Bayern und Russland in vormoderner Zeit. Wegmarken der Annäherung bis in die Zeit Peters des Großen

Bayern und Russland in vormoderner Zeit. Wegmarken der Annäherung bis in die Zeit Peters des Großen

Organisatoren
Kommission für bayerische Landesgeschichte; Institut für Bayerische Geschichte an der LMU München; DHI Moskau
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.02.2012 - 24.02.2012
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Von
Gabriele Greindl, Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Unter diesem symptomatischen Titel fanden sich Ende Februar in den herrlichen Räumen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften russische, ukrainische und deutsche Historiker zusammen, um einem zahlreichen, sehr interessierten Publikum, das an einer regen Diskussion teilnahm, die verschiedensten Aspekte der vormodernen Kontakte zwischen Bayern, dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und den großen, im Osten entstandenen Reichen der „Rus“ zu erläutern und zu beleuchten.

Diese von der Kommission für bayerische Landesgeschichte und dem Institut für Bayerische Geschichte an der LMU München in Zusammenarbeit mit dem erst 2005 gegründeten deutschen Historischen Institut in Moskau erarbeitete Tagung konnte mehr als zahlreiche Kontakte zwischen den frühen Gesellschaften in Mittel- und Osteuropa nachweisen, weit mehr, als bisher zu vermuten gewesen war.

Wie ALEKSANDR V. NAZARENKO (Moskau) am Donnerstag ausführte, waren es vor allem die Regensburger Kaufleute, die diesen internationalen Fernhandel nach Osten dominierten – Kaufleute, die man hierzulande „Ruzarii“ nannte – und deren erste, heute noch nachweisbare Kontakte mit russischen Fellhändlern in die Mitte des 10. Jahrhunderts datieren.

Nach der Eröffnung der Tagung durch den Kommissionsvorsitzenden Alois Schmid (München) und Andrej Doronin (Moskau), dem wissenschaftlichen Mitarbeiter und Kurator für den deutsch-russischen Wissenschaftsaustausch am DHI Moskau am Abend des 22. Februar, war bereits deutlich geworden, dass man mit dieser Tagung wirkliches Neuland betrat, da man bisher vor allem die deutsch-russisch-ukrainischen Beziehungen ab der Zeit Zar Peters (1689-1725) betrachtet hatte, nun aber mit diesem Symposion die vielfältigen Verbindungen, die ihre Anfänge noch vor der ersten Jahrtausendwende hatten, in den Fokus rückten.

Der Osteuropahistoriker CHRISTIAN LÜBKE (Leipzig), der diese frühen Epochen schon durch zahlreiche Publikationen beleuchtet hatte, wies in seinem Abendvortrag zunächst auf zwei aktuelle Ausstellungen hin - die Berliner Ausstellung zu der tausendjährigen deutsch-polnischen Beziehung und dann die im Sommer in Moskau stattfindende Ausstellung zu 1000 Jahren deutsch-russischer Beziehung. Insofern darf diese Tagung auch durchaus als Vorbereitung für diese Ereignisse betrachtet werden und über allem mag die von Lübke zitierte Aussage Lew Kopelews von der Wahlverwandtschaft zwischen Russen und Deutschen stehen. Dies trifft ab dem 18. Jahrhundert in einem umfassenden, in einem zweiten Symposion zu beleuchtenden, Maße zu – diese Wahlverwandtschaft ist komprimiert in die Zeilen Puschkins eingeflossen, die noch heute jedes Schulkind in Russland lernt:
„Von der Natur ist uns aufgetragen / nach Europa ein Fenster durchzuschlagen“, die der Regensburger Osteuropa-Historiker Hermann Beyer-Thoma in seinem Vortrag
„Bayern in Russland in der Zeit Peters des Großen“ zitierte, in dem er zum Abschluss der Tagung am Freitag in die noch weiter zu beleuchtenden Epochen führte.

