Täufertum als religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit

Täufertum als religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Gerd Schwerhoff, Teilprojekt F „Gottlosigkeit und Eigensinn. Religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit“; Sonderforschungsbereich 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“; Technische Universität Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.10.2010 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Annette Scherer, Sonderforschungsbereich 804, Technische Universität Dresden

Weniger die Fragen nach religiöser Identität und sozialer Praxis der täuferischen Gruppen, sondern stärker die Mechanismen ihrer Ausgrenzung und Prozesse der Fremd- und Selbstzuschreibung standen im Mittelpunkt des Workshops „Täufertum als religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit“. Dieser Zugang zur Thematik sei von der Täuferforschung bisher zugunsten der Betrachtung der Eigenperspektive der täuferischen Akteure noch zu wenig beachtet worden, so GERD SCHWERHOFF (Dresden) in seiner Einleitung zum Workshop. Im Zentrum der auf der Veranstaltung diskutierten Texte und einleitenden Kommentare der Referentinnen/des Referenten standen demgemäß Fragen nach den bei den Obrigkeiten, der Bevölkerung oder den Täufern selbst bestehenden, vielfältig ineinandergreifenden „Täuferbildern", deren zeitgenössischer Anwendung und Modifizierung. Der Begriff des Täufers wurde hierbei vornehmlich als ein Begriff der Zuschreibung verstanden. Über die Einnahme dieser Forschungsperspektive wurde ein direkter Anschluss an bzw. Austausch mit dem Teilprojekt „Gottlosigkeit und Eigensinn. Religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit“, in dessen Kontext der Workshop sich verortete, erreicht. Unter der Annahme, dass ein bestimmtes Verhalten erst durch Normsetzung und Normanwendung von außen als deviant beschrieben wird, versucht das Forschungsprojekt, verschiedene Formen religiöser Devianz und deren Konsequenzen für die soziale und politische Ordnung ausgewählter frühneuzeitlicher Stadtgesellschaften zu identifizieren und mögliche Kontinuitäten und Wandlungen in den Definitionsmustern sowie in der Sanktionspolitik der Gemeinwesen auszumachen. Dabei werden nicht nur abweichende Bekenntnisse, wie das täuferische, sondern auch individuelle Abweichungen von christlichen Grundnormen in die Untersuchung einbezogen, sodass sich hier im Rahmen der Veranstaltung auch erste übergreifende Vergleiche zu den vielfältigen Arten religiöser Devianz ergaben. Ausgehend von den zu diskutierenden Beiträgen galt es somit, bestehende Ansätze der Forschung kritisch gegeneinanderzustellen und gemeinsam neue Perspektiven in der Diskussion abzuwägen.

ASTRID VON SCHLACHTA (Innsbruck) wies in ihrem Beitrag auf die stark politisch bedingte Ausgrenzung der täuferischen Gruppen hin. Die Geschichte der Exklusion der Täufer sei dabei auch als eine sprachliche zu sehen. So müsse der Diskrepanz zwischen den internen Aussagen der Täufer und ihrer Außenwahrnehmung und Rezeption größere Beachtung geschenkt werden. Religiös begründete Einstellungen der Täufer zu politischen Punkten, insbesondere zum Amt der Obrigkeit, zum Eid und zum Waffentragen, seien zu den grundlegenden Aspekten geworden, die das Verhältnis zur Obrigkeit definierten. In der obrigkeitlichen Wahrnehmung seien „Täufer“ und „Aufruhr“ daher stark in Verbindung miteinander gedacht worden. Das Zusammenspiel zwischen den Ereignissen „Bauernkriege“ bzw. „Münster“ und den Täufern habe sich in der obrigkeitlichen politischen Kommunikation zudem noch bis ins 18. Jahrhundert argumentativ verwerten lassen, um die Täufer als Modell für Aufruhr und Rebellion darzustellen und ihren Ausschluss zu begründen. Versuche der Täufer, sich (insbesondere ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts) durch Schriften von den politischen Vorwürfen zu distanzieren, sich als „christlich“, nicht „deviant“, als „mennonitisch“, nicht „anabaptistisch“ darzustellen, seien hingegen von mäßigem Erfolg gewesen. Mit der Verortung der Täufer im Bereich der Policey und der politischen-sozialen Ordnung habe die Obrigkeit gleichzeitig die Forderung der Täufer nach Gewissensfreiheit umgehen können. Der als Störung der Ordnung wahrgenommene, öffentliche (als Religion sichtbare) abweichende Glaube sei konsequent als politisch brisant gesehen worden.

