Demokratischer Staat und terroristische Herausforderung – Terrorismusbekämpfung in den 1970er Jahren in Italien und Deutschland

Demokratischer Staat und terroristische Herausforderung – Terrorismusbekämpfung in den 1970er Jahren in Italien und Deutschland

Organisatoren
Fondazione Bruno Kessler, Italienisch-Deutsches Historisches Institut Trento; Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
Ort
Trient
Land
Italy
Vom - Bis
08.05.2008 - 09.05.2008
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Von
Sabine Bergstermann

Die Tagung, die den 2. Teil der Veranstaltungsreihe „Gesellschaftlicher Protest und politische Gewalt in Italien und der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren“ bildete, wurde mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft von der Fondazione Bruno Kessler – Italienisch-Deutsches Historisches Institut Trento und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin ausgerichtet. Für die Konzeption zeichnete PD Dr. Johannes Hürter (Institut für Zeitgeschichte München) verantwortlich. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie der demokratische Staat auf die terroristische Herausforderung reagierte und welche Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung in beiden Ländern getroffen wurden. Wie bereits auf der ersten Tagung im Februar 2008 1, die die Geschichte der Protestbewegungen in beiden Ländern in den 1960er und 1970er Jahren fokussiert hatte, sollten auch diesmal Analogien und Unterschiede zwischen beiden Ländern vergleichend untersucht werden.

In seiner Begrüßung verwies der Gastgeber GIAN ENRICO RUSCONI (Trento) darauf, dass der linksextreme Terrorismus der 1970er Jahre zwar ein vermutlich überwundenes Phänomen sei und sich vom gegenwärtigen internationalen Terrorismus unterscheide, dass es aber eine Verbindung zwischen beiden Spielarten des Terrorismus gebe, nicht zuletzt aufgrund der Kontakte linksterroristischer Gruppierungen wie der RAF zu Organisationen wie der PLO.

Die Vorträge der ersten Sektion „Regierung und Parlament“ beschäftigten sich mit der Anti-Terrorismus-Politik in Italien und Deutschland in den 1970er Jahren. TOBIAS HOF (München) stellte in seinem Referat fest, dass die legislative Reaktion auf die terroristische Herausforderung in Italien in vier Phasen eingeteilt werden könne. Während der Staat in der ersten Phase zwischen 1969 und 1975 mit rein repressiven, aber wenig effektiven Gesetzen reagiert habe, die im Kontext der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung erlassen worden seien, habe es in der zweiten Phase ab 1975 einen Perzeptionswandel gegeben. Die politische Bedeutung des Terrorismus sei zunehmend erkannt worden. Die Folge seien gesetzliche Maßnahmen gewesen, die speziell der Terrorismusbekämpfung dienen sollten. Die dritte Phase habe dann mit der Entführung Aldo Moros am 16. März 1978 durch die Roten Brigaden begonnen und zu einer weiteren Annäherung der zerstrittenen politischen Lager und zu einer breiten Akzeptanz der Anti-Terrorismus-Politik in der italienischen Bevölkerung geführt. Die vierte Phase, eingeleitet zu Beginn der 1980er Jahre, sei von einem erneuten Politikwandel geprägt gewesen. Erfolge gegen den Terrorismus sollten nun nicht ausschließlich durch Repressionen erzielt werden, sondern zunehmend auch durch Anreize für Terroristen, mit den Behörden zu kooperieren. Abschließend stellte Tobias Hof fest, dass sich vor allem diejenigen Gesetze als effektiv erwiesen hätten, die auf einer genauen Analyse des Terrorismusphänomens basierten. Zudem sei für jene Jahre eine Stabilisierung des politischen Systems Italiens zu konstatieren, eine Entwicklung, die sich auf die parteiübergreifende Unterstützung der staatlichen Reaktionen auf die terroristische Herausforderung zurückführen lasse.
JOHANNES HÜRTER (München) untersuchte in seinem Vortrag die Anti-Terrorismus-Politik der sozialliberalen Ära 1969-1982 in Deutschland. Auch die Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik könne in unterschiedliche Phasen eingeteilt werden. Während die Terrorismusbekämpfung unter der Regierung Willy Brandts in den Jahren 1969 bis 1974 Kriminalitätsbekämpfung im Rahmen eines reformpolitischen Programms zur „inneren Sicherheit“ gewesen sei, habe mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Helmut Schmidt eine Verselbständigung der Terrorismusbekämpfung als reaktive Krisenbewältigung unter dem Primat der Strafverfolgung begonnen. Erst in einer dritten Phase ab 1978 habe es auch in Deutschland eine vorsichtige Öffnung für flexible, deeskalierende und integrierende Maßnahmen gegeben. Besonders die zweite Phase (1974 bis 1978) der Anti-Terrorismus-Politik sei kritisch zu beurteilen, da in diesen Jahren die staatlichen Maßnahmen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beschädigen drohten. Als Beispiele hierfür nannte Johannes Hürter die illegalen Abhörmaßnahmen gegen die RAF-Insassen in Stuttgart-Stammheim sowie das im Herbst 1977 verabschiedete Kontaktsperregesetz. Immerhin sei es aber der sozialliberalen Koalition gelungen, die noch weitergehenden Forderungen der konservativen Opposition abzuweisen. Insgesamt müsse dennoch die Frage gestellt werden, ob die staatlichen Reaktionen angesichts ihrer nur geringen Effizienz verhältnismäßig gewesen seien oder ob nicht vielmehr eine gewisse Erosion der Grundrechte stattgefunden habe.

