Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft 1250-1750

Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft 1250-1750

Organisatoren
Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Abteilung für Rheinische Landesgeschichte
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2007 - 25.09.2007
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Von
René Franken, Dorsten

Der aktuell in verschiedenster Weise diskutierte Begriff einer „Schul- und Bildungslandschaft“ – insbesondere mit Blick auf den Zusammenhang von räumlicher Struktur und mehr oder weniger vernetzten Bildungsinstitutionen – wurde mit der Themenstellung dieser Tagung auf die Ebene der Landesgeschichte bezogen und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Ausgehend von der Feststellung, dass Bildungsgeschichte im Rahmen der rheinischen Landesgeschichte bisher eher als ein Desiderat zu bezeichnen war, führte MANFRED GROTEN (Bonn) in die Herbsttagung der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte des Institutes für Geschichtswissenschaften an der Bonner Universität ein. Nach der Verortung des landeskundlichen Ansatzes im vergangenen Jahr 1, wurde mit dieser Tagung deutlich gezeigt, wo zukünftige Schwerpunkte der Arbeiten in der neu geschaffenen Abteilung liegen werden.

Im Einführungsvortrag skizzierte GROTEN kurz die wenigen vorausgegangenen Arbeiten aus der Umgebung des Instituts, die sich bisher eher der höheren Schul- und Universitätsbildung im Rheinland gewidmet hatten. Erst in den letzten Jahren habe sich durch einige hervorragende Arbeiten das Gewicht auch auf die niedere Schulbildung verlagert und weiter in die verschiedenen Territorien der Region bis in den ländlichen Raum geöffnet.

ANDREAS RUTZ (Bonn) stellte in seiner Einführung in das Tagungsthema die Kernfrage, nach der möglichen Existenz einer „Bildungslandschaft“ und deren Aussehen im Rheinland voran. Vor diesem Hintergrund sollten dann die Thesen eines breiteren Bildungsbegriffs und ein epochenübergreifender Ansatz mit der Frage nach einer spezifisch rheinischen Bildungskultur in Wandel und Entwicklung diskutiert werden. Der geografische Raum sollte erst einmal als grobe Hilfe vorgegeben werden und wurde dann zu jedem Thema kritisch hinterfragt. Der erste Tag stand unter dem Motto „Bildung und Schule“ und galt der Analyse der verschiedenen Ebenen und Segmente der Institution Schule mit lokalen, regionalen und überregionalen Verflechtungen und Vernetzungen im rheinischen Raum.

KURT WESOLY (Bonn) bot im ersten Beitrag des Tages anhand meist praktischer regionaler Beispiele einen Einblick in das elementare Schulwesen im Rheinland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Wesentliche These war für ihn, dass nicht nur Latein, sondern zunehmend auch die Landessprache als Schriftsprache das bürgerliche Interesse an einem elementaren Schulwesen dieser Zeit prägte. Er wies deutlich auf den Zusammenhang zwischen Humanismus und wachsender Bedeutung von Verwaltung und Rechtsprechung in Territorium, Stadt und Wirtschaft hin. Aus dem umfangreichen Quellenmaterial der jülich-bergischen Visitationsprotokolle des 16. Jahrhunderts und vergleichbaren Quellen der Folgezeit zog er Beispiele heraus, die belegten, dass die Schulhäufigkeit allgemein ab dem 16. Jahrhundert stark zunahm. Es seien ab 1624 in gemischtkonfessionellen Orten teilweise sogar zwei Schulen vorhanden gewesen. Er verdeutlichte anhand des seit dem 17. Jahrhundert erst greifbaren Fächerkanons der Elementarschulen die große Bedeutung der religiösen Unterweisung für die Schulentwicklung, den starken Einfluss, den Eltern auf die Schule ausüben konnten, und die zunehmende Bedeutung einer Überprüfung und Ausbildung von Lehrkräften. Besonders wies er auf die zunehmende Konkurrenz der konfessionellen Schulen hin, die für die regionale Bildungslandschaft Chance und Problem zugleich darstellen konnte.

