Sport, Nations and Nationalism

Sport, Nations and Nationalism

Organisatoren
Anke Hilbrenner, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn; Petr Roubal, Institute for Contemporary History, Academy of Sciences of the Czech Republic; Stefan Zwicker, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn
Ort
Prag
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.06.2012 - 30.06.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Matthias Winterschladen, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Vom 28. bis zum 30. Juni 2012 fand in Kooperation mit der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag das fünfte Treffen des DFG-geförderten Netzwerks „Integration und Desintegration: Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich“ zum Thema „Sport, Nations and Nationalism“ statt. Im Zentrum der Tagung standen Vorträge sowie ein Beitrag zum Digitalen Handbuch zur Geschichte des Sports in Osteuropa, das von den Wissenschaftler/innen des Netzwerks herausgegeben wird. Inhaltlich spielte vor allem die Frage nach Wechselbeziehungen und Interaktionen zwischen der Welt des Sports auf der einen und der Nation bzw. jedweder Form des Nationalismus auf der anderen Seite eine wichtige Rolle. So wurde in der Diskussion danach gefragt, inwieweit sich Sport für nationalistische Ziele und Ideen instrumentalisieren lässt und unter welchen Bedingungen nationalistische Konzepte durch den Sport auch marginalisiert werden können.

Mit seinem Vortrag zu Sport und nationalen Konflikten führte HANS BONDE (Kopenhagen) speziell am Beispielfall des Fußballs im besetzten Dänemark während des Zweiten Weltkrieges in die Thematik der Konferenz ein. Aufbauend auf der von ihm vertretenen These, dass Sport stets politisch sei, schilderte er anhand dänisch-deutscher Fußballspiele, welchen Formen nationalistischer Instrumentalisierung der Sport unter den Bedingungen der deutschen Besatzung ausgesetzt war. Das deutsche Besatzungsregime in Dänemark stellte Bonde zufolge einen Sonderfall dar, da es anders als etwa in Norwegen die meisten gesellschaftlichen Institutionen fast während der gesamten Besatzungszeit nahezu unangetastet ließ.1

Im Geiste jener „friendly and peaceful occupation“ inszenierte die deutsche Besatzungsmacht Wettkämpfe zwischen deutschen und dänischen Sportlern, um den Erfolg und beiderseitigen Nutzen der Okkupation Dänemarks durch das Deutsche Reich zu propagieren. Bald jedoch wurden gerade diese Veranstaltungen von dänischen Fans als Bühne genutzt, um gegen die deutsche Besatzung zu protestieren. Dass dies beispielsweise bei einer Fußballbegegnung am Tag der dänischen Verfassung in einer gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dänischen und deutschen Fans eskalierte, erklärt sich laut Bonde auch aus einem zentralen Charakterzug des Sports heraus: „Sport is conflict in itself.“ Zugleich sei der Sport ein entscheidender Faktor modernen Nation-Buildings, dessen politische Inszenierung aber durch den historischen Kontext bedingt sei und deshalb nicht unbedingt nationale Konflikte erzeugen müsse. Obwohl der Sport keineswegs frei von politischer Instrumentalisierung ist, kann jedoch hinter Bondes These eines ausschließlich politischen Charakters des Sports angesichts des ihm immanenten Eigensinns2 durchaus ein Fragezeichen gesetzt werden.

JENIFER PARKS (Billings, Montana) präsentierte ihren Artikel über Autorität und Sport für das Digitale Handbuch zur Sportgeschichte Osteuropas. Darin befasste sich Parks in einer Fallstudie mit der sowjetischen Teilnahme an den Olympischen Spielen seit Helsinki 1952. Den Fokus legte sie auf die Darstellung der personellen und institutionellen Einbindung des sowjetischen Sports in die internationale Sportgemeinschaft. Der größte Erfolg der sowjetischen Sportpolitik war schließlich die Vergabe der Olympischen Spiele 1980 nach Moskau. Für Parks diente diese Sportpolitik allerdings nicht allein der Etablierung der Sowjetunion als gleichberechtigte sportliche Supermacht neben den USA. Vor dem Hintergrund, dass moderner Sport oftmals zur staatlichen Kontrolle der Bürger/innen genutzt werde und die Inszenierung internationaler Sportveranstaltungen über die Schaffung von Nationalstolz Unterstützung für den Staat generieren solle, habe diese Politik auch die Stärkung der Autorität der Sowjetunion nach Innen sowie gegenüber ihren sozialistischen „Bruderstaaten“ bezweckt.

