Plagiate. Interdisziplinäre Arbeitstagung

Plagiate. Interdisziplinäre Arbeitstagung

Organisatoren
Institut für Arbeits-, Wirtschafts- und Zivilrecht / Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.07.2009 - 18.07.2009
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Von
Gisela Engel, Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit, Universität Frankfurt am Main

Das Phänomen der Plagiate darf als hochaktuell gelten, wird doch nicht nur in Juristenkreisen, sondern zunehmend gesamtgesellschaftlich über den Schutz geistiger Eigentumsrechte bzw. deren Verletzung diskutiert, und das ebenso zunehmend in kontroverser Weise. Dabei geraten Genese und Grundbedingungen des Plagiatskonzeptes und seiner Durchsetzungsversuche mitunter aus dem Blick. Die Arbeitstagung wollte sich auch aus diesem Interesse heraus dem Thema der Plagiate widmen, und den Organisatoren Malte Gruber (Frankfurt am Main), Jochen Bung (Humboldt-Universität zu Berlin) und Sebastian Kühn (Freie Universität Berlin) ist es gelungen, eine Anzahl von Beiträgen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven miteinander in Beziehung zu setzen, um Entwicklungen, Grundlagen und Varianten des Plagiatskonzeptes zu diskutieren. Vertreten waren Beiträge aus dem Bereich der Rechtswissenschaften, Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft und aus dem Bereich der Kunst.

Dabei war allen Teilnehmer/innen bewusst, dass das Thema bei weitem nicht erschöpfend behandelt wurde und auch nicht werden konnte. Deutlich wurde, dass das Phänomen der Plagiate mit vielen anderen überlagert ist, ohne dass die Grenzen immer scharf gezogen werden können. Begriffe wie Imitat, Kopie, Nachahmung, Neuschöpfung oder Fälschung deuten diese Problematik an. Verbunden ist das Phänomen aber auch mit Konzepten von Authentizität, Eigentum, Autorschaft und Individualität, ebenso mit rechtlichen und moralischen Normen und gesellschaftlichen Verhaltensweisen, die weit davon entfernt sind, einheitlich oder gar historisch konstant zu sein. Insofern wurden einige Probebohrungen unternommen, um diese Hintergründe und historischen Veränderungen jenseits der Debatten um den Schutz geistigen (Privat-) Eigentums zu erhellen.

MALTE GRUBER (Frankfurt am Main) leitete in diese weitere Thematik ein mit der Präsentation des soziologischen Entwurfs von Gabriele Tarde. Danach ist Nachahmung eine soziale Grundkonstante, die Gesellschaft erst möglich macht. Der Mensch sei (darin den Tieren nicht unähnlich) erst lebens- und überlebensfähig, indem er nachahme; darüber hinaus bestehe soziales Leben gerade auch der komplexeren Gesellschaften aus Akten der Nachahmung, wie auch „Persönlichkeit“ nur eine relationale Nachahmung darstellt. Demnach wäre die Vorstellung von „originalen“ Entdeckungen oder Schöpfungen obsolet.

Viele der hier angesprochenen Probleme wurden in den folgenden Beiträgen in unterschiedlicher Weise aufgenommen, differenziert und konkretisiert. So widmete sich auch der Beitrag von SABINE MÜLLER (Hannover) weniger dem Plagiat, als den zu Grunde liegenden Phänomenen der imitatio und aemulatio als Techniken im Feld der Herrschaftsausübung und -kritik in der Antike. Am Beispiel Alexanders des Großen konnte sie aufzeigen, wie bewusste Nachahmung und Übertreffung von mythischen Gestalten und Herrschaftstraditionen Teil einer Herrschaftstechnik waren, der Kritiker dadurch begegneten, dass sie diese Nachahmung als misslungen kennzeichneten oder gar lächerlich machten. Das Interessante an diesem Beispiel ist die legitimatorische Funktion der Nachahmung. Kritik konnte nur in diesem Rahmen geäußert werden, indem Alexander eine falsche Nachahmung vorgeworfen wurde.

