Säkularisation 1810. Die Entwicklung schlesischer Klöster vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert

Säkularisation 1810. Die Entwicklung schlesischer Klöster vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert

Organisatoren
Kulturverein für Schlesien und Mähren e.V., Düsseldorf Ratingen-Hösel
Ort
Ratingen-Hösel
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.05.2009 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Gregor Ploch, Grenzüberschreitende Kontakte Polen/Tschechien, Oberschlesisches Landesmuseum

Mit dem Säkularisationsedikt vom 30. Oktober 1810 kam es im preußischen Teil Schlesiens zur Aufhebung von Kirchen- und Klostergütern. Dieser Vermögensentzug und die Aufhebung des monastischen Lebens steht mit den verlorenen Napoleonischen Kriegen von 1806/1807 und dem weitgehenden Ruin des preußischen Staates in direktem Zusammenhang. Die Region erfuhr gewaltige Umbrüche und Einschnitte. Die Stifte und Klöster waren ein zentrales Element des schlesischen religiösen, kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.

Diesem Thema widmete sich die internationale Tagung „Säkularisation in Schlesien 1810. Die Entwicklung schlesischer Klöster vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert“, die am 15. Mai 2009 in der Stiftung Haus Oberschlesien in Ratingen stattfand und vom Kulturverein für Schlesien und Mähren e.V. veranstaltet wurde.

Die einzelnen Redebeiträge rückten das Schlüsselerlebnis der Zäsur im kirchlichen Leben des preußischen Schlesiens zu Beginn des 19. Jahrhunderts in ein neues Licht. Nicht mehr die Legende vom Untergang des überholten Alten, sondern die Modernisierungsimpulse bestimmten die lebhafte und ergänzende Diskussion. Die Bandbreite reichte von den Anfängen der Kirche und des Landesausbaus in Schlesien im Hochmittelalter über Säkularisation der Klöster und Stifte in Preußisch-Schlesien 1810 bis hin zu den caritativen Neugründungen im Laufe des 19. Jahrhunderts. Dabei wurde die Rolle der Klöster und Stifte bei der gesellschaftspolitischen, kulturellen und geistigen Entwicklung Schlesiens herausgestellt.

Nach den Begrüßungsworten und der Einführung in die Tagung stellte WINFRIED IRGANG (Marburg) die Rolle der Ordensgemeinschaften beim Landesausbau in Schlesien im Mittelalter dar. Die deutsche bzw. deutschrechtliche Besiedlung vom ausgehenden 12. bis zum beginnenden 14. Jahrhundert hat in nahezu allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens Schlesiens eine revolutionäre Um- und Neugestaltung bewirkt. An diesem von den Landes- und Grundherren initiierten Prozess des Landesausbaus waren sowohl adlige, geistliche, bürgerliche und vor allem bäuerliche Zuwanderer aus verschiedenen deutschen Territorien als auch die einheimische Bevölkerung beteiligt; maßgeblich getragen wurde er nicht zuletzt auch von der Kirche. Wie der Bischof von Breslau in seinen umfangreichen Besitzungen nahmen auch die in recht großer Zahl im 12. und vor allem im 13. Jahrhundert gegründeten und häufig mit reichem Landbesitz beschenkten Klöster und Stifte der Mönchsorden (Zisterzienser) und der Regularkanoniker (Augustiner-Chorherren, Prämonstratenser) an der Siedelbewegung und dem damit einhergehenden wirtschaftlich-rechtlichen Umformungsprozess starken aktiven Anteil – die weithin bis zur Säkularisation gültigen Besitzverhältnisse der Kirche in Schlesien wurden damals grundgelegt. Beim Aufbau einer zeitgemäßen „Infrastruktur“ im Lande (Geistesleben, Bildungseinrichtungen, Hospitalwesen und Armenfürsorge) nahmen neben diesen geistlichen Instituten zudem die Mendikanten (Franziskaner, Dominikaner) und die Ritter- (Johanniter) und Hospitalorden (Kreuzherren mit dem roten Stern, Chorherren vom Hl. Grab) eine führende Stellung ein.

