Rituale der politischen Willensbildung: Polen und das Reich im hohen und späten Mittelalter

Rituale der politischen Willensbildung: Polen und das Reich im hohen und späten Mittelalter

Organisatoren
Stały Komitet Mediewistów Polskich, Historisches Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Sonderforschungsbereich 619 „Ritualdynamik” Heidelberg, Deutsches Historisches Institut Warschau
Ort
Speyer
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.05.2008 - 17.05.2008
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Von
Mona Kirsch, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Verena Türck, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Das internationale Symposium „Rituale der politischen Willensbildung: Polen und das Reich im hohen und späten Mittelalter“, das vom 15. bis 17. Mai in Bistumshaus St. Ludwig in Speyer stattfand, knüpfte an die guten Kontakte zwischen der Warschauer und Heidelberger Mediävistik, die maßgeblich von den Organisatoren des Symposiums Wojciech Fałkowski (Warszawa), Bernd Schneidmüller (Heidelberg) und Stefan Weinfurter (Heidelberg) getragen werden, und Treffen zwischen polnischen und deutschen Mediävisten in den letzten Jahren an. Das Symposium wurde gemeinsam von dem Stały Komitet Mediewistów Polskich, dem Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg in Verbindung mit dem Sonderforschungsbereich 619 „Ritualdynamik“ Heidelberg und dem Deutschen Historischen Institut Warschau (DHI) veranstaltet. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Europäische Stiftung Kaiserdom zu Speyer und die Kreis- und Stadtsparkasse Speyer konnten namhafte Wissenschaftler aus Polen und Deutschland eingeladen werden. Ziel des Symposiums war es, neben dem fachlichen Austausch auch eine Stärkung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit und eine intensivere Kontaktaufnahme und Verknüpfung der Mediävisten beider Länder herbeizuführen.

Das Symposium wolle, so BERND SCHNEIDMÜLLER in seiner Einführung, aktuelle Forschungen in Polen und Deutschland aufgreifen. Der Titel „Rituale der politischen Willensbildung“ solle hierbei auf eine Zeichensprache des Politischen in symbolischer Kommunikation und Ritual, auf eine Aushandlung von Konsens, auf die Wechselwirkung informeller und formalisierter Handlungen und auf die Macht der Öffentlichkeit als Interessensschwerpunkte hinweisen. Willensbildungen, so Schneidmüller, seien komplexe Kommunikationsvorgänge, die sich in den Formalisierungen und Ritualisierungen verdichten. Ziel der Tagung sei es, sich politischer Willensbildung im Mittelalter zwischen informeller Kommunikation und systematisierter Repräsentation zu nähern.

GERD ALTHOFF (Münster) formulierte in seinem Referat „Formen der Kommunikation zwischen König und Fürsten im frühen und hohen Mittelalter“ zunächst die These, dass politische Willensbildung an sich kein Ritual sei, sondern die politische Willensbildung im Vorfeld des Rituals bei Verhandlungen ablaufe und dann die Umsetzung des politischen Willens durch die symbolische Verdichtung des Rituals erfolge. Dann stellte Althoff das Modell der vertraulichen der öffentlichen Beratung gegenüber und hielt hierbei fest, dass die vertrauliche Beratung im Kreis der familiares der Normalfall der politischen Willensbildung gewesen sei, während öffentliche Beratungen auf Versammlungen meist bei schwierigen, nicht im Kreis der Vertrauten durch Konsens lösbaren Konflikten, stattgefunden haben.

In seinem Vortrag „Tage und Debatten im Beisein des Herzogs in Polen im 13. Jahrhundert“ versuchte sich ANTONI BARCIAK (Katowice) der schwierigen Frage der begrifflichen Unterscheidung von Volksversammlungen (polnisch „wiec“) und dem Fürstenrat in den Quellen zu nähern. So tauche der Begriff Volksversammlung erst im 15. Jahrhundert in den Quellen auf; ab dem 13. Jahrhundert seien diese aus den Stammesversammlungen hervorgegangenen Versammlungen wohl mit den lat. Begriffen colloquium, placitum, conventus, congregatio etc. gleichzusetzen. Generell sei unklar, ob an den Volksversammlungen wirklich das gesamte Volk teilnahm; sie dienten wohl als feierliche Umrahmung der Herrscherrepräsentation, zur Beratung und Verkündigung wichtiger Belange wie beispielsweise Heeres- und Spanndienste und zur Verhandlung von Streitfällen.

