Nachwuchstagung der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung

Nachwuchstagung der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung

Organisatoren
Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2009 - 06.10.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Philip Zölls, Historisches Seminar, Universität Zürich; Simon Goeke, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die „Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung e.V.“ (GSU) versteht sich als Fachvertretung der deutschen Stadthistoriker/innen und Urbanisierungsforscher/innen. In diesen interdisziplinär angelegten Forschungsfeldern bietet die GSU eine dauerhafte Grundlage für den Informationsaustausch, die Vernetzung, Diskussion und Kooperation. Ein besonderes Anliegen dabei ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Zu diesem Zweck veranstaltete die GSU regelmäßig Nachwuchstagungen. Am 5. und 6. Oktober 2009 hatten zwölf Nachwuchswissenschaftler/innen verschiedener Disziplinen in München die Möglichkeit, ihre einschlägigen Promotions- und Habilitationsprojekte in einem fachkundigen Kreis vorzustellen und zu diskutieren.

In der von Adelheid von Saldern (Hannover) moderierten ersten Sektion der Tagung „Stadt und Krise“ wurde in verschiedenen Vorträgen deutlich, dass die Stadt als ein besonderer Brennpunkt gesellschaftlicher Krisendynamiken gelten kann. REBECCA KNAPP (Bochum) eröffnete die Sektion mit einem Vortrag, in welchem Stadtbrände als Krisenauslöser und Kriseneffekte in der Frühen Neuzeit analysiert wurden. In Stadtbränden erkannte Knapp ein „Kopplungselement“ zwischen Kriegen und dem Eigenleben der Städte. Dabei wurden seit dem Spätmittelalter Strategien der „Feuerpolicey“ etabliert und der Wiederaufbau nach den Brandkatastrophen zunehmend routinisiert. Die anschließende Diskussion verdeutlichte, dass der Begriff der Krise gerade in Abgrenzung zur Katastrophe nach einer genauen Definition verlangt. Mehrere Teilnehmer/innen schlugen außerdem vor, sowohl die durch Stadtbrände ausgelösten Umstrukturierungsdynamiken als auch die Subjektdisziplinierung im Rahmen der „Feuerpolicey“ stärker ins Blickfeld zu rücken.

DAVID SITTLER (Erfurt) stellte im darauf folgenden Vortrag sein Dissertationsprojekt vor, in dem er die Geschichte der metropolitanen Straße als Massenmedium in Chicago und St. Petersburg 1870-1930 analysiert. Am Beispiel der Chicagoer „race riots“ verdeutlichte er seine These, dass der Begriff des Massenmediums auf die Straße angewendet werden kann, denn erst die Gerüchte und Inszenierungen auf der Straße hätten die Unruhen ermöglicht. Jener wahrnehmungsbasierte „common sense“, der als Konfliktauslöser nötig war, sei erst durch die Medialität der Straße produziert worden. Diese medial erzeugte Krise sei dann im Zuge des riots in der „Sprache der Straße“ gelöst worden. In der Diskussion wurde auf Unschärfen des verwandten Medienbegriffs eingegangen, den einige Teilnehmer/innen jedoch ausdrücklich gegenüber anderen Konzepten der Straße wie der „Straße als Bühne“ oder der „Straßenpolitik“ (Lindenberger) bevorzugten.

JAN-HENRIK FRIEDRICHS (Vancouver) beschäftigte sich im dritten Vortrag der Sektion mit Orten der Devianz in der Bundesrepublik der 1970er- und 1980er-Jahre. Friedrichs interpretierte besetzte Häuser, Treffpunkte der Heroinszene und „Ausländerghettos“ mit Hilfe einer relationalen Raumtheorie als Heterotopien (Foucault), in denen von Seiten der Mehrheitsgesellschaft soziale Abweichungen verortet und gebündelt wurden. Somit sei zumindest der Anschein erweckt worden, dass die in der Mehrheitsgesellschaft als Gefahren interpretierten Abweichungen lokalisierbar und damit kontrollierbar seien. Die mit dem Ende der Planungseuphorie beginnende Krise der Stadt am Ende der 1970er-Jahre habe dazu geführt, dass die Stadtgesellschaft im Diskurs über das Andere sich ihrer selbst zu vergewissern suchte. Die im Begriff der „Mehrheitsgesellschaft“ implizierten Probleme wurden im Anschluss ausführlich diskutiert. Des Weiteren wurde vorgeschlagen sich in der Arbeit auf eine Diskursanalyse zu beschränken, da in dem zusätzlichen Einbezug von Praktiken der Raumaneignung die Gefahr bestehe, Kategorien von Foucault und Lefebvre auf problematische Weise zu kombinieren.

MATHIAS HEIGL (München) stellte im folgenden Vortrag sein Projekt einer praxeologischen, raumanalytischen Stadtgeschichte der sozialen Bewegungen im Rom der 1970er-Jahre vor, das er anhand einer Mikrostudie zu den römischen Stadtteilkomitees veranschaulichte. Diese analysierte er als kollektive Basisakteure, die den urbanistischen, ökonomischen und politischen Krisentendenzen dieser Jahre mit einer stadtteilzentrierten Agenda der basisdemokratischen Selbstorganisation und direkten Aneignung entgegentraten. In der anschließenden Diskussion wurde der Vortrag in eine Gesamtperspektive der 1970er-Jahre als Periode der Revitalisierung des Nahraums eingebunden und auf die Potentiale einer transnationalen Vergleichsperspektive verwiesen.