Zur ersten großen Zäsur im gesellschaftlichen und konfessionellen Leben in Schlesien zählt die Reformation, über deren Verlauf DIETRICH MEYER (Herrnhut) sprach. Die Reformation gehört mit dem Humanismus zu den geistesgeschichtlichen Kräften der Neuzeit, die die Gewissensfreiheit des Individuums, gebunden an die heilige Schrift als einzige christliche Norm, neu entdeckten. Anders als im Reichsgebiet, kam es in Schlesien nicht zu einer großen Säkularisierung des katholischen Kirchengutes. Das verhinderte der Oberherr und König, Ferdinand II. von Habsburg, durch seine konsequent katholische Religionspolitik. Dennoch gab es einzelne, meist behutsame Eingriffe zugunsten der Reformation. Dabei plädierte Dietrich Meyer, dass sich die Reformation als Erneuerungsbewegung gegen Verweltlichung und Veräußerlichung des Glaubens verstand und insofern gegen eine Säkularisierung des Glaubens zu bloßer Werkfrömmigkeit anging.

Die Reaktion der katholischen Kirche war die so genannte „Katholische Reform“, die im Konzil von Trient (1545-63) beschlossen wurde. Die Festigung beider Konfessionen und die daraus resultierende Herausbildung des modernen Staates wird als Konfessionalisierung bezeichnet, wozu MILOŠ KOUŘIL (Olmütz / Olomouc) aus der Perspektive der böhmischen Länder berichtete. Seit den 1433 erlassenen Basler Kompaktaten konnten sich die böhmischen Hussiten frei entfalten, im 16. Jahrhundert folgten weitere reformatorische Strömungen. Die katholische Kirche reagierte sehr schleppend, weil der Prager erzbischöfliche Stuhl rund 140 Jahre lang unbesetzt blieb. Die Tätigkeit der Jesuiten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und die restaurative Konfessionspolitik der Habsburger nach 1600 führten aber zu einer großen Welle der Rekatholisierung und den damit verbundenen Spannungen, die in den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1618-48) mündeten.

Die Katholische Reform spiegelte sich jedoch auch in der Kunst wider, die insbesondere in der Barockisierungsphase im 17. Jahrhundert sichtbar wurde. Bei der Ausstattung von Kirchen und Klöstern wurden ganz bewusst das politische Zugehörigkeitsgefühl zur Habsburgerkrone und als Abgrenzung von der Reformation die Betonung der katholischen Tradition, beispielsweise durch den Heiligenkult gewählt. Bestes Beispiel dafür ist die oberschlesische Zisterzienserabtei Rauden, mit der sich JERZY GORZELIK (Kattowitz / Katowice) auseinandersetzte. Die oberschlesischen Zisterzienser versuchten mit Erfolg, die Ausbreitung der Heiligenverehrung gezielt zu steuern. Während die Abtei in Rauden zum Zentrum des Marienkultes wurde, verbreiteten die Zisterzienser in der Abtei Himmelwitz den Josefskult. Beide Strömungen beeinflussten das religiöse Leben der Oberschlesier nachhaltig und sind bis heute sichtbar.

Nachdem Schlesien nach den Schlesischen Kriegen (1740-63) an Preußen gefallen war, kam es im Verhältnis von Kirche und Staat zu gravierenden Veränderungen, wie CHRISTIAN-ERDMANN SCHOTT (Mainz) darstellte. Die Integration der katholischen Kirche Schlesiens in den preußischen Staatsverband war für Friedrich den Großen eine außen- wie innenpolitische Notwendigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, hat der König drei Strategien entwickelt und gleichzeitig angewandt: Gewinnung der katholischen Kirche durch Schonung ihres Besitzstandes, Durchsetzung der Hoheitsrechte des Landesherrn und Eingliederung in die preußische Verwaltung als unumkehrbares Faktum. Die Tatsache, dass die Säkularisierung der schlesischen Klöster in Preußen erst 1810 durchgeführt wurde, ist sehr wesentlich in der Zusicherung der Besitzstandwahrung gegenüber der katholischen Kirche, die Friedrich 1740 abgegeben hatte, begründet. Diese Zusicherung ist auch von seinen Nachfolgern auf dem Thron noch lange als bindend angesehen worden.

