Geschichten mit und ohne Bart: Narrative Konstruktionen von Alter und Geschlecht / Ageing Stories: Narrative Constructions of Age and Gender

Geschichten mit und ohne Bart: Narrative Konstruktionen von Alter und Geschlecht / Ageing Stories: Narrative Constructions of Age and Gender

Organisatoren
Postdoc-Kolleg „Alter – Geschlecht – Gesellschaft“, Universität Greifswald
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.09.2006 - 06.09.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Judith Rossow und Mone Spindler

Die Etablierung des Postdoc-Kollegs „Alter – Geschlecht – Gesellschaft“ 2005 an der Universität Greifswald ist Ausdruck des sich im letzten Jahrzehnt wandelnden Verhältnisses zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Ein interdisziplinärer Dialog zwischen beiden sich immer weiter spezialisierenden Wissenschaftsbereichen ist erwünscht, wird jedoch immer noch selten praktiziert. Das Thema Alter und Erzählungen sind Bereiche, in denen interdisziplinäre Ansätze vorhanden sind, deren Ausbau viel versprechend ist. Deshalb wurde die Narratologie als methodische Grundlage zum Beschreiben von Erzählungen als Bezugspunkt gewählt, um Anknüpfungspunkte für die ebenfalls interdisziplinär angelegte Gerontologie vorzuschlagen. Forscher aus den Disziplinen der Geschichtswissenschaften, Psychologie, Sportwissenschaften, Literatur- und Kulturwissenschaften sind der Einladung der Kollegiatinnen Heike Hartung, Christiane Streubel und Angelika Uhlmann nach Greifswald gefolgt, um über folgende Fragen zu diskutieren: Wie wird Alter im Prozess des Erzählens hervorgebracht und mit welchen Inhalten wird es dabei besetzt? Auf welche Weise vermischen sich medizinisch-biologische Auffassungen von Alter mit solchen des individuellen Lebenslaufs und sozialen Rollen? Wie verhalten sich körperliche und kulturelle Konstruktionen des Alter(n)s im Erzählprozess zueinander? Die produktiven Diskussionen und Vorträge in den vier Sektionen der Tagung – Gedächtnis, Körper, Gespräch und Medien – zeigten, dass die Kategorie Alter als soziales Distinktionsmerkmal und als kultureller Identitätsbegriff an Vielschichtigkeit und Bedeutung gewinnt. Eine Weiterführung und Verknüpfung gerontologischer und narratologischer Zugänge zum Alter erscheint viel versprechend. Mit der Tagung beendet das Kolleg jedoch zum Jahresende seine Arbeit, da eine Verlängerung politisch nicht durchsetzbar war.

Die Romanistin und Sprecherin des Postdoc-Kollegs Doris Ruhe und der Mediziner Wolfgang Hoffmann, einer der Initiatoren des Kollegs, eröffneten die Tagung, indem sie die Brisanz und Aktualität der Thematik verdeutlichten und den Bedarf an interdisziplinärer Forschung und Praxis hervorhoben. Hoffmann gab einen Überblick über demografische Entwicklungen in Mecklenburg-Vorpommern, das sich in den letzten 15 Jahren in seiner Altersstruktur vom jüngsten zum ältesten Bundesland gewandelt hat. Er verwies auf das Gewicht von Prävention und die Rolle technologischer Entwicklungen für die Aufrechterhaltung einer funktionierenden Infrastruktur für das Gesundheitssystem. Ruhe zeigte auf, dass der Beitrag der Geisteswissenschaften zur Altersdiskussion trotz ihres Abbaus an der Universität Greifswald hohe wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz hat. Sie argumentierte, dass Literatur zwar keine einfachen Lösungen anbietet, jedoch Raum für die Reflexion moralischer wie ethischer Folgen wissenschaftlicher Entwicklungen öffnen kann.