GERALD SCHWEDLER (Zürich) konzentrierte sich in seinem Vortrag „Inszenierung des Reichs: Hoftage im hohen und späten Mittelalter bis zur Goldenen Bulle“ auf die königslosen Tage, bei denen durch die Abwesenheit des Königs der dramaturgische Mittelpunkt der Inszenierung gefehlt habe. Am Beispiel der Kurfürstenversammlung in Rhens 1338 zeige sich, wie die Kurfürsten durch persönliche Initiative entscheidenden Einfluss auf das Reichsgefüge nahmen. So habe sich beispielsweise durch Rhens das Mehrheitswahlrecht bei der Königswahl etabliert. Der Rhenser Kurverein sei weitgehend ritualfrei abgelaufen, die Eidesleistung sei der einzig formalisierte Ablauf gewesen.

In seinem Referat „Ritual und Technik der Kommunikation im 13. und 14. Jahrhundert“ sprach TOMASZ JUREK (Poznań) über die Techniken und Prozeduren des Nachrichtentransfers zwischen dem Landesherrn und der Landbevölkerung im 13. und 14. Jahrhundert am Beispiel des Gerichts. Dem Gerichtsboten kam hierbei als Überbringer der im 13. Jahrhundert meist mündlichen Vorladungen, als Verkünder und teilweise Vollstrecker von Urteilen eine zentrale Rolle zu. Der Gerichtsbote müsse daher allgemein bekannt sein, er habe als Legitimationszeichen immer einen Ring mitgeführt. Daneben habe noch der Stock als Zeichen des Richters, das Vorladungssiegel und die Verkündigung an öffentlichem Ort (zum Beispiel an Markttagen) als Symbole der Kommunikation gedient.

KARL-HEINZ SPIESS (Greifswald) stellte unter dem Titel „Inszenierung und Zeremoniell von König, Fürsten und Reich im Spätmittelalter (seit der Goldenen Bulle)“ die spätmittelalterlichen Hoftage als Bühne für die Inszenierung des Verhältnisses von König und Fürsten vor. Hierbei hat die Goldene Bulle die entscheidende Grundlage für das Zeremoniell geliefert und Rangstreitigkeiten verhindert. Allerdings sei diese theoretisch strenge Form des Rituals im Praktischen immer flexibel gewesen, denn der immer stärker werdende ständische Dualismus zwischen Kurfürsten und übrigen Fürsten und die Reformation haben Gefahren für die Goldene Bulle dargestellt, doch habe sich keine neue schriftliche Fixierung der Rangordnung durchsetzen können.

Der öffentliche Abendvortrag von KLAUS ZIEMER (Direktor des DHI Warschau) behandelte „Das Selbstverständnis Polens aus seiner Geschichte“. In einem ersten Teil gelang Ziemer ein Überblick über die polnische Geschichte entlang zentraler Ereignisse und der Grenzveränderungen des Landes. In einem zweiten Teil erklärte Ziemer die Bedingungen und Entwicklung des polnischen Selbstverständnisses anhand der für Polen typischen Verbindung von Staat und Nation und der daraus resultierenden Opferbereitschaft fürs Vaterland, des tief in der polnischen Gesellschaft verankerten Freiheitsbegriffs und der engen Verbundenheit der katholischen Kirche mit der polnischen Nation.

BERNHARD JUSSEN (Frankfurt/Main) stellte in seinem Referat „Zur erzählerischen Verbindung von Herrschertod und Nachfolge im späten Mittelalter“ den Tod Johann
Ohnefurchts dem Tod Sigismunds und Friedrichs III. gegenüber, um die Art und Weise der Darstellung von Herrscherwechseln in narrativen Quellen zu vergleichen. Dabei bemerkte er, dass in der burgundischen Quelle (Chastellain) die differenzierte Darstellung des Trauerverhaltens des Sohnes als strukturierendes Element des Berichts und zur Sichtbarmachung seiner politischen und sozialen Rolle diene, die Quellen aus dem Reich dagegen (Eberhard Windeck, Enea Silvio Piccolomini, Joseph Grünpeck) kein Trauerverhalten erwähnen, sondern die gestalterische Energie das Sterben des alten Königs mit der Nachfolge des neuen Königs erzähltechnisch verwebe. Innerfamiliäre Aspekte wie Trauer konnten wie im Fall von Grünpecks Werk nur im Bild, nicht aber im Text gezeigt werden.

