Katholische Aufklärung und Josephinismus

Katholische Aufklärung und Josephinismus

Organisatoren
Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V.
Ort
St. Florian, Österreich
Land
Austria
Vom - Bis
01.08.2011 - 04.08.2011
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Von
Werner Chrobak, Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg

Die Wahl des Augustiner-Chorherrenstifts St. Florian als Tagungsort war im Blick auf das Thema „Josephinismus und katholische Aufklärung“ bewusst gewählt, bot dieses Stift doch einen prächtigen Tagungsrahmen als eines der Klöster, das die Aufhebung durch Kaiser Joseph II. unbeschadet überstanden hatte. Auf diesen Umstand wies PAUL MAI (Regensburg), Vorsitzender des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte seit 1983, in seiner Begrüßung eigens hin. In einem eigenen Vortrag anstelle des erkrankten Referenten Helmedach legte er Sinn und Zweck des 1958 in Königstein im Taunus gegründeten Instituts näher dar: die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der katholischen Kirche in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, weiter gefasst auch in den Gebieten Ostmitteleuropas. Anknüpfend an den neu erschienenen Band „Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V. 1988-2010“ zeigte er die Forschungslinien der Arbeitstagungen der letzten 22 Jahre auf.

Angesichts zahlreicher Forschungsfortschritte auf dem Gebiet des Josephinismus warfen die Tagungsmoderatoren RAINER BENDEL (Tübingen) und NORBERT SPANNENBERGER (Leipzig) in ihrer Tagungseinführung die Frage auf: Ist die traditionelle Polemik in katholischen Kirchen- und Historikerkreisen gegenüber Joseph II. gerechtfertigt? Noch grundsätzlicher gefragt: Stehen Aufklärung und Kirche zwangsläufig in einem Gegensatz? Joseph II., Sohn und Mitregent Maria Theresias, hatte als Kaiser (1765-1790) für die Länder der Habsburger Monarchie als aufgeklärt-absolutistischer Monarch ein System des Staatskirchentums eingeführt. Dieses wies der Kirche eine dem Staat gegenüber dienende Rolle zu. Mit dem Schlagwort „Josephinismus“ verbindet sich bis heute die Erinnerung der Aufhebung der in Josephs II. Augen „unnützen Klöster“ – so sie nicht der Krankenpflege oder Bildung dienten –, des Verbots von Prozessionen, Wallfahrten und der Bruderschaften usw. Umgekehrt intensivierten eine verbesserte Bildung des Klerus, die Errichtung neuer Pfarreien, neuer Bistümer und ein verbessertes Schulsystem das kirchliche und religiöse Leben.

Ein Dutzend Referenten aus Deutschland und dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie suchten Antworten auf die Fragen der Kirchlichkeit und aufgeklärten Modernität der josephinischen Maßnahmen. Eine erste Serie widmete sich regionalen Perspektiven im Vergleich, wobei Böhmen, Ungarn, die Ostslowakei und Südtransdanubien in den Focus genommen wurden.

ODŘEJ BASTL (Prag) eröffnete den Vortragsreigen mit einem Blick auf Böhmen, ein klassisches Land des Josephinismus. Joseph II. habe Böhmen und Mähren durch eine Inspektionsreise 1771 persönlich kennen gelernt und erfolgreich gestaltet. Referent Bastl selbst beurteilte – im Anschluss etwa an Fritz Valjavec oder Eduard Winter – viele der Reformen Josephs II. als positiv: die Reorganisation der Kirchenverwaltung, die Vermehrung der Pfarreien, die Gründung neuer Bistümer (wie Brünn, Budweis, Leitmeritz und Königgrätz), die Neuorganisation theologischer Studien. Sie seien durchaus als Reformschritte zum Wohle der Kirche zu sehen. In den Prager Archiven warte, so Bastl, eine große Menge Quellenmaterial auf eine Auswertung im Hinblick auf die josephinischen Reformen, beispielsweise bezüglich Klosteraufhebungen, Anstellung und Besoldung des Klerus.

ISTVÁN SOÓS (Budapest) nahm demgegenüber Ungarn unter die Lupe. Dabei hob Soós hervor, dass Joseph II. mit seinem Toleranzedikt von 1781 und seiner gemilderten Zensurverordnung von 1782 in den Kreisen der ungarischen Führungsschichten zunächst auf große Zustimmung gestoßen sei. Die weiteren Maßnahmen, die auf eine Modernisierung des Staates, nicht aber der Gesellschaft abzielten, hätten aber einen Stimmungsumschwung herbeigeführt, weil der aufgeklärte Herrscher die Neuerungen auf dem Verordnungswege über seinen Staats- und Beamtenapparat ohne Rückkopplung und Dialog mit der ungarischen Ständeversammlung bzw. dem Adel durchgesetzt habe. 1790 habe sich ihm die gesamte Gesellschaft verweigert.

