Gewalt in der Frühen Neuzeit. 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit

Gewalt in der Frühen Neuzeit. 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit

Organisatoren
Claudia Ulbrich, Michaela Hohkamp, Claudia Jarzebowski (Freie Universität Berlin)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.09.2003 - 20.09.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Reiner Prass, Arbeitsstelle Historische Anthropologie an der Universität Erfurt

Die Tagung wurde unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Französischen Botschaft.

Als die Frühneuzeithistoriker sich vor zwei Jahren entschlossen, ihre diesjährige Tagung dem Thema "Gewalt in der Frühen Neuzeit" zu widmen, war dies zu einem Großteil der Faszination geschuldet, die dieses Thema durch aktuelle Ereignisse besitzt. Hierdurch war es die politischste aller bisherigen Frühneuzeit-Tagungen, und das war gut so. Doch auch unabhängig von der heute verstärkten Wahrnehmung der Gewaltproblematik besitzt das Fach bereits eine Tradition der Beschäftigung mit diesem Thema, auf welche die Beiträge und Diskussionen rekurrieren konnten.

In sechs Sektionen und einer Podiumsdiskussion wurden die Ausformungen der Gewalt und der Umgang mit ihr sowohl unter historisch-anthropologischer als auch kultur-, sozial- und politikhistorischer Perspektive behandelt. Das Spektrum reichte vom Massaker als einer der exzessivsten Formen der Gewalt über den Umgang mit Gewalt im Alltag der Menschen, der Konfrontation der europäischen Staaten und dem gewaltsamen Kontakt verschiedener Kulturen bis hin zum Zusammenhang von Imagination und Gewalt.

Obwohl es Massaker immer wieder gab und auch heute noch gibt, wurden sie hier nicht als anthropologische Konstante verstanden, sondern sie sollten aus ihrer jeweiligen historischen Konstellation heraus erklärt werden (Hans Medick). Sowohl bei dem Massaker von Bad Frankenhausen 1525 (Peter Burschel) als auch bei der Bartholomäusnacht 1572 (Denis Crouzet) fällt auf, dass schon die Zeitgenossen Probleme hatten, diese Ereignisse zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Wenn ihre angestrengten Erklärungsbemühungen auf die politische Kultur und das Selbstverständnis der damaligen Menschen verweisen, dann zeigt dies deutlich, dass die Massaker nicht allein aus sich heraus verstanden werden können. Vielmehr muss betrachtet werden, wie die jeweilige Gesellschaft in ihrer Zeit insgesamt mit Gewalt umging - und hierfür boten die Beiträge der folgenden Tage ein breites Panorama.

Konflikte führten nicht immer zu Massakern, die damals wie auch heute singuläre Ereignisse waren und sind, außergewöhnliche Eruptionen der Gewalt, welche die Zeitgenossen bereits verstörten. Konflikte mussten keineswegs immer in (ungeregelter) Gewalt münden: Es gab auch zahlreiche Mechanismen zur Regulierung und Minimierung von Gewalt. Besonders bemerkenswert waren diese beim Kontakt der Europäer mit anderen Kulturen. Zwar kam es auch hier zu exzessiver Gewalt: Hèrnan Cortes verantwortete 1552 das Massaker im mexikanischen Cholula (Christian Büschges) und auf der Gegenseite pflegten die Indianer noch im 16. Jahrhundert alle gefangenen Spanier zu töten. Aber es gab auch Versuche zur Regelung des Kriegswesens, wie das Requerimiento, eine Art Kriegserklärung, die den Indianern vor dem Angriff vorgelesen wurde. Während die Forschung - Las Casas folgend - das Requerimento bisher als Legitimierung eines Eroberungsrechts kritisierte, hielt Peer Schmidt dieser Interpretation entgegen, dass es sich um einen Versuch der Begrenzung von Gewalttätigkeiten gehandelt habe. Dass zum Teil auch Ansprüche der anderen Kultur respektiert wurden und es hierdurch zu einvernehmlichen Lösungen kommen konnte, zeigte Mark Häberlein in einer sehr feinsinnigen Mikroanalyse von Konflikten zwischen Indianern und weißen Siedlern im späteren Massachusetts des 17. Jahrhunderts. Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam es, sobald die nordamerikanischen Kolonien im Zuge der zunehmenden Herrschaftsverdichtung die Konfliktlösung einseitig europäischen Rechtsnormen und deren Instanzen unterwarfen. Hingegen bewirkten die britischen Kolonialherren 1707 im indischen Madras, vor dem Hintergrund einer relativ schwachen Position, sogar eine Deeskalation eines drohenden Massakers zwischen zwei Kasten (Martin Krieger).

Auch im Mittelmeergebiet existierten mehr oder weniger deutliche Regelungen der Konfliktaustragung. Kriegsgefangene wurden zum Teil ausgetauscht und auf osmanischer Seite - aus ökonomischen Interessen - meistens vergleichsweise gut behandelt (Suraya Faroqhi). Seit dem 17. Jahrhundert wurde die Kriegführung zunehmend vertragsrechtlichen Normen unterworfen, wobei die säkularer ausgerichteten Franzosen schneller zu Vertragsabschlüssen mit den Osmanen gelangten als die am Kreuzzugsgedanken orientierten Spanier. Diese Konfliktregulierungen wurden erst wieder in Frage gestellt, als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Europäer ihre eigenen Rechtsprinzipien einseitig durchzusetzen versuchten (Christian Windler).

