All you need to know: Encyclopaedias and the idea of general knowledge

All you need to know: Encyclopaedias and the idea of general knowledge

Organisatoren
Forschungsprojekt "Allgemeinwissen und Gesellschaft. Enzyklopädien als Indikatoren für die Veränderung der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen, Bildung und Information", Universität Zürich/Schweizerisches Landesmuseum
Ort
Prangins
Land
Switzerland
Vom - Bis
18.09.2003 - 20.09.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Kati Molnar, Leipzig

Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes "Allgemeinwissen und Gesellschaft. Enzyklopädien als Indikatoren für die Veränderung der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen, Bildung und Information" (Universität Zürich/Schweizerisches Landesmuseum) wurde eine internationale Tagung mit dem Titel "All you need to know: Encyclopaedias and the idea of general knowledge" veranstaltet. Die InitiatorInnen des Projektes - Prof. Dr. Madeleine Herren (Historisches Seminar der Universität Zürich), Prof. Dr. Paul Michel (Deutsches Seminar der Universität Zürich) und Dr. François de Capitani (Schweizerisches Landesmuseum) - hatten Forschende aus sechs Ländern in das Château de Prangins am Genfer See eingeladen, um über enzyklopädische Präsentationsformen von Allgemeinwissen und deren soziale, kulturelle und politische Funktion zu diskutieren. Aus historischer, sozialwissenschaftlicher, literaturwissenschaftlicher und linguistischer Perspektive wurde vor allem danach gefragt, was unterschiedliche Kulturen zu verschiedenen Zeiten als gesellschaftlich relevantes Wissen betrachteten, wie dieses Allgemeinwissen in enzyklopädischen angelegten Wissensspeichern geordnet und repräsentiert wurde und welche Funktionen die historisch und kulturell determinierte Wissensaufbereitung in der jeweiligen Gesellschaft übernahm. Ausgangspunkt dieser Fragestellungen war die Überlegung, dass die jeweiligen enzyklopädischen Wissensvorgaben und Ordnungsschemata nur einen bestimmten und damit eingeschränkten Umgang mit und Zugang zu Wissen ermöglichen, da Enzyklopädien die Wahrnehmung des Lesers/Benutzers apriorisch steuern und spezifische Wertvorstellungen vermitteln können.
Die Tagung wurde von der Gebert-Rüf-Stiftung, dem Schweizerischen Nationalfonds und der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften mitfinanziert..

Nach der Begrüßung durch François de Capitani beleuchteten Madeleine Herren und Paul Michel Fragestellungen und Probleme, die sich bei der Erforschung von Allgemeinwissen auf der Quellenbasis von Enzyklopädien ergeben können. Obgleich betont wurde, dass dem Begriff "Enzyklopädie" am ehesten gerecht würde, wenn er als eine an den Rändern unscharfe, durch Familienähnlichkeiten charakterisierte Bezeichnung verstanden wird, gingen die Projektverantwortlichen von folgenden Merkmalen aus, die gleichsam als inhaltliche Kernelemente dieses Ausdrucks verstanden werden können:
- Enzyklopädien wollen umfassende Präsentationen von dem Wissen sein, das zu einer bestimmten Zeit für eine bestimmte Gesellschaft(s-Schicht) als relevant und erforderlich gilt
- sie präsentieren dieses Wissen vermittels eines bestimmten Ordnungsprinzips
- sie haben die Struktur eines Hypertextes
- sie sind an eine allgemeine Öffentlichkeit adressiert und wollen von dieser konsultiert werden

