Wein und Judentum

Organisatoren
Professor Dr. Andreas Lehnardt, Judaistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.09.2012 - 06.09.2012
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Von
Farina Marx, Evangelisch-Theologische Fakultät, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Bedeutung von Wein im Judentum ist seit Jahrhunderten Teil jüdisch-religiösen Dialogs. Darf Wein getrunken werden? Von wem? Und vor allem welcher Wein? Dies sind nur einige der Fragen, mit denen sich Rabbiner, Philosophen, Händler und die jüdische Bevölkerung in Deutschland und der Welt auseinandersetzen. In Deutschland eignet sich wohl auf Grund der regionalen Bedeutung des Weins Mainz besser als keine andere Stadt für die Austragung einer Tagung zu diesem Themenfeld. Wissenschaftler und Interessierte aus Deutschland, Italien und Israel trafen sich in Mainz, um die kulturelle und liturgische Bedeutung des Weines im Judentum zu diskutieren und sich über die verschiedenen Forschungsansätze und Fragestellungen auszutauschen. Die Tagung wurde vom Lehrstuhl für Judaistik in der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz unter der Leitung von Andreas Lehnardt und dem Verband der Judaisten in Deutschland e.V. veranstaltet. Im Rahmen der Tagung wurde der Wein als Gegenstand des Kultus und als Lebensmittel untersucht. Während der kultisch religiöse Aspekt bereits Gegenstand einiger wissenschaftlicher Untersuchungen war, stand im Mittelpunkt des Mainzer Symposiums der alltägliche Umgang mit Wein im jüdischen Leben. Die kulturspezifische Bedeutung des Weins im Judentum wurde in sehr unterschiedlichen Zeit- und Literaturkontexten betrachtet. So wurden rabbinische, mittelalterliche und neuzeitliche Quellen ebenso berücksichtigt wie sozialgeschichtliche und historische Aspekte. Thematisch lassen sich drei Schwerpunkte festlegen: 1. Der Wein in antiken und frühmittelalterlichen rabbinischen Quellen, vor allem im Talmud. 2. Die Bedeutung des jüdischen Weinhandels. 3. die neuzeitliche jüdische Sicht auf den Wein, hier vor allem bei Autoren der jüdischen Aufklärung.

Den feierlichen Auftakt des Symposiums machte TAL ILAN (Berlin) in der Synagoge Weisenau. Ihr Vortrag beschäftigte sich mit Frauen und Wein im Babylonischen Talmud. Ilan ging der Frage nach, in wie weit die Anonymisierung von Frauen im Talmud im Hinblick auf den Wein eine Rolle spielt. Eindrucksvoll konnte sie zeigen, wie mit gleichen Erzählungen im Babylonischen Talmud und Jerusalemer Talmud der Weinkonsum für Frauen einerseits gerechtfertigt wird (Babylonischer Talmud), zum anderen ein striktes Verbot im Jerusalemer Talmud ausgesprochen wird.

SUSANNE PLIETZSCH (Salzburg) zeigte in ihrem Beitrag über Noah, den ersten Weinberg-Pflanzer, an ausgewählten Stellen aus dem Midrasch Genesis Rabba, dass der Wein ein zentraler Bestandteil der Erzählung ist, auch wenn Noah im Vergleich zu den Darstellungen bei den Kirchenvätern negativer dargestellt wird. Dass der Weinrausch nicht nur in der Geschichte zu Noah und seinen Söhnen zentraler Bestandteil ist und zu vielen Diskussionen innerhalb der rabbinischen Literatur führte konnte auch FARINA MARX (Mainz) zeigen. Der bis heute bekannte Spruch „nikhnas yayin yetze sod“ („Geht der Wein hinein, so kommt das Geheimnis heraus“) stand im Mittelpunkt des Vortrags. In erster Linie wurde analysiert, wie in rabbinischer Literatur dieser Spruch zum einen genutzt wird, um den Weinkonsum zu rechtfertigen und wie dieser gleichsam als wichtiges und sinnvolles Hilfsmittel betrachtet wird, um die versteckten Wahrheiten dem Menschen zu entlocken. Auf der anderen Seite konnte dargestellt werden, wie der gleiche Spruch seine Verwendung findet, um auszulegen, dass gerade der Weinkonsum dem Menschen schadet und er keinen Wein zu sich nehmen sollte, es sogar streng verboten ist.

Eine weitere Möglichkeit der literarischen Auseinandersetzung mit Wein und dem Rausch zeigte MIRJAM BEDDIG (Düsseldorf). Ihr Vortrag über „Sefer Habakbuk Hanavi“, eine Purimparodie aus dem Vierzehnten Jahrhundert von Levi ben Gerschon, gab einen Einblick in eine jüdische Parodie auf das Buch Habakuk. Wortspiele wie das bekannte mit Habakuk – Bakbuk (Hebräisch: Flasche) dienten dem unbekannten Autor dieser Parodie, um eine Verbindung zwischen Habakuk und Wein herzustellen, die im zugrundeliegenden Bibeltext nicht erkennbar ist. Reime und Wortspiele ergänzten den präsentierten Text und wurden von Beddig lebendig und amüsant präsentiert.