In seinem Vortrag „Election and Inauguration (12th – 13th century)“ sprach ZBIGNIEW DALEWSKI (Warszawa) über die Rolle des Inaugurationsrituals im Prozess der Legitimation der herzoglichen Gewalt um 1200 in Polen. Das neue System der königlichen Macht durch die Wahl der Herzöge habe das alte Ritual der Inthronisierung mit dem „Steinernen Thron“ überflüssig gemacht, stattdessen habe das neue Inthronisierungsritual den Charakter des „Herrschermachens“ durch Akklamation der Herzöge verdeutlicht. Zu beobachten sei hierbei, wie der Wandel der Inthronisierung in der Piasten-Dynastie Einfluss auf den Charakter der Rituale der Machtübernahme in den Herzogsfamilien genommen habe.

In seinem Vortrag „Coronam sustentare. Krönungen und Konsens in Frankreich und im Deutschen Reich im Spätmittelalter“ untersuchte MARTIN KINTZINGER (Münster) die politische Willensbildung der Statuskorporationen im Rahmen der Inthronisierung und Krönung, indem er in einem vergleichenden Ansatz Frankreich dem Deutschen Reich gegenüber stellte. Während im Deutschen Reich eine durch Wahlrecht, Königsfähigkeit und Reichslehen ausgezeichnete Elite in einer Mehrheitsentscheidung den König wählte, wurde dieser in Frankreich aufgrund der Sakralität der königlichen Stellung durch die Akklamation des Adels legitimiert. Die schriftliche Fixierung dieses Prozesses 1356 in Deutschland und 1364 in Frankreich führte, so Kintzinger, in beiden Reichen zu einer Verstetigung der politischen Ordnung: der Wahlmonarchie auf der einen, der Erbmonarchie auf der anderen Seite.

ZENON PIECH (Kraków) zeichnete in seinem hilfswissenschaftlich angelegten Referat „Ein Jahrhundert, vier Dynastien. Herrschaftszeichen der polnischen Könige im 14. Jahrhundert“ anhand von Siegeln, Monogrammen und Münzen die Entwicklung der Herrschaftszeichen unter der Fragestellung von Wandel und Stabilität nach. Das mit dem polnischen Königtum verbundene Wappen ist der weiße Adler. Diesen setzten die Piasten-Herrscher auf die Rückseite ihrer Siegel (Avers Thronsiegel). Ludwig von Anjou und seine Frau Elisabeth ebenso wie Königin Hedwig und Ladislaus Jagiello behielten zwar den Adler im Siegel bei, stellten ihn aber neben das Wappen ihrer jeweiligen Dynastie. Dabei sei das Siegel Ladislaus Jagiellos das erste, welches auch die Landeswappen mit aufgenommen und so Volk und Territorium Polens symbolisiert habe.

THOMAS WÜNSCH (Passau) beleuchtete in seinem Vortrag die politische Willensbildung des polnischen Klerus („Synoden und Kirchenversammlungen als Rituale der politischen Willensbildung in Polen“). Im Gegensatz zum Adel, der sich auf Landtagen, Provinztagen und dem Sejm versammelte, scheinen der Geistlichkeit institutionelle Entscheidungsstrukturen zu fehlen. Wünsch vertrat die These, dass die Provinzialsynoden und (eingeschränkt) die Nationalsynoden der Ort für die politische Entscheidungsfindung des polnischen Klerus waren. Sie boten der Geistlichkeit die Möglichkeit, als geeinte Gruppe gegen die Partikularinteressen des Adels aufzutreten, das
bonum commune
zu fördern und auf
die Staatsspitze einzuwirken. Auch in den Zeiten erodierender Staatlichkeit konnte auf den Synoden die Kirche gefestigt werden, so dass ihr konstitutiver Charakter die Ausbildung eines rechtlichen Standes unnötig gemacht habe.

ANDRZEJ RADZIMIŃSKI (Toruń) beschrieb „Königliche Herrschaft und kirchliche Gemeinschaften im spätmittelalterlichen Polen“. Er schilderte die Beziehung zwischen Domkapitel und König als reziprokes Verhältnis, wobei der König stark regulierend einzugreifen vermochte. Über das Patronatsrecht nahm der König Einfluss sowohl auf die Besetzung der Bistümer als auch die Gestaltung der Domkapitel. Diese Dualität von Staat und Kirche äußere sich auch bei den Sitzungen des Domkapitels, an denen der König sporadisch, besonders wenn finanzielle Belange involviert waren, teilgenommen habe.

