Iconic Turns. Nation and Religion in Eastern European Cinema since 1989

Iconic Turns. Nation and Religion in Eastern European Cinema since 1989

Organisatoren
Exzellenzcluster "Religion und Politik", Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.06.2010 - 20.06.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Alexander Kraus, Abteilung für osteuropäische Geschichte, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Am Anfang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Medium Film steht oftmals eine speziellen Zuneigung, wenn nicht Passion für die bewegten Bilder: Nicht selten ist es das Objekt selbst, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sich in den Vordergrund drängt und die Fragestellung ins Hintertreffen geraten lässt. Doch alle Begeisterung über das eigene Quellenmaterial und dessen augenscheinliche Anschaulichkeit vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass bei einer interdisziplinären Tagung wie Iconic Turns. Nation and Religion in Eastern European Cinema since 1989 die Teilnehmer mit einer babylonischen Sprachenvielfalt in Sachen methodischem Zugang konfrontiert sind. Diese sprachliche Mannigfaltigkeit macht mitunter ein Sprechen in einer gemeinsamen Sprache über das Medium und das, was es uns zu erzählen vermag, zu einer keineswegs leichten Aufgabe.

Und damit wären wir auch schon mitten im iconic turn angekommen, der angetreten ist, um dort weiterzuhelfen, wo der linguistic turn versagte: im Feld der Wahrnehmungen und der Übersetzung derselben mitsamt dem dazu notwendigen methodischen Handwerkszeug. Wie Jochen Hörisch in seiner Theorie-Apotheke formuliert: „Wer einmal versucht hat, seine Wahrnehmung eines Sandstrandes, eines Parkettfußbodens oder einer Blümchentapete so zu beschreiben, daß sich dem Zuhörenden ein schlüssiges Bild des Wahrgenommen ergibt, weiß ein Lied davon zu singen, daß Wahrnehmung eine Größe ist, an dem frohgemute linguistic-turn-Rhetoriken abgründig scheitern.“ 1 Diesen Rhetoriken à la Richard Rorty setzte der iconic turn optische Medien entgegen – nicht zuletzt Filme. Die Organisatoren der Tagung formulierten dahingehend die Ausgangsthese, dass insbesondere Filme nach dem Ende des Kalten Kriegs „Bilder, Mythen und Erzählungen“ angeboten hätten, die dem Kinozuschauer umfassende Identitätsangebote vermittelten. Denn – so eine Erkenntnis des späten 20. Jahrhunderts: Welterkennen und -verstehen erfolge zumeist visuell. Wie versuchten nun die Tagungsteilnehmer die „Eroberung der Welt als Bild“ – um ein Diktum Martin Heideggers aufzugreifen – zu fassen?

Nun, offensichtlich nicht mit einer gemeinsamen Sprache. Denn über die Konferenztage ist es doch eher selten gelungen, sich eine solche und dementsprechend einen einheitlichen Zugang zum visuellen Material zu erschließen. Zu selten fanden die beteiligten Medien-, Film- und Literaturwissenschaftler, Slavisten wie Historiker in den Diskussionen einen Konsens über das, was in den Vorträgen vorgestellt und an filmischem Material präsentiert wurde – und vor allen Dingen, wie letzteres zu deuten sein sollte. Dies mag aber auch dem quellenspezifischen Beziehungsgeflecht zwischen Filmsujet, Regisseur, Kameramann, Finanzierungstrust, Vertrieb, Kinotheater, Filmkritik, Zuschauer und gewiss nicht zuletzt dem Historiker, Medien- und/oder Sprachwissenschaftler geschuldet sein, das in den einzelnen Vorträgen unterschiedlich stark Berücksichtigung fand: Den Historiker wird die Rezeption in der Regel mehr interessieren als den Filmwissenschaftler. Dass dessen ungeachtet zahlreiche eindrucksvolle Vorträge zur Diskussion gestellt wurden, vermag vielleicht der folgende exemplarische Durchgang durch die Sektionen zu zeigen:

So fragte in der Sektion Power(s) and Identities LILIYA BEREZHNAYA (Münster) mittels einer Analyse aktueller russischer religiöser Filme (z.B. „The Fall of an Empire“ oder „Earthly and Heavenly“) danach, wie innerhalb dieser imperiale und religiöse Wendemarken und die Suche nach dem verlorenen Imperium reflektiert werden. Gerade in den durch das Moskauer Patriarchat querfinanzierten Filmen werde letzteres als ein idealer Staat präsentiert, dessen kulturelles Erbe bewahrt und zugleich in ein neukonstruiertes imperiales Selbstbild transformiert werden solle. Auch EVA BINDERs (Innsbruck) Analyse von Pavel Lungins Film „Tsar“ (2009), einem Historienfilm über die Regierungszeit Ivans des Schrecklichen, zeigte, wie sehr Filme der Putin-Ära an traditionelle Mythen des Zarenreiches anknüpfen: Solange Russland in den Händen der Kirche liege, gehe es ihm gut. Filmischer Patriotismus werde in der durch Putin betriebenen Kulturpolitik staatlich subventioniert – die große Welle von Historienfilmen liege auch darin begründet. NICOLE KANDIOLER (Wien) dagegen widmete sich in der Sektion Memory and War Andrzej Wajdas „Katyn“ und reflektierte die darin verhandelten nationalen Mythen, die ästhetische Sprache des Films hinsichtlich historischer und zeitgenössischer Identitäten sowie das Verhältnis von „Self and the other“. In ihrer Einzelfilmanalyse vermochte sie so zu zeigen, welche Geschichten „Katyn“ gerade nicht erzählt: die der nichtpolnischen Toten. Stattdessen ermöglicht Wajda den gefallenen katholischen Polen in der finalen Szene symbolisch jenes Begräbnis, das den Opfern Katyns verwehrt wurde. In MARIJANA ERSTIĆs (Siegen) Analyse des bosnischen Antikriegsfilms „No Man's Land“ rückten dagegen Äußerlichkeiten in den Fokus: Inszenierungen von Männlichkeit, Nationalität und Religiosität über Militäruniformen und sichtbar getragener Symbole.

