HT 2004: Beschleunigung und Ausdehnung – Konturen der Bankgeschichte vom 15.-20. Jahrhundert

HT 2004: Beschleunigung und Ausdehnung – Konturen der Bankgeschichte vom 15.-20. Jahrhundert

Organisatoren
Rainer S. Elkar (München)
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.09.2004 - 16.09.2004
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Von
Matthias Steinbrink, München E:Mail:

"Beschleunigung und Ausdehnung – Konturen der Bankgeschichte vom 15.-20. Jahrhundert" lautete der Titel einer der wirtschaftshistorisch ausgerichteten Sektion auf dem 45. Historikertag in Kiel. Gefüllt wurde das Thema mit vier Beiträgen, die sich jeweils den zentralen Phänomenen der internen und externen Kommunikation und der beschleunigten Ausdehnung der bankwirtschaftlichen Interessen und Instrumente widmeten.

Dem Sektionsleiter Rainer S. ELKAR (München) war es gelungen, ausgewiesene Kenner der Bankengeschichte zu versammeln. Ausgehend von der Frage, wie sich Informationsaustausch und Geldtransfer in Abhängigkeit eines sich vergrößernden Wirtschaftsraumes veränderten, sollten die Beiträge zusammen genommen die 'histoire de la longue durée' der Banken nachzeichnen. Das Ziel bestand darin, die Besonderheiten der Einzelfälle zu einem Gesamtbild zusammenzufassen.

Leider entfiel der als erster Überblick gedachte und die Fragestellung aufwerfende Vortrag, da der Sektionsleiter erkrankt war. Eine Einführung in das Thema übernahm daher Markus A. DENZEL (Leipzig/Bozen).

Carsten JAHNKE (Kopenhagen) kam die Aufgabe zu, den ersten Beitrag zum Thema zu präsentieren. Er befasste sich in seinem Vortrag "Lübeck, der Wechselplatz des Nordens? Lübecker Banken des 15. Jahrhunderts als Indikatoren eines neuen Kommunikationsmodells und eines sich ausweitenden Handelsraumes" mit der Struktur des hansischen Geldtransfers. Dieses Unterfangen stellte er vor den Hintergrund der immer noch vorherrschenden Meinung, dass der Norden des Reiches bankenlos gewesen sei. Zwar sei es richtig, dass mit der Gründung der Hamburger Girobank 1619 recht spät erste 'echte' Bankhäuser im Norden entstanden. Auch müsse man der Ansicht zustimmen, dass die frühen Kaufleute-Bankiers, wie etwa Gherado Bueri, nicht die typische hansische Ost-West-Verbindung, sondern die Nord-Süd-Richtung mit Geldtransfers bedienten. Doch Jahnke wies am Beispiel Godeman van Burens nach, dass dieser ein enges Netz von Handelspartnern entlang seiner Route hatte, die er im Bedarfsfall für bargeldlose Zahlungsvorgänge nutzen konnte. Dieses ausgebaute Netzwerk machte das Vorhandensein von echten Bankhäusern in gewisser Weise unnötig. Bezeichnenderweise kamen Bankhäuser erst zu einer Zeit auf, als der klassische Hansehandel sich am Ende des 15. Jahrhunderts neu organisierte und andere Geschäftsrouten und Handelspartner erschlossen werden mussten. Dieses führte zwangsläufig zur Notwendigkeit von Zahlungsmöglichkeiten außerhalb des engeren Handelsraumes. Hier spielt nicht zuletzt die Ausbildung des Filialsystems eine entscheidende Rolle.

Daneben machte Jahnke deutlich, dass innerhalb des Netzwerksystems jegliche Banktransaktionen möglich waren und Geld gemeinsam mit Informationen schnell und zuverlässig große Distanzen überwinden konnte. Als entscheidende Komponenten bedurfte es dafür des Vertrauens und des guten Leumundes. Beides waren Grundvoraussetzungen für das Funktionieren des hansischen Geldhandels. Jahnke wies abschließend darauf hin, dass der Norden keinesfalls bankenlos gewesen sei. Banken stellten aber keine im System begründete Notwendigkeit dar, konnten doch alle Geldtransaktionen auch durch die Kaufleute übernommen werden.