Erste Ost-West-(Handels)-Kontakte sind aber schon ab dem frühen 9. Jahrhundert nachweisbar, wie Lübke detailreich unter dem Titel „Von West nach Ost – von Ost nach West: Wahrnehmungen, Perspektiven und Strategien zwischen Rhein und Wolga vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart“ vor einem sehr interessierten Publikum ausführte. Die Handelskontakte mit „dem Rus“, wie die pauschale Bezeichnung über Jahrhunderte lautete, werden schon im Dietenhofener Kapitular von 805 erwähnt, später in der Raffelstetter Zollordnung (903/06), als Nowgorod seine herausragende Stellung als Umschlagplatz einzunehmen begann, eine Stadtentwicklung, der Alexandr V. Nazarenko am nächsten Tag besondere Aufmerksamkeit schenkte. Neben dem Handel mit Pelzen, Honig, Wachs und Sklaven setzten schon im 9. Jahrhundert die Versuche der römisch-katholichen Kirche ein, über die Kontakte von St. Emmeram in Regensburg Einfluss zu nehmen auf die endgültige Glaubensentscheidung in den riesigen Reichen im Osten. Schon 921 waren in ähnlichen Bemühungen die Abgesandten des Kalifen von Bagdad an die Wolga gereist, um ihrerseits für den Glauben des Propheten zu werben. Endgültig entschieden wurden diese Fragen dann Mitte des 10. Jahrhunderts, als König Wladimir „den Rus“ dem oströmisch-byzantinischen Glaubens- und Einflussgebiet zuführte.

Die vielfäligen Ost-West-Kontakte wurden auf oberster Ebene immer wieder durch Heiratsverbindungen des Hochadels unterstützt – so heiratete Kaiser Heinrich IV. 1089 Eupraxia von Kiew, die in ihren neuen Heimat dann Adelheid genannt wurde. Diese Ehe endete zwar rasch in einem unguten Rosenkrieg, worauf MAXIMILIAN LANZINNER (Bonn) in dem ersten Vortrag am Freitagmorgen hinwies. Insofern war der Rückgriff, den der bayerische Kaufmann Georg Liebenauer hier auf die Geschichte nahm, um Herzog Albrecht V. Mitte des 16. Jahrhunderts ein Bündnis des Kaisers mit dem Zaren gegen die den Westen bedrohenden Türken schmackhaft zu machen, historisch nicht ganz richtig. Aber immerhin habe damals das Reich durch diese Heirat erst einmal „Ruhe gehabt“, wie Liebenauer schrieb.
Diese politisch ruhigeren Zeiten ermöglichten es den Fernhändlern umso mehr, ihre Kontakte zu forcieren, neue Niederlassungen im Ostseeraum zu gründen und so auch die Herrschaftsansprüche des Deutschen Ordens in diesem Gebiet zu untermauern.

Das Ausgreifen immer weiter nach Osten, die Städtegründungen, der Bau von Burgen, die Schaffung von Handelsniederlassungen, all das fand dann Mitte des 13. Jahrhunderts ein vorläufiges Ende, als nach dem großen Mongoleneinfall 1241 im folgenden Jahr 1242 Alexander Newskij die schweren Panzerreiter des Deutschen Ordens auf einen zugefrorenen See lockte, dessen Eis im Schlachtengetümmel brechen musste – ein Geschehen, das Sergej Eisenstein 1938 in fulminante Bilder goss mit der am Ende eingeblendeten Botschaft, dass alle Freunde willkommen seien, alle Feinde jedoch zurückgeschlagen werden.

Bevor sich der Gastgeber ALOIS SCHMID (München) mit der Herrschaftsexpansion Kaiser Ludwigs des Bayern in diese Länder unter dem Titel „Ludwig der Bayer und der Osten“ beschäftigte, vor allem auch mit der vom Kaiser erbauten „Bayerburg“ nahe Tilsit an der mittleren Memel im heutigen Lettland, konnte MARGIT KSOLL-MARCON (München), die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns am Donnerstagvormittag die Russland-Berichte von Johann Georg Korb, die heute einen großen Quellenbestand in den bayerischen Archiven bilden, vorstellen und deuten. WINFRIED MÜLLER (Dresden) hatte zunächst zu Beginn dieser Session seine Zuhörer sehr instruktiv an den Verzweigungen des in seiner Bedeutung bisher unterschätzten Russlandhandels teilnehmen lassen; er beleuchtete die „Via regia: Die bedeutendste Ost-West-Verbindung der Vormoderne und ihre Verzweigungen nach Süddeutschland“.