In der zweiten Sektion „Sicherheitskräfte“ erörterte zunächst VLADIMIRO SATTA (Rom) die Neuorganisation der Polizeikräfte und ihre Beteiligung an der Terrorismusbekämpfung in Italien. Der linksextreme Terrorismus habe zu Beginn der 1970er Jahre ein neues Phänomen dargestellt, auf das die italienischen Sicherheitskräfte nicht vorbereitet gewesen seien. Erst Mitte der 1970er Jahre sei mit dem Aufbau von spezialisierten Sicherheitskräften und einer Reform der Geheimdienste begonnen worden. Als äußerst problematisch habe sich die Tatsache erwiesen, dass der Terrorismus in Italien zu einem Zeitpunkt seinen Höhepunkt erreichte, als die Organisation der Geheimdienste an einem Tiefpunkt angelangt sei. Erst nach der Entführung und Ermordung Moros sei eine staatliche Neuorganisation und eine effektivere Bekämpfung des Terrorismus durch die Sicherheitskräfte gelungen. Dabei sei der unter dem Befehl General Carlo Alberto Dalla Chiesas stehenden, neu gebildeten Spezialeinheit der Carabinieri eine besondere Bedeutung zugekommen. Die Erfolge der Sicherheitskräfte bei der Zerschlagung der terroristischen Vereinigungen in Italien seit dem Herbst 1978 habe zu einem verstärkten Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizei und schließlich auch zum endgültigen Sieg des Staates über den Linksterrorismus geführt.
In seinem Referat diskutierte MATTHIAS DAHLKE (Berlin) die Zusammenarbeit von Krisenstäben und Polizei am Beispiel des Münchner Olympia-Attentats von 1972 und der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni im Februar 1975. Als problematisch für eine effektive Terrorismusbekämpfung habe sich die föderative Struktur der Bundesrepublik erwiesen. So sei Bundesinnenminister Genscher nach dem Überfall auf die israelische Olympiamannschaft von der Bundesregierung zwar autorisiert worden, alles zu unternehmen, um die Geiseln zu befreien, doch habe die Verantwortung für den Einsatz der Sicherheitskräfte bei den bayerischen Landesbehörden gelegen. Die im olympischen Dorf gebildeten Krisenstäbe hätten immerhin versucht, dem föderativen Prinzip Rechnung zu tragen, indem Vertreter der unterschiedlichen Entscheidungsebenen einbezogen worden seien. Die schlechte Koordination habe allerdings dazu geführt, dass die Krisenstäbe selbst in die Krise geraten seien und die Geiselbefreiung auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck scheiterte. Trotz des Aufbaus von Einheiten wie der GSG 9 seien die Strukturen der Terrorismusbekämpfung zunächst unverändert geblieben, wenngleich sich die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Sicherheitskräfte zunehmend verändert hätten. Die fehlende Koordination zwischen Polizei und Krisenstäben während der Lorenz-Entführung 1975 habe dazu beigetragen, dass den Forderungen der Terroristen nachgegeben werden musste. Erst nach 1975 hätte sich ein neues Denken im Umgang mit dem Terrorismus durchgesetzt, in dessen Folge die Kompetenzen des BKA erweitert worden seien und sich die Landespolizeien zunehmend dem Bund hätten unterordnen müssen.