Mit dem zweiten Referenten ANDREAS FREITÄGER (Köln) wurde die Thematik auf das höhere Bildungswesen im Sinne der Artes-Bildung an den regionalen Universitäten Köln, Trier und Duisburg ausgedehnt. Freitäger analysierte in seinem Vortrag vor allem die inneren Strukturen und Entwicklungen dieser Institutionen. Beginnend mit der Kölner Universitätsgründung zeichnete er die Entwicklungslinien von den Generalstudien, den Artes-Studien über die Universitätsgründungen in Trier und Duisburg bis hin zu den jesuitischen Bildungseinflüssen und Reformen seit dem späten 16. Jahrhundert im Rheinland nach.

GERHARD MENK (Marburg) richtete in seinem Beitrag das Augenmerk auf das protestantische Schulwesen im frühneuzeitlichen Rheinland. Anders als seine Vorredner definierte er den Raum, die rheinische Bildungslandschaft, nicht aus sich heraus, sondern aus den von außen eindringenden Einflüssen und Verbindungen in diesem Fall der Reformation. Er machte daraufhin Schwerpunkte protestantischer Bildung an verschiedenen Punkten am Niederrhein fest und ordnete diese deutlich den externen Einflussräumen, beispielsweise der Universität Herborn oder dem Gymnasium Lingen, zu. Über die gravierenden territorialpolitischen Veränderungen zu Beginn de 17. Jahrhunderts mit dem Ausbreiten gleich zweier protestantischer Lehren neben der katholischen Konfession, beispielsweise im Klevischen, charakterisierte er einen protestantischen Bildungsraum Rheinland mit den Eckpfeilern in den Niederlanden und der Pfalz und einem katholischen Kernbereich in Kurköln. Auch wenn noch im 17. Jahrhundert durch landesherrliche Eingriffe neue Impulse in der Schulpolitik für Kleve / Mark gegeben werden konnten, blieb am Ende des 17. Jahrhunderts nur ein allmählicher Verfall des Bildungswesens, da im pietistischen Kernland Preußens das Interesse an den westlichen Nebenlanden verloren gegangen war. Der Referent machte vor allem die andauernden kriegerischen Ereignisse für diese Stagnation verantwortlich. Grundsätzlich wären jedoch in Kleve alle Strukturen für ein voll ausgebildetes dreistufiges Schulsystem (Elementarschulnetz, Gymnasium Kleve, Gymnasium Hamm und die Universität Duisburg) vorhanden gewesen.

BIRGIT E. KLEIN (Heidelberg) hatte mit ihrem Thema, dem jüdischen Schul- und Bildungswesen im spätmittelalterlich- frühneuzeitlichen Rheinland, sicher die schlechteste Quellenlage der vorgetragenen Themen. Sie legte jedoch deutlich dar, dass dies kein regionales Problem der Rheinlande sei, sondern durch die inneren Strukturen des aschkenasischen Judentums in Mitteleuropa generell zu begründen sei. Anhand von Beispielen aus Speyer, Worms und Mainz schilderte sie die sehr spezifische Situation, dass Talmudschulen überregionale Zentren in Form von privaten Hausschulen in reichen Häusern waren, die unabhängig von der jeweiligen Gemeinde eine enge Bindung an einen besonderen Gelehrten hatte. Sie betonte die lediglich wirtschaftlich bedeutende Stellung Kölns für das Judentum und stellte Mainz als einziges Zentrum jüdischer Gelehrter seit dem 12. Jahrhundert am Unterlauf des Rheins dagegen. Darüber hinaus ließen sich nur ganz wenige Belege eines jüdischen Bildungswesens, zum Beispiel für Deutz oder Bonn, anführen. Für das Rheinland im Sinne der modernen Umschreibung als nördlichen Teil der preußischen Rheinprovinz fasste sie zusammen, dass die Existenz eines Bildungswesens zwar belegbar, aber nur sehr sporadisch greifbar ist. Wenn, dann funktionierte es koedukativ und war häufig elitär an hervorragende Personen gebunden.