Der Nachmittag gehörte dann drei russischen Referenten, zunächst VASILIJ IVANOV (Izhevsk), der über „Die Auseinandersetzungen um Staat und Kirche am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayerns und die Debatten in der russischen Publizistik des 16. Jahrhunderts“ referierte. Hatte Schmid ausgeführt, dass die Gründung der Bayerburg nicht nur militärische Aspekte hatte, sondern zugleich kirchliche – die Bayerburg sollte der Mittelpunkt eines gleichnamigen Bistums werden – so beschäftigte sich Ivanov auch mit der Funktion Münchens als Zentrum der im 14. Jahrhunderts fortschrittlichsten und wegweisendsten theologischen Diskussionen, als Kaiser Ludwig der Bayer die großen Theologen, die Franziskanermönche Marsilius von Padua, Wilhelm von Ockham und andere am Münchner Hof versammelt hatte. Marsilius von Paduas „Defensor pacis“ hatte Mitte des 14. Jahrhunderts erstmals die Idee der Volkssouveränität formuliert und Wilhelm von Ockham hatte vehement gegen die scholastisch geprägten, schwierigen und umfassenden theologischen Erläuterungen sein heute sogenanntes „Occam`s rasor“ gesetzt, die Aussage, dass nur das folgerichtig ist, was sich knapp und präzise erläutern lässt. Diese neuen Denkanstöße, die die hochmittelalterliche Welt im Westen erschütterten, strahlten weit nach Osten aus, trafen dort aber auf eine Ostkirche, die schon im 10. Jahrhundert die sogenannte „Symphonie“ ausgebildet hatte, das heißt den engen Zusammenhalt zwischen Kirche und Staat. Dazu hatte sich durch die Ehe Iwans III. mit der byzantinischen Prinzessin Sofia Palaiologa die Annäherung an Byzanz noch enger gestaltet und Moskau war zum dritten Rom geworden, übernahm das byzantinische Hofzeremoniell und beherrschte so in einer Weise die Kirche, die in Westeuropa nach dem Investiturstreit überhaupt nicht mehr denkbar war. Trotzdem rissen die wechselseitigen Kontakte nicht ab, immer wieder gingen bedeutende russische Kleriker nach Westen, ins Deutsche Reich und dann in das Italien der Renaissance – Maximin III. lernte hier sogar den Florentiner Bußprediger Savonarola kennen.

Der russische Organisator der Tagung, ANDREJ DORONIN (Moskau), beschäftigte sich dann weiter mit der jeder Nation jeweils eigenen Geschichtsschreibung und Geschichtsüberlieferung – er verglich in seinem spannenden Vortrag die Geschichtsmodelle des bayerischen Historiografen Johannes Aventinus, der seine bedeutenden Werke zu Beginn des 16. Jahrhunderts geschrieben hatte, mit dem Gedankengebäude des russischen Aufklärers, Chemieprofessors und berühmten Geschichtsschreibers Michail Lomonossow, dessen Name ja die große Moskauer Universität trägt.

OLEG F. KUDRJAVCEV (Moskau) erläuterte anschließend die Texte von Johannes Fabri, einem in Leutkirch/Allgäu geborenen und in Altbayern ausgebildeten Gelehrten, der in seiner Darstellung des religiösen Lebens der Moskoviter Bevölkerung eine große Nähe zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen sah, ganz dezidiert aber gegen die protestantische Kirche argumentierte und hier auch den Deutschen ins Gewissen zu reden versuchte, zum echten Glauben zurückzukehren und sich das isolierte, aber so lebendige Moskauer kirchliche Leben zum Vorbild zu nehmen.

RAINALD BECKER (Bayreuth) griff diesen Faden auf und sprach lebendig und äußerst kenntnisreich über „Russland in der süddeutschen Gelehrtenkultur des 16. und 17. Jahrhunderts“. Hierbei machte er wiederum den Unterschied zwischen der römisch-katholischen Kirche und der russisch-orthodoxen deutlich, in der das gemalte Bild – das vera icon – zum Gebet anleiten soll, nicht aber eine plastische Gestalt, wie sie der Jesuitenpater Wilhelm von Gumppenberg Ende des 17. Jahrhunderts russisch-orthodoxen Geistlichen bei deren Besuch in Ingolstadt zeigte. Gumppenberg hatte schon 1672 seinen „Atlas Marianus“ veröffenlicht, einen Atlas, in dem er alle Marienheiligtümer Russlands verzeichnet hatte. Die wechselseitigen kirchlichen Kontakte, das Interesse an der jeweils anderen, aber nicht gänzlich fremden Glaubenswelt, war also nicht nur um die erste Jahrtausendwende gegeben, sondern setzte sich erfolgreich all die folgenden Jahrhunderte fort. Auf diese bisher so wenig beachteten Aspekte hingewiesen zu haben, eine mögliche Anregung für weitere Forschungen zu geben, das ist sicher das große Verdienst dieser Tagung im Februar 2012.