In der dritten Sektion „Justizgewalt“ berichtete Richter GIANCARLO CASELLI (Turin) von seinen Erfahrungen während des Prozesses gegen den „historischen Kern“ der Roten Brigaden in Turin. Caselli war damals stark gefährdet, einem terroristischen Anschlag zum Opfer zu fallen, und konnte daher dem Publikum die angespannte Situation jener Jahre als Zeitzeuge eindringlich vermitteln. Als einer von drei Untersuchungsrichtern sei er mit den Ermittlungen gegen die gefassten Mitglieder der Roten Brigaden betraut gewesen, doch habe sich die Prozessführung als außerordentlich schwierig erwiesen. Zum einen hätten die terroristischen Vereinigungen ihre Anschläge in Turin verstärkt und 1976 auch den Oberstaatsanwalt von Genua, Francesco Coco, ermordet. Zum anderen hätten die Angeklagten der Roten Brigaden die Autorität des Gerichts nicht anerkannt. Unmittelbar nach dem Prozessauftakt im Jahr 1976 sei der Prozess in Turin wieder vertagt worden. Die Wiederaufnahme des Prozesses habe sich als äußerst schwierig gestaltet, da die Terroristen die Ermordung von Pflichtverteidigern und Schöffen angedroht und sich daher zunächst keine Schöffen für den Prozess gefunden hätten. Schließlich sei der Prozess in Turin aber dennoch im Juni 1978 mit der Verurteilung der Angeklagten abgeschlossen worden. Nach der Entführung Moros seien die Terroristen zunehmend isoliert worden. Die Terroristen hätten auf diese Isolation mit einem inneren Rückzug und verstärkten Gewalttaten reagiert, gleichzeitig aber auf eine Begründung der Morde verzichtet und dadurch die eigene Krise weiter verschärft und den eigenen Niedergang besiegelt. Giancarlo Caselli verdeutlichte abschließend, dass sich die Anklage in den Prozessen in Turin keiner besonderen Rechtsmittel bedient habe. Vielmehr habe die Anklage auf „Gründung einer bewaffneten Bande“ und damit auf einen aus dem 19. Jahrhundert stammenden Straftatbestand gelautet. Es habe in dieser Zeit in Italien keine Gesetze gegeben, die allein auf die Prozesse gegen die Terroristen zugeschnitten gewesen seien.
GISELA DIEWALD-KERKMANN (Bielefeld) analysierte in ihrem Beitrag die Vorgeschichte, den Verlauf und die Wirkung des „Stammheim-Prozesses“. Gerade der erste Prozess in Stuttgart-Stammheim habe gezeigt, dass die justizielle Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ein Politikum und letztlich eine Spiegelung gesellschaftlicher Konflikte gewesen sei. Die Referentin stellte exemplarisch vier Konfliktlinien des Prozesses vor. Zunächst habe sich bereits die Formulierung der gegen die Terroristen erhobenen Anklage als schwierig gestaltet, da sich das Strafrecht an Einzeltätern orientiere, der subjektive Tatbestand im Fall der Anschläge der RAF aber oftmals nicht zu klären gewesen sei und Straftaten wie die Sprengstoffanschläge in Frankfurt und Heidelberg nicht eindeutig hätten zugeordnet werden können. Die Staatsanwaltschaft sei daher gezwungen gewesen, die Anklage auf Indizien und „Kronzeugen“ zu stützen. Ferner seien die politischen Beweggründe im Prozess vollständig ausgeklammert und die Angeklagten juristisch als „normale Kriminelle“ behandelt worden. Auch habe im Fall des Prozesses in Stuttgart-Stammheim keine Unschuldsvermutung für die Angeklagten gegolten. Schließlich hätten sich auch die Rolle der Anwälte, die unter dem Generalverdacht standen, Komplizen der RAF zu sein, sowie die Diffamierung des Gerichts durch Anwälte und Angeklagte als äußerst problematisch erwiesen.
In der sich anschließenden Diskussion verwies Gisela Diewald-Kerkmann auf die unterschiedliche Konnotation der Begriffe „Baader-Meinhof-Bande“, „Anarchisten“ und „RAF“ in der Auseinandersetzung mit dem linksextremen Terrorismus. So sollte die Verwendung des Begriffs der „Bande“ dazu dienen, den Terroristen ihre politischen Ambitionen abzusprechen und vielmehr die rein kriminellen Motive in den Vordergrund zu stellen. Dagegen ließe sich die Verwendung des Begriffs „Anarchisten“ auf die Unsicherheit des BKA, wie mit den Terroristen umzugehen sei, zurückführen. Erst Ende der 1970er Jahre habe sich der Begriff „RAF“ zunehmend durchgesetzt.