Allerdings fragte Parks auch nach Sphären des sowjetischen Sports, die sich außerhalb der kommunistischen Ideologie und der offiziellen Hierarchien von Staat und Partei bewegten. Ihre Akteure konnten eigene Visionen von Staat und Nation schaffen. In ihrem allgemeinen Literaturüberblick verwies Parks auf den Fall des Basketballs in der Litauischen SSR, der zum Vehikel der Inszenierung einer litauischen Identität mit eigenen nationalen Helden wurde. Jenen Formen des Nationalismus im Osteuropa des Kalten Krieges ist in der Forschung bislang wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Ebenso hat die Fokussierung auf den Blockgegensatz Fragen nach der Bedeutung der Moskauer Spiele für die Transformation der Sowjetunion in den Hintergrund gerückt.

STEFAN ZWICKER (Bonn) befasste sich mit der Rolle des Fußballs für die nationale Frage bis zum Zweiten Weltkrieg am Beispiel der böhmischen Länder und Oberschlesiens. Zwar ging Zwicker von der These aus, dass es sich bei diesen von hoher ethnischer und religiöser Diversität geprägten Gesellschaften um Konfliktgemeinschaften gehandelt habe. Allerdings führte er aus, dass die Konfliktlinien, die etwa über Zugehörigkeiten zu bestimmten Sportvereinen entschieden, nicht ausschließlich entlang ethnischer oder religiöser Grenzen verliefen. Oft spielten hierfür soziale Kategorien eine größere Rolle. So handelte es sich im Falle des Deutschen Fußball-Clubs Prag nicht um einen jüdischen Klub, obwohl viele Mitglieder deutschsprachige Juden waren. Vielmehr war die Zugehörigkeit zur deutschsprachigen Oberschicht Prags ausschlaggebend.

Der Vortrag von BOGDAN POPA (Bukarest) richtete den Fokus auf den zwischen Ungarn und Rumänien schwelenden nationalen Konflikt, den Popa im Spiegel ungarisch-rumänischer Fußballspiele von 1936 bis 2009 unter die Lupe nahm. Dieser Konflikt werde sowohl von beiden Staaten als auch von den Bürger/innen beider Länder getragen. Popa verwies einleitend auf das rumänisch-ungarische Eishockey-Länderspiel vom 16. Dezember 2011, infolgedessen insbesondere in Rumänien ein Sturm nationaler Entrüstung losbrach. Die mehrheitlich der ungarischen Minderheit Rumäniens angehörenden Spieler der rumänischen Nationalmannschaft hatten anstatt der rumänischen die ungarische Hymne mitgesungen.3

Vor dem Hintergrund der angespannten Beziehungen infolge des Vertrags von Trianon kam es erst 1936 zu einer ersten offiziellen Begegnung beider Fußballnationalteams, welcher bis 1958 acht weitere Freundschaftsspiele folgten. Die Ungarn gingen in allen Spielen als Sieger vom Platz, was vor dem Zweiten Weltkrieg die defensive Rolle Rumäniens in der Diplomatie auch auf sportlicher Ebene widergespiegelt habe. Dagegen hätten die nach dem Krieg ausgetragenen Partien im Zeichen der „sozialistischen Völkerfreundschaft“ gestanden. Von wem die Initiative für diese Freundschaftsspiele ausging und welche Ziele damit verfolgt wurden, kann wegen des erschwerten Zugangs zu rumänischen Archiven aber kaum ermittelt werden. Dass nach 1958 nur noch Pflichtspiele bestritten wurden und das nächste Freundschaftsspiel erst 2009 stattfand, lässt sich dagegen als klares Indiz für den unterschwellig fortlebenden nationalen Konflikt lesen.