Angesichts dieser Merkmale wurde schnell deutlich, dass neben der schriftlichen Buchform auch visualisierte Formen von geordnetem Wissen, wie etwa Kunstkammern und Museen oder sogar das Internet als Enzyklopädien aufgefasst werden können. Diesem erweiterten Verständnis des Enzyklopädie-Begriffs wurden innerhalb des sehr umfangreichen und vielseitigen Tagungsprogramms im wesentlichen vier Referenten gerecht:
Claudia Rütsche (Kulturama Zürich) stellte in ihrem Beitrag das älteste öffentlich zugängliche Museum der Schweiz vor, die 1634 gegründete Zürcher Kunstkammer. Sie ging dabei ausführlich auf Johann Jakob Scheuchzer ein, der in den Jahren von 1698 bis 1702 versuchte, das Inventar der Kunstkammer zu erfassen und zu systematisieren.
François de Capitani (Schweizerisches Landesmuseum) beleuchtete in seinem Vortrag, wie sich die Visualisierung von Wissen als "Überblicks-Wissens" seit dem 18. Jahrhundert in Abhängigkeit von der jeweiligen, historisch sich verändernden Geschichtskonzeption transformierte.
Die Frage nach dem Zusammenspiel von Bild und Text kam im Redebeitrag von Hanna Vorholt (Humboldt-Universität zu Berlin/Max Planck Institut für Geschichte Göttingen) zum Tragen, in welchem zwei im 13. und 15. Jh. entstandene Handschriften des bis 1122 von Lambert von Saint-Omer kompilierten "Liber Floridus" miteinander verglichen wurden. Anhand der in den beiden Handschriften veränderten Ikonographie und Textorganisation rekonstruierte sie die sich wandelnden Zielsetzungen, mit denen eine Enzyklopädie im 12. Jh. reproduziert wurde.
Hans-Ulrich Seifert (Universitätsbibliothek Trier) stellte das u.a. von ihm geleitete, seit Oktober 2001 an der Trierer Universitätsbibliothek laufende Digitalisierungsprojekt vor, welches die 242-bändige "Ökonomische Encyklopädie" (1773-1858) von Johann Georg Krünitz nach dem von Melvill Dewey 1876 entwickelten Klassifikationssystem (DDC) für das Internet aufbereitet.

Obwohl während der Tagung mehrmals deutlich wurde, dass die Beurteilung einer Wissenspräsentation als "enzyklopädisch" nicht unproblematisch ist, interessierten sich die Forschenden im Verlauf der Veranstaltung vielmehr dafür, Enzyklopädien als eine Schnittstelle von Wissen und Gesellschaft zu beschreiben - als "interface of knowledge and society", wie Madeleine Herren es programmatisch formuliert hatte. Enzyklopädien, so hatten die VeranstalterInnen zu Beginn ausgeführt, würden sehr gut Auskunft darüber geben, welches Wissen von wem auf welche Art und Weise und zu welchem Zweck geordnet und bewertet oder aber auch ganz ausgeschlossen werde, und wie die Adressaten der Enzyklopädie bzw. die tatsächlichen Benutzer mit den jeweiligen Wissensvorgaben umgingen. Diese Fragestellungen implizierten freilich, dass Enzyklopädien (mehr oder weniger bewusste) Strategien und Ziele verfolgen, die über die bloße sachlich-neutrale Vermittlung von Information hinausgehen. Paul Michel hatte daher gleich zu Anfang betont, dass die Funktion der Wissensspeicherung in jedem Falle zu kurz greife und zwischen dem Anspruch einer Enzyklopädie und ihrer tatsächlich geleisteten Wirkung unterschieden werden müsse. Die in den Enzyklopädien dargestellte und uns zugänglich gemachte Welt sei ein gefiltertes und homogenisiertes Konstrukt, ein machtvolles Theater.

Die Referenten verdeutlichten im Laufe der drei Tage eindrücklich, dass die Wissensinszenierung durch die historisch und kulturell bedingten Vorgaben von Allgemeinwissen sowie durch die in den Enzyklopädien verwendeten Ordnungsschemata geprägt wird. Ob das Wissen gemäß einer Kosmogenie oder Heilsgeschichte, ob nach einem linearen oder zirkulären Geschichtsverständnis oder einfach nur mit Hilfe des Alphabets organisiert ist, sei wesentlich im Hinblick auf den Rezipienten, der als Teil der Wissenspräsentation verstanden werden müsse - so der Ansatz der WissenschaftlerInnen. Denn jedes Mal werde ein anderes anthropologisches Konzept neben der bloßen Information mitvermittelt. Eine Reihe von Vorträgen setzte sich dementsprechend ausschließlich mit verschiedenen Organisationsstrukturen und Ordnungsverfahren auseinander:
Chantal Connochie-Bourgne (Université de Provence, Aix-Marseille III) befragte drei französische Enzyklopädien aus dem 13. Jh. auf ihr Publikum und ihre Rezeptionspraxis. Aufbau, Inhaltsverzeichnisse, versifizierte Zusammenfassungen, dialogisierte Form und metatextuelle Passagen gaben ihr Aufschluss darüber, ob der Text zur integralen Lektüre oder zum Konsultieren, zur Privatlektüre oder öffentlichem Vortrag konzipiert war.
Iolanda Ventura (Universita di Salerno) untersuchte und typologisierte spätmittelalterliche Enzyklopädien, die in einer Frage-Antwort-Form organisiert wurden. Aufgrund ihres kommunikativen Charakters stellte sich die ‚quaestio'-Form als eine sehr wirksame Möglichkeit dar, den Lesenden ihre Wissensbedürfnisse als Fragen vorzuschreiben.
Zwei wesentlichen Typen der frühneuzeitlichen Wissenskompilationen widmete sich Martin Schierbaum (Universität München): Anhand von Conrad Gesners "Bibliotheca Universalis" (1545) und Christoph Mylaeus' "De Scribenda Universitatis Rerum Historia" (1551) beschrieb er das Systematisierungsverfahren der Polymerisation (Gesner) und der Analogiebildung (Mylaeus).
Urs Leu (Zentralbibliothek Zürich) zeigte, wie die Zürcher Gelehrten des 16. Jh. die von Erasmus von Rotterdam entwickelte Loci-Methode als enzyklopädisches Ordnungssystem benutzten. Die Informationen wurden hierbei, so erläuterte Leu, in einem ausgeklügelten System von Begriffen und Unterbegriffen verortet.