I ALTER & GEDÄCHTNIS
Das Gedächtnis, die narrative Struktur des Erinnerns sowie der Einfluss der Variable Alter auf Gedächtnisprozesse standen im Zentrum des ersten Themengebietes. Die Vortragenden eruierten die Rolle von Gedächtnis und Erinnerung bei der Konstruktion von Identität. Neben der Betrachtung biologischer Daten zum Gedächtnis gewährten die Beiträge einen Einblick in die Relevanz subjektiver Deutungen von Erinnerungen, beleuchteten die Rolle des historischen Hintergrundes und des kollektiven Gedächtnisses und untersuchten die Strategien, auf denen die Organisations- und Interpretationsprinzipien von Erinnerung basieren.

In seinem Vortrag über „Ageing, Memory, and the Brain” beschrieb Hans J. Markowitsch (Psychologie, Bielefeld) das Gedächtnis als entscheidende Größe bei der Persönlichkeitsbildung. Er verwies auf den dynamischen Charakter von Erinnerung und betonte ihre Bestimmtheit durch Sprache sowie den Aufbau und den Entwicklungsstand des Gehirns. Er erläuterte distinktive Merkmale der Gedächtnissysteme bei Alzheimererkrankung und stellte sie denen des nichtpathologischen Alterns gegenüber.

Kathryn de Medeiros (Gerontology, Sykesville) rückte die kommunikative Selbstdarstellung als selektiven Prozess und Ergebnis subjektiver Situationswahrnehmung und -deutung ins Zentrum ihrer Betrachtung. Sie berichtete von einem von ihr konzipierten Workshop, in dessen Rahmen ältere Menschen Briefe oder Gedichte an verstorbene Verwandte oder an ihr vergangenes Ich verfassten. In der Auseinandersetzung mit Lebenserinnerungen in dieser speziellen Kommunikationsform, so de Medeiros, suchen die Verfasser der Texte nach Wegen, der Vergangenheit Bedeutung zuzuschreiben. Die Briefe verdeutlichten den Einfluss von Reflexion auf die Identitätsbildung und kennzeichneten diese als Resultat von Erinnerungsprozessen und ihrer subjektiven Bewertung.

Roberta Maierhofer (American Studies, Graz) widmete sich in ihrem Beitrag ebenfalls der Frage nach Erinnerung und Identität. In amerikanischer Literatur wie in Filmen stellt sie eine Verlagerung der mustertypischen Identitätskonstruktion aus dem Gegensatz zwischen Individualismus und gesellschaftlichen Normen fest. Nicht mehr nur das „Selbst“, das Subjekt, und das „Andere“, das Objekt, spielten eine Rolle in der Definition von Identität, sondern das „Selbst im Beziehungsgeflecht“ („self-in-relation“). Am Thema der sich verändernden Mutter-Tochter-Beziehung durch die Alzheimererkrankung der Mutter illustrierte Maierhofer die Bedeutung der Aushandlung von Beziehungen und demonstrierte, dass das Erleben von Gemeinsamkeit auch ohne geteilte Erinnerungen möglich ist.

Mit ihrer Analyse so genannter „Eingaben“, die Rentner in der DDR an den Staat richteten, stellte Christiane Streubel (Geschichte, Greifswald) Alter nicht nur in den Kontext finanzieller Not, sondern lenkte die Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen „offizieller“ Geschichtsdeutung und dem subjektiven, privaten Erleben der Vergangenheit. Aufgrund des institutionellen Charakters des Rentensystems waren diejenigen, die auf ihre prekäre finanzielle Situation hinweisen wollten, dazu gezwungen, ihr Leben vor dem Hintergrund der staatlichen Geschichtskonstruktion zu (re)interpretieren und sich in diese einzureihen. Rentner mussten demnach ihre persönlichen Erinnerungen in Einklang mit der Sprache der politischen Ideologie bringen und sie dieser Wahrnehmung der Vergangenheit anpassen.