KARL HÄRTER (Frankfurt a.M.) lenkte mit seinem Beitrag das Augenmerk auf die obrigkeitliche Einflussnahme auf Bildung und Erziehung, indem er den Normenerlass zu diesem Themenzusammenhang in der im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit einsetzenden Gesetzgebung analysierte. Dazu hatte er hauptsächlich die Verwaltungsordnungen der Frühen Neuzeit untersucht und statistisch daraufhin geprüft, ob, wie viele und in welcher Entwicklung Normen zu Bildung und Erziehung zu finden sind. Die Ausgangsfeststellung war dabei, dass in den niederrheinischen Territorien die Normenhäufigkeit zu Erziehung und Bildung weit niedriger war als beispielsweise in Baden oder der Kurpfalz. Er zog daraus den Schluss, dass stark zersplitterte Territorien die Schule weit mehr normiert haben als geschlossene Territorien oder Reichsstädte. Die Entwicklung der Normengebung zu diesem Thema zeichnete er so nach, dass zur Reformationszeit in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein erster Anstieg zu beobachten sei. Erst 1670 bis 1770 konnte jedoch ein rapider Anstieg der Normierung von Erziehung und Bildung verzeichnet werden.

Härter wies darauf hin, dass die beobachteten Schwankungen in Territorien und Reichsstädten sehr unterschiedlich ablaufen konnten. So zeichneten sich die Schwankungen in den Territorien extremer ab als in den Reichsstädten, wobei in katholischen Territorien die Normierung oft zeitversetzt verspätet und geringer ausfiel. Besonders prägend war für das Rheinland die fast ausschließliche Einbindung der Schul- und Bildungsnormen in die „Polizey“- und Verwaltungsordnungen. Selbstständige Schulordnungen konnten für diesen Raum erst ab Ende des 17. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Als wichtigste Regelungsgegenstände nannte er die Lehrer, deren Ausbildung und Qualifikation, die Schulaufsicht, die Baulast und Finanzierung. Das Hauptförderungsziel, das in diesen Normen zu beobachten war, lag nicht in der Förderung von Begabung, sondern in der Förderung armer Kinder. Abschließend stellte der Referent fest, dass die Durchsetzung dieser Normen in ihrer geringen Sanktionierung und der wenig definierten Zuständigkeit in der praktischen Umsetzung große Defizite hatte.

Den öffentlichen Abendvortrag „Zwischen Kirche und Kommune. Die Schul- und Bildungslandschaft Rheinland 1250-1750 und ihr europäischer Kontext“ stellte STEFAN EHRENPREIS (Berlin/ Bielefeld) unter die Fragestellung nach dem gegenseitigen Bezug des Schul- und Erziehungswesens sowie der zugehörigen Institutionen. Dabei brachte er alle Formen der Akkulturation und Sozialisation der nachwachsenden Generationen zusammen, so beispielsweise auch die religiöse Erziehung, die Rolle der Medien und das religiöse Lied. Ehrenpreis gliederte die rheinische Bildungsgeschichte 1250-1750 in vier klar differenzierbare zeitliche Abschnitte.