Welches Welt- und Menschenbild diese divergenten enzyklopädischen Ansätze auch vermittelten, stets sei es darum gegangen, dieselben Probleme zu bewältigen: Vollständigkeit, Systematik und Bewertung des Wissens. Dass der enzyklopädische Text trotz aller Ordnungsbemühungen über ein Potential verfügt, eben jene Ordnungen und konstruierten Orientierungsmöglichkeiten wieder aufzulösen und den Menschen seiner künstlich geschaffenen Sicherheiten zu berauben, wurde in zwei Vorträgen thematisiert, die sich dem alphabetischen Ordnungssystem aus eher texttheoretischer Perspektive widmeten. Es wurde gezeigt, wie die fragmentarisierende Mechanik der arbiträren alphabetischen Anordnung und des labyrinthischen Verweissystems die fingierte Ordnung des Wissens, den Erkenntniszusammenhang und das Wissen selbst wieder verwirren und arbitrarisieren können. Mithin wurde hierbei auch die Frage nach der sprachlichen und bildlichen Repräsentierbarkeit einer immer komplexer werdenden und sich stets verändernden Welt überhaupt gestellt. Was Andreas Kilcher (Universität Münster) in diesem Zusammenhang auf einer allgemein-abstrakten Ebene herausarbeitete, zeigte Claudia Albert (Freie Universität Berlin) konkret anhand von Diderots und d'Alemberts "Encyclopédie": Die Kontingenz in der Registratur von Namen und Wörtern und im mitunter unüberschaubaren Verweissystem dementiert das enzyklopädische Projekt der Abbildung und Ordnung der Welt.

Weitere Beispiele dafür, dass die Enzyklopädisten die Realität nicht einfach nur adäquat wiedergeben, lieferten folgende Referenten:
Ulrich Johannes Schneider (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel) machte in seinem Vortrag über die geographische Wissensvermittlung in Zedlers "Universal-Lexicon" z. B. darauf aufmerksam, dass der umfangreichste Stadtartikel einem kleinen unbedeutenden sächsischen Ort namens Wurzen gewidmet wurde. Der Lokalpatriotismus des Artikel-Verfassers - Schneider konnte herausfinden, dass der Verfasser eben aus jenem Ort stammte - führte hier also dazu, dass ein in Wirklichkeit eher unbekannter Ort in der enzyklopädischen Darstellung den Rang berühmter Weltstädte noch überbot.
Ursula Kundert (Universität Zürich), die außerdem für die Tagungsorganisation verantwortlich zeichnete, erläuterte in ihrem Beitrag über die narrative Konstruktion von Gefühlskategorien anhand von Andreas Hondorffs Exempelsammlung "Promptuarium Exemplorum" (um 1600), wie die Behandlung der Erzählten Zeit und der Erzählzeit dazu verwendet wurde, den durch die narrative Darstellung möglichen Bedeutungsüberschuss auf einzelne Loci einzuengen und dadurch einen kontrollierten Assoziations- und Meditationsrahmen zu schaffen.
Lucia Amberg (Universität Zürich) befasste sich mit der Konstruktion moderner Kindheit anhand einiger Lexika aus dem 18. Jh. Es stellte sich heraus, dass die Enzyklopädien bezüglich der Vorstellungen von Kindheit im Vergleich mit den Säkularisierungstendenzen im zeitgenössischen pädagogischen Diskurs (Rousseau, Pestalozzi, Kant) nur zum Teil Schritt hielten: der Gedanke der Perfektabilität wurde übernommen, nicht aber die Vorstellung der Bezogenheit des Menschen auf sich selbst. D.h.: noch 1799 war man dem christlichen Heilsdenken verpflichtet.