Die letzte Sektion Imagining the Sacred and the Secular eröffnete CHRISTIAN SCHMITT (Münster) mit einer Analyse des ungarischen Films „Taxidermia“ (2006). Dieser erzählt die Geschichte des Landes anhand der Spuren, die sie im Körper hinterlässt. Dabei fokussiert der Regisseur György Pálfi allerdings auf eher groteske Körperfunktionen, um die an die Geschichte des Landes gekoppelten Körper-Regime zu visualisieren: Faschismus – Erbrechen, Kommunismus – Masturbation, Post-Industrialismus – Selbstverstümmelung. JAN ČULIK (Glasgow) wiederum zeigte anhand eines umfangreichen Samples tschechischer Filme, wie das ursprünglich präsente religiöse Moment im tschechischen Film der 60er Jahre durch den Kommunismus transformiert und verloren gegangen sei. Die Filme der letzten zwanzig Jahre zeigen religiöse Motive nur äußerst selten – wenn doch, so stünden sie sinnbildlich für religiöse Intoleranz, mangelnde Flexibilität und gesellschaftliche Unterdrückung. ALFRUN KLIEMS und MATHIAS MESENHÖLLER (Leipzig) präsentierten schließlich anhand dreier Filme aus Ungarn, Polen und Russland, wie die Leere und Weite der eurasischen Steppenlandschaften als utopische und dystopische Projektionsfläche für Identitätsdiskurse fungiert: mit ebenso einfachen wie strikten autoritären Regeln und Gesetzen, keinerlei abstrakten Prinzipien folgend.

Wenn auch in der hier vorgestellten Auswahl der titelgebende Dualismus von Religion und Nation annähernd gleich gewichtet präsentiert wird, so dominierte in der Gesamtheit der Vorträge doch letztere – Religion erschien nicht selten als bloße Randnotiz. Der iconic turn als Diskussionsobjekt wiederum rückte über die Konferenztage hinweg immer weiter in den Hintergrund: Das Spezifische des Mediums Film fand in den Diskussionen der Einzelbeiträge nur selten Berücksichtigung. Wenn auch die Wahrnehmungen und Analysen der filmischen Bilder oft strittig waren, stand doch die Bedeutung der „neue[n] Rolle des Bildes in der gesellschaftlichen Kommunikation“ insbesondere für das sich im Wandel befindliche Osteuropa seitens der Teilnehmer außer Frage. 2 So gilt abschließend zu konstatieren, dass der interdisziplinäre iconic turn wenngleich noch nicht greifbar, so doch immerhin spürbar wurde – als Herausforderung und Hürde, aber auch als Versprechen.

Tagungsübersicht:

Eröffnungsvortrag
Film und Religion im Osten Europas. Historische und theoretische Aspekte eines interdisziplinären Themas
Hans-Joachim Schlegel, Berlin

Sektion Power(s) and Identities
Moderation: Hans-Joachim Schlegel, Berlin

Religious Diversity and Catholic Identity. Remembering Polish Jews in Jolanta Dylewska’s Polin
Izabela Kalinowska-Blackwood, New York

The Power, the People, and the Role of Religion in the Films of Pavel Lungin, Russia
Eva Binder, Innsbruck

Empire and Nation in Russian Religious Films
Liliya Berezhnaya, Münster

Sektion Memory and War
Moderation: Natascha Drubek-Meyer, Regensburg / Martina Winkler, Münster

A Cinematic Churchman. Metropolitan Andrei Sheptytsky in Oles Yanchuk’s Vladyka Andrei, Ukraine
John-Paul Himka, Edmonton

Representing the Unrepresentable. Katyn (Poland, 2007) by Andrzej Wajda
Nicole Kandioler, Wien

No Man‘s Land oder: Religion und Nation im Kriegsfilm aus Bosnien
Marijana Erstic, Siegen

Do Not Be Afraid! – A Must See Movie about War & Love? The (Re-)Birth of “Sacred Nationalism” and “Patriotic Religiosity” in Armenian Films
Harutyun Harutyunyan, Münster

Sektion Imagining the Sacred and the Secular
Moderation: Hans-Ulrich Thamer, Münster

Freak Nation. György Pálfi’s Taxidermia and Community’s Grotesque/Sacred Body
Christian Schmitt, Münster

The Godless Czechs. The Construction of a National Mythology in Post-Communist Czech Cinema
Jan Čulik, Glasgow

The Imaginary of the New Romanian Cinematographers and the Christian Orthodox Iconography
Doru Pop, Cluj

The Gods and the Void. Nation and Religion in East European Steppe Movies
Alfrun Kliems und Mathias Mesenhöller, Leipzig

Anmerkungen:

1 Jochen Hörisch, Theorie-Apotheke. Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen, Frankfurt am Main 2004, S. 135.

2 Willibald Sauerländer, Iconic turn? Eine Bitte um Ikonoklasmus, in: Christa Maar/Hubert Burda (Hg.), Iconic turn. Die neue Macht der Bilder, Köln 2004, S. 407-426, S. 411.


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