Die erste Phase definierte er als die spätmittelalterliche Kommunalisierung der überlieferten Schulformen zur städtischen Ratsschule und einem langsamen Ausbau des Unterrichtsangebots auf dem Land, wobei die Einflüsse der „Devotio moderna“ aus den nahen Niederlanden im 15. Jahrhundert deutlich die rheinische Bildungsgeschichte prägte. Die zweite Phase verortet er in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in der Köln zu einem geistigen Zentrum der Bildungsbewegung wurde und rheinische Landesherren erstmals versuchten, eine fürstliche Bildungspolitik zu etablieren, die jedoch weitgehend scheiterte. In dieser Zeit ging die Entwicklung der Schulen durch die kirchlichen Reformen in die kirchlichen Gemeinden über und wurde weitgehend durch die lokalen Verhältnisse bestimmt. Als dritte Phase bezeichnete er den Späthumanismus und die Konfessionalisierungszeit des späteren 16. Jahrhunderts und beginnenden 17. Jahrhunderts. Er machte dies vor allem an der Ausstrahlung Kölns in den Nord-westeuropäischen Raum fest und bezog auch die verstärkt am kaiserlichen Hof auftretenden rheinischen Intellektuellen und Juristen mit ein. Für das niedere Schulwesen dieser Zeit sah er vor allem die konkurrierenden konfessionellen Identitäten als prägendes Element, in dem sich mehr und mehr Unterscheidungsmerkmale etablierten. Für die Zeit vom Ende des 17. Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhunderts definierte Ehrenpreis die vierte Phase. Als prägendes Element für diesen Zeitabschnitt sah er vor allem die Jesuiten, die von ihren Bildungsinstitutionen in den Residenzstädten ausgehend große Wirkung bis in die Landschulen entfalteten. So erhielt die rheinische Bildungslandschaft einen konservativen Zug, da meist Schule und Katechese eng verbunden waren.

Abschließend fasste Ehrenpreis zusammen, warum ein einheitlicher rheinischer Bildungsraum nicht definierbar ist: 1. fehlte die landesherrliche Initiative für das höhere Schulwesen, 2. fehlte eine Bildungsinitiative des Adels, 3. es gab nur eine geringe Rezeption pädagogisch-didaktischer Initiativen im 17. und 18. Jahrhundert, weil die bildungspolitisch führende Konfession, das Luthertum, im Rheinland kaum vertreten war. Aus diesen Gründen sah er keine eigene Spezifik einer rheinischen Bildungslandschaft, die vielmehr durch starke interregionale Bezüge gekennzeichnet gewesen sei.

Der zweite Tag öffnete unter dem Motto „Bildung und Medienkultur“ den Bildungsbegriff über die Institution Schule hinaus. Hier war die zunehmende Bedeutung und Verbreitung von Medien im Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit zielgebend.

So untersuchte MANFRED GROTEN (Bonn) in seinem Vortrag „Die pragmatische Schriftlichkeit im Rheinland im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit“ vor allem eine „handelnde“ Schriftlichkeit in Abgrenzung zur wissenschaftlichen oder literarischen Textproduktion. Nach englischem Vorbild wählte er Schriftgut der alltäglichen Rechtslegung und der Verwaltung als Grundlage seiner Untersuchung, die für das Rheinland in diesem Zusammenhang bisher unbeachtet geblieben war. Grundlegende These war für ihn die Feststellung, dass das lateinische Schriftwesen die Wiege der pragmatischen Schriftlichkeit, auch der frühen Neuzeit, darstellt. Ziel seiner Untersuchung war die Analyse der Entwicklung kanzleilicher Bildung, die einerseits aus sich selbst heraus erneuert werden konnte, indem sie selbst zum Lernort für junge Schreiber wurde, andererseits durch Anwerbung von auswärtigen Schreibern ein neues Gepräge fand.

Vergleichend stellte Groten verschiedene Kopiare aus Köln und Xanten mit deren Schreibern vor. Anhand dieser konnte er deutlich belegen, wie die Einführung der deutschen Schriftsprache im Spätmittelalter vor sich ging. Vor allem vor dem Hintergrund der Schreiberausbildung in der klassischen lateinischen Schrift und deren Abkürzungen konnte er nachweisen, dass für die deutsche wie für die lateinische Sprache völlig verschiedene Schriften nebeneinander gelernt und geschrieben wurden. Standardisierend wirkte dabei die schulische Ausbildung in der klassischen Elementarschule und die darauf folgende Schulung in den Kanzleien, in denen der Schreiberberuf als Lehrberuf oft in familiärer Nachfolge weitergegeben wurde.

