Cultural Sociology and the Iconic Turn (Konstanzer Meisterklasse 2007)

Cultural Sociology and the Iconic Turn (Konstanzer Meisterklasse 2007)

Organisatoren
Bernhard Giesen (Konstanz)
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.07.2007 - 11.07.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Sina Farzin, Graduate School of Social Sciences, Universität Bremen; Urs Büttner, Eberhardt-Karls-Universität Tübingen

Programm und Struktur der Tagung

Die Konstanzer Meisterklasse bietet seit 1999 ein internationales Forum, das den Dialog zwischen NachwuchswissenschaftlerInnen und renommierten ForscherInnen aus dem Bereich der Sozial- und Kulturwissenschaften ermöglichen soll. Unter dem Thema „Cultural Sociology and the Iconic Turn“ kamen in diesem Jahr vom 1.-11. Juli knapp dreißig DoktorandInnen und Post-Docs in Konstanz mit exponierten Forschern zusammen, um sowohl die eigenen Forschungsprojekte als auch die Vorträge der geladenen ProfessorInnen zu diskutieren. Als ExpertInnen für das Themenfeld der visuellen Soziologie waren Jeffrey Alexander (Yale), Piotr Sztompka (Krakau), Karin Knorr-Cetina (Konstanz), Jan Assmann (Heidelberg), Gottfried Böhm (Basel) und Hans Belting (Karlsruhe) geladen. Die Organisation der Konferenz lag beim Lehrstuhl Bernhard Giesen (Konstanz).
Neben den Eröffnungsvorträgen von Gottfried Böhm und Karin Knorr-Cetina sowie einem Abendvortrag von Jan Assmann setzte sich die Struktur der Tagung aus vormittäglichen Vorlesungen durch die ProfesorInnen und nachmittäglichen Präsentationen durch die NachwuchswissenschaftlerInnen zusammen.

Aufgrund des Tagungs- und Vortragsvolumens wird es im Folgenden nicht möglich sein, alle der über dreißig Vorträge inhaltlich zu referieren. Stattdessen soll einer Einführung in die Thematik der Veranstaltung ein Überblick über die dominanten Diskussionslinien, die sich im Verlauf der 11-tägigen Veranstaltung entwickelt haben, anhand exemplarischer Nennungen folgen.

Cultural Sociology and the Iconic Turn

Seit Mitte der 1990er Jahre setzt sich die Rede vom Iconic Turn zunehmend in verschiedenen Disziplinen der Geistes – und (mit einiger Verzögerung) Sozialwissenschaft durch. Der Begriff selbst – geprägt durch den anwesenden Basler Kunsthistoriker Gottfried Böhm – deutet auf eine Hinwendung der kulturwissenschaftlichen Forschung zu Fragen nach der sozialen und kulturellen Funktion von Bildern bei der Erzeugung und Strukturierung von sinnhaften Ordnungen. Ziel des im Zuge des Iconic Turns entstandenen Projekts einer kritischen Bildwissenschaft ist es daher auch, ein methodisches Instrumentarium zu entwickeln, das den reflektierten Umgang der kulturwissenschaftlichen Forschung mit Bildern ermöglicht und diese weder auf die Funktion schlichter Abbildungen realer „Vorbilder“ reduziert noch als reine Illustrationen sprachlicher Wissensbestände versteht. Dass ein solches Projekt vor dem Hintergrund einer durch Technik- und Medieninnovation immer dominanter werdenden visuellen Kultur auch für die Soziologie mannigfache Anknüpfungspunkte bietet, die nach der sinnerzeugenden Funktion von Bildern in sozialen Kontexten fragen, scheint auf der Hand zu liegen und wurde dennoch bisher in der soziologischen Forschung nur zögerlich aufgegriffen.
Die Konstanzer Meisterklasse bot daher einen spannenden Diskussionsraum, um ein noch junges Forschungsfeld der Soziologie mit ExpertInnen der bildwissenschaftlichen Forschung zu erkunden.

Schwerpunkte und Diskussionen

Im Verlauf der Tagung bildeten sich trotz der Vielzahl der Vorträge und der disziplinären Hintergründe der Vortragenden einige wiederkehrende Schwerpunkte in Thematik und Diskussion.

Ein breiter Diskussionskontext ließ sich bei der Frage erkennen, welche Funktion Bilder in spezifischen sozialen Kontexten erfüllen. Bereits der Eröffnungsvortrag von Karin Knorr-Cetina demonstrierte am Beispiel von Visualisierungsstrategien im internationalen Finanzmarkt, wie der hochabstrakte und immaterielle Handel mit Finanzen auf die Generierung von Sichtbarkeit durch die mediale Übermittlung und grafische Umsetzung von Kursverläufen angewiesen ist, um überhaupt einen Interaktionsraum zwischen den global verteilten Akteuren aufbauen zu können. Auch andere Vorträge kreisten um die Frage, wie abstrakte Sinnkomplexe visualisiert werden können und welche Implikationen diesen Visualisierungen folgen. So zeigte etwa Valentin Rauer am Beispiel von Isotypen zur Illustration von Magazinartikeln (Spiegel/Times) zur AIDS-Thematik, wie das Bedrohungspotenzial der Krankheit durch grafische Mittel selbst bei der Gestaltung vordergründig nüchterner Schaubilder visualisiert wird.