Besonders evident wurde die These von der Konstruktion bzw. Inszenierung des Wissens bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Funktion von Enzyklopädien. Ob es sich dabei um die Propagierung eines Fortschrittsmodells handelt, um die Konsolidierung oder Dekonstruktion von Glaubenssätzen, um die Ermöglichung einer geselligen Konversation oder die Nivellierung sozialer Unterschiede, in jedem Falle, so die WissenschaftlerInnen, müsse das Verfügbarmachen von Wissen auch als politisches Kontrollelement innerhalb einer sozio-kulturellen Identitätsbildung verstanden werden. Unter diesem Gesichtspunkt wurde deutlich, dass die mittels Wissen (gezielt) bereitgestellte Konstruktion von Welt ganz reale Wirkungen zeitigen oder gar eine eigene Realität generieren kann. Die Erörterung einer bewusst gesteuerten und kontrollierten Wissensvermittlung bildete daher einen weiteren Schwerpunkt der Tagung. Mit der Rolle der Zensur beschäftigten sich in diesem Zusammenhang folgende Vorträge:
Martin Rüesch demonstrierte am Beispiel von Pierre Bayles "Dictionaire Historique et Critique", dass die strukturellen Vorgaben der Gattung "Nachschlagewerk" in Verbindung mit den rhetorischen Arrangements des gelehrten Schrifttums eine griffige Zensurpraxis zu erschweren vermochten. Er untermauerte seine These, indem er die Wirkungslosigkeit der gegen das genannte Werk gerichteten Zensurversuche in Rotterdam (1697/8), Genf (1713) und Basel (1736) mit der Reaktion der Pariser Behörden kontrastierte, welche noch im Jahr 1755 den Schriftsteller und Kompilatoren Abbé de Marsy für einige Monate einkerkern ließen, weil selbiger das "Dictionaire" nach systematischen Punkten neu geordnet und zu einer linear lesbaren "Analyse raisonnée de Bayle" umstrukturiert hatte.
Ines Prodöhl beleuchtete die Funktion enzyklopädischer Wissensaufbereitung im ‚Dritten Reich'. Sie untersuchte zwar die Kontrolle nationalsozialistischer Zensurbehörden, doch arbeitete sie vordergründig die Rolle der betreffenden Verlage und ihrer hausgemachten Selbstzensur heraus. Die zentrale Frage in ihrer Analyse der vom Bibliographischen Institut während des Zweiten Weltkrieges publizierten "Schlag nach!"-Hefte, die sowohl für die Soldaten als auch für die zu Hause Gebliebenen bestimmt waren, lautete: Haben sich Verlag und Zensoren die Vorstellung, dass allgemeine Nachschlagewerke gemeinhin als sachlich-neutral gelten, dienstbar gemacht und instrumentalisiert?
Clorinda Donato (California State University) beschrieb die Zensurpraxis der spanischen Inquisition gegen die spanische Übersetzung und Vermarktung der französischen "Encyclopédie méthodique". Neben dem protestantischen Weltbild von Charles Joseph Panckouckes Enzyklopädie bot aber u.a. auch der Artikel "España" für die spanische Zensur Anlass zu einer harten Kritik: in jenem Artikel artikulierte sich nämlich der abschätzige Blick der ‚überlegenen' Kulturnation Frankreich.
Regula Forster (Universität Zürich) verfolgte in ihrem Vortrag ebenfalls eine Spur der Bewertung und Filterung von Wissen, indem sie herausarbeitete, wie sich verschiedene deutsche und arabische Fassungen des pseudo-aristotelischen "Secretum secretorum" (wahrscheinlich im 10. Jahrhundert in arabischer Sprache entstanden) an den Gattungskriterien für eine "Enzyklopädie" beziehungsweise einen "Fürstenspiegel" messen ließen.