PETER ŠOLTÉS (Preßburg/Bratislava) beleuchtete näherhin das konfessionell gemischte Grenzgebiet des nordöstlichen Ungarn/Ostslowakei. Anhand der beispielhaften Untersuchung der drei nördlichsten Komitate (Archidiakonate) des Bistums Erlau, nämlich Schrosch, Abaujwar und Zemplen, machte er die Rivalitäten zwischen griechisch-katholischen, römisch-katholischen, evangelischen und reformierten Pfarreien deutlich, die sich der Staat teilweise durch unterschiedliche Besoldungshöhen zunutze machte. Trotz des Toleranzpatents von 1781 habe es in Friedhofs-, Feiertags- und Mischehenfragen ein erhebliches Konfliktpotential zwischen den Konfessionen gegeben.

ZOLTÁN GÖZSY (Fünfkirchen) konzentrierte sich auf die Diözesen Veszprém und Fünfkirchen/Südtransdanubien. Gözsy glaubte im 18. Jahrhundert drei Phasen der katholischen Aufklärung ausmachen zu können. Bereits in der ersten Phase habe die „Canonica visitatio“ von 1738-1742 die Anforderungen eines neuen Priesterbildes widergespiegelt, in dem Fleiß, Frömmigkeit, Bildung und die Beherrschung mehrerer Sprachen (Ungarisch, Latein, Deutsch, Kroatisch, Slawonisch, Italienisch) für einen erfolgreichen Seelsorger als Maßstäbe angesetzt wurden. Die Seelsorge, die „cura animarum“, sei zum Hauptbegriff der katholischen Aufklärung geworden. Während Maria Theresia in der zweiten Phase die Kirche primär auf der Ebene der Bischöfe für Interessen des Staates zu vereinnahmen suchte, habe Joseph II. dies in der dritten Phase über die Ebene des unteren Klerus versucht.

GYÖRGY JANKA (Nyíregyháza) griff aus dem kirchlichen Spektrum die griechisch-katholische Kirche heraus. Das Referat wurde wegen Erkrankung des Referenten verlesen. Hier waren es, laut Janka, zähe Bestrebungen Maria Theresias aus aufgeklärtem Denken, ein sogenannter „theresianischer Josephinismus“, der den griechisch-katholischen Kirchen in Ungarn aus staatspolitischem Denken einen verbesserten Status verschaffte. Der entscheidende Schritt sei die Gründung dreier griechisch-katholische Bistümer in Ungarn durch die Kaiserin – 1771 Munkatsch, 1777 Körös und Großwardein – mit päpstlicher Anerkennung gewesen. Dies habe die Emanzipation der griechisch-katholischen von der lateinisch-katholischen Kirche Ungarns bedeutet, der sich ein organisatorischer, geistiger und kultureller Aufschwung anschloss.

HORST MIEKISCH (Bamberg) hob die Beziehungen des Würzburger und Bamberger Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal (1779-1795) zu Joseph II. hervor. Der einem alten Rittergeschlecht am Main entstammende Franz Ludwig habe nach einem Studium der Theologie und Jurisprudenz praktische Verwaltungskenntnisse am Kaiserhof in Wien erworben. Von Kaiser Joseph II. zum Wirklichen Geheimen Rat und zum kaiserlichen Konkommissar – neben dem Prinzipalkommissar – auf dem Regensburger Reichstag ernannt, habe er als Fürstbischof von Bamberg josephinische Reformideen exemplarisch außerhalb der österreichischen Stammlande – vom Bau von Schulhäusern und der Gründung eines Schullehrerseminars bis hin zur Errichtung des „Allgemeinen Krankenhauses“ – verwirklicht.

Eine zweite Serie ordnete die Vorträge den Themen „Schule – Priesterbild – Ökumene“ zu. Zuerst griff ANDREAS HEGEDÜS (Gran) die Priesterbildung in Ungarn und die Errichtung der Generalseminare heraus. Er zeigte auf, dass in der Auflösung der Priesterseminare der einzelnen Diözesen und der Errichtung der sogenannten Generalseminare ein Grund für die offene Gegnerschaft zwischen der damaligen Hierarchie und dem Kaiser lag. Der Versuch, der Kirche die Priesterausbildung zu entziehen, wurde nach Josephs II. Tod durch die Auflösung der Generalseminare wieder rückgängig gemacht.

WERNER SIMON (Mainz) richtete sein Augenmerk auf Benedikt Strauch (1724-1803) und die Reform der Schule und Katechese in Schlesien im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Entsprechend dem Axiom, dass die Aufklärung einen gebildeten Menschen zum Ziel hatte, der durch ein tugendhaftes Leben individuelles Glück erreichen und das allgemeine Wohl fördern sollte, habe sich das schlesische Augustiner-Chorherrenstift Sagan in Niederschlesien, so Simon, mit einer Reform des niederen Schulwesens in den 1760er-Jahren überregional hervorgetan. Allerdings sei als Promotor dieser Reform in der Forschung bisher stets der Saganer Abt Johann Ignaz Felbiger (1724-1788) groß herausgestellt worden. Simon wies nun nach, dass der unter Felbinger amtierende und mit ihm befreundete Prior Benedikt Strauch viele der unter dem Namen Felbigers überlieferten Schriften verfasst oder mitverfasst habe.

Die Linie des biographischen Zugangs zu wichtigen Materien der katholischen Aufklärung setzten zwei weitere Vorträge fort: NORBERT JUNG (Bamberg) befasste sich mit Franz Stephan Rautenstrauch und seiner Rolle im Fall Isenbiehl. Der Fall Isenbiehl hatte in den Jahren 1777 bis 1779 eine der größten theologischen Turbulenzen der Aufklärungszeit ausgelöst, weil Isenbiehl – ein Mainzer Exeget – bei der Deutung der Jesaja-Schriftstelle 7,14 die Jungfrauengeburt abgelehnt hatte. Isenbiehl hatte Franz Stephan Rautenstrauch, den Abt von Brevnov-Braunau, 1775 als einen der Ersten um eine Stellungnahme gebeten, ohne dass dieser daran Anstoß nahm, was nach Verurteilung des Werks Isenbiehls als Häresie durch den Papst 1779 nicht unproblematisch war.

NORBERT SPANNENBERGER (Leipzig) stellte „Abt Pyrker OCist. als Grenzgänger zwischen Zeiten, Reichen und Systemen“ vor. Spannenberger charakterisierte den durch seine Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus vom Abt des Zisterzienserkloster Lilienfeld zum Zipser Bischof, zum Patriarchen von Venedig und Primas von Dalmatien und schließlich zum Erzbischof von Erlau/Eger aufgestiegenen Pyrker als Kirchenmann an der Schnittstelle von ausklingendem Josephinismus zum aufkeimenden Nationalismus. Er habe die Ideale der katholischen Aufklärung bezüglich Bildung und Engagement für das Gemeinwohl und den Staat nochmals engagiert im Bereich seiner Diözesen umgesetzt, nicht ohne am Schluss vom aufsprießenden ungarischen Nationalismus stark angefeindet zu werden.

RAINER BENDEL (Tübingen) deckte Bezüge zwischen Aufklärung und Ökumene auf. Ökumene umriss Bendel als ein höheres Maß an Toleranz und Öffnung zwischen den Konfessionen, als ein Begegnungsforum in Reformgedanken. An vier Beispielen zeigte er exemplarisch dieses ökumenische Denken der Aufklärung auf: am „Dioecesanblatt für die Fürstbischöflich Breslauer Dioeces“ von 1803 bis 1820, an der 1782 bis 1784 in Prag und Wien erschienen Zeitschrift „Religion und Priester“, an dem sogenannten „Fuldaer Plan zur Wiedervereinigung der Konfessionen“ des Fuldaer Benediktinermönchs Peter Böhm und des Kasseler reformierten Theologen Johann Rudolf Anton Piderit und am Lebensschicksal des Breslauer Fürstbischof Leopold Graf Sedlnitzky (1836-1840).

FRANZ LEANDER FILLAFER (Konstanz) suchte aus fünf biographischen Skizzen „drei Stufen josephinischer Sinnbildung“ zu eruieren, und zwar aufgrund der Lebensläufe von Maksimilijan Vrhovac (1752-1827), Gergely Berzeviczy (1763-1822), Franz Széchényi (1754-1820), György Fejér (1766-1851) und Leo Thun (1811-1888). In der Wertung des Josephinismus glaubte er die drei Stufen zu erkennen: erstens die Ausblendung der machtstaatlichen Substanz der josephinischen Reformen durch die deutschsprachigen aufgeklärten Gefolgsleute Josephs II. und die Stilisierung des Herrschers als „gekrönten Menschenfreund“, zweitens das Ausklammern der projosephinischen Sympathien, welche die später als Wegbereiter des „nationalen Erwachens“ stilisierten Aufklärer hegten, und drittens das Vergessenmachen der skeptischen Sicht der nationalliberalen Reformaktivisten durch viele überzeugte Spätaufklärer.

In der Generaldiskussion am Ende der Tagung ergab sich als ein Resümee: Kirche und Aufklärung stehen nicht in einem zwangsläufigen Gegensatz zueinander. Die Aufklärung wirkte als Katalysator zur Rückbesinnung der Kirche auf ihre eigentlichen Wurzeln und Aufgaben. Joseph II. hatte mit seinen Maßnahmen dem Verhältnis Glaube und Vernunft staats- und kirchenpolitisch bedenkens- und beachtenswerte Wege bereitet. Die praktische Seelsorge, der Ausbau der Pfarr- und Bistumsorganisation, der Schulunterricht mit didaktisch aktualisiertem Religionsunterrichtsplänen, die Bildung der Geistlichen und die Pflege des karitativen Bereiches erhielten ein neues Gewicht. Freilich darf auch die Instrumentalisierung der Kirche zum Staatsnutzen nicht übersehen werden. Die Tagung erbrachte nach Ansicht der auf die Josephinismus-Epoche spezialisierten Referenten wie auch des veranstaltenden Instituts bedeutende Forschungsfortschritte auf diesem mit neuen offenen Fragestellungen angegangenen Komplex des Staat-Kirche-Verhältnisses des 18. Jahrhunderts. Wichtig ist die differenzierte Beurteilung des Josephinismus als tragende Gestaltungskraft der Epoche. Die Schwarz-Weiß-Urteile aus polemisch kirchlichem Standpunkt oder apologetisch staatlichem Standpunkt können durch die Forschungsfortschritte als überwunden gelten. Rationale Elemente, bezogen auf den Nützlichkeitsfaktor in der Gesellschaft, stehen der Religiosität und Kirchlichkeit nicht unbedingt entgegen. Als Musterbeispiel erwies sich hierfür das Feld der Schule und Katechese. Weitere Forschungsmöglichkeiten bieten sich insbesondere auch im Hinblick auf bisher unbekannte bzw. wenig bekannte Quellen zum Status des Klerus in dieser Zeit – etwa im Staatsarchiv in Prag – an. Eine Exkursion zum Benediktinerstift Kremsmünster (Tassilokelch im Klosterschatz) und zum Zisterzienserstift Schlierbach rundete die Tagung ab.

Konferenzübersicht:

Paul Mai (Regensburg): Aufgaben und Forschungsziele des Instituts

Ondřej Bastl (Prag/Praha): Die Einschätzung der Reformen Josephs II. in Böhmen

István Soós (Budapest): Rezeption des Josephinismus in der ungarischen Elite

Peter Šoltés (Preßburg/Bratislava): Rezeption und Folgerungen der josephinischen Kirchenreformen im konfessionell gemischten Grenzgebiet des nordöstlichen Ungarn/Ostslowakei

Zoltán Gözsy (Fünfkirchen/Pécs): Die Phasen der katholischen Aufklärung in den Diözesen Veszprem und Fünfkirchen - im Spiegel der Canonica visitationes in Südtransdanubien

András Hegedüs (Gran/Esztergom): Priesterbildung in Ungarn unter der Regierungszeit von Joseph II. mit besonderer Berücksichtigung des Generalseminars in Preßburg

György Janka (Nyíregyháza): Auswirkungen der Aufklärung auf die griechisch-katholische Kirche

Werner Simon (Mainz): Benedikt Strauch (1724–1803). Reform der Schule und Reform der Katechese in Schlesien im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts

Norbert Jung (Bamberg): Franz Stephan Rautenstrauch – seine Rolle im Fall Isenbiehl

Norbert Spannenberger (Leipzig): Abt Pyrker OCist. als Grenzgänger zwischen Zeiten, Reichen und Systemen

Horst Miekisch (Bamberg): Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg (1779-1795) und seine Beziehungen zu Joseph II.

Rainer Bendel (Tübingen): Aufklärung und Ökumene

Franz Leander Fillafer (Konstanz): Drei Stufen josephinischer Sinnbildung


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