Seit 1990 sei der Konflikt auf sportlicher Ebene insbesondere durch Hooliganismus geprägt und werde von der neu entstandenen Ultrabewegung dominiert. Popa führte hier das Beispiel des 2009 ermordeten rumänischen Handballnationalspielers Marian Cozma an, der zunächst für Dynamo Bukarest und dann für den ungarischen KC Veszprém gespielt hatte. Er wird seit seinem Tod von Fans beider Länder als Ikone des nationalen Sports inszeniert. Der Fall verdeutlicht allerdings ebenso die marginalisierende Kraft des Sports. Denn Cozma selbst entzog sich jeglicher Form nationaler Instrumentalisierung. Mit seinem Wechsel aus der rumänischen „Heimat“ in die unarische Liga stellte er einzig den Sport in den Vordergrund. Es kursierte gar das Gerücht, er habe für seinen sportlichen Erfolg die ungarische Staatsbürgerschaft annehmen wollen.

RICHARD MILLS (Norwich) diskutierte die Rolle des Fußballs während der Jugoslawienkriege Anfang der 1990er-Jahre für die Festigung von Staatlichkeit sowie bei der Herausbildung von imagined communities in den serbischen Republiken in der zu Kroatien gehörenden Krajina und in Bosnien-Hercegovina. Mills machte hierfür das Konzept des banal nationalism von Michael Billig fruchtbar. Die Prozesse täglicher Reproduktion banaler nationaler Symbolik und Rhetorik ließen sich auch während der turbulenten Jahre der versuchten Staatsgründung in beiden serbischen Republiken beobachten.

Träger des serbischen Nation-Buildings waren auf fußballerischer Ebene die kurz nach den Gründungen der Republiken neugeschaffenen Fußballverbände. Beide Verbände organisierten noch während des Krieges Liga- und Pokalwettbewerbe sowie intranationale Spiele untereinander. Ebenso spielten Presseorgane wie die in Banja Luka erschienene Sportzeitschrift Derbi eine Rolle. Sie berichtete innerhalb eines nationalserbischen Deutungsrahmens über Sportereignisse in beiden Republiken und konstruierte neue Ideen serbischer Staatlichkeit, indem sie etwa über die Vereinigung aller serbischen Fußballverbände diskutierte. Vor dem Hintergrund der territorialen Zersplitterung beider Republiken infolge der Kampfhandlungen konnten die sportlichen Wettkämpfe so Visionen nationaler Einheit und territorialer Integrität transportieren.

Mills Untersuchung stellte somit auch ein klassisches Beispiel für die Kombination aus Sport und Gewalt zur Generierung staatlicher und sozialer Ordnung dar. Dies illustrierte die Rolle von Generalmajor Milan Gvero beim ersten Pokalendspiel der Republika Srpska im Juni 1994. Der später in Den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilte Gvero überreichte den Pokal an die siegreiche Mannschaft vom FK Kozara Gradiška. Mills definierte diese Instrumentalisierung des Fußballs für die Kriegsziele der serbischen Republiken sehr zutreffend als „political motivated wartime football“.

In ihrem Vortrag skizzierte CAROL MARMOR (München) ihr Dissertationsprojekt zu den Olympischen Spielen 1980 in Moskau – speziell zu den olympischen Wettbewerben in der Estnischen und der Ukrainischen SSR, wo die olympische Segelregatta (in Tallinn) bzw. Teile des olympischen Fußballturniers (in Kiew) ausgetragen wurden. Marmor setzt sich insbesondere mit der Organisation der Wettkämpfe in beiden sowjetischen Peripherien auseinander. In ihrer Analyse nimmt sie im Kontext der sowjetischen Nationalitätenpolitik eine vergleichende Position ein. Dabei gilt Marmors Interesse der Frage, ob es infolge der Olympischen Spiele zu einer Intensivierung oder zu einem Wandel der Parameter des politischen und sozialen Lebens in der Sowjetunion kam.