Am festlich gestalteten Donnerstagabend, der mit der Begrüßung durch den Präsidenten der Bayerischen Akademie, Karl-Heinz Hoffmann, begann und mit einem Empfang der Staatsregierung beschloss, sprach Frau Staatsministerin Emilia Müller das Grußwort. Die Ministerin war gerade von der bewegenden Gedenkveranstaltung in Berlin für die Opfer des Neonazi-Terrors zurückgekommen und wies nun in eindrucksvollen Worten nicht nur auf die Notwendigkeit der europäischen Zusammenarbeit hin, sondern gerade auch auf die Förderung der europäischen und kontinentalen Integration durch die Vertiefung der gegenseitigen kulturellen Beziehungen und der Kenntnis gerade auch der Geschichte und Religion des jeweiligen Partners.

Wie offiziös die deutsch-russischen Beziehungen bereits in der Frühen Neuzeit waren, das erläuterte dann der zweite Vorsitzende der Historischen Kommission, HELMUT NEUHAUS (München), in seinem Abendvortrag über „Russische Gesandtschaften auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit“. Das eindrucksvolle Bild im Plakat zur Veranstaltung zeigt ja einen Teil der russischen Gesandtschaft, die 1576 auf dem Regensburger Reichstag erschienen war. Sofort und immer wieder in Stichen gezeigt, sogar als Wandgemälde in Regensburg verewigt, haben diese Gesandten in der typischen Bojaren-Tracht, die sich wiederum von der Tracht der Tartaren herleitete, wie ein russischer Kollege bemerkte, die Aufmerksamkeit völlig auf sich gezogen. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts waren stets größere russische Gesandtschaften auf den Reichstagen anwesend, wie auch umgekehrt immer wieder Legaten des Reiches nach Moskau reisten, immer noch auch mit der Vertretung des Rechtsanspruches des Deutschen Ordens auf die Ländereien in Livland und Lettland beschäftigt. Diese Betrachtungen, so Neuhaus, führen nicht nur zu einem genaueren Einblick in die Machtverhältnisse im östlichen Mitteleuropa, sondern auch zu einem besseren Verständnis der Verfasstheit des Reiches und dessen „im Ständestaatlichen begründeten Defizits außenpolitischen Handelns“.

Den abschließenden Freitag begann MAXIMILIAN LANZINNER (Bonn) mit einem spannenden Vortrag über „Die Wahrnehmung „moskovitischer Handlungen“ am Münchner Hof im 16. Jahrhundert“. Drei große Faszikel mit über 1500 Folio-Seiten zu den „moskovitischen Handlungen“ liegen heute noch im Archiv des bayerischen Geheimen Rats. Verfasser war der oben schon genannte Georg Liebenauer, der immer wieder auf „die dapferen reussen“ verwies, deren Hilfe gegen die Osmanen man durchaus in Anspruch nehmen könne. Diese einzigartige Denkschrift wurde schon 1900 von russischen Historikern ausgewertet, aber erst 1969 in einer deutschen Abhandlung bekannt gemacht. Neben dieser Schrift, zahlreichen Flugblättern und handgeschriebenen Zeitungen – all dies stellt längst ein eigenes, hochinteressantes Forschungsgebiet dar – gehört zu diesen Archivalien auch die bedeutendste Informationsquelle der damaligen Zeit, die „rerum moskoviticarum commentarii“ des Siegmund von Herberstein. Die Dokumente, die sich in den Münchner Archiven zu den Reichstagen von Mitte bis Ende des 16. Jahrhunderts finden, geben nicht nur Einblick in die immer noch nicht gelösten Konflikte um Livland und Lettland, sondern zeigen auch die Versuche der Vorgänger von Zar Peter dem Großen auf, „doctores und maister in allerlay kunsten“ – Bergbauexperten, Ärzte und Architekten – anzuwerben, wie dies der Kaufmann Hans Schlitte während des Reichstages von 1547/48 in einer Audienz bei Kaiser Karl V. erfolgreich versuchte. MICHAIL BOJCOV (Moskau) beschäftigte sich dann mit einem einzigen Reichtstag – er erläuterte „Die Regensburger Erlebnisse der Vertreter Iwans des Schrecklichen im Jahr 1576“, Erlebnisse, die in Russland immer weiter ausgeschmückt wurden und die schließlich Kaiser Maximilian als äußerst würdigen Greis in einem Alter von 109 Jahren schilderten, um ihm so besondere Ehre zu erweisen.

Den „Moskovitica in der Raritätenkammer des Münchner Hofes“ widmete sich anschließend der Münchner Historiker HELMUT ZEDELMAIER (München). In der Münchner Kunstkammer des 16. Jahrhunderts, deren Inventar uns ja durch Johann Baptist Fickler überliefert ist – es liegt in einer dreibändigen Edition der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vor – gab es nur relativ wenig „Moskovitica“ – bemalte Holzgegenstände, Trinkgeschirr, etliche Münzen und ein einizges Gemälde. Diese Bestände haben sich in den folgenden Jahrhunderten erweitert, besonders da die Handelsbeziehungen immer intensiver wurden. Dies war auch das Thema des nächsten Vortrages, den WOLFGANG WÜST (Erlangen) einem staunenden Publikum darbot. Unter dem Titel „Die Handels- und Kulturbeziehungen süddeutscher Reichsstädte zum „Dritten Rom“ (Moskau) und zum zaristischen Russland. Die Epoche von Ivan III. (1462-1505) bis zu Peter I. dem Großen (1689-1725)“ beschäftigte er sich vor allem mit Augsburger Kaufmannsfamilien, die über ihre Antwerpener Kontore – der Stadt, in der ja Zar Peter den Zimmermanns-Beruf erlernt hatte – engen Kontakt nach Russland pflegten. Zar Peter selbst war in einer längeren Reise 1698 bis Wien gekommen, hatte dann aber – bedingt durch den Strelitzen-Aufstand – relativ bald die Rückreise über die Donau, das Schwarze Meer und den Dnjepr antreten müssen.

Die Nachmittagssession eröffnete HANNELORE PUTZ mit ihrem Blick auf die Widerspiegelung dieser Ereignisse in den nach Rom gesandten Berichten der Moskauer Jesuiten. Hannelore Putz sprach über „Die Moskauer Ereignisse des Jahres 1689. Ein Beitrag zum Berichtswesen der Jesuiten“ und zeigte die Bedeutung dieser innerkirchlichen Berichte in einer Zeit auf, da staatliche diplomatische Vertretungen noch nicht vor Ort waren. Pater Georg David SJ, der Moskau erst 1686 erreicht hatte, verfasste einen Bericht über den Strelitzen-Aufstand, ein Aufstand, der der Gesellschaft Jesu selbst zum Verhängnis werden sollte. Im Oktober 1689 erhielten sie vor dem Gerichtshof der Gesandten ihre Ausweiseorder, einzig und allein aus Gründen der Religion, wie ausdrücklich betont wurde. Sie mussten innerhalb von 48 Stunden Moskau verlassen, aber aufgrund des bisher so guten Verhältnisses stellten ihnen die Moskauer Beamten Reisekleidung und Packpferde zur Verfügung. LJUDMILLA JU. POSOKHOVA (Charkiw) erweiterte anschließend die Betrachtungen auf die heutige Ukraine und verfolgte das Thema der religiösen Kontakte weiter, indem sie ausführlich über „Bayerische Jesuiten und Kleriker in Kollegien der Ukraine (17. Jahrhundert)“ sprach.

Der oben schon zitierte Regensburger Osteuropa-Historiker Beyer-Thoma verfolgte am Nachmittag den Weg der „Bayern in Russland in der Zeit Peters des Großen“. Er mahnte nun aber, gegen Ende der Tagung, zur Vorsicht im Umgang mit den zum Teil erstaunlichen Ergebnissen und betonte immer wieder, dass die Kontakte Moskaus in der Frühen Neuzeit nach wie vor zum größten Teil über die Ostsee nach Schweden liefen oder nach Südwesten direkt nach Wien zum Kaiserhof.

PETER CLAUS HARTMANN (Mainz/München), schon des öfteren Mitinitiator der großen Tagungen der Kommission für bayerische Landesgeschichte, referierte im Anschlussvortrag über „Pietas Bavarica – Pietas Russica: Formen der Barockfrömmigkeit und – kultur im Vergleich“ und schloss damit den Bogen zum Vortrag von Rainald Becker am Vortag. Die Betonung der Bilder, der Ikonen in der Ostkirche bei gleichzeitiger Ablehnung der plastischen Darstellung der Heiligen kann nicht über die vielen Gemeinsamkeiten hinwegtäuschen – die zahlreichen Wallfahrten in beiden Kulturen, die Heiligen- und Reliquienverehrung und nicht zuletzt in der Bausubstanz der Kirchen, deren Türme in Bayern wie in Russland so oft von Zwiebelhauben gekrönt sind.

In der die gesamte Tagung abschließenden Diskussion betonte der Gastgeber Prof. Alois Schmid nochmals, dass die zwanzig Redebeiträge als „Wegmarken der Annäherung“ zu verstehen sind, als ein doch erstaunlicher Blick auf die Ost-West-Kontakte, die schon vor der Jahrtausendwende einsetzten, letztlich aber erst im 18. Jahrhundert zu voller Blüte gelangten. Dieser Zeit, die dann in die Moderne heraufführen wird, wird eine zweite Tagung gewidmet sein, auf die man jetzt schon gespannt sein kann. Den Boden dafür bereitet zu haben, viel Hochspannendes und Interessantes aus der langen wechselseitigen Geschichte präsentiert zu haben, dies ist das unbestreitbare Verdienst dieser Tagung über „Bayern und Russland in vormoderner Zeit“ gewesen.

Konferenzübersicht:

Christian Lübke, Leipzig: Von West nach Ost – Von Ost nach West: Wahrnehmungen, Perspektiven und Strategien zwischen Rhein und Wolga vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit

Winfried Müller, Dresden: Via regia: Die bedeutendste Ost-West-Verbindung der Vormoderne und ihre Verzweigungen nach Süddeutschland

Margit Ksoll-Marcon, München: Berichte über Rußland in den Staatlichen Archiven. Bayerns am Beispiel des Rußlandreisenden Johann Georg Korb

Alexandr V. Nazarenko, Moskau: Die Regensburger Ruzarii: der bayerisch-russische Handel des 10. bis 13. Jahrhunderts

Alois Schmid, München: Ludwig der Bayer und der Osten

Andrej Doronin, Moskau: Auf der Suche nach der eigenen Nation: Modelle einer nationalen Geschichtsschreibung zwischen Aventinus und Lomonossow

Wasilij Ivanov, Izhevsk: Die Auseinandersetzungen um Staat und Kirche am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayern und die Debatten in der russischen Publizistik des 16. Jahrhunderts

Oleg F. Kudrjavzev, Moskau: „Moscovitarum religio“: „Heilige Rus“ oder „Der russische Traum des Johannes Fabri“

Rainald Becker, Bayreuth/München: Russland in der süddeutschen Gelehrtenkultur des 16. und 17. Jahrhunderts

Abendvortrag
Grußwort: Staatsministerin Emilia Müller

Helmut Neuhaus, Erlangen: Russische Gesandtschaften auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit

Maximilian Lanzinner, Bonn: Die Wahrnehmung „moskowitischer handlungen“ am Münchner Hof im 16. Jahrhundert

Mihail Boyzov, Moskau: Der Regensburger Reichstag von 1576 (nach russischen Quellen)

Helmut Zedelmaier, München: Moskovitica in der Raritätenkammer des Münchner Hofes

Wolfgang Wüst, Erlangen: Die Handels- und Kulturbeziehungen süddeutscher Reichsstädte zum „Dritten Rom“ (Moskau) und zum zaristischen Rußland. Die Epoche von Ivan III. dem Großen (1462-1505) bis zu Peter I. dem Großen (1689-1725)

Hermann Beyer-Thoma, Regensburg: Bayern in Rußland in der Zeit Peters des Großen

Ljudmilla Ju. Posokhova, Charkow: Bayerische Jesuiten und Kleriker in Kollegien der Ukraine (17. Jahrhundert)

Hannelore Putz, München: Die Moskauer Ereignisse des Jahres 1689. Ein Beitrag zum Berichtswesen der Jesuiten

Peter Claus Hartmann, Mainz/München: Pietas Bavarica – Pietas Russica: Formen der Barockfrömmigkeit und -kultur im Vergleich

Schlussdiskussion


Redaktion
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