Eine zielgerichtete Orientierung des Wissens wurde auf der Tagung jedoch nicht nur anhand der Zensurpraxis nachgewiesen, sondern auch mittels einer nationalen, kulturellen oder ethnischen Kontextualisierung der Enzyklopädien. Dass Enzyklopädien beispielsweise dazu eingesetzt werden können, die kollektive Identität der Benutzer zu repräsentieren oder gar (neu) zu definieren, zeigten folgende Vorträge:
Ina Ulrike Paul (Freie Universität Berlin) untersuchte anhand mehrerer nationalsprachlicher Enzyklopädien der europäischen Aufklärung den Wandel der vorherrschenden nationalen Eigen- und Fremdbilder während des 18. Jahrhunderts. Es wurde dabei deutlich, wie die verschiedenen Nationen sich mittels nationaler Stereotypen der eigenen Identität vergewisserten.
Arndt Engelhardt (Universität Leipzig) verglich in seinem Vortrag die 1928-34 in Deutschland und die 1971 in Israel entstandene "Encyclopaedia Judaica". Er wies dabei u.a. nach, wie in der älteren Enzyklopädie entgegen der herrschenden Tendenz der gesellschaftlichen und kulturellen Assimilation und in Reaktion auf den Antisemitismus versucht wurde, eine jüdische kulturelle und nationalstaatliche Identität zu kreieren und zu begründen. Die jüngere Enzyklopädie, so Arndt Engelhardt, könne als späte Vollendung dieses ehrgeizigen Projektes verstanden werden.
Jatindra Kumar Nayak (Utkal University Bhubaneswar, Indien) rekonstruierte in seinem Beitrag, wie das von den Briten kolonialisierte Orissa 1936 versuchte, mit Hilfe einer Enzyklopädie die eigene kulturelle Identität zu bewahren respektive neu zu definieren.
In ihren Ausführungen zu der 1925/26 entstandenen "Illustrated Australian Encyclopaedia" arbeitete Nadine Hagen (Universität Zürich) heraus, wie stark das Allgemeinwissen in dieser Enzyklopädie auf die australische Identität fixiert und somit auf die Bildung eines nationalen Selbstverständnisses des Lesers hin orientiert ist. Allein ein Drittel aller Lemmata, so erklärte Nadine Hagen beispielsweise, informiere nur über Personen, die in irgendeiner Art und Weise in einem Verhältnis mit der australischen Nation standen.

Dass Enzyklopädien das Wissen nicht nur steuern, kontrollieren, mithin einschränken, sondern auch neues Wissen hervorbringen bzw. bereits bestehendes Wissen weiterentwickeln können, konnte Hans-Georg Hofmann (Universität Bern/Kammerorchester Basel) in seinem Redebeitrag vorführen. Hofmann sprach über das Verhältnis von Musik und Lexikographie in den deutschsprachigen Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts. Durch die Generierung musikalischer Fachausdrücke in den Enzyklopädien konnte die Musik, so erläuterte Hofmann, von einem ursprünglich begriffslosen Denken in Tönen auf die Ebene des Objektsprachlichen, des Denkens in Wörtern transformiert werden. Die Lexikographie habe somit die begriffsgeschichtliche Erforschung der Musik beschleunigt.

Die VeranstalterInnen wiesen in ihrem Resümee unter anderem darauf hin, dass bei der Untersuchung von Wissen stets auch die eigene kulturelle Verortung reflektiert werden müsse, damit beispielsweise europäische WissenschaftlerInnen die Gefahr des Eurozentrismus umgehen könnten. Dass die kulturellen und nationalen Voraussetzungen sowie jegliche ordnenden Zugriffe die Objektivität in der Wissensaufbereitung (mithin eben auch die Objektivität in der wissenschaftlichen Analyse der enzyklopädischen Wissensaufbereitung) unterwandern, konnte auf der Tagung hinreichend gezeigt werden. Für eine adäquate Erforschung von Allgemeinwissen und Wissenstransfer müssten weiterhin die jeweiligen ökonomischen, sozialen und technologischen Faktoren der Zivilgesellschaft Berücksichtigung finden. All das, so betonte Madeleine Herren am Ende der Tagung, könne nur durch einen transkulturellen und transdisziplinären Ansatz erfolgreich bewältigt werden.
Die Tagung selbst kann bereits als ein erster Schritt auf diesem Weg gelten: In einer sehr angenehmen Arbeitsatmosphäre war ein fruchtbarer, nationale und kulturelle Grenzen überschreitender, Austausch zwischen internetbegeisterten Bibliothekaren, Museumsleitern, Mediävisten, Historikern, Literatur- und Sozialwissenschaftlern entstanden.