Groten wies darauf hin, dass bis 1500 eine einheitliche Schriftsprache in der alltäglichen Verwendung genutzt wurde, die ab dem 16. Jahrhundert durch die Einführung der deutschen Sprache in ihrer Einheitlichkeit aufgebrochen wurde. So ließ sich nachweisen, dass ausgehend von den gelernten Schreibern ab dem 16. Jahrhundert breitere Schichten, die häufig über eine höhere Bildung verfügten und aus Verwaltung und Wirtschaft stammten, die Uneinheitlichkeit der Schrift förderten. Vor allem gelehrte Juristen, Kanzleibeamte und Kleriker unterbrachen die traditionelle Sohnesnachfolge der Schreiber. Eine Einheitlichkeit der Alltagsschrift ist demnach ab dem 16. Jahrhundert für den untersuchten Raum nicht mehr nachweisbar, vielmehr folgte auf eine mittelalterliche Einheitlichkeit eine Regionalisierung mit der Ausbildung von Zentren der Ähnlichkeit, die vor allem von den größeren Kanzleien und deren Umfeld geprägt wurden.

WOLFGANG SCHMITZ (Köln) referierte über das Kölner Verlagswesen als Mittler für die Bildung im Rheinland. Dabei konnte er für Köln besonders zwei Verlage des 15. Jahrhunderts mit früher und überregionaler Bedeutung für den Buchdruck herausstellen, die anfangs ohne besondere Bindung an die Universität, am Ende des 16. Jahrhunderts parallel zum Richtungsstreit in der Universität jedoch in den Bereich der Schul- und Studienbücher vordrangen. Schmitz wies vor allem darauf hin, dass die neuen Bestrebungen des Humanismus am Anfang des 16. Jahrhunderts durch den Buchdruck maßgeblich mit vorbereitet wurden. Vor allem bei der Analyse der Rolle des Buchdrucks in der Universitätsreform zu Beginn des 16. Jahrhunderts konnte er nachweisen, dass die Kölner Verlage ohne Probleme für beide Fraktionen des Gelehrtenstreits veröffentlichten. Dabei rückte vor allem die Artes-Fakultät in den Fokus der Verlage, die darauf vermehrt Schulbücher als Gebrauchsbücher verlegten. Dem Ruf nach Vereinheitlichung des Bildungssystems konnte erst mit der Ausbildung der Jesuitengymnasien als Vorbild für viele Schulen der Region entsprochen werden. Schmitz wies auf die besondere Ausstrahlung des Tricoronatums, des Jesuitengymnasiums in Köln, hin, dessen Schulbücher im gesamten Niederrheingebiet, der Ordensprovinz der Jesuiten, Verbreitung fanden. Als weitere, sehr weniger bedeutende Druckorte konnte er nur Bonn, Duisburg und Münster nachweisen. So konnte Köln über die Schulbuchproduktion, vor allem als Sammellehrbuch, im Rahmen der Vereinheitlichung in der niederdeutschen Ordensprovinz der Jesuiten seine Dominanz im 16. Jahrhundert noch ausbauen.

Abschließend ging er auf die in der Forschung oft vernachlässigte Rolle der Disputations-, Flugblatt-, Hausordnungs- und Disziplinarordnungsdrucke ein, die beispielsweise in Verbindung mit in Einzelfällen belegbaren gedruckten Unterrichtsplänen im besonderen Interesse der Bildungsgeschichte stehen dürften. Dies stellte er besonders heraus, da das Verlagswesen neben dem Schulbuchdruck selbst kleinste Drucke für den Bildungsbereich als besonders wichtiges Geschäft ansah. Die Universität leistete sich keine eigene Druckerei und beschränkte sich bis ins 18. Jahrhundert lediglich auf die Vergabe von Lizenzen, die Jesuiten nutzten bevorzugte Drucker, meistens aus Köln.