ERMANNO TAVIANI (Catania) ging in der vierten Sektion „Öffentlichkeit/Medien“ der Frage nach, wie der Terrorismus in Italien durch die öffentliche Meinung wahrgenommen worden sei. Taviani stellte fest, dass sich zu Beginn der 1970er Jahre die „lange Nachkriegszeit“ dem Ende zugeneigt habe und der Wohlfahrtsstaat zunehmend in die Krise geraten sei. Damit habe in der öffentlichen Wahrnehmung eine allgemeine Krisenstimmung um sich gegriffen, die auch als Krise der politischen Ordnung erfahren und mit der Weimarer Republik verglichen worden sei. Die Ereignisse des Jahres 1977 hätten dann aber einen Wendepunkt dargestellt. Die Öffentlichkeit hätte die terroristischen Gewalttaten nun verstärkt zur Kenntnis genommen. Das Scheitern der Regierung während der Entführung Aldo Moros sei in den Medien als Schwäche des politischen Systems gedeutet worden, und der Staat habe weiter an Glaubwürdigkeit verloren. Erst 1980 habe sich das Vertrauen in die Effizienz des Staates durch die erzielten Erfolge wieder verstärkt. Außerdem sei eine zunehmende Gewöhnung der Öffentlichkeit an die terroristischen Gewalttaten zu beobachten gewesen.
HANNO BALZ (Bremen) begann seinen Vortrag mit der Feststellung, dass der Terrorismus wie auch dessen Bekämpfung ein Medienphänomen gewesen seien. Ab dem Jahr 1977 habe sich das Stimmungsbild in der Bevölkerung geändert. Balz analysierte die Rolle der Medien an der öffentlichen Diskussion vor der Annahme, diese hätten im Rahmen der Propagierung einer „moral panic“ die Überreaktion seitens der Bevölkerung und seitens des Staates mitverschuldet. Die Berichterstattung insbesondere in Medien wie „BILD“ habe zu einer diskursiven Erzeugung von Unsicherheit geführt, so dass sich nach und nach die gesamte Bevölkerung durch die Terroristen bedroht gefühlt habe. Die „moral panic“ habe sich zu einem Selbstläufer entwickelt, so dass der Diskurs schließlich die Wirkung, die er benannte, auch selbst erzeugt habe.