Jahnkes Vortrag und die anschließende Diskussion konnten somit deutlich aufzeigen, dass der Norden ein anderes, aber durchaus gut funktionierendes System entwickelt hatte, das den Wechsel nach italienisch-oberdeutschem Vorbild nicht benötigte. Andererseits sei das relative Fehlen von Wechselgeschäften und -banken nicht weiter verwunderlich, war der Wechsel doch auch im oberdeutschen Raum ein nicht ständig vorhandenes Zahlungsmittel sondern oftmals ein nur zwischen wenigen Finanzzentren und zu speziellen Anlässen, wie etwa dem Basler Konzil, einsetzbares Instrument. So stellte der Befund zur Geldtransaktion im Norden keine Rückständigkeit fest, sondern zeigt die auf das persönliche Netzwerk mit dem Vertrauen als zentraler Komponente ausgerichtete Handelstätigkeit im Hanseraum auf.

Ganz auf die beiden Leitbegriffe der Sektion war der Beitrag von Markus A. DENZEL (Leipzig/Bozen) ausgerichtet: "Die geographische Ausdehnung und Beschleunigung der Kommunikation im frühneuzeitlichen Bankgewerbe Europas. Der bargeldlose Zahlungsverkehr als Beispiel". Zunächst stellte Denzel die Ausdehnung des Phänomens von den Anfängen im Mittelmeerraum bis zu weltumspannenden Geldtransaktionen vor. Seinen Anfang nahm der Wechselbrief dabei im ausgehenden 12. Jahrhundert in den wirtschaftlichen Zentren Norditaliens, fand aber schnell eine europäische Verbreitung mit dem Schwerpunkt im Mittelmeerraum. Dabei wurde aufgezeigt, dass als Katalysatoren des Ausdehnungsprozesses vor allem der kuriale Zahlungsverkehr, die Messen und die Wechselbanken mit ihren sich immer weiter differenzierenden Filialsystemen verstanden werden können. Mit der Entdeckung Amerikas und der damit verbundenen außereuropäischen Expansion verlagerte sich der bargeldlose Zahlungsverkehr vom Mittelmeer zunächst an den Atlantik und dann auch nach Amerika. Im 17. und 18. Jahrhundert erfolgte schließlich die Ausweitung in den mitteleuropäischen und russischen Raum, wurde das osmanische Reich mit dem Wechsel 'erschlossen'.

Denzel wies zugleich darauf hin, dass, obwohl das Instrument des Wechsels bereits lange bekannt war, noch bis weit in das 16. Jahrhundert kein dichtes Netz von dauerhaften und engen Beziehungen im Zahlungsverkehr herausgebildet war. Dieses galt besonders für den Ostseeraum, wo sich ein eigenes rudimentäres Subsystem herausbildete, und noch stärker für das osmanische Reich, wo rechtliche und währungstechnische Schwierigkeiten den Handel noch länger erschwerten.

In einem zweiten Schritt wandte sich Denzel dann der Beschleunigung der Kommunikation zu. Die Verkürzung der Usancen, also der Zeit, nach deren Ablauf ein Wechsel verfällt, lag dabei im Interesse der beteiligten Wechselpartner. Da der eigentliche Transport des Wechselbriefes nur geringfügig beschleunigt werden konnte, mussten andere Entwicklungen gefunden werden. Die wichtigste war dabei, wie Denzel deutlich machte, das Indossament, das die Weitergabe des Wechsels an Dritte ermöglichte und somit die Geldtransaktionen deutlich beschleunigte. Eine weitere wichtige Entwicklung waren die Börsen, die ganzjährig und nicht nur zu den Messeterminen erreichbar waren. Diese Erneuerung ab dem späten 16. und dann verstärkt ab dem 17. Jahrhundert ging von Antwerpen in entscheidender Weise aus und verbreitete sich schnell über den gesamten nordwesteuropäischen Raum. Mit der Entwicklung des Diskontes waren alle Komponenten für einen raschen bargeldlosen Zahlungsverkehr geschaffen, der durch die Verbreitung von Kurszetteln und Preiskuranten darüber hinaus noch eine weitere Beschleunigung erfuhr. Hierbei entstand auch ein außerhalb des traditionellen Vertrauensnetzwerkes angelegtes Informationsnetz, das einen zuverlässigen Nachrichtenaustausch über die verbesserten Postwege in Gang setzte.