In seinem Vortrag „Vor und hinter den Kulissen: Mechanismen und Rituale der Macht an der spätmittelalterlichen Universität“ betonte ROBERT GRAMSCH (Jena), dass die Wichtigkeit des sozialen Status bei der Entscheidungsfindung im universitären Milieu auch in der institutionalisierten Gremienpraxis bewahrt blieb. Er stellte die Universität als Netzwerk vor, dessen innere Strukturen sich durch den sozialen Rang sowie durch dominierende Klüngel, die Freundschaft, Verwandtschaft oder Landsmannschaft verbanden, verdichteten. Öffentliche Akte wie Prozessionen und Promotionsvergaben kennzeichnete er als wichtige Rituale, um interne Machtverhältnisse zu inszenieren. Indem in das öffentliche Zeremoniell und in die Willensbildung der Adel integriert wurde, konnte die akademische Gelehrtenkultur in der Gesellschaft etabliert werden.

KRZYSZTOF OŻÓG (Kraków) beschrieb die enge Beziehung der jagiellonischen Dynastie zu den Gelehrten der Krakauer Universität nach deren Erneuerung im Jahr 1400 („Die Krakauer Universität und ihre Teilnahme am öffentlichen Leben in der jagiellonischen Monarchie“). Für die Unterstützung der Könige habe sich die Universität verpflichtet, das Königtum zu stärken und die Entwicklung des Landes zu fördern. Die Gelehrten hätten in vielfältiger Weise Einfluss auf das politische Beziehungsgeflecht genommen. Sie fungierten als Berater, waren mit diplomatischen Missionen betraut und unterstützten den Kampf gegen die Hussiten mit wissenschaftlichen Argumentationen. In Ritualen wie Krönungen, Bestattungen und wichtigen Feiertagen wurde ihre Verbindung zum König performativ zum Ausdruck gebracht.

JÖRG SONNTAG (Dresden) verglich die „Rituale der Entscheidungsfindung in mittelalterlichen Klöstern und Orden“. In diesem Umfeld sei die Willensbildung stark durch biblische Vorbilder geprägt gewesen. Die Gemeinschaft folgte als cor unum et anima una der Urgemeinde nach. Sonntag wies nach, dass auf der Ebene der klösterlichen Gemeinschaft die transzendente Legitimierung des Abtes die Willensbildung in einem ritualisierten Rahmen bestimmte. Mit der Ausbildung eines höheren Entscheidungskollektivs, des Generalkapitels des Ordens, sei die sakrale Autorität in den Hintergrund getreten; Formalisierung und Rationalisierung prägten dort die Bildung von Konsens.

HENRYK SAMSONOWICZ (Warszawa) behandelte die Frage: „Wer herrschte über die Städte im 14. und 15. Jahrhundert?“ am Beispiel der osteuropäischen Länder, welche Grundsätze des ius theutonicum adaptiert hatten. In einem diachronen Abriss beschrieb er die Entwicklung städtischer Selbstverwaltung von der Herrschaft des Schultheißen bis zur Einrichtung des Stadtrats. Der Stadtrat als Vertretungsorgan des Rechtsinhabers sei in seiner Entscheidungsfindung von der Zusammensetzung geprägt gewesen, die stadtabhängig differierte und im Verlauf der Zeit durch geschultes Personal ergänzt wurde.