Von wem die Bezeichnung „Wiedertäufer“ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Stadt Köln situativ gebraucht wurde und welche Assoziationen mit ihr verbunden waren, untersuchte MATHILDE MONGE (Paris), insbesondere anhand der Kölner Turmbücher (Verhörprotokolle), in ihrem Beitrag. Als auffällig kennzeichnete Monge, dass im Laufe des untersuchten Zeitraums „religiöse“ Fragen (zum Beispiel bestimmte Glaubenspunkte betreffend) in den Verhören seltener geworden seien. Höchstens die Taufe der Verdächtigten sei weiterhin thematisiert worden. Eine Etikettierung von Verhafteten als „Wiedertäufer“ lasse sich zudem auch für Personen feststellen, die nicht aus Glaubensgründen aufgegriffen wurden, deren täuferische Verbindungen aber aus anderen Zusammenhängen bekannt waren. Hier sei das Wort „Wiedertäufer“ von der Obrigkeit und ihren Agenten auch im rein attributiven Sinn gebraucht worden. Interessanterweise sei die – ursprünglich der obrigkeitlichen Sprache eigene, ausgrenzende und negativ besetzte – Bezeichnung „Wiedertäufer“ sukzessive von den Täufern selbst aufgegriffen worden. Allerdings sei die Verwendung des Begriffs „Wiedertäufer“ zur Selbstbezeichnung, so Monge, ausschließlich im Dialog mit der Obrigkeit nachweisbar. Andere Begriffe, wie der der „Gemeinen Gesellschaft“, seien stattdessen zur positiven Selbstidentifikation genutzt worden. Monge griff weitere Aspekte der obrigkeitlichen Strafverfolgung gegen die Täufer auf und stellte unter anderem zur Diskussion, inwieweit die Verfolgung und Gefangennahme des Täufertums Verdächtigter von den jeweiligen Motivationen und Blickrichtungen der Obrigkeiten abhängig waren, die vermeintliche Täufer eventuell nur aufgrund zeitweiliger gezielter Suche fanden.

Dass die Frage, wer Täufer war, im zeitgenössischen Diskurs nicht unumstritten bzw. die Antwort hierauf nicht unveränderlich war, machte PÄIVI RÄISÄNEN (Helsinki) deutlich. Anhand württembergischer Kirchenvisitationsakten des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts zeigte Räisänen, dass Kriterien, anhand derer die Obrigkeit Täufer zu identifizieren suchte (wie der vernachlässigte Gottesdienst- oder Abendmahlbesuch), sowie Kategorien, in welche die Verdächtigten ihrer Gefährlichkeit nach eingestuft wurden (wie Vorsteher, Verführte, Sympathisanten), sich zum Teil erst in der konkreten Auseinandersetzung mit den vermeintlichen Dissidenten, so zum Beispiel während der Visitationsverfahren, entwickelten oder modifizierten. Die Bezeichnung „Täufer“ sei dementsprechend auch als ein obrigkeitliches Konstrukt und vornehmlich als Etikett zu verstehen. Räisänen betrachtete neben der obrigkeitlichen Ebene auch die der als Täufer Etikettierten selbst und fragte nach deren möglichen Handlungsspielräumen und Strategien zur Zurückweisung der an sie gerichteten Vorwürfe, die, laut Räisänen, abhängig von Schwere und Häufigkeit der bisherigen Verdachtsmomente verschieden sein konnten. Zudem dürfe die Bedeutung privater und wirtschaftlicher Beziehungen für ein unbemerktes Leben in der Dorfgemeinschaft nicht unterschätzt werden, gleiches gelte für mögliche Handlungsspielräume bereits als Täufer Verurteilter (beispielsweise bei zeitweiliger Rückkehr Landesverwiesener in die Heimat). So seien auch Denunziationen vonseiten der Dorfbewohner – zumindest im Kontext der Visitationen – selten und eher von privaten Interessen bestimmt als religiös motiviert gewesen.