Margaret Morganroth Gullette (Women’s Studies, Waltham) begreift Altern selbst als eine Form von Geschichte. Das Erzählen von Erfolgsgeschichten über das Altern sei nicht nur ein Mittel, um einen Bezug zur eigenen Vergangenheit herzustellen, sondern eine Strategie zur Ausbildung einer „Altersidentität“, mit der die eigene „Unverwüstlichkeit“ und Zukunftsfähigkeit bewusst gemacht wird – eine Art Überlebensstrategie. Sie unterstrich die Bedeutsamkeit intergenerationaler Kommunikation bei der Weitergabe von Erinnerung und ihrer Auslegung und plädierte damit für die Vermittlung einer Tradition des Erzählens von Erfolgsgeschichten – einer Tradition, die das Potenzial hat, Erinnerung progressiv für das Überleben zu nutzen.

Rüdiger Kunow (American Studies, Potsdam) verwies in seinem Vortrag auf die Unzulänglichkeit von Alterserzählungen als Gegenstand kritischer Forschung. In ihnen spiegele sich zwar der Widerstand gegen die Tabuisierung und Marginalisierung des Alters, jedoch sei dieser Widerstand nicht – wie nur scheinbar offensichtlich – aus dem Inneren der betroffenen Gruppe geschildert. Das (erfolgreich vermarktete und altersdisziplinierende) Erzählen von Lebensgeschichten als Strategie zur Generierung von Sinn und Kontinuität schaffe durch die Ausgrenzung derer, die sich dieser Strategie nicht mehr bedienen können, eine neue Randgruppe: die alten Alten. Aus dieser durch psychischen wie physischen Abbau geprägten Phase können definitionsgemäß keine Narrationen vorliegen, so dass diese Differenzkategorie nicht mit Bezug auf Quellen aus dem Inneren beschrieben werden könne.

II ALTER & KÖRPER
Im Mittelpunkt der zweiten Sektion stand die Auseinandersetzung mit dem in der Forschung häufig „unsichtbaren“ alternden Körper jenseits medizinischer Narrationen von Krankheit und Verfall. Geschichten, die die kulturelle und soziale Konstruktion alternder und geschlechtlicher Körper verdeutlichen, erhielten Raum. Es wurden Belege für die historische Kontingenz von Bildern alternder, weiblicher Körper angeführt, die die biologische Essenz von Alter und Geschlecht in Frage stellen. Der Themenbereich Alter, Geschlecht und physische Aktivität, die allgegenwärtigen Forderungen nach mehr sportlicher Aktivität im Alter und der Glaube an die Formbarkeit älterer (weiblicher) Körper wurden vorwiegend aus der Sicht der Sportwissenschaften problematisiert.

Lynn Botelho (History, Pennsylvania) eröffnete die Sektion mit ihrer Analyse historischer Dokumente über Elizabeth Frekes (1641-1714) Erfahrungen als Heilerin und Patientin. Am Beispiel der adeligen Hausfrau aus Norfolk differenzierte Botelho die Debatte über den Beginn der Medikalisierung von Alter, der gewöhnlich auf das späte 18. Jahrhundert datiert und in Deutschland und Schottland verortet wird. Auf gerontologischer Ebene belegte Botelhos Vortrag, dass alternde Körper nicht nur biologische Tatsachen, sondern vor allem auch soziale Konstrukte sind.

Ähnlich argumentierte Patricia Vertinsky (Human Kinetics, British Columbia) in ihrer Analyse der stark geschlechtlich geprägten medizinischen Debatten über Sport im späten 19. und im 20. Jahrhundert. Anhand der Geschichte medizinischer Warnhinweise zeigte sie, wie Metaphern für „normales Altern“ und „angemessene körperliche Betätigung“ in einer patriarchalischen medikalisierten Kultur entstanden sind und wie dadurch älteren Frauen Normen für Bewegung diktiert werden. Vertinsky problematisierte die Möglichkeiten älterer Frauen, durch die Anwendung von Technologien des Selbst den wirkmächtigen Diskursen Widerstand zu leisten, betonte aber, dass immer mehr ältere Frauen restriktive kulturelle Skripte unterlaufen, indem sie anstrengende Sportarten ausüben.