Im letzten Vortrag der Sektion skizzierte SUSANNE SCHREGEL (Darmstadt), „wie der Atomkrieg lokal wurde.“ Dabei interpretierte Schregel die Auseinandersetzungen in den frühen 1980er-Jahren um einen drohenden Atomkrieg als städtische Krise. Durch neue Strategien der Sichtbarmachung und des Mappings von Orten wie etwa Militäreinrichtungen betonten die Aktivisten der Friedensbewegung die Rolle der Stadt als Mitverursacher und potenzielles Ziel eines Atomkrieges. Dadurch hätten sie Fragen der Zugehörigkeit zum städtischen Raum neu beantwortet. In der Diskussion kam die Frage auf, inwiefern hierbei von einer spezifisch städtischen Krise und einem inhärenten Zusammenhang zwischen Atomkrieg und Stadt die Rede sein könne oder ob das beschriebene Repertoire der Friedensbewegung nicht auch im Kontext einer allgemeinen verstärkten Nahraumorientierung dieser Jahre interpretiert werden könne.

In der von CLEMENS ZIMMERMANN (Saarbrücken) moderierten zweiten Sektion wurde das Themenfeld „Stadt und Migration“ in insgesamt vier Vorträgen genauer betrachtet. Deutlich erkennbar wurde in allen Vorträgen, trotz der inhaltlichen, zeitlichen als auch geographischen Breite, dass sowohl Stadt als auch Migration Elemente eines dynamischen Systems sind, in den städtische Politik häufig nur als Reaktion auf bestehende Migrationsbewegungen und Forderungen angesehen werden kann. Im Vordergrund der Referate standen damit Fragen nach der Gestaltung und Repräsentation von Migrant/innen im öffentlich städtischen Raum.

Im ersten Beitrag der Sektion skizzierte LUCIE-PARTIZIA ARNDT (Bochum) die Einwanderung der German Community als Ethnic Group in ihrer Interaktion mit der Stadt Washington D.C. im 19. Jahrhundert. Im Vordergrund des Vortrags stand weniger die Identifikation von so genannten Push- und Pullfaktoren oder die Motivationen der Auswanderer für ihre Migration, als vielmehr die Rolle der German Community als Einwanderer in die Washingtoner Gesellschaft und ihre Funktion für die Hauptstadt. In der anschließenden Diskussion standen Fragen über Vor- und Nachteile des Community-Begriffs und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Einwanderercommunities im Vordergrund.

In dem zweiten Vortrag stellte RAIKA ESPAHANGIZI (Köln) die wechselseitigen Beziehungen zwischen Stadt und Migration in der Zeit von der ersten Anwerbung 1955 bis zum Anwerbestopp 1973 am Beispiel der Städte Köln und Frankfurt am Main dar. Ausgehend von der These, dass Migrant/innen die Städte entscheidend mitprägten, wurden anhand der Diskurse um Wohnen, Ausländerghettos und Integration die konkreten Prozesse und Auswirkungen der Einwanderung auf der alltagsweltlichen Ebene und die Auseinandersetzung um die entstehende Einwanderungsgesellschaft sowie die Rolle der städtischen Entwicklung in den 1960er- und 1970er-Jahren thematisiert.

BETTINA SEVERIN-BARBOUTIE (Gießen/Straßburg) beschäftigte sich in ihrem Vortag mit der Ausländerpolitik der Stadt Stuttgart am Beispiel des Ausländerbeirats und dessen Umwandlung in einen Ausschuss im Jahr 1983. Dargestellt wurde in dem Bericht sowohl die Zusammensetzung und Funktion des Ausländerbeirats, als auch inwieweit die Stadt Stuttgart die scheinbaren Partizipationsmöglichkeiten der Migrant/innen zur positiven Imagebildung ihrer Ausländerpolitik nutzte. In der anschließenden Diskussion wurden die 1970er-Jahre als Phase der Öffnung und der größeren Möglichkeiten der Partizipation diskutiert und unter anderem nach den Kämpfen und Forderungen von Migrant/innen und deren Bedeutung bei der Etablierung des Ausländerbeirats gefragt.

PHILIP ZÖLLS (Zürich/München) und SIMON GOEKE (München) stellten im vierten Beitrag die Ausstellung „Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration“ vor, die vom 7. Juli bis zum 15. September 2009 in der Rathausgalerie München zu sehen war.1 In ihrem Vortrag gingen sie auf das Konzept der 'Autonomie der Migration' ein, das als programmatische Forschungsperspektive der Ausstellung gewählt wurde. Anhand von ausgewählten Ausstellungsarbeiten zeigten sie die empirischen Umsetzungsmöglichkeiten. Analysiert wurden dabei Rolle und Funktion der Stadt München im Verhältnis und Abgrenzung zur Landes- und Bundespolitik. In der Diskussion wurde in Bezug auf das Konzept der 'Autonomie der Migration' eine stärkere Beachtung der Studien über Remigration eingefordert sowie vor der Gefahr einer normativen Betrachtung der Geschichte gewarnt.