Zum Abschluss der Tagung fasste STEFAN WEINFURTER (Heidelberg) die Ergebnisse der Vorträge zusammen und ordnete sie in das Rahmenthema der Veranstaltung ein. Im Fokus der Tagung hätten Prozesse der Entscheidungsfindung, die Durchsetzung und Stabilisierung von Willensbildung sowie die Funktion von Symbolen und Ritualen gestanden. Die politische Willensbildung habe sich als dreigliedriges System eröffnet: Nach der Willensbildung gelte es, den Beschlussakt, die Entscheidungsfindung in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und auch durchzusetzen. Essentielle Grundlage sei die Bildung von Kollektiven, deren inhärente Ordnung die Entscheidungsfindung prägte. Traditionen, Rechtsnormen und auch persönliche Autorität konnten konstitutiv auf diese Gruppen wirken. Die Kommunikation innerhalb der entscheidungsfindenden Gruppe korrelierte mit der Kommunikation nach außen. In Inszenierungen, getragen vom Konsens der Beteiligten, werde Willensbildung verstetigt. Aus der vergleichenden Perspektive auf Polen und das Reich im Spätmittelalter haben sich verschiedene Schwerpunkte und Entwicklungslinien abgezeichnet, die am Ende der Tagung in vier Überlegungen mündeten. So habe der transkulturelle Vergleich angeregt, verstärkt Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Ritualen der Willensbildung im gesamteuropäischen Kontext zu berücksichtigen. Des Weiteren gelte es, die untersuchten Entwicklungen vor einem breiteren zeitlichen Hintergrund zu gliedern. Die These, dass das 13. Jahrhundert ein Zeitalter der Vereinheitlichung und das 14. Jahrhundert eine Epoche der Zeremonialisierung gewesen sei, ließe sich auf der Basis einer länderübergreifenden Untersuchung gezielt weiter verfolgen. Die große Spannbreite untersuchter Komplexe und Räume der Willensbildung habe gezeigt, dass nur ein weit gefasster, historisch-sozialer Ritualbegriff einen produktiven Zugriff gewährleiste. Letztendlich, so führte Weinfurter aus, handele es sich bei der Willensbildung um ein fluides System, das in Spannung zwischen Wertvorstellungen und Rechtsverständnis, informeller Absprache und inszenierter Repräsentation, Wechsel und Verstetigung Entscheidungen herbeigeführt habe.

Es gelang den Veranstaltern, eine große Zahl akademischer Prominenz aus Polen und Deutschland für die Tagung zu gewinnen. Auf der Basis einer Thematik aktuellen mediävistischen Forschens – den Ritualen der politischen Willensbildung – suchten die Wissenschaftler sich den Entscheidungsprozessen im Spätmittelalter in verschiedenen Bereichen zu nähern. Am Hof, in der Kommunikation mit dem König und der Repräsentation von Herrschaft, auf Kirchenversammlungen, in den Universitäten, in Klöstern und in den Städten wurden Konsensualität, gruppendynamische Faktoren und das Ritual in der Öffentlichkeit behandelt. Die komparatistische Sicht auf Polen und das Reich war Grundlage für einen intensiven wissenschaftlichen Austausch und anregende Diskussionen für Mediävisten aus beiden Ländern. Wie Wojciech Fałkowski betonte, soll dieses Verhältnis auch die weitere Zusammenarbeit bis zur nächsten Tagung 2011 in Toruń bestimmen.

Die Veranstalter planen die Vorträge in einem Sammelband zu veröffentlichen.

Konferenzübersicht:

Gerd Althoff (Münster): Formen der Kommunikation zwischen König und Fürsten im frühen und hohen Mittelalter
Antoni Barciak (Katowice): Tage und Debatten im Beisein des Herzogs in Polen im 13. Jahrhundert
Gerald Schwedler (Zürich): Inszenierung des Reichs: Hoftage im hohen und späten Mittelalter bis zur Goldenen Bulle
Tomasz Jurek (Poznań): Ritual und Technik der Kommunikation im 13. und 14. Jahrhundert
Karl-Heinz Spiess (Greifswald): Inszenierung und Zeremoniell von König, Fürsten und Reich im Spätmittelalter (seit der Goldenen Bulle)
Bernhard Jussen (Bielefeld): Zur erzählerischen Verbindung von Herrschertod und Nachfolge im späten Mittelalter
Zbigniew Dalewski (Warszawa): Election and Inauguration (12th-13th century)
Martin Kintzinger (Münster): Coronam sustentare. Krönung und Konsens in Frankreich und im Deutschen Reich im Spätmittelalter
Zenon Piech (Kraków): One century, four dynasties. Signs of power of Polish kings in 14th century
Thomas Wünsch (Passau): Synoden und Kirchenversammlungen als Rituale der politischen Willensbildung in Polen
Andrzej Radzimiński (Toruń): Königliche Herrschaft und kirchliche Gemeinschaften im spätmittelalterlichen Polen
Robert Gramsch (Jena): Vor und hinter den Kulissen: Mechanismen und Rituale der Macht an der spätmittelalterlichen Universität
Krzysztof Ożóg (Kraków): Universität und ihre Teilnahme am öffentlichen Leben der jagiellonischen Monarchien
Jörg Sonntag (Dresden): Rituale der Entscheidungsfindung in mittelalterlichen Klöstern und Orden
Henryk Samsonowicz (Warszawa): Wer herrschte über die Städte im 14. und 15. Jahrhundert?