Die sich hier andeutende Qualität von Bildern, emotionale und affektbesetzte Sinnformen zu erzeugen, stand auch im Mittelpunkt zahlreicher Vorträge zur Funktion von Bildern im Kontext sozialer Konflikte. Jeweils gleich zwei Vorträge befassten sich bspw. mit dem Skandal ausgelöst durch die Photographien von Folterungen durch US-Armeeangehörige im Irakischen Abu Ghraib Gefängnis (Werner Binder, Marco Solaroli) und mit der Funktion politischer Wandmalereien im Nord-Irland-Konflikt (Stefan Solleder) bzw. in Serbien (Daniel Suber). Nicole Doerr zeigte in ihrem Vortrag, wie subversive Visualisierungsstrategien im Rahmen der EuroMayday Bewegung genutzt wurden, um eine heterogene, europäische Protestbewegung zu initialisieren. Die sich im Zuge der Diskussion dieser verschiedenen Gegenstände kristallisierende Frage nach der emotionalisierenden und moralisierenden Funktion von Bildern wurde im Verlauf der Tagung immer wieder aufgeworfen und schwang auch in Jeffrey Alexanders Vorträgen mit, in denen u.a. die Einbettung der ästhetischen Erfahrung in das soziale Leben anhand des Beispiels von Kunstbetrachtung und der Verehrung von Pop-Ikonen aufgezeigt wurde. Eine mögliche Antwort auf die elementaren Erfahrungen und Reaktionen, die durch Bilder hervorgerufen werden können, gab Hans Belting mit seinem Vortrag zur Begründung eines universalen menschlichen Bildbedürfnisses. Anthropologisch machte er den Ursprung der Bildlichkeit als Reaktion auf die Erfahrung des Todes und des damit verbundenen Verschwindens des Körpers aus. In Totenmasken und Abdrücken wird die verstorbene Person über das Verlustmoment des Todes hinaus weiter sozial re-präsentiert.

Ein weiterer Diskussionsblock entwickelte sich anhand der Frage nach der spezifischen epistemologischen Qualität von Bildern und Darstellungsformen. Gottfried Böhm verdeutlichte in seinen beiden Vorträgen, dass bestimmte Wissensbestände nicht über Sprache vermittelt werden können sondern in Form von Verkörperungen, Evidenzen und bildlichen Vorstellungen zuallererst über das Sehen erschlossen werden. Das Bild als Modell für bestimmte Wissensformen (bspw. die verschiedenen Vorstellungen über die Form und Struktur der Erde) begründet und prägt dieses Wissen und illustriert nicht einfach eine sprachlich ebenso formulierbare Aussage. Dieser Argumentationslinie folgten einige der vorgestellten Forschungsarbeiten, die sich um eine Ästhetik des Sozialen bemühten und nach der Funktion bestimmter Metaphern wie Organismus oder System für die Konstitution des immateriellen Gegenstandes des Sozialen fragten (Tobias Schlechtriemen, Sina Farzin). Ebenso knüpften mehrere Vorträge an die Frage der ästhetischen Dimension theoretischer Texte an, indem bspw. die Herausbildung verschiedener Stile für die Felder der Wissenschaft, Poesie und Philosophie um 1800 untersucht wurde (Urs Büttner) oder am Beispiel von Clifford Geertz Essay zum Balinesischen Hahnenkampf nach den textuellen Elementen gefragt wurde, die einen Text innerhalb einer Disziplin zum Klassiker werden lassen (Phil Smith).

Immer wieder aufgeworfen wurde hierbei die Frage, inwiefern bildliche, metaphorische und anschauliche Texte von wirklichen Bildern zu unterscheiden sein und in welchem Verhältnis bildliche Vorstellungsschemata zu „realen“ Bildern stehen.

Fazit

Die hier nicht erschöpfend sondern nur exemplarisch vorgeführte Bandbreite der behandelten Themen und Anwendungsmöglichkeiten bildkritischer Instrumente, Methoden und Frageperspektiven markieren das breite Feld der Möglichkeiten für die noch junge Disziplin der visuellen Soziologie. Die intensiven Diskussionen während der Veranstaltung haben zudem deutlich gezeigt, dass ein Austausch zwischen SoziologInnen und BildwissenschaftlerInnen auf diesem Feld unerlässlich ist, will man den bisher eher unreflektierten Umgang der Soziologie mit Bildern und visuellem Material durch eine bewusste Perspektive auf die soziale Funktion von Bildern ersetzen. Insgesamt hat der intensive und konzentrierte Diskussionszusammenhang in Konstanz zur Formulierung und Schärfung einer Vielzahl von Fragen für die soziologische Beschäftigung mit Bildern geführt.


Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts