Konstruktionen der mittelalterlichen Christianitas – geistige und ordnungspolitische Entwicklungslinien

Konstruktionen der mittelalterlichen Christianitas – geistige und ordnungspolitische Entwicklungslinien

Organisatoren
Villa Vigoni
Ort
Loveno di Menaggio
Land
Italy
Vom - Bis
11.04.2012 - 13.04.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Larissa Düchting / Judith Werner, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Unter dem Motto „Konstruktionen der mittelalterlichen Christianitas – geistige und ordnungspolitische Entwicklungslinien“ trafen sich vom 11.–13. April 2012 16 Doktoranden aus Deutschland, Luxemburg, der Schweiz und Italien in der Villa Vigoni um mittels verschiedener Zugänge Rückschlüsse auf die Christianitas zu ziehen. Die Besonderheit des Kolloquiums bestand im diskussionszentriert konzipierten Gesprächsformat: Statt ihre Arbeiten direkt vorzutragen, reichte jeder der Teilnehmer im Vorfeld ein Thesenpapier ein, das von jeweils zwei Respondenten aus dem Kreis der Promovierenden mit einer thesenartigen Zusammenfassung bzw. einer kritischen Stellungnahme vorgestellt wurde, worauf jeweils eine allgemeine Diskussion folgte. Das Doktorandengespräch war in drei Sektionen unterteilt, wobei es in der ersten um Ideen – Verfahren – und Organisation der Christianitas gehen sollte. Hierbei wurde zunächst von TIM GEELHAAR (Frankfurt am Main) festgestellt, dass der Begriff der christianitas, so wie er heute in der Forschung Verwendung findet, nicht in den Quellen erscheint, da er dort vor allem ab 751 als Ehrenanrede verwendet wurde und nicht im geographisch politischen Sinne. Im Anschluss wurde von JUDITH WERNER (Erlangen) die Zuschreibung päpstlicher Autorität vorgestellt, wobei die Frage aufgeworfen wurde, ob sich dabei in den inneren und äußeren Merkmalen der Papsturkunden für verschiedene Empfängergruppen Unterschiede feststellen lassen. JAN RÜTTINGER (Bamberg) untersuchte anhand von Silvesterlegenden-Darstellungen, ob es eine typische Darstellung der christianitas in der sakralen Kunst des römischen Umfeldes gibt und fand heraus, dass zwar die ikonographische Darstellung der Ecclesia verbreitet ist, nicht aber die der christianitas. Die päpstliche Registerführung wurde von VERONIKA UNGER (Erlangen) daraufhin analysiert, wie ausgeprägt die Schriftlichkeit in der päpstlichen Verwaltung im 9. Jahrhundert war. Hier sollte vor allem der Mythos, dass es unter jedem Papst ein Register gab, das sich einfach nicht erhalten habe, entkräftet werden. ANDREAS HOLNDONNER (Erlangen) setzte sich mit der Frage auseinander, wie sich die Beziehungen zwischen dem Papsttum und dem Erzbistum Toledo nach 1085 gestalteten und konnte hier aufzeigen, das auch Konflikte eine Integration nicht zwingend verhindern müssen, solange die Kommunikation weiterhin gegeben ist. Ebenfalls über die päpstlichen Beziehungen arbeitete GÁBOR BARABÁS (Pécs/Erlangen), allerdings bezüglich Ungarns zwischen 1196 und 1241, wobei hier eine wechselhafte Beziehung zwischen den Päpsten und den jeweiligen Herrschern postuliert werden konnte. Von CHRISTINA MAYER (Berlin) wurden die kommunalen Bündnis- und Kommunikationsnetzte im Patrimonium Petri des 13. Jahrhunderts vorgestellt, wobei sie aufzeigen konnte, dass auch Selbstorganisation nicht zwingend die Aberkennung von päpstlicher Autorität bedeuten musste.

In der zweiten Sektion sollte es um Räume und Horizonte der christianitas gehen. LARISSA DÜCHTING (Erlangen) fragte, ob es durch die Heiligenverehrung zur Erschließung der christianitas in Süditalien im 8.-11. Jahrhundert kam, wobei sie aufgrund der Partikularität der Region keine integrierende Wirkung der gesamten Bevölkerung feststellen konnte. ELENA TEALDI (Mailand) untersuchte das prophetische Werk Vade mecum in tribulatione des Johannes von Rupescissa, das den Autor als einen Verkünder sieht und im Gegensatz zu seinen anderen Werken die politische Perspektive zugunsten einer spirituellen reduziert. Über die Beziehungen zwischen dem Papsttum und Apulien in der normannischen Zeit forschte CLAUDIA ALRAUM (Erlangen), die eine Integration Apuliens in die römische Kirchenstruktur feststellen konnte, wofür vor allem die Kommunikation entscheidend war. Mit Vorstellungen und dem Stellenwert von Zukunft setzte sich HANS-CHRISTIAN LEHNER (Erlangen) auseinander, der dazu die Kölner Königschronik untersuchte und dabei besonders feststellen konnte, dass Himmelserscheinungen und ähnliches eine besondere Bedeutung für die Zukunftserwartungen auslösen konnten.

Die letzte Sektion setzte sich mit den Trägergruppen der christianitas auseinander. Dazu untersuchte LUCIA DELL’ASTA (Mailand) die Kathedralkapitel Bergamos auf ihre Träger und deren jeweiligen Beziehungen zueinander, sowie deren Interaktion. Mit der Konstruktion und Symbolik von Grenzen und Schwellenräumen beschäftigte sich KERSTIN GROER (Dresden), die besonders die Regionen hervorhob, in denen weltliche und geistliche Sphären im Kloster aufeinandertrafen; es wurde untersucht, wie mit diesen umgegangen wurde. ISABELLE MOSSONG (Berlin/Straßburg) zeigte anhand von spätantiken Inschriften die Selbstdarstellung des christlichen Klerus, der ein altes und bekanntes Medium zu einem neuen Zweck genutzt habe, nämlich um seine Stellung in der spätantiken Gesellschaft zu untermauern. Zuletzt stellte PHILIP ZIMMERMANN (Zürich) die Bedeutung der Armenfürsorge für die Bischofsherrschaft in der Merowingerzeit vor und konnte dabei aufzeigen, dass diese einem Bedeutungswandel unterworfen war, der dazu führte, dass die Armenfürsorge letztlich durch Gesetzte geregelt werden musste.

In der Abschlussdiskussion wurden erneut die Fragen aufgeworfen, die während der Besprechung der einzelnen Beiträge und in den Schlussdiskussionen nach jeder einzelnen Sektion aufgekommen waren. So wurde zur Debatte gestellt, ob der Begriff christianitas durch andere Alternativen ersetzt werden kann und eine Sensibilisierung für den Unterschied zwischen Quellensprache und Begrifflichkeit gefordert. Vielfach wurde die christianitas in den diskutierten Beiträgen mit der Papstkirche gleichgesetzt; es gab aber auch Ansätze, diese in einen größeren Zusammenhang, wie beispielsweise Klöster, Laien oder Expertenkulturen zu stellen. Die Konstruktionen der christianitas wurden eher als Netzwerke und weniger als Hierarchien gesehen, die Kommunikation lief horizontal ab. Auch wurde die Problematik des Begriffs „Herrschaft“ angesprochen und über Alternativbegriffe diskutiert. Zu den Verfahren in dem wechselseitigen Spiel der Organisation der christianitas wurde festgestellt, dass diese auf einer stark personellen Ebene abliefen. Es wurde weiterhin auf die vielfältigen in den einzelnen Arbeiten verwendeten Quellenarten eingegangen und angesprochen, dass deren Organisation auch ihre Interpretation bestimmt. Zu den Grenzkonzepten wurde diskutiert, inwiefern man statt von Grenzlinien von Grenzräumen sprechen sollte; es wurde festgestellt, dass keine leeren Räume existieren, diese aber durch Handlungen gefüllt werden können. Zuletzt wurde noch auf die möglichen geistigen und ordnungspolitischen Entwicklungs- und Traditionslinien eingegangen, die die christianitas konstruieren.

Konferenzübersicht:

Tim Geelhaar (Frankfurt): Karolingische christianitas. Historisch-semantische Beobachtungen zur Politisierung eines Wortgebrauchs in Spätantike und Karolingerzeit

Judith Werner (Erlangen): Die Zuschreibung päpstlicher Autorität im Spiegel der inneren und äußeren Merkmale der Papsturkunden

Jan Rüttinger (Bamberg): Repräsentation und Anspruch des Papsttums in der sakralen Kunst des römischen Umlands (9.-14. Jh.)

Veronika Unger (Erlangen): Päpstliche Registerführung – Erforschung der Schriftlichkeit in der päpstlichen Verwaltung des 9. Jahrhunderts

Andreas Holndonner (Erlangen): Kommunikation – Jurisdiktion – Integration. Das Papsttum und das Erzbistum Toledo im ersten Jahrhundert nach der Eroberung 1085

Gábor Bárabas (Pécs/Erlangen): Der päpstliche Einfluss auf Ungarn 1196-1241. Im Spiegel der überlieferten Urkunden

Christina Mayer (Berlin): Ad honorem sancte Romane Ecclesie? – Kommunale Bündnis- und Kommunikationsnetze im Patrimonium Petri des 13. Jahrhunderts

Schlussdiskussion Sektion I

Sektion II: Räume und Horizonte der christianitas

Larissa Düchting (Erlangen): Erschließung der Christianitas durch Heiligenverehrung in Unteritalien im 8.-11. Jahrhundert?

Elena Tealdi (Mailand): John of Rupescissa's Vade mecum in tribulatione. From the Universal Tribulation to the Renewal of the Roman Church.

Claudia Alraum (Erlangen): Wege der Integration – Das Papsttum und die apulische Kirche in normannischer Zeit

Hans Christian Lehner (Erlangen): Vorstellungen und Stellenwert von Zukunft in der europ. Historiographie (ca. 1150-1280) am Beispiel der Kölner Königschronik / Chronik von St. Pantaleon

Schlussdiskussion Sektion II

Sektion III: Trägergruppen der christianitas

Lucia Dell’Asta (Mailand): Le istituzioni di vertice della Chiesa bergamasca tra XII e XIII secolo: metodo e spunti per una ricerca

12.00-12.45 Kerstin Groer (Dresden): Innen und Außen: Konstruktion und Symbolik von Grenz und Schwellenräumen im mittelalterlichen Kloster

Isabelle Mossong (Berlin/Straßburg): Die Selbstdarstellung des christlichen Klerus im Spiegel der lateinischen Inschriften in der Spätantike

Philip Zimmermann (Zürich): Armenfürsorge und Bischofsherrschaft. Ansätze zur Deutung bischöflicher caritas in der Merowingerzeit

Schlussdiskussion Sektion III

Abschlussdiskussion