Nach dem Tod von Maria Theresia kam es auch in Österreich unter Kaiser Joseph II. zu einer großen Zäsur, wie MARTIN SCHEUTZ (Wien) erläuterte. Die josephinische Säkularisierung der Klöster in der Habsburgermonarchie – insgesamt 700 Klöster wurden aufgehoben – lassen sich vor verschiedenem geistlich-ideologischem Hintergrund in eine lange Reihe von Verweltlichung von Klostergütern einreihen. Die Frage der Enteignung oder der Umwidmung von Klostergut lässt sich im Josephinischen Zeitalter als Verbesserungsbemühung der Seelsorge verorten, das Klostergut wurde im Sinne kultisch-kirchlicher Zwecke verwendet, der Vorwurf des Kirchenraubes konnte so nicht stichhaltig zur Anwendung gelangen. Die Klostergebäude wurden funktional transponiert, indem die Klosterarchitektur in Gefängnisse, Kasernen, Versorgungshäuser oder Wirtschaftsbetriebe umgewandelt wurde. Aber die mit säkularisiertem Klosterbesitz bezahlten Geistlichen waren gleichermaßen Seelsorger und geistliche Beamte, Transmitter der josephinischen Erziehungsreligion zwischen den josephinischen Normen und dem einfachen Volk in der Schule, im Beichtstuhl und von der Kanzel. Die kontemplativen Klöster, aber nicht nur diese, waren der Preis dafür, dass mit der Pfarreiregulierung ein altes tridentinisches Versprechen zwar eingelöst wurde, der Preis jedoch auch hier eine Art Verstaatlichung der Pfarreien war.

Wie die Aufhebung der Klöster im preußischen Teil Schlesiens 1810 durchgeführt wurde, welche unmittelbaren Ursachen und Folgen sie hatte, beleuchtete GREGOR PLOCH (Ratingen). Nach der verlorenen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt von 1806 war Preußen von hohen Kontributionszahlungen an Frankreich belastet, wodurch König Friedrich Wilhelm III. den Einzug kirchlicher Güter beschloss, wovon rund 80 Klöster, Stifte, die Breslauer Kurie und das Bistumsland Neisse-Grottkau betroffen waren. Die Ursachen für diese Entscheidung lassen sich aber auch in der seit Friedrich II. praktizierten verstärkten Einflussnahme auf die katholische Kirche sehen, wodurch die Rolle der Kirche im preußischen Staat beschränkt werden sollte. Als Folge der Säkularisation entstand 1811 die Breslauer Universität, die aus der Zusammenlegung der Viadrina und dem Breslauer Königlichen Schulinstitut (Leopoldina) erfolgt war. Die Entstehung der Universitätsbibliothek (1812/15) ist der direkten Tätigkeit von Johann Gustav Gottlieb Büsching zu verdanken, der die schlesischen Klosterbibliotheken inspizierte und rund 140.000 Volumina an Büchern und weiteren Sammlungen nach Breslau transferieren ließ.

Über den Entstehungsprozess, die gegenwärtige Situation, geplante Projekte der Universitätsbibliothek und die Möglichkeiten des Forschens heute berichtete EDYTA KOTYŃSKA (Breslau / Wrocław). Die Bestände der heutigen Breslauer Universitätsbibliothek stammen größtenteils aus der von Büsching gegründeten Schlesischen Centralbibliothek zu Breslau (1810-1815). Büsching hinterließ zahlreich erhaltene wertvolle handgeschriebene Berichte von seinen Reisen in schlesische Klöster, so dass sich die Übernahme von Beständen aus rund 34 Klosterbibliotheken gut rekonstruieren lässt. Heute verfügt die Universitätsbibliothek über die größten Bestände mittelalterlicher Handschriftensammlungen (rund 3000) und Altdrucke (circa 310.000) in Polen sowie nach Krakau den zweitgrößten Bestand an Inkunabeln (über 3.000). Diese wertvollen Dokumente stellen eine unschätzbare Quelle für die Erforschung der Kulturgeschichte Schlesiens dar. Daneben werden gegenwärtig die Bibliotheksbestände digitalisiert, was den Zugriff im Internetzeitalter weltweit ermöglicht.