Eine praktische Perspektive auf Bewegung im Alter gab Rosa Diketmüller (Sportwissenschaften, Wien) im Hinblick auf die Einbeziehung von Alter und Geschlecht in die Planung und Umsetzung sportpädagogischer Projekte. Sie stellte die beiden österreichischen Projekte zur sportlichen Aktivierung älterer Frauen, „Reife Äpfel“ (2002-2004) und „Minigolf kommt zu Dir“ (2004), vor. Die Evaluation beider Projekte ergab, dass die Anpassung der Maßnahmen an die Lebensbedingungen der älteren Frauen von zentraler Bedeutung für die positive Beeinflussung ihres Alterungsprozesses, die Stärkung ihrer Selbstbestimmung und für ihre Sensibilisierung für gesundheitliche Themen ist.

Angelika Uhlmann (Medizingeschichte, Greifswald) verortete die Förderung körperlicher Betätigung älterer Frauen im Kontext gesellschaftlicher Diskurse über „erfolgreiches Altern“ und fragte, inwiefern sportlich aktive ältere Frauen zur Disziplinierung von Alter beitragen oder diese in Frage stellen. Anhand der aktuellen, überwiegend weiblichen Volksbewegung Nordic Walking in Deutschland argumentierte Uhlmann, dass es sich bei der Vorstellung, ältere Frauen seien körperlich inaktiv, um ein nicht länger haltbares Stereotyp handle. Sie betonte, dass sportliche Betätigung zur Stärkung von Fitness und Schönheit weibliches Selbstvertrauen jedoch nicht stärke. Körperliche Betätigung, die älteren Frauen helfe, eigene Körperbilder zu entwickeln, unterlaufe dagegen den erfolgreich vermarkteten Zwang zur physischen Disziplinierung.

Auch Gertrud Pfister (Sports Sciences, Kopenhagen) verdeutlichte in ihrem Vortrag den Zusammenhang zwischen Sport, Alter und Disziplinierung. Sie veranschaulichte anhand von Daten aus einer über einen Zeitraum von zehn Jahren angelegten Forschung über die anfangs 60-jährige Sportlehrerin Anna, wie wichtig Sport für den Umgang mit Alters- und Geschlechtsnormen sein kann. Pfister argumentierte, dass Anna Sport einerseits als Anti-Ageing Strategie, andererseits aber auch als Mittel zum Widerstand gegen Stereotypen einsetzte, was es ihr ermöglichte, der „mask of ageing“ zu entfliehen.

III ALTER & GESPRÄCH
Der dritte Themenschwerpunkt trägt der fundamentalen Rolle von Kommunikation als Mittel zur Aushandlung und Etablierung von Beziehungen und Bedeutungen Rechnung. Die kommunikative Auseinandersetzung mit dem Thema Alter(n) wird hier als Basis und Ressource für Entwicklung und Lernen im Alter definiert. Kommunikationsmuster dienen als Indikatoren für die Qualität und den Charakter von zwischenmenschlichen Beziehungen sowie als Spiegel unterschiedlicher Lebensstrategien.

Cornelia Kricheldorff (Gerontologie, Freiburg) beschrieb “Biographisches Lernen im Alter” als eine Methode der Reflexion und als Mittel zur Deduktion solcher Bewältigungsstrategien, die sich im Verlaufe des Lebens bereits als fruchtbar erwiesen haben. Biografische Arbeit, so Kricheldorff, sei keine Therapie, sondern vielmehr eine Quelle für Sinnschöpfung und Aneignung von Fertigkeiten, welche eine bewusste Umstellung und Anpassung an veränderte Lebensbedingungen im Alter ermöglicht.