TIM H. DEUBEL (Dresden) nahm in seinem Beitrag die Basler Ereignisse um den Täuferführer David Joris in den Blick. Joris war mit seinen Anhängern 1544 nach Basel gekommen und lebte dort, unter falschem Namen eingebürgert, bis zu seinem Tod im Jahr 1556. Nach Bekanntwerden seiner wahren Identität wurde Joris postum verbrannt, seine Anhänger mussten seinen Lehren öffentlich abschwören. Deubel wies darauf hin, dass der Basler Rat mit hoher Wahrscheinlichkeit schon zu Joris‘ Lebzeiten um dessen eigentliche Identität gewusst hatte und sich somit gezwungen sehen musste, sein spätes Eingreifen in diesem auch über die Stadtgrenzen hinaus Aufsehen erregenden Fall plausibel zu rechtfertigen. Die 1559 durch die Universität Basel ausgearbeitete, durch den Rat der Stadt autorisierte Schrift zu den Ereignissen um David Joris seit seiner Ankunft in Basel „David Georgen ausz Holand des Ertzkätzers warhafftige histori, seines lebens, vnnd verfürischen leer“ diente Deubel als Ausgangspunkt für seine Frage nach den Strategien der Selbstdarstellung der Basler Obrigkeit, die sich, laut Deubel, als gnädige wie ordnungserhaltende Macht inszeniert sehen wollte. Gleichzeitig wies Deubel auf die vorangegangene lange Dauer friedlichen Zusammenlebens hin, die er durch Joris‘ selbstverständliche Teilhabe am kirchlichen und gemeindlichen Leben sowie seine wirtschaftlichen Verhältnisse und finanzielle Freigiebigkeit gegenüber der Gemeinschaft erklärte.

In der abschließenden Diskussion wurde die Frage, wie verschiedene Elemente abweichenden Verhaltens in den Verfolgungsmotiven gegenüber den Täufern miteinander verbunden waren, noch einmal aufgegriffen. Insbesondere wurde ein Ineinandergreifen des religiösen und des politischen Aspekts der Verfolgung thematisiert, wenngleich eine zeitgenössisch klare Trennung des Religiösen und Politischen nicht behauptet oder aus der Beobachterperspektive versucht werden sollte. Inwieweit die Täufer mit der Ausbildung von gewissen Glaubenssätzen (etwa zum Eid) eine besondere Stellung unter den konfessionellen Gruppen einnahmen und inwiefern eine spätere, partielle Integration der Täufer auch über eine Änderung der zeitgenössischen Wertungen dieser Punkte sowie durch eine Veränderung der Eigenperspektive der Täufer auf diese Aspekte stattgefunden habe, bleibe noch genauer zu hinterfragen. Hiermit zusammenhängend wurde für eine Fortführung der Diskussion über die Begriffe (religiöser Devianz, des Wiedertäufers, usw.) selbst und deren zeitgenössische Besetzung, Anwendung und Behauptung plädiert. Auch die Frage, aus welchen situativen Kontexten heraus ein abweichender Glaube (plötzlich) sanktioniert werden konnte oder musste, wurde abschließend vergleichend diskutiert. Das Verhältnis von Heimlichkeit und Öffentlichkeit trat hierbei in den Fokus, wobei auch auf die Ambivalenz beider Begriffe verwiesen wurde. So konnte Heimlichkeit mit größerer Gefährlichkeit, aber auch mit stiller Akzeptanz der Ordnung assoziiert werden. Die Problematik einer „wissenden Ignoranz“, wie sie sich zum Beispiel im Fall David Joris zeige, sei allerdings nicht nur bei religiöser Abweichung zu beobachten. Ein genereller Abgleich von Forschungsergebnissen zu den Täufern als verfolgte Gruppe mit denen zu anderen als deviant etikettierten Glaubensgemeinschaften sowie ganz allgemein zu anderen frühneuzeitlichen Strafdelikten, sowohl zur Normsetzung, zu Mechanismen der Verfolgung als auch zur Sanktionierungspraxis, wurde von den Teilnehmern des Workshops als eine Perspektive gewertet, die es auch zukünftig stärker einzubeziehen gelte.

Konferenzübersicht:

Gerd Schwerhoff (Dresden): Einleitung

Astrid von Schlachta (Innsbruck): „Bauernkrieg“ und „Münster“ – zwei politische Themen und die Täufer

Mathilde Monge (Paris): Who Is in the „Society of Christian Brothers“? Anabaptist Identity in Sixteenth-Century Cologne

Päivi Räisänen (Helsinki): Die Visitation als Verhör und Verhandlung. Vom Prozeß des Täufer-Werdens im Württemberg des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts

Tim H. Deubel (Dresden): „David Georgen ausz Holand des Ertzkätzers warhafftige histori“. Analysen zu einer Selbstdarstellung des Basler Rats im Umgang mit einem Täuferführer und seinen Anhängern


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