Zeigte sich somit, dass sich der Kontakt zwischen den Kulturen keineswegs in einem rechtsfreien Raum bewegte, kamen die Vorträge, die sich mit der Beilegung zwischenstaatlicher Gewalt in Europa beschäftigten, zu einem ernüchternden Ergebnis. Nach Beendigung eines Krieges bemühten sich die Parteien zwar, künftigen Kriegshandlungen vorzubeugen, über eine Friedensrhetorik gelangten sie aber selten hinaus. Der Mangel des Willens zu echtem Frieden verhinderte die Entwicklung effektiver Mittel (Heinz Duchardt). Allerdings existierte - neben der bereits bekannteren Arbitration - mit der Mediation ein bedeutender Mechanismus, der zur Beendigung zahlreicher (militärischer) Konflikte beitrug (Christoph Kampmann). Stärker noch als die Friedensprojekte der Aufklärer (Lothar Schilling) belegen jedoch die Bemühungen um eine Begründung von Kriegszügen, dass sich die Monarchen im 18. Jahrhundert der Notwendigkeit bewusst wurden, Kriege nicht nur auf politischer Ebene sondern in zunehmenden Maße auch in der Öffentlichkeit als gerecht zu rechtfertigen (Ralf Pröve). Interessant an diesem Fall ist, dass damals eine Tradition der Manipulation von Beweisen für die Öffentlichkeit begründet wurde, die heute wieder eine bedenkliche Blüte erlebt.

Doch auch wenn bei der Behandlung zwischenstaatlicher Gewalt eine abstrakte Handlungsebene erreicht wurde, auf der die Gewalt selbst aus dem Blick zu geraten schien, war das Leben in frühneuzeitlichen Gesellschaften - bei allen Bestrebungen zur Regelung des Miteinanders - bei weitem nicht so gewaltfrei, wie es manch einem Beobachter erscheinen mochte. Dies zeigte sich in jenen Beiträgen, die den Umgang mit Gewalt im Alltagsleben thematisierten. Das betraf zunächst einmal die von außen herangetragene Gewalt in Form militärischer Besetzung. Markus Meumann führte aus, dass sie in der Frühen Neuzeit eine Form von Herrschaft darstellte: Sie diente sowohl zur Vorbereitung einer Annexion als auch zur Verdichtung von Herrschaft nach innen, und die hierbei angewandte Gewalt ist im Zusammenhang der Herrschaftsverdichtung zu sehen. Hierdurch erklärt sich die Tendenz zur Verrechtlichung und zur Begrenzung von Gewalt, hinter dem das Streben nach einem Ausgleich zwischen den Interessen von Militär und Bevölkerung stand. Maren Lorenz warnte anschließend vor einer zu einfachen Begrifflichkeit, weil die bei der Besetzung auftretenden Gewalttätigkeiten wechselnde, von beiden Seiten am Kontext orientierte Bewertungen erfuhren.

Unterschiedliche Beurteilungen erfuhr auch die im dreißigjährigen Krieg erlebte Gewalt in den Selbstzeugnissen von Nonnen und Mönchen. Dabei wirkte auch hier die Unterscheidung zwischen potestas (legitimer Gewalt), die von der eigenen Seite ausgeübt wurde, und violentia (illegitimer Gewalt) durch die Kriegsgegner nur bedingt, denn die Klöster wurden auch von kaiserlichen Truppen bedroht. Klare Zuweisungen gab es nur dann, wenn die Darstellungen von anderen übernommen wurden (Eva Kormann).

Ein anderer Ort beständiger Konfrontation mit Gewalt war das Wirtshaus. Trotz mannigfacher Bemühungen gelang es den Obrigkeiten nicht, in dort die Gewalt zu reduzieren, weil hier der obrigkeitliche Regelungsanspruch auf traditionelle soziale Leitbilder traf. Gleichwohl besaßen die Wirtshausgesellschaften und ihre internen Mechanismen auch stabilisierende und pazifizierende Funktionen (Beat Kümin). Ebenso existierten in den stadtbürgerlichen Gesellschaften zu Beginn der Frühen Neuzeit interne Mechanismen der Gewaltbegrenzung, die jedoch zusehends von einem obrigkeitlichen Regelungsanspruch zurückgedrängt wurden. Dennoch konnten die Soldaten die soziale Kontrolle nicht monopolisieren, der Frieden konnte nur gewährleistet werden, wenn in der Stadt ein Konsens existierte (Joachim Eibach). Das Verhältnis von Gewalt und ihrer Regulierung war letztlich nicht eindeutig, und der obrigkeitliche Anspruch, alltägliche Gewalt einzudämmen und zu regeln, verdrängte bereits existierende Mechanismen.