HEINZ FINGER (Köln) bot mit seinem Vortrag „Bibliotheken des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit im Rheinland“ einen allgemein gefassten Überblick über das rheinische Bibliothekswesen. Er legte die Ausgangssituation einer weitgehend ausgebildeten Bibliothekslandschaft um 1250 in ihrem Wandel von einer Schatzkammerbibliothek zur Gebrauchsbibliothek seinen Ausführungen zugrunde. Als Formen der ausschließlich kirchlichen Bibliotheken um 1250 benannte er: älteste Kathedralbibliotheken, klassische Klosterbibliotheken (seit der karolingischen Zeit), Zisterzienserbibliotheken mit bewusstem Verzicht auf „schöne“ Bücher, Sammlungen der Bettelmönche, Ordensbibliotheken und Sammlungen. Finger griff in seinem Vortrag beispielhaft drei Vertreter dieser Bibliotheksformen heraus und erläuterte deren Bedeutung und Entwicklung. Als Beispiel einer klassischen benediktinischen Bibliothek stellte er die Klosterbibliothek Werden vor, die nach einer hochmittelalterlichen Blüte im 15. Jahrhundert eine neue Blüte mit humanistischen Schwerpunkten erlebte und Werden zu einem überregionalen Zentrum der Wissenschaften machte.

Als Beispiel einer zisterziensischen Bibliothek wählte er die Bibliothek der Zisterzienserabtei Altenberg. Finger stellte besonders die Rolle dieser Bibliothek in der Rekatholisierung mit Ausrichtung auf Köln heraus, in der in Altenberg als Gegenbewegung zum Massendruck prächtig ausgestattete, handgeschriebene Bücher produziert wurden. Auch die letzte Blüte dieser Bibliothek, Ende des 17. Jahrhunderts, war geprägt von einem hohen, aber nicht fortschrittlichen Niveau mit einer Orientierung auf die historischen Wissenschaften, in denen Naturwissenschaften kaum eine Rolle spielten. Als letztes Beispiel stellte Finger die Bibliothekslandschaft Düsseldorfs wegen seiner vergleichsweise jungen Geschichte und geringen kirchlichen Bedeutung bewusst den traditionellen kirchlich geprägten Bibliotheken gegenüber, da in Düsseldorf seit dem 16. Jahrhundert während der langsamen Herausbildung als Residenzstadt erste weltliche und gymnasiale Bibliotheken entstanden. Als besonders bedeutend hob er auch erste reformierte und lutherische Bibliotheken in Düsseldorf hervor. Zum Schluss ergänzte er das Bild durch einen kurzen Abriss der Geschichte der ersten Jesuitenbibliothek in Köln, die nach der Auflösung der Artes-Fakultät einen Großteil, von deren Büchern übernahm und bis ins 18. Jahrhundert für Köln und das Rheinland eine besondere Rolle inne hatte. Zusammenfassend räumte er am Ende ein, dass die Bedeutung rheinischer Bibliotheken um 1750 nicht größer war als um 1250, lediglich die Zugänglichkeit habe sich geändert und damit in beschränktem Maße die Zugänglichkeit zu Wissen geöffnet.

Mit dem letzten Vortrag dieser Veranstaltung, den WOLFGANG SCHMID (Trier) zum Thema „Rheinische Schatzkammern im Zeitalter der katholischen Reform“ hielt, wurde ein weiter Bogen von der Bildpublizistik, der Goldschmiedekunst bis hin zu den Wallfahrten in Trier, Aachen und Köln gespannt. Schmid charakterisierte Schatzkammern auch als Wissensspeicher, in denen schon früh Antiken- und Grafiksammlungen bestanden. In einem Vergleich untersuchte er verschiedene Haltungsblätter, Flugblätter, die anlässlich besonderer Wallfahrten, wie beispielsweise der Heiligtumsfahrten nach Trier und Aachen, gedruckt und verbreitet wurden. Auf diesen wurden in verschiedener Weise die bedeutenden Reliquien in Form ihrer Reliquiare als eine Art virtuelle Domschatzführung vorgestellt um die besondere Bedeutung dieser Wallfahrt hervorzuheben, wobei ergänzende Texte das Wallfahrtsereignis, die Ortsgeschichte, Legenden zu den Objekten und kurze Gebete vorstellen konnten. So wurden diese Haltungsbilder zu einer frühen Form der Selbstpräsentation dieser bedeutenden Domstädte, wobei diese Reliquienverzeichnisse darüber hinaus noch eine besondere Wirkung auf die Identitätsbildung der Region, auch in Politik und Konfessionalisierung, hatten.