Brigitte Boothe (Psychologie, Zürich) präsentierte Ergebnisse einer Interviewstudie mit mental gesunden, verheirateten älteren Männern und Frauen. Inhalt und Strukturierung der von den Probanden erzählten Geschichten dienten dabei als Grundlage zur Analyse von an das Leben gestellten Erwartungen und zur Untersuchung von Deutungsmustern. Es zeigte sich, dass eine positive Lebenseinstellung und -beurteilung nicht an das Ausbleiben von negativen Erfahrungen gebunden ist. In Erzählungen über Krankheit und Leid sei stets auch die Vorstellung über die „andere Seite“, die Vision des Guten, enthalten. Lebensstrategien sowie die in früher Kindheit ausgebildeten Ausrichtungen von Wünschen und Zielen spiegelten sich im Aufbau und in der Orientierungsrichtung der erzählten Geschichten wider.

In ihrem Beitrag über die Wahrnehmung kommunikativer Anpassung in Großeltern-Enkel-Beziehungen“ legte Anne-Kathrin Mayer (Psychologie, Trier) die Ergebnisse einer Fragebogenstudie vor. Neben speziellen Themenbereichen und Rollenverteilungen, die sich für Gespräche zwischen Großeltern und Enkeln als typisch erwiesen, betrachtete sie primär Besonderheiten der Ausrichtungsprozesse auf die kommunikativen Bedürfnisse und Voraussetzungen des jeweiligen Gegenübers. In der Studie zeigte sich, dass sowohl die Art der Anpassung an den Kommunikationspartner als auch die Gesundheit des Großvaters bzw. der Großmutter auf die wahrgenommene Beziehungsqualität einwirken. Somit könnte Alter indirekt als Einflussgröße auf die Modalitäten dieser Konversationen gelten.

IV ALTER & MEDIUM
In der vierten Sektion wurde das übergreifende Thema der Konferenz in einem engeren Sinne aufgegriffen. Geschichten des Alter(n)s, narrative Konstruktionen kultureller Bilder vom Alter, wurden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Dabei wurden anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Genres die Interferenzen zwischen Kultur, Gesellschaft und dem jeweiligen Medium herausgearbeitet.

Ulrike Jekutsch (Slawistik, Greifswald) befasste sich mit Alterskonstruktionen im Spätwerk des russischen Dichters Nikolaj Zabolockij (1903-1958). Sie zeigte, wie Zabolockijs persönliches Konzept von Alter auf verdeckte Weise dem offiziellen, stalinistischen Konzept von Alter widerspricht, was die Ursache seiner politischen Verfolgung war. Während gesunde, starke, erfahrene alte Männer, Arbeiter und Soldaten als ein wertvoller, wenn auch machtloser Teil des Kollektivs im Mittelpunkt der offiziellen stalinistischen Interpretation von Alter standen, prangerte Zabolockij die Lebensbedingungen in der Sowjetunion an, indem er Motive eines tragischen, heroischen, von Zweifeln, Müdigkeit, Angst und Krankheit geplagten Alters verwandte.

Elfi Bettinger (Anglistik, München) zeigte, wie Virginia Woolf (1882-1942) radikal mit der Offenheit von Texten experimentierte – im Unterschied zu Zabolockijs Strategie, die große politische Narration durch einen geschlossenen Gegentext zu unterlaufen. Sie präsentierte anhand der Instabilität und Inkonsistenz alternder Charaktere in Woolfs Romanen Mrs Dalloway (1925) und The Years (1937) sowie in einer kürzlich entdeckten Serie persönlicher Fotografien von Virginia Woolfs Freundeskreis, wie die Autorin Alter als das Ergebnis eines intersubjektiven, von Geschlechts- und Klasseneffekten durchzogenen Dialogs darstellt. Dabei zeigte sie, dass Woolfs Texten komplexe Reflexionen über Alter(n) zugrunde liegen.

