Fernhändler, Kleriker, Dynasten. Die piastische Herrschaft in sozialen und kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert

Fernhändler, Kleriker, Dynasten. Die piastische Herrschaft in sozialen und kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Warschau
Ort
Warschau
Land
Poland
Vom - Bis
31.05.2012 - 01.06.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Marcin Bogusz, Deutsches Historisches Institut Warschau (übersetzt von Saskia Herklotz)

Vom 31. Mai bis 1. Juni 2012 fand im Deutschen Historischen Institut Warschau die Konferenz „Fernhändler, Kleriker, Dynasten. Die piastische Herrschaft im sozialen und kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert“ statt. Die Organisatoren, Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken, unterstrichen die Zielsetzung der Konferenz, personelle Interaktionen des Piastenreiches in Politik, Ökonomie und Kultur mit seinen Nachbarn nachzuzeichnen. In den drei Themenblöcken „Händler- und Silbernetzwerke“, „Dynastische Netzwerke“ und „Klerikale Netzwerke“ wurden anschließend insgesamt vierzehn Referate präsentiert.

Die erste Sektion ging den Verbindungen zwischen Kaufleuten und Händlern in Ostmitteleuropa nach. In seiner Darstellung der Wikingerökumene im Ostseeraum im 9. und 10. Jahrhundert hob CHRISTOPH KILGER (Visby) die Elitenverbindungen sowie die bestehenden Netze wirtschaftlicher Abhängigkeiten in dieser geographischen Region hervor. Auf das hier bereits angesprochene Problem der bei archäologischen Grabungen in ganz Ostmitteleuropa entdeckten Dirheme ging MAREK JANKOWIAK (Oxford) in seinem Vortrag ausführlicher ein und beleuchtete insbesondere die Zusammenhänge zwischen dem Ausbau von Handelswegen im 10. Jahrhundert und der Entstehung politischer Herrschaftsstrukturen. So lässt sich anhand der Verbreitung der Dirheme das ausgedehnte Netz von Handelsrouten zwischen Kaspischem Meer und Ostsee rekonstruieren. Anhand von Münzfunden in Pommern, Masowien und Großpolen ging PETER ILISCH (Münster) im Folgenden auf den Geldumlauf im Zeitraum 980-1050 ein und stellte dabei detailliert einzelne Schatzfunde und den Anteil unterschiedlicher Münzen vor. DARIUSZ ADAMCZYK (Warschau) beschäftigte sich mit den komplexen Zusammenhängen zwischen dem Versiegen der sächsischen Silberströme, den Anfängen einer einheimischen polnischen Münzprägung und dem Umbau der piastischen Herrschaft im späten 11. Jahrhundert. Demnach waren Edelmetalle eines der Instrumente der piastischen Herrschaft zur Kontrolle der Distribution strategischer Güter. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Piasten eigene Münzen seit den 1070er Jahren nahezu parallel mit Imitationen deutscher Denare emittierten. In seinem Vortrag über den Übergang vom Horten zur Geldwirtschaft ging HENDRIK MÄKELER (Uppsala) ebenfalls auf das Problem von Münzimitationen und Münzfälschungen ein. So lassen sich etwa Wandermeister, die Münzen mit ihren eigenen Stempeln prägten, anhand dieser Münzstempel in verschiedenen Schatzfunden ausmachen und ihre Wanderwege nachvollziehen. Dabei fällt insbesondere ins Auge, dass die Wege dieser Wandermeister mit der Richtung der Christianisierung übereinstimmen.