Da die sowjetische Führung die Olympischen Spiele propagandistisch dazu nutzen wollte, die Sowjetunion sowohl als normales, zivilisiertes Land als auch als funktionierende multinationale Einheit darzustellen, habe die Organisation der olympischen Wettkämpfe in Tallinn und Kiew mit zu einer Normalisierung der Kommunikation zwischen Zentrum und Peripherie beigetragen. So eröffneten sich den lokalen Akteuren Handlungsspielräume, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Marmor schilderte etwa den Fall, dass es dem estnischen Organisationskomitee gegenüber dem zentralen Moskauer Komitee gelang, ein höheres Kartenkontingent für die Tallinner Bürger/innen für die Eröffnungs- und die Abschlussveranstaltung in der Estnischen SSR durchzusetzen. Eine weitaus größere Bedeutung für die Transformation der Sowjetunion könnten jedoch die vielfältigen Kontakte mit internationalen Funktionären sowie die zahlreichen Kulturtransfers aus dem Westen entwickelt haben, womit sich Marmor ebenso beschäftigt. Sie stellen ein Defizit in der Forschung zu Olympia 1980 dar.

Der Workshop verdeutlichte an sehr unterschiedlichen Beispielen, dass der moderne Sport oftmals indirekter oder gezielter Instrumentalisierung ausgesetzt war. Politische Inszenierungen des Sports fanden dabei auch in der jüngeren Vergangenheit häufig innerhalb nationaler Deutungsrahmen statt und bildeten einen wichtigen Faktor modernen Nation-Buildings. Dies konnte der Schaffung oder Festigung einer national determinierten politisch-sozialen Ordnung oder der Propagierung alternativer Visionen von Staat und Nation dienen. Gerade jene Transportierung alternativer politischer Konzepte durch den Sport ist für die Epoche des Kalten Krieges in Osteuropa kaum erforscht und bietet noch eine Vielzahl zu bearbeitender Fallstudien. Allerdings sollte dabei stets beachtet werden, dass der Sport nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern zum Beispiel durch die Erzeugung sowohl aktiver als auch passiver Begeisterung ebenso einen Selbstzweck in sich trägt. Der Eigensinn des Sports bleibt auch im Forschungsfeld „Sport und Nation“ ein wirksamer Faktor. Viele Spitzensportler, die im 20. Jahrhundert in mehreren politischen Systemen ihren Sport ausüben und in allen Fällen Repräsentanten des jeweiligen Systems sein konnten, machen dies deutlich.

Konferenzübersicht:

Keynote Speech

Hans Bonde (Kopenhagen): Sports and Nationality Conflicts

Handbook-Session

Jenifer Parks (Billings, Montana): Authority and Sport

Sport in Museums and Exhibitions

Blanka Mouralová, Thomas Oellermann (Ústí nad Labem/Aussig): The Presentation of Sports in the “Permanent Exposition on the History of German Speaking Inhabitants of the Bohemian Lands”

Sports and National Identities

Stefan Zwicker (Bonn): Football – an “International” Sport for Nationalists? Remarks on its Role in Central Europe until World War II

Bogdan Popa (Bukarest): Blood, Tears and the National Anthem. Sportive Encounters between Romania and Hungary in Past and Present

Richard Mills (Norwich): Fighters, Footballers and Nation Builders. Wartime Football in the Serb-held Territories of the Former Yugoslavia, 1991-1996

Sports and National Identity under the Communist Regimes

Dariusz Wojtaszyn (Wrocław/Breslau): Sport – Nation – Politik. Das Beispiel der Volksrepublik Polen

Carol Marmor (München): The Summer Olympics 1980 in Moscow, Tallinn and Kiev. Authority and Participation in the Late Soviet Union

Anmerkungen:
1 Vgl. Hans Bonde, Football with the Foe. Danish Sport under the Swastika, Odense 2008.
2 Vgl. Dittmar Dahlmann, Fußball als beschlossene Sache. Sport und Herrschaft in der DDR, in: ders. / Anke Hilbrenner / Britta Lenz (Hrsg.), Überall ist der Ball rund – Nachspielzeit. Zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Südost- und Osteuropa, Essen 2011, S. 17-54, hier S. 18 ff.
3 Keno Verseck, Streit um Nationalhymne. Rumäniens aberwitziger Eishockey-Krieg, in: Spiegel Online, 4.1.2012, <http://www.spiegel.de/politik/ausland/streit-um-nationalhymne-rumaeniens-aberwitziger-eishockey-krieg-a-806768.html> (30.09.2012).


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