Am Ende dieser Tagung bleibt die Ausgangsfrage nach der Raumidee, dem Rheinland als Bildungslandschaft zu stellen. Das grundsätzliches Problem, die Charakterisierung einer bestimmten rheinischen Schul- und Bildungslandschaft, hat jeder Referent mit den für sein Thema eigenen Charakteristika einer solchen Landschaft formuliert, deren Gewichtung jedoch durch die zergliederte Territorial- und Kirchengeschichte dieses Raumes sehr unterschiedlich ist und keine größere Einheitlichkeit erkennen lässt. Es konnten jedoch durchaus immer wieder größere Zusammenhänge aufgezeigt werden, die zumindest unterschiedlichste Tendenzen einer Raumbildung veranschaulichten. Auch die ausgiebigen Diskussionen zu den einzelnen Themen machten deutlich, dass eine einheitliche Aussage zwar nicht möglich ist, der Umriss dieser Bildungslandschaft durch diese Tagung jedoch eindeutig geschärft wurde und einer weiteren Vertiefung des Themas bedarf. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

Konferenzübersicht:

Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft 1250-1750

Manfred Groten: Begrüßung
Andreas Rutz: Einführung in das Tagungsthema

Thema des 1. Tages: Bildung und Schule
Moderation:Thomas P. Becker (Bonn) /Johannes Kistenich (Detmold)

Kurt Wesoly (Bonn): Elementare Schulbildung im Rheinland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
Andreas Freitäger (Köln): Artisten und 'humanistae' – Jesuiter' und Aufklärer. Die rheinischen Universitäten vom Spätmittelalter bis zur Aufhebung (Köln, Trier, Duisburg)
Gerhard Menk (Marburg): Das protestantische Schulwesen im frühneuzeitlichen Rheinland
Birgit E. Klein (Heidelberg): Jüdisches Schul- und Bildungswesen im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Rheinland
Karl Härter (Frankfurt a. M.): Erziehung, Bildung und Schule in der Gesetzgebung rheinischer Territorien und Städte
Mitgliederversammlung des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande

- Öffentlicher Abendvortrag - Stefan Ehrenpreis (Berlin/Bielefeld): Zwischen Kirche und Kommune. Die Schul- und Bildungslandschaft Rheinland 1250-1750 und ihr europäischer Kontext

Thema des 2. Tages: Bildung und Medienkultur
Moderation: Manfred Groten /Andreas Rutz

Manfred Groten (Bonn): Pragmatische Schriftlichkeit im Rheinland im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit
Wolfgang Schmitz (Köln): Das Kölner Verlagswesen der Frühen Neuzeit als Mittler für die Bildung im Rheinland
Heinz Finger (Köln): Bibliotheken des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit im Rheinland
Wolfgang Schmid (Trier): Rheinische Schatzkammern im Zeitalter der katholischen Reform. Bildpublizistik, Goldschmiedekunst und Wallfahrten in Trier, Aachen und Köln
Schlussdiskussion

Anmerkung:
1 Vgl. Tagungsbericht von Frank Bartsch, Landesgeschichte auf dem Prüfstand. Tagung des Instituts für Geschichtswissenschaft, Abteilung für Rheinische Landesgeschichte der Universität Bonn. 25.09.2006-26.09.2006, Bonn, in: H-Soz-u-Kult, 02.11.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1347> (10.01.2008).

www.landesgeschichte.uni-bonn.de
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