Gegenstand des zweiten Themenblocks waren die dynastischen Netzwerke und Bindungen, die die Piasten mit ihren Nachbarn aufgebaut hatten. JAKUB MORAWIEC (Kattowitz) lieferte einen Einblick in die politischen und dynastischen Beziehungen zu den skandinavischen Dynastien. Er betrachtete die Heiratspolitik sowie den wechselhaften Charakter der Kooperation im militärischen Bereich. NORBERT KERSKEN (Warschau) untersuchte die Gerichtetheit der piastischen Heiratspolitik gegenüber dem römisch-deutschen Reich, wobei er besonders auf die frühen Piasten, Mieszko III. und die schlesischen Piasten als Handelnde einging. Das ungewöhnlich interessante Phänomen des Kulturtransfers sowie der Elitenbildung zeigte DARIUSZ DĄBROWSKI (Bromberg) in seinem Vortrag zu Verwandtschafts- und Verschwägerungsbindungen zwischen Piasten und Rjurikiden im 12.-13. Jahrhundert auf. Durch eine erfolgreiche Heiratspolitik gelang es den Rjurikiden im 12. Jahrhundert, Eheverbindungen zu den wichtigsten europäischen Dynastien herzustellen. Die Erinnerung an diese Zeit wurde auch in der Zeit der fortschreitenden Aufteilung der Rus` in Teilfürstentümer bewahrt. JOANNA SOBIESIAK (Lublin) wiederum befasste sich mit den Eheschließungen zwischen Piasten und Přemysliden im 10.-13. Jahrhundert und betonte vor allem die kulturellen Auswirkungen dieser Heiratspolitik. DÁNIEL BAGI (Pécs) untersuchte die Beziehungen zwischen Piasten und Arpaden und stellte einen von der Forschung bisher weitgehend unbeachteten Aspekt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen: die Übernahme von Heiligen- und Reliquienkulten. Dabei wies er insbesondere auf die Bedeutung der amicitia nicht nur als verwandtschaftliche, sondern auch als politische Bindungen hin. So waren Eheschließungen zwischen Familien aus verschiedenen Ländern keinesfalls nur ein Privileg der Herrschenden – bis zum Ende des 12. Jahrhunderts waren sie auch beim Adel äußerst verbreitet.

Der dritte Themenblock der Konferenz befasste sich mit Aspekten klerikaler kultureller Netzwerke des piastischen Polen. In seiner Darstellung der Anfänge der Kirchenorganisation in Polen befasste sich DARIUSZ SIKORSKI (Posen) mit der Rolle von Geistlichen und insbesondere Bischöfen nichtpolnischer Herkunft. Er machte deutlich, dass die Bischofssitze bis zum 13. Jahrhundert fast durchgängig mit Personen besetzt wurden, die nicht aus dem Piastenreich stammten und fragte, ob man es hierbei zugleich mit einer fehlenden Attraktivität kirchlicher Leitungsfunktionen für den polnischen Adel zu tun hat. ANNA ADAMSKA (Utrecht) ging in ihrem Vortrag auf die Kanzlei in der frühen Piastenzeit unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Kommunikation ein. Sie betonte, dass es eine eigenständige Kanzlei am piastischen Hof bis zum Ende des 12. Jahrhunderts nicht gab. Deren Funktion wurde von einer Gruppe von Geistlichen aus dem Umfeld des Fürsten wahrgenommen. Wie sie zeigte, bestand die Kanzlei bis zum Ende des 12. Jahrhunderts nicht als eigenständige Struktur am Fürstenhof, vielmehr handelte es sich um eine Gruppe von Geistlichen aus dem Umfeld des Fürsten, die zum Teil mit der fürstlichen capella gleichzusetzen ist. CHRISTIAN GAHLBECK (Berlin) betrachtete die Stiftung von Zisterzienserklöstern in Polen im gesellschaftlichen Kontext. Er beschrieb die Geschichte der sieben ältesten Zisterzienserniederlassungen in Polen, von denen drei von den Piasten, zwei von Geistlichen und zwei von Angehörigen adliger Familien gestiftet wurden. KRZYSZTOF SKWIERCZYŃSKI (Warschau) unternahm den Versuch, die intellektuellen Beziehungen des Piastenreiches mit dem Ausland in möglichst breitem Kontext zu zeigen. Erst die Übernahme des christlichen Glaubens gewährte den Dynasten Zutritt zur Gemeinschaft der christlichen Länder. Dies war die Voraussetzung, an Prozessen des Kulturtransfers teilzunehmen. In seinem Vortrag stellte Skwierczyński verschiedene Modelle der Frömmigkeit im 10. und 11. Jahrhundert vor und beschrieb ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen, wie etwa die Gründung von Domschulen oder die Stiftung sakraler Objekte und liturgischer Kodizes. Dabei war die Ausbildung der Geistlichen und in manchen Fällen auch ihre ausländische Herkunft von großer Bedeutung.