ANGELO VENTRONE (Macerata) wies in seinem Vortrag „Italienische Staatsidee und Terrorismusbekämpfung“ in der fünften Sektion „Staatskrise“ darauf hin, dass keine der terroristischen Organisationen eine positive Idee des zu schaffenden Staates entwickelt habe. Ventrone führte das Fehlen einer positiven Staatsidee darauf zurück, dass der existierende Wohlfahrtsstaat eine konstruktive Vorstellung des zu errichtenden Staates unnötig gemacht habe. Sei der Staat durch die terroristischen Vereinigungen als etwas Entfremdendes, dass es zu bekämpfen und nicht zu verändern gelte, dargestellt worden, so habe die terroristische Gewalt dazu geführt, dass sich die Kommunistische Partei verstärkt zum Staat bekannt und erstmals für dessen Verteidigung eingesetzt habe. Allerdings sei die Versöhnung der Kommunistischen Partei mit dem Staat unvollständig geblieben, da diese sich zwar auf die Seite der Demokratie gestellt habe, den existierenden Staat aber weiterhin verändern wollte.
Nach Meinung von STEPHAN SCHEIPER (Tübingen) war bereits zu Beginn der 1970er Jahre in Deutschland eine entscheidende Zäsur der ursprünglichen Staatsidee zu registrieren. In seinem Vortrag „Deutsche Staatsidee und Terrorismusbekämpfung in den 1970er Jahren“ stellte Scheiper fest, dass sich in den 1970er Jahren auch der öffentliche Diskurs gewandelt habe. Erstmals hätten die Medien Einfluss auf den politischen Prozess genommen. Die linksextremen Gewalttäter hätten ihrerseits die Medien genutzt, um staatliches Handeln zu torpedieren und Erinnerungen an die 1920er Jahre wachzurufen. Insgesamt sei vor dem Hintergrund der terroristischen Gewalt das staatliche Handeln erstens reflektiert und zweitens entterritorialisiert worden. Ferner sei auch eine allgemeine Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels zu verzeichnen gewesen. Damit komme den 1970er Jahren eine Scharnierfunktion für die einsetzende Globalisierung zu.

In der Abschlussdiskussion wurden die Beiträge und Ergebnisse der Tagung zusammengefasst und in einen größeren Kontext eingeordnet.
MARICA TOLOMELLI (Bologna) betonte, dass der linksextreme Terrorismus in Italien zu einem Zeitpunkt in Erscheinung getreten sei, als sich die Demokratie in einer allgemeinen Krise und einer Phase des Übergangs befunden habe. Die linksextreme Gewalt müsse auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.
HANS WOLLER (München) ging drei zentralen Aspekten für die staatliche Auseinandersetzung mit dem Terrorismus in Italien und Deutschland nach und fragte erstens nach den Möglichkeiten des Staates, auf die terroristische Gewalt zu antworten, zweitens nach den Grenzen staatlichen Handels und drittens nach den innenpolitischen Veränderungen. Beide Staaten hätten auf die terroristische Herausforderung mit einer Neuorganisation der Sicherheitskräfte und zahlreichen legislativen Maßnahmen reagiert. Die Repression habe überwogen, wenngleich es in beiden Ländern auch deeskalierende Schritte gegeben habe, durch die es gelungen sei, Teile der Sympathisantenszene für den Staat zurückzugewinnen. Dabei sei es vor allem eine kritische Öffentlichkeit gewesen, die das staatliche Handeln begrenzt habe. Auch wenn sich eine gewisse polizeistaatliche Note in den 1970er Jahren bemerkbar gemacht habe, sei doch die demokratische Mitte in beiden Ländern gestärkt worden. Die durch den Terrorismus herbeigeführte Bewährungsprobe sei in Deutschland und in Italien bestanden worden.
AXEL SCHILDT (Hamburg) verwies auf die Gefahr der Enttextualisierung der 1970er Jahre vor dem Eindruck der terroristischen Gewalt. Vielmehr müssten die Ereignisse jener Jahre stärker in die allgemeine Nachkriegsgeschichte eingeordnet werden. Schildt warnte, bei der Vorstellung, der Staat sei durch die terroristische Gewalt tatsächlich bedroht gewesen, handle es sich um eine doppelte Fehlperzeption, seitens der Terroristen und seitens des Staates. Gleichwohl könne festgestellt werden, dass sich – bedingt durch den linksextremen Terrorismus – seit den 1970er Jahren der Fokus auf die innere Sicherheit verstärkt habe.
In seinen Abschlussworten verwies GIAN ENRICO RUSCONI (Trento) darauf, dass es zwischen Italien und Deutschland auch große Unterschiede gegeben habe, die sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung spiegelten. In Italien habe die Parteiengeschichte eine sehr viel größere Bedeutung für die Entstehung des linksextremen Terrorismus gehabt. Zudem sei der „schwarze Terrorismus“ faschistischer Gruppierungen, den es in Deutschland nicht gegeben und der die Taten der italienischen Linksterroristen beeinflusst habe, ein Spezifikum Italiens. Die staatlichen Maßnahmen hätten in Italien die negative Haltung vieler Intellektueller gegenüber dem Staat verstärkt, die zunehmend vor einer „germanizzazione“ gewarnt und damit ihre Missbilligung für die staatliche Anti-Terrorismus-Politik in Deutschland zum Ausdruck gebracht hätten.