Der Vortrag Markus A. Denzels zeigte somit, dass die Innovationen im bargeldlosen Zahlungsverkehr zu einer Integration zunächst innerhalb Europas, später auch darüber hinaus, führten. Die Beschleunigung im Zahlungsverkehr konnte nur durch die Vereinfachung des Transportes von Informationen über die Netzwerke hinaus funktionieren. Daher stellt hier die Entwicklung im Zahlungsverkehr einen Motor für die Entwicklung der modernen Informationsgesellschaft dar.

Mit dem Problem der Kommunikation in einem heterogenen Raum befasste sich Jürgen NAUTZ (Wien/Ahnatal) in seinem Beitrag über "Kommunikationsstruktur und Bankgeschäft der Notenbank der Habsburger Monarchie (seit 1867)". Nautz legte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die Schwierigkeiten, die sich für die Bank aus der Betätigung in einem multiethnischen Raum ergaben. Die Österreichisch-Ungarische Notenbank stand nach dem Zusammenschluss der beiden Landesteile vor der Aufgabe, den Raum mit einem Filialnetz zu durchdringen. Dabei musste, wie Nautz anhand mehrerer Beispiele nachwies, vorsichtig zwischen den ethnischen und politischen Gruppen taktiert werden. Vor allem aus den Nationalbewegungen wurden immer wieder bankrelevante mit nationalen Forderungen verknüpft und so die Arbeit der Notenbank erheblich erschwert. Auch der Aufbau des Filialnetzes erwies sich als kompliziert, da innerhalb der Bankführung die Notwendigkeit von Filialen immer wieder unterschiedlich eingeschätzt wurde. So kam es erst Anfang des 19. Jahrhunderts zum Ausbau eines Filialnetzes, das zunächst nur von eingeschränktem Nutzen war, wurden doch erst nach 1840 auch Wechselbankgeschäfte durch die Filialen durchgeführt. Doch immer beherrschten neben der bankpolitischen auch nationale und ethnische Überlegungen die Entwicklung der Notenbank.

Nautz verdeutlichte in seinem Vortrag, welche Schwierigkeiten sich für die Bank ergaben, wenn Kommunikationsstrukturen erst aufgebaut werden mussten und die interne Kommunikation durch Entfernung und ethnische und politische Einflüsse erschwert wurde. Er stellte somit ein Beispiel für erschwerte Kommunikation in einem vergrößerten Raum vor.

Die den Banken gewinnbringende Interaktion von Politik und Bankgeschäft zeichnete Harald WIXFORTH (Bielefeld) nach, der in seinem Referat "Strategiebildung - Kommunikation - Geschäftsausdehnung: Die Berliner Großbanken und ihre Expansion nach Mittel- und Osteuropa während des Nationalsozialismus" die enge Verknüpfung von Politik- und Bankennetzwerken während des Dritten Reiches thematisierte. Die Banken, so konnte Wixforth eindrucksvoll zeigen, betätigten sich als Netzwerkspezialisten und bauten innerhalb kurzer Zeit nach der notwendigen Neubildung als Folge des Ersten Weltkrieges Netzwerke in die und mit der Politik auf. Dabei standen sich unterschiedliche Bankierspersönlichkeiten gegenüber, die in die jungen, risikobereiten und zum Teil skrupellosen Bankiers und die älteren Konservativen eingeteilt werden können.