Erzählungen über Alzheimer, eine Krankheit, die westliche Vorstellungen von der Zentralität kontinuierlicher Narrative für Individualität in Frage stellt, standen im Mittelpunkt des Vortrags von Heike Hartung (Anglistik, Greifswald). Anhand eines Vergleichs der Konstruktion narrativer Identität in Krankengeschichten über Alzheimer in der ersten Person beleuchtete sie Aspekte des Wandels medizinischen Wissens und der öffentlichen Wahrnehmung von Alzheimer seit den 1980er Jahren, der durch eine Erweiterung des Persönlichkeitskonzepts gekennzeichnet ist. Martin Suters Roman Small World (1997) wurde als Beispiel einer affirmativen literarischen Repräsentationen der Krankheit analysiert, der das Primat des Wertes von Erinnerungen für den Wert einer Person in Frage stellt.

Kathleen Woodward (English Studies, Washington) reflektierte aus psychoanalytischer Sicht über kulturelle Parabeln des Alterns im Hinblick auf Kernfamilie und Technologie. In Form einer metatheoretischen Präsentation demonstrierte Woodward, inwiefern die Kommunikationstechnologien Internet, Fernsehen und Telefon als emotionale Prothesen für das "Fort-Da" (Freud), die Bewältigung der Angst des Verlassenseins im Alter, dienen können. Anhand von J.B. Pontalis autobiografischem Essay „At the end of the line“ (1986) zeigte Woodward, wie die Telefonleitung als Rettungsseil fungieren kann, das die kritische Verbindung zwischen Menschen in ihrer persönlichen Meditation über Verbindung und Verlust im Alter sicherstellen kann.

William Randall (Gerontology, Fredericton) lenkte in seinem Vortrag die Aufmerksamkeit von der literarischen zur narrativen Gerontologie. Er beschrieb einen von der affirmativen Postmoderne inspirierten analytischen Rahmen, in dem Altern an sich als literarischer Prozess verstanden wird, wo jedes Individuum sowohl als Erzähler, Figur, Leser als auch als Text seines eigenen biografischen Alterns verstanden wird. Er erläuterte den Prozess, in dem Individuen zeitlich komplexe, sich ständig verändernde und sozial geformte Lebensnarrativen konstruieren, um Ereignissen, der Welt und „sich selbst“ Sinn zu geben. Am Beispiel von Spiritualität im Alter verdeutlichte Randall, inwieweit ein narrativer Ansatz die Kluft zwischen natur- und sozialwissenschaftlicher Altersforschung durch dichte Beschreibungen von Innenansichten des Alterns überbrücken könnte.

Pat Thane (Contemporary History, London) thematisierte in ihrem Vortrag geschlechts-spezifische Auswirkungen gesellschaftlicher Narrationen von Alter, die innerhalb westlicher, an Erwerbsarbeit orientierter Gesellschaften entstandenen sind. Thane analysierte Entwicklungen im 20. Jahrhundert, die die Realität und die Wahrnehmung von Alter in Großbritannien maßgeblich beeinflussten. Sie betonte den Einfluss „offizieller“ Altersgrenzen, die z.B. durch Rentensysteme entstanden sind, auf die Strukturierung von Lebensläufen und auf den finanziellen und sozialen Status des Einzelnen. Thane kritisierte die Kluft zwischen gesellschaftlichen, häufig stereotypen Bildern von Alter und den heterogenen Realitäten des Alters.

Die zahlreichen Beiträge aus den unterschiedlichen Disziplinen bestätigten einen interdisziplinären Ansatz als konstruktive Basis zur Forschung auf dem Gebiet der Gerontologie und der Genderforschung. Trotz zahlreicher Übereinstimmungen zeigten sich aber auch Bereiche des Dissenses und damit der Bedarf an weiterer Auseinandersetzung und Ergänzung. Nähere Informationen zum Kolleg und zur Weiterführung der Diskussion unter:

www.uni-greifswald.de/~postdoc/AGG.htm