahrhundert (Laura Benzi, Pisa) und der populär-literarischen Konstruktion von 'Natur' im 20. Jahrhundert (Axel Goodbody, Bath).

Ebenfalls stark vertreten war das Thema diskursiver Übergänge zwischen naturwissenschaftlichen Paradigmen, technologischen Entwicklungen und der literarischen Einbildungskraft. Beiträge zum künstlichen Menschen in der Literatur um 1800 (Jürgen Barkhoff, Dublin), zum Monismus der späten Wilhelminischen Zeit (Malcolm Humble, St. Andrews), zur Bearbeitung von naturwissenschaftlichen Denkmodellen bei Wittgenstein und Robert Musil (Daniel Steuer, Sussex) sowie zur Wahrnehmung technologischer Entwicklungen bei literarischen Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (David Midgley, Cambridge; Jeanne Riou, Dublin; Harro Segeberg, Hamburg) haben hierbei kulturgeschichtliche Konstellationen und Konvergenzen ergeben, die die Komplexität der kulturellen Einbildungskraft und ihrer symbolischen Manifestationen deutlich vor Augen geführt haben.

Weitere Referate befassten sich mit dem Themenbereich der Intermedialität und der Mediengeschichte seit der Mitte der 18. Jahrhunderts, u.a. mit dem frühromantischen Kunstdiskurs an Hand der Malererzählungen von E.T.A. Hoffmann (Ricarda Schmidt, Manchester), mit dem Verhältnis zwischen visueller Kultur und literarischem Schreiben bei Kafka (Carolin Duttlinger, Cambridge), mit dem Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm (Corinna Müller, Hamburg), und mit der Selbstreflexion der Literatur im Hinblick auf ihre mediengeschichtliche Verortung (Günther Stocker, Salzburg). Der vor kurzem verstorbene Schriftsteller W.G. Sebald wurde gleich zweimal besprochen - einmal im Hinblick auf seinen experimentellen Einbau von Photographien in seine Texte (Silke Horstkotte, Leipzig), einmal als Schriftsteller der 'Schmerzenspuren der Geschichte' im Rahmen gedächtnistheoretischer Überlegungen (Anne Fuchs, Dublin).

Ein weiteres zentrales Thema der Konferenz waren sicherlich die Herausbildung und Subversion kultureller und nationaler Identitätskonzepte, die in herausragender Weise auf der Tragweite historischer Erinnerung und kultureller Gedächtnismodelle fußen. Die einzelnen Beiträge schlugen hierbei einen Bogen vom Mythos eines nationalen Sprachursprungs im frühen 19. Jahrhundert (Tuska Benes, Pennsylvania), Nietzsches verdeckte Thematisierung einer Strukturkrise des kulturellen Gedächtnisses (Marc Oliver Huber, FU Berlin) und der Abwandlung von Modellen des Patriotismus in historischen Romanen von Theodor Fontane und Gustav Freytag (Charlotte Woodford, Cambridge) bis hin zur Reflexion auf Erfahrungen im Ersten Weltkrieg durch die Gegenwartslyriker Thomas Kling und Raoul Schrott (Karen Leeder, Oxford) und die Behandlung der Ruinenthematik in der deutschen Literatur nach 1945 (Simon Ward, Aberdeen). In diesem Zusammenhang wurde zugleich auch die performative Dimension einer vorgeblichen politischen Identität durch die Institutionen der Weimarer Republik am Beispiel des Staatsbegräbnisses für Walter Rathenau dargestellt (Manuela Achilles, Michigan) sowie der memorative Rückgriff auf die Weimarer Klassik in der DDR (Ingeborg Cleve, Saarbrücken), die Konstruktionsmechanismen der kulturellen Erinnerung an die DDR in Filmen und Romanen seit 1990 (Silke Arnold-de Siminé, Cambridge) sowie die jüngste Kontroverse um Martin Walser in Bezug auf die gegenwärtigen Diskussionen deutscher 'Vergangenheitsbewältigung' (Bill Niven, Nottingham Trent).

Angesichts der äußerst fruchtbaren Diskussionen und des internationalen Gedankenaustauschs, zu dem diese Tagung geführt hat, sollen die einzelnen Beiträge in überarbeiteter Form in drei nach thematischen Schwerpunkten geordneten Bänden veröffentlicht werden. Die einzelnen Schwerpunkte dieser Bände - 1. Cultural Memory and Historical Consciousness; 2. Literature and the Nation; 3. Science, Technology, and Media - sollen die nachhaltigen Impulse der Tagung für eine historisch perspektivierte Zusammenführung der 'cultural studies' und der Kulturwissenschaften auch einem breiten Lesepublikum vorstellen.

Kontakt

Näheres zu den Konferenzbeiträgen sowie Information zu den weiteren Aktivitäten der Forschungsgruppe 'Cultural History & Literary Imagination' findet sich im Internet unter:
http://www.mml.cam.ac.uk/german/researchgroup/intro.html

http://www.mml.cam.ac.uk/german/researchgroup/intro.html
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