Dürfte diese Konstellation legitimer Nachahmung gerade im Bereich der Politik und der ‚politischen persona’ generell gelten, ohne dass bei Misslingen von Plagiat gesprochen werden könnte, so widmete sich SEBASTIAN KÜHN (Berlin) einem Kernbereich von Plagiatsvorwürfen in der Zeit ihres massiven Auftretens. Er schilderte einen Prioritätsstreit von Kartenmachern zu Beginn des 18. Jahrhunderts und entwickelte daran Überlegungen, wie Plagiatsvorwürfe überhaupt möglich wurden. Hier wurde Legitimität eines Anspruches nicht durch Nachahmung erreicht, sondern vor allem durch den Nachweis der Priorität der eigenen Leistung, durch die Behauptung der Identität des Plagiats mit dem Original und durch den Nachweis der „richtigen“ Methode zur Herstellung der eigenen Schöpfung. Dabei zeigte sich, wie eng verbunden diese Vorstellungen mit sozialen und ökonomischen Praktiken sind, etwa der Haushaltsproduktion, den Tauschregeln unter Gelehrten und Handwerkern oder dem Privilegien- und Patentwesen. Plagiate konnten nur Gelehrte begehen, die intellektuelles Eigentum unabhängig vom ökonomischen Besitz einforderten; handwerklichen Zusammenhängen war diese Vorstellung fremd.

Plagiate können sich mit Fälschungen überschneiden, und das zeigte eindrücklich der Beitrag von MARTIN UEBELHART (Zürich) über die „Protokolle der Weisen von Zion“. Die Genese dieser Schrift und deren Rezeption bis heute spiegelt dabei die Verflechtung von Plagiat und Fälschung, deren Nachweis im Kontext faschistischer und antisemitischer Verschwörungstheorien absurderweise gerade zum Beweis ihrer Echtheit wurde.

In der bildenden Kunst ist hingegen eher von Fälschungen als Plagiaten die Rede, dennoch kann gerade auch hier die Funktionsweise von Plagiat und Originalitätsansprüchen studiert werden. So stellte ALEXANDER EILING (Ludwigshafen) vor, wie Albrecht Dürer versuchte, sich gegen Nachdrucke seiner Bilder zu wehren. Dürer argumentierte mit dem Begriff seiner eigenen Invention und wollte das Monopol auf Vervielfältigungen seiner Drucke behalten. Sich selbst zu kopieren wurde nicht hinterfragt; wenn es andere taten, und sei es auch mit Verweis auf Dürers Original, so wurde das illegitim. Im Zusammenhang stand das ebenso mit ökonomischen Interessen, als auch mit einer bisher ungeahnten Selbststilisierung des Künstlers.

Gewissermaßen den Endpunkt dieser Entwicklung stellte VIOLA HILDEBRAND-SCHAT (Frankfurt am Main) vor: die appropriation art der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die amerikanische Künstlerin Elaine Sturtevant stellt dabei eine Sonderform dar, indem sie zwar einerseits gegen den Geniekünstler zu polemisieren scheint, andererseits aber die fast platonische Idee eines vom Schöpfer abgelösten Werks propagiert. Das Bemerkenswerte ist nun, dass auch diese Kunst nicht ohne ein gehöriges Maß an Selbststilisierung auszukommen scheint.

CORNELIA SOLLFRANK (Dundee/Celle) beschäftigt sich als Künstlerin mit den Fragen und Problemen, die Originalitätsanspruch und Plagiatsvorwürfe mit sich bringen. Sie stellte ihre Plagiarismuserkennungssoftware für die bildende Kunst vor, die einen „Originalitätstest“ für Bilder anbietet. Sie provozierte damit zu verstärktem Nachdenken über die Grundlagen des Plagiatskonzeptes und der Techniken, die zu seiner Durchsetzung gebraucht werden.

Auch in der postmodernen Literatur wird bewusst mit den unklaren Grenzen von Plagiat, Fälschung und Eigenleistung gespielt. KATHRIN ACKERMANN (Salzburg) schilderte die bewusste Intertextualität und den Anspruch, damit den souveränen Schöpfer-Autor vom Sockel zu stoßen. In jüngerer Zeit häufen sich dennoch prominente Fälle von Plagiatsvorwürfen und Sanktionen, welche eine breite Diskussion darüber in Gang setzen, was hier geschützt wird und wer eigentlich Definitionsmacht über literarische Produkte beansprucht. Ist letztlich nicht, so eine postmoderne Provokation der Plagiatslogik, jeder Leser ein Plagiator des ursprünglichen Werks in seinem Kopf?