Zum Schluss präsentierte DOROTA SCHREIBER-KURPIERS (Oppeln / Opole) den Entstehungsverlauf neuer Frauenkongregationen und Frauenorden in Schlesien in der Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diesen Prozess veranschaulichte sie anhand der ersten schlesischen Niederlassung der Schwestern vom Guten Hirten. Diese Gemeinschaften konzentrierten sich vor allem auf die Kranken- und Armenhilfe. Ab den 1840er-Jahren konnte ein vermehrter Anstieg von Klostereintritten verzeichnet werden. Auffällig ist dabei, dass der neue geistliche Nachwuchs vorwiegend aus bürgerlichem Milieu stammte.

Die Organisatoren können insgesamt eine positive Bilanz ziehen. Der Verlauf der Tagung zeigte große Forschungsdesiderata auf. Es wurde deutlich, dass die Klosterlandschaft Schlesien wissenschaftlich nur fragmentarisch erschlossen ist. Das gilt insbesondere für den Verlauf der Klosteraufhebung im preußischen und österreichischen Teil Schlesiens selbst, aber auch für die Nachwirkungen im 19. und 20. Jahrhundert. Die Säkularisation führte zum Einbruch des gewohnten Lebensumfelds. Hier müsste kritisch hinterfragt werden, wie schädlich einerseits dieser Prozess für das gesellschaftliche Leben war, andererseits zu welchen Modernisierungsschüben es dabei kam. Nach der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress von 1815 kam es in zahlreichen Bereichen, in denen die Klöster und Stifte maßgeblich wirkten, zu starken Transformationsprozessen: im religiösen Leben, im sozial-karitativen und gesellschaftlichen Bereich, im Bildungssektor, aber auch in den regionalen Volkswirtschaften. Die Säkularisation führte langfristig dazu, dass die Beziehungen zwischen Staat und Kirche staatsrechtlich reglementiert werden mussten. Der Staat übernahm zahlreiche Aufgaben, die vorher größtenteils von der Kirche erfüllt wurden. Diese Fragen bieten fächerübergreifende Möglichkeiten der Forschung.

Es wird beabsichtigt, die Ergebnisse der Fachtagung in eine Publikation einfließen zu lassen, die 2010 erscheinen soll.

Konferenzübersicht:

Stephan Kaiser (Oberschlesisches Landesmuseum, Ratingen):
Begrüßung der Tagungsteilnehmer

Gregor Ploch (Oberschlesisches Landesmuseum, Ratingen):
Einführung in die Tagung

Winfried Irgang (Marburg):
Kirche und Landesausbau in Schlesien im Mittelalter

Dietrich Meyer (Herrnhut):
Reformation in Schlesien

Miloš Kouřil (Universität Olmütz/Olomouc):
Die Konfessionalisierung und die Katholische Reform in den böhmischen Ländern

Jerzy Gorzelik (Universität Kattowitz/Katowice):
Die Barockisierung der oberschlesischen Klöster am Beispiel der Abtei Rauden

Christian-Erdmann Schott (Mainz):
Schonung aus Kalkül. Friedrich der Große und die katholische Kirche in Schlesien

Martin Scheutz (Universität Wien):
Reformwillige Obrigkeiten und unwillige Untertanen. Die Josephinischen Reformen in der Habsburgermonarchie

Gregor Ploch (Oberschlesisches Landesmuseum, Ratingen):
Die Auflösung der Klöster und Stifte in Preußisch-Schlesien 1810. Ursachen, Verlauf und Folgen

Edyta Kotyńska (Universitätsbibliothek Breslau / Wrocław):
Büchersammlungen der säkularisierten schlesischen Klöster in der Universitätsbibliothek in Wrocław

Dorota Schreiber-Kurpiers (Universität Oppeln/Opole):
Der Entstehungsprozess neuer Ordensgemeinschaften in Schlesien in der Hälfte des 19. Jahrhunderts