Die dritte und letzte Sektion widmete sich dem Themenbereich Stadt und Natur. Christoph Bernhart (Berlin) moderierte die beiden Vorträge, in denen deutlich wurde, dass es sich bei Natur- und Umweltgeschichte nicht ausschließlich um eine Problemgeschichte handeln muss. Gerade lokale und vergleichende Ansätze erscheinen als geeignet, Fragestellungen nach sich verändernden Naturbildern und kommunalen Eigenlogiken nachzugehen.

In ihrem Vortrag „Die Metropole leistet sich Natur“, zeichnete ASTRID MIGNON KIRCHHOF (Berlin) die Entstehung des Naturparks Südgelände in West-Berlin infolge jahrzehntelanger Auseinandersetzungen einer Bürgerinitiative mit dem Berliner Senat nach und zeigte auf, dass die Geschichte von Naturvorstellungen und des menschlichen Umgangs mit Natur nicht losgelöst von sozialgeschichtlichen Fragen und Perspektiven betrachtet werden kann. Die Diskussion drehte sich vor allem darum, welche Naturvorstellungen in den Konflikten zum Tragen kamen und mit welchen sprachlichen Mitteln über Natur gesprochen wurde.

Einen Vergleich des kommunalpolitischen Umgangs mit Grünflächen in Wiesbaden und Mainz stellte MARTINA FENDT (Darmstadt) in ihrem Vortrag an. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung war die These, dass sich an Prozessen und Ergebnissen der Stadtentwicklung eigenlogische Muster und Strukturen der Kommune erkennen lassen. Neben der Darstellung der stadtsoziologischen Konzeption einer „Eigenlogik der Städte“ (Berking/Löw), machte Fendt in anschaulichen Beispielen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des kommunalen Umgangs der beiden Städte mit grünen „Freiraumtypen“ deutlich. Der Großteil der Nachfragen im Anschluss hatte Probleme der Operationalisierung des Konzepts der Eigenlogik im Fokus.

Thematisch, zeitlich und methodisch war die Tagung von einer großen Vielfalt geprägt. Doch ungeachtet der verschiedenen Interessen der Teilnehmer/innen wurde vor allem durch die thematische Gliederung der Tagung in die drei Themenkomplexe „Stadt und Krise“, „Stadt und Migration“ und „Stadt und Natur“ der Austausch der Nachwuchsforsch/innen begünstigt. In den zahlreichen Beiträgen wurde deutlich, dass durch mikrohistorische Untersuchungen auf städtischer Ebene in Kombination mit den vorgestellten Theorien von Foucault bis Löw neue Fragestellungen auftreten und neue Problembereiche untersucht werden können. Die GSU plant, weitere Nachwuchstagungen auszurichten.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Stadt und Krise
Moderation Adelheid von Saldern (Hannover)

Rebecca Knapp (Bochum): Stadtbrände der Frühen Neuzeit: Krisenauslöser und Kriseneffekt.

David Sittler (Weimar): Geschichte der metropolitanen Straße als Massenmedium. Chicago und St. Petersburg 1870-1930.

Jan-Henrik Friedrichs (Vancouver): Orte des Anderen. Besetzte Häuser, "Ausländerghettos" und Treffpunkte der Heroinszene in der Bundesrepublik, 1973-1987.

Mathias Heigl (München): Stadt – Krise –Bewegung. Soziale Bewegungen in Rom in den 1970er Jahren.

Susanne Schregel (Darmstadt): Wie der Atomkrieg lokal wurde. Urbane Krisen, Krieg und Katastrophen 1975-1985.

Sektion II: Stadt und Migration
Moderation: Clemens Zimmermann (Saarbrücken)

Lucie-Patrizia Arndt (Bochum): Die German Community von Washington, D.C., 1840-1880.

Raika Espahangizi (Darmstadt): Urbaner Alltag und migrantische Lebenswelten in westdeutschen Großstädten: Köln und Frankfurt a.M. in den 1960er und 1970er Jahren.

Bettina Severin-Barboutie (Gießen): Politische Handlungsfelder für Migranten in der Stadt. Das Stuttgarter Ausländergremium.

Simon Goeke (München) / Philip Zölls (Zürich / München): Vorstellung der Ausstellung "Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration" (Rathausgalerie München, Juli -September 2009).

Sektion III: Stadt und Natur
Moderation: Christoph Bernhardt (Berlin)

Astrid Kirchhof (Berlin): "Die Metropole leistet sich Natur". Die Entstehung des Naturparks Südgelände in West-Berlin.

Martina Fendt (Darmstadt): Stadt und Grün. Zur Eigenlogik der Städte in ihrem Umgang mit städtischen Freiräumen.

Anmerkung:
1 Vgl. <http://www.crossingmunich.org> (16.11.2009).


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