Diente der Großteil der Beiträge auf dieser Tagung der Abrundung und Ergänzung der in den letzten Jahren erfolgten Untersuchungen zur Gewaltproblematik, so eröffnete eine letzte Sektion zum Zusammenhang von Gewalt und Imagination neue und wichtige Perspektiven. Die "Newen Zeitungen", die schon früh die Anziehungskraft von Gewaltdarstellungen auf ihre Konsumenten nutzten, stellten auch Eingriffe imaginierter Kräfte wie Gott oder Teufel dar (Harriet Rudolph). Hierbei handelte es sich nicht um Symbole, die Menschen glaubten wirklich an das Eingreifen übernatürlicher Kräfte. Wie ein solcher Glaube sich unmittelbar auf einen Menschen, auf seinen Gesundheitszustand auswirken konnte, zeigte Andreas Bähr auf eindrucksvolle Weise am Beispiel des Fleckfiebers. Als "Ungarische Krankheit" von den Menschen des 17. Jahrhunderts gefürchtet, wurde ihre Ursache in mangelndem Gottvertrauen gesehen. Die Menschen glaubten durch den Kontakt mit Andersgläubigen, durch die Ausdünstungen, die durch deren Abgötterei entstanden, krank zu werden. Die Imagination dieser Gefahr und die Angst vor dem Verlust des Seelenheils führten nach damaliger Vorstellung zum Ausbruch der "Ungarischen Krankheit".

Imaginierte Gewalten wurden auch bei der Irischen Rebellion 1641/42 beobachtet, als viele Protestanten Gott zu ihren Gunsten in das Geschehen eingreifen sahen. In diesem Fall kommt der Herkunft der Aussagen eine zentrale Bedeutung zu: Die Ereignisse können lediglich auf der Basis protestantischer Aussagen rekonstruiert werden. Ebenso wie bei den Aussagen der Nonnen und Mönche im dreißigjährigen Krieg existierte hier eine deutliche Differenz zwischen der Schilderung von selbst Erlebtem und Gehörtem: Durch die mündliche Weitergabe wurden Opferzahlen erhöht, Gewaltdarstellungen intensiviert und ein Klima höchster Gewalterwartung geschürt (Ute Lotz-Heumann).

"Kann Gewalt im Recht sein?" - die Frage, unter der die Diskussion stehen sollte, wurde lediglich über die Differenzierung von potestas und violentia thematisiert. Auf der Basis dieser Unterscheidung plädierte Michaela Hohkamp dafür, die Definition von Gewalt durch die je spezifischen Beziehungen der Menschen zueinander zu bestimmen. Auch Gadi Algazi trat für einen relationalen Gewaltbegriff ein, doch band er die Bestimmung der Gewalt an die Definition einer Person: Nur solchen Personen, die als durch Gewalt verletzbar definiert waren, konnte in den Augen der Zeitgenossen auch Gewalt zugefügt werden. Hiergegen traten Kaspar von Greyerz und Peter Waldmann für eine inhaltliche Definition der Gewalt ein, die beide nicht auf direkte, physische Gewalt begrenzt sehen wollten.

Diese Begriffsdiskussion, die auch heutige Erfahrungen mit Gewalt verarbeitete - dies war bei Gadi Algazi und Peter Waldmann besonders virulent -, war Jürgen Kocka offenbar zu modern. Er kehrte den Blick wieder um und fragte nach den Besonderheiten frühneuzeitlicher Gewalt. Die Antworten fielen je nach dem Gewaltbegriff unterschiedlich aus. Sie führten spezifische Inhalte wie Hungersnöte und konfessionelle Gewalt an (Kaspar von Greyerz) oder verwiesen darauf, dass sich die Beziehungen zwischen den Menschen in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert grundlegend unterschieden, woraus für jede Zeit spezifische Gewaltformen und -beziehungen resultierten (Michaela Hohkamp). Dies leitete über zu der Frage nach der Ab- und Zunahme von Gewalt seit der Frühen Neuzeit. Wegen der großen Dunkelziffer an Gewaltdelikten ist es fahrlässig, einen allgemeinen Trend zu behaupten (Gadi Algazi), doch hinsichtlich der Handhabung der Gewalt sind durchaus Entwicklungen erkennbar. Während sich in der Frühen Neuzeit das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen begann, erleben wir heute in vielen Ländern dessen Dekonstruktion (Peter Waldmann).

Insgesamt überzeugte die Tagung durch die Vielfalt der Inhalte und methodischen Ansätze. Dabei ließ man die bisher dominierende Beschäftigung mit den Ursachen der Gewalt zumeist hinter sich und fragte nach den Mechanismen, ihrer Regelung und Reduzierung. Dies ist offensichtlich den Problemen der heutigen Zeit geschuldet, die sich einer offenbaren Zunahme der Gewalt gegenübersieht. Das zeigte, wie sensibel die Organisatorinnen und ReferentInnen auf aktuelle Probleme reagierten, zeigte aber auch, welchen Beitrag die Frühneuzeitforschung zur Sensibilisierung für die vielfältigen Formen von Gewalt in unserer Zeit und den Umgang mit ihnen leisten kann.


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