Der zweite Teil der Tagungsreihe „Gesellschaftlicher Protest und politische Gewalt“ war aufgrund der interessanten, gut strukturierten Vorträge sowie der regen Beteiligung an den anschließenden Diskussionsrunden ein großer Gewinn für alle Teilnehmer. Es wurde deutlich, dass die staatlichen Institutionen in Italien und Deutschland mit ähnlichen Maßnahmen auf die linksterroristische Herausforderung zu reagieren versuchten. Deutliche Divergenzen bestanden aber bezüglich des gesellschaftlichen und historischen Ursprungs der politischen Gewalt in beiden Ländern. Während sich die Roten Brigaden auf die kommunistische Arbeiterbewegung beriefen, in deren Tradition sie sich sah, kontextualisierte die RAF ihre Gewalttaten vor allem mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. In Italien verstärkte sich vor dem Hintergrund der terroristischen Gewalt die Bereitschaft des linken politischen Spektrums, das den Staat bislang abgelehnt hatte, zu einer konstruktiven politischen Zusammenarbeit. In Deutschland richtete sich, bedingt durch die terroristische Bedrohung der 1970er und 1980er Jahre, der Fokus der politischen Debatten verstärkt auf die „innere Sicherheit“.

Konferenzübersicht:

Eröffnung und Begrüßung – Gian Enrico Rusconi

I. Regierung und Parlament
Tobias Hof: Anti-Terrorismus-Politik in Italien – die Gesetzgebung 1979/80
Johannes Hürter: Anti-Terrorismus-Politik in der Bundesrepublik Deutschland – Krisenstäbe und Gesetze 1977/78

II. Sicherheitskräfte
Vladimiro Satta: Der Anteil der Polizeikräfte an der Terrorismusbekämpfung in Italien unter besonderer Berücksichtigung der Anti-Terroreinheiten des Carabinieri-Generals Dalla Chiesa
Matthias Dahlke: Polizeiarbeit und Krisenstäbe – Kooperation oder Konkurrenz?
Die Beispiele Olympia-Attentat und Lorenz-Entführung

III. Justizgewalt
Giancarlo Caselli: Der Prozess gegen den „historischen Kern“ der Roten Brigaden in Turin
Gisela Diewald-Kerkmann: Vorgeschichte, Verlauf und Wirkung des Stammheim-Prozesses

IV: Öffentlichkeit/Medien
Ermanno Taviani: Die öffentliche Meinung und die italienische Politik gegen den Terrorismus
Hanno Balz: Zwischen Ausnahmezustand und Moral Panic: Mediendiskurse im „Deutschen Herbst“ 1977

V: Staatskrise
Angelo Ventrone: Italienische Staatsidee und Terrorismusbekämpfung in den 1970er Jahren – ein Resümee
Stephan Scheiper: Deutsche Staatsidee und Terrorismusbekämpfung in den 1970er Jahren – ein Resümee

Abschlussdiskussion
Deutschland und Italien – der Kampf gegen den Terrorismus in vergleichender Perspektive
Marica Tolomelli
Hans Woller
Axel Schildt
Gian Enrico Rusconi

Anmerkungen:
1 Tagungsbericht Gesellschaftlicher Protest und politische Gewalt in Italien und der BRD in den 1960er- und 1970er-Jahren. 21.02.2008-22.02.2008, Trient/Italien. In: H-Soz-u-Kult, 31.03.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2050>.


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