Ziel der Konferenz war es, die Anfänge des Piastenstaates im Kontext seiner internationalen Kontakte und persönlichen Netzwerke zu zeigen und diese in ihrer Komplexität in den Blick zu nehmen. Die beschriebenen drei Themenbereiche – Handels- und Wirtschaftssysteme, Beziehungen zwischen Dynastien und Herrscherfamilien sowie klerikale Netzwerke – werfen ein Schlaglicht auf Forschungslücken und mögliche neue Forschungsfelder im Bereich des frühen Mittelalters nicht nur in Polen, sondern in ganz Ostmitteleuropa. Die internationalen Kontakte der frühen Piasten nahmen sehr unterschiedliche Formen an, sie fanden im wirtschaftlichen, politischen und intellektuellen, dabei besonders im religiösen und geistlichen Bereich, Niederschlag. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig in der Mittelalterforschung vergleichende Annäherungen sind, die angesichts der geringen Zahl von Quellen oft die einzige Möglichkeit darstellen, neue wissenschaftliche Fragen aufzuwerden.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Händler- und Silbernetzwerke

Christoph Kilger (Visby): Die Wikingerökumene im Ostseeraum im 9. und 10. Jahrhundert

Marek Jankowiak (Oxford): Wer brachte wie die Dirheme nach Polen? Handelsnetzwerke in der Rus’ und im Ostseeraum im 10. Jahrhundert

Peter Ilisch (Münster): Die Pfennigströme aus dem Deutschen Reich im Spiegel der Fund aus Pommern, Masowien und Großpolen (ca.980-1050)

Dariusz Adamczyk (Warschau): Von exogener Abhängigkeit zu endogener Ressourcenabschöpfung: Der letzte Silberstrom aus Sachsen, einheimische Münzprägung und der Umbau der piastischen Herrschaft im späten 11. Jahrhundert

Henrik Mäkeler (Uppsala): Zwischen Horten und vernetzter Geldwirtschaft

Sektion II: Dynastische Netzwerke

Norbert Kersken (Warschau): Piasten und die Dynastien im römisch-deutschen Reich

Dariusz Dąbrowski (Bromberg): Verwandtschafts- und Verschwägerungsbindungen in den Beziehungen zwischen Piasten und Rjurikiden im 12.-13. Jahrhundert

Joanna Sobiesiak (Lublin): Dynastische Heiraten in der polnisch-böhmischen Geschichte des 10.-12. Jahrhunderts

Dániel Bagi (Pécs): Piasten und Arpaden

Jakub Morawiec (Kattowitz): Piasten und skandinavische Dynastien im 10. und 11. Jahrhundert

Sektion III: Klerikale Netzwerke

Dariusz Sikorski (Posen): Außenkontakte und die Entstehung der kirchlichen Hierarchie

Anna Adamska (Utrecht): Die frühpiastische Kanzlei im „Netzwerk“ der mittelalterlichen pragmatischen Schriftlichkeit

Christian Gahlbeck (Berlin): Stiftergemeinschaften als Gründer polnischer Zisterzienserklöster des 12. und frühen 13. Jahrhunderts

Krzysztof Skwierczyński (Warszawa): Intellektuelle Außenbeziehungen


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