In den meisten Fällen setzten sich jedoch die auf eine enge Verzahnung mit der Partei ausgerichteten jüngeren Bankiers durch, denen es gelang, in die sozialen Verkehrskreise der NS-Größen hinein zu kommen. Ehemalige Bankangestellte in Schlüsselpositionen der Partei erfüllten hierbei wichtige Scharnierfunktionen. Wixforth machte deutlich, dass sich die Berliner Großbanken wohl in ihrem Interessengebiet von einander unterschieden, was stark von den vorhandenen oder fehlenden Verbindungen in die jeweiligen Gebiete abhing, nicht aber in der grundsätzlichen Expansion des Geschäftsbereiches in den Osten. Diese erfolgte in allen aufgezeigten Beispielen immer schnell und unmittelbar im Anschluss an die politischen oder militärischen Eroberungen.

Dabei stellten diese Bemühungen immer auch Vorbereitungen auf eine noch zu erfolgende weitere Ostexpansion dar. Auch die "Verwertung" jüdischen Kapitals war ein Grund für die enge Nähe zur NS-Führung. Allerdings verlief der Aufbau der Netzwerke nicht ohne Probleme, und so brach sich der Expansionswille der Banken auch oft an der Reichweite der Politik. Wixforth zeigte in seinem Beitrag, welche enormen Vorteile die Banken durch Netzwerksbeziehungen in die politische Führungsklasse haben konnten, aber auch, dass Kommunikationsstrukturen erst aufgebaut werden mussten, die dann dazu genutzt werden konnten, Gelder über den Untergang des Dritten Reiches hinaus für die Banken zu sichern.

"Konturen der Bankengeschichte" nachzuzeichnen war die Aufgabe der vier gebotenen Beiträge. Die Gefahr von epochenübergreifenden Sektionen, nicht mehr zu bieten als eine bloße Nebeneinanderstellung von locker verbundenen Beiträgen, hat die Sektion vollständig abwehren können. Mit der Konzentration auf die Begriffspaare "Kommunikation und Raum", vorgegeben durch das Motto des Historikertages, und "Beschleunigung und Ausdehnung", vorgegeben durch die Sektionsleitung, sind zwar nur wenige Aspekte der vielseitigen und in vielen Fällen noch unerforschten Bankengeschichte thematisiert worden. Doch sind diese Begriffe sehr wohl in der Lage, die Entwicklung der Bankengeschichte insgesamt nachzuzeichnen. In allen vier Beiträgen ist deutlich geworden, dass die Kommunikation systemimmanent war und ist. Dadurch ist es zu allen Zeiten gelungen, auch große Räume zu überbrücken. Die räumliche Präsenz des Phänomens Bank ist dabei, so konnte auch gezeigt werden, immer bis an die Grenzen des jeweiligen Wirtschaftsraumes ausgedehnt worden, und das in relativ kurzer Zeit. Banken spielten somit stets auch eine große Rolle in der Schaffung wirtschaftlicher und darauf folgend politischer Interessenräume. Sie waren darüber hinaus geradezu Motoren für die Entwicklung neuer und beschleunigender Medien.

Die Betrachtung der Bankengeschichte in der vorgestellten Sektion zeigte aber auch, dass noch immer, trotz der langen und erfolgreichen Aufarbeitung, Fragen offen geblieben sind. Die Mechanismen der Bankennetzwerke nach dem Zweiten Weltkrieg sind ebenso noch deutlicher aufzuzeigen wie die Ursachen für die Herausbildung unterschiedlicher Usancen an verschiedenen Handelsorten zu klären. Auch das Handeln der Hansen bei relativer Bargeldknappheit und die Probleme negativer Handelsbilanzen zwischen Hanse und Oberdeutschland werden zu beachten sein. Ein Verdienst der Vortragenden war es freilich, dass sie diese Defizite deutlich benannten und somit Aufgaben für weitere Forschung aufzeigten. Die Veröffentlichung der Beiträge ist in Aussicht gestellt. Sie kann mit großem Interesse erwartet werden, zumal es gelungen ist, ein an der Fragestellung ausgerichtetes vorläufiges Gesamtbild zu zeichnen.

Kontakt

Matthias Steinbrink
Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Universität der Bundeswehr München
85577 Neubiberg
M.Steinbrink@unibw-muenchen.de
http://wwwsrv.rz.unibw-muenchen.de/WISO

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
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