BIRGIT SPENGLER (Frankfurt/M.) widmete sich ebenso der Intertextualität, allerdings den literary spin-offs der US-Literatur, in denen bekannte Motive um- und weitergeschrieben werden. Das betrifft vor allem kanonisch gewordene Werke der Literatur, an deren Erfolg angeknüpft, deren Definitionsmacht über Geschichte (beispielsweise: „Gone with the wind“) aber auf dem Feld der Literatur widersprochen werden soll. Durch das Urheberrecht werden zunehmend diese Umformungen von Werken erschwert und sanktioniert, wodurch unversehens auch ideologische Ansichten geschützt werden. Die Autoren (und Erben) der Ursprungswerke klagen eine Verfügungsmacht nicht nur über Texte, sondern über Figuren und Motive ein. Die spin-offs hingegen fragen: Wem „gehört“ die Geschichte und der Kanon, die Kultur insgesamt?

In systematischer Weise widmete sich MARTIN DOLL (Frankfurt am Main / Berlin) der Unterscheidung und den Überlappungen von Plagiat und Fälschung im Lauf durch die Geschichte. Eine Fälschung wolle Unähnlichkeit verbergen, ein Plagiat hingegen Ähnlichkeit. Doll erläuterte im historischen Durchgang die sich wandelnden Hintergrundvorstellungen dieser Konzepte: Originalität, Authentizität und Autorschaft.

Um eine Klärung des Begriffs der Authentizität war auch OPHELIA LINDEMANN (Frankfurt/M.) bemüht. Sie führte die Sehnsucht nach dem Authentischen im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit auf dessen performative Macht zurück, die im Massenmedium Einzigartigkeit verspricht. Deutlich machte sie das an den „falschen Opfergeschichten“. Selbst bei Entlarvung werde das Authentische noch darin gesucht, dass die Motive zur Fälschung in psychischen Problemen gesucht würden. In jedem Fall spiele der Rekurs auf die Körperlichkeit eine auffallende Rolle.

Drei angekündigte Beiträger aus den Rechtswissenschaften konnten leider nicht an der Tagung teilnehmen, werden ihre Überlegungen aber in dem geplanten 10. Band der Beiträge zur Rechts-, Gesellschafts- und Kulturkritik publizieren.

Konferenzübersicht:

Malte Gruber (Frankfurt am Main): Begrüßung und Einführung

I. Genesis

Sabine Müller (Hannover): "Plagiat" versus "Original" – imitatio und aemulatio in der Antike

Sebastian Kühn (Berlin): Delilse vs. Nolin. Zum Problem des Plagiats um 1700

Martin Uebelhart (Zürich): Carl Albert Loosli, der "Gotthelfhandel" und die "Protokolle der Weisen von Zion"

II. Poiesis

Alexander Eiling (Ludwigshafen): "Dürer reloaded"

Viola Hildebrand-Schat (Frankfurt am Main): Das Plagiat innerhalb der Bildenden Kunst

Cornelia Sollfrank (Dundee/Celle): DEJAVU® – First Plagiarism Detection Software for Fine Arts

III. Mimesis

Kathrin Ackermann (Salzburg): Das Plagiat als literarisches Motiv in der Postmoderne

Martin Doll (Frankfurt am Main): Plagiat und Fälschung: Ungleiche Geschwister im Netz der Filiationen von Originalität, Authentizität und Autorschaft

Ophelia Lindemann (Frankfurt am Main): Falsche Opfer und das Versprechen von Authentizität

Birgit Spengler (Frankfurt am Main): Intertextuelle Romane im Spannungsfeld zwischen Plagiat und Originalität

IV. Praxis

Klaus Mathis (Luzern): Eine ökonomische Analyse des Plagiarismus

Denis Basak (Frankfurt am Main): Regeln der wissenschaftlichen Arbeit und Konsequenzen ihrer Verletzung

Andreas Popp (Passau): Zur Rekonstruktion des "Plagiats" als Verletzung subjektiver Rechte