Ein weiterer Schwerpunkt, der innerhalb des Symposiums gesetzt wurde, war – neben dem Einfluss von Wein auf den Körper und dessen folgen und geschaffenen gesetzlichen Regulierungen – die Bedeutung des Weins als Wirtschaftsfaktor. ABRAHAM DAVID (Hebräische Universität Jerusalem) erörterte bislang unveröffentlichte Fragmente aus der Kairoer Geniza, die den weitverbreiteten Weinhandel im Mittelmeerraum belegen. Diese Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte Geniza enthält um die 200.000 Schriftstücke, darunter zahlreiche Wirtschaftsdokumente und Briefe. Der Handel mit einem speziellen Wein wurde von GIUSEPPE VELTRI (Halle-Wittenberg) beleuchtet. Er erörterte die Bedeutung des italienischen Weins (yayyin italqi), der hinsichtlich seiner besonderen Stellung bereits in rabbinischer Literatur Erwähnung findet. Veltri zeigte an Hand ausgewählter Beispiele, dass sich der Handel mit kostbaren Weinen von Palästina bis hin nach Italien erstreckte und wie dieser Wein im Talmud beachtet wird. Er konnte darlegen, wie italienischer Wein bereits früh in jüdischen Handelsdokumenten belegt ist und dort einen auch in halakhischer Hinsicht besonderen Status besitzt. ELISABETH SINGER (Würzburg) gab einen Überblick über die bisher entdeckten und bearbeiteten Genizot (Plural von Geniza) in Deutschland und zeigte an ausgewählten Beispielen, welche Erkenntnisse zum Wein aus den Funden der Lagerstellen in Synagogen gezogen werden können. Genau wie in der Kairoer Geniza geben auch deutsche mittelalterliche und neuzeitliche Funde einen direkten Einblick in das dort hinterlassene jüdische Kulturleben. Während eine Geniza traditionell eine Lagerstätte für ausgediente vor allem religiöse Dokumente ist, die aufgrund ihres weiterhin geltenden religiösen Stellenwerts nicht einfach zerstört werden dürfen, zeigte Singer, dass gerade unter diesen deutschen Funden auch solche sind, die bei erster Betrachtung als nicht eindeutig religiös zu werten sind. Dazu gehören Rechnungen, Kleidung und andere Gegenstände des täglichen Gebrauchs.

Einen letzten aber völlig anderen Einblick in den jüdischen Weinhandel bot PETER KUPFER (Mainz). Sein Beitrag „Wein – Seidenstraße – China – Judentum“ gab eine Übersicht über jüdischen Weinhandel, der sogar Spuren im fernen Osten hinterließ. Kupfer konnte in diesem Beitrag von seinen persönlichen Erfahrungen berichten, die er erst kürzlich auf Forschungsreisen gewonnen hat. Er gab damit einen Einblick in die Kultur des Fernen Ostens und zeigte die jüdische Gemeinde und deren Umgang mit Wein in einem völlig neuen Licht. BILL REBIGER (Berlin) ging in seinem Vortrag auf das Thema der Verwendung von Wein innerhalb der Magie ein. Schon in der Spätantike und vor allem im frühen Mittelalter diente Wein auch magischen Praktiken. Vor allem Handschriftenfunde aus der Kairoer Geniza geben über die Praktiken in der Spätantike und im frühen Mittelalter Auskunft. Rebiger stellte zum einen theoretische Diskussionen unter Gelehrten über Wein und seinen Stellenwert innerhalb der Magie vor, zum anderen zeigte er aber auch ganz praktische Beispiele für die magische Verwendung von Wein. So fanden sich unter den Geniza-Funden magische Texte, die Zauberformeln und Rezepte beinhalten, welche ausdrücklich den Gebrauch von Wein verlangen. Nachdem Wein aus religiöser und religionsgesetzlicher Sicht als auch aus der jüdisch wirtschaftlichen und sogar aus der magischen Perspektive betrachtet wurde, schloss die Konferenz mit dem dritten neuzeitlich philosophischen Schwerpunkt.

Der Vortrag von UTA LOHMANN (Hamburg) beschäftigte sich mit der Person David Friedländers und der Berliner Aufklärung. Dieser Beitrag thematisierte das gesamte Spektrum des Themas Wein und Judentum und veranschaulichte, wie nicht nur in rabbinischer und mittelalterlicher jüdischer Literatur Wein rezipiert wurde, sondern dass auch in der Zeit der Aufklärung unter den deutsch-jüdischen Philosophen Wein ein zentrales Thema war. David Friedländer gilt nach dem Tod Moses Mendelssohns als der Wortführer und einflussreicher Wegbereiter der jüdischen Aufklärung. Seine Notiz „Dieser alte Rheinwein mundet nur noch, wie die Philosophie, unseren Veteranen, die von den Realitäten einen anschaulichen Begriff haben“ gibt dabei Aufschluss über seine religiös-jüdische Haltung zum Thema Wein.

Eine liberale Sicht auf das Thema gibt auch der die Konferenz abschließende Beitrag von YEHOYADA AMIR (Jerusalem). Sein Vortrag über Wein und Brot in Rosenzweigs philosophischem Werk zeigte, wie die Auseinandersetzung mit dem Christentum Rosenzweig zu einer vertieften Einsicht in die jüdische Kultsymbolik führte. Er legte dar, dass beide Lebensmittel religionsübergreifend fundamentale, wenn auch in ihrer für die Religion jeweiligen Bedeutung völlig unterschiedliche Elemente des christlichen und jüdischen Glaubens repräsentieren.

Das Symposium hat einen ersten Einblick in das vorhandene Material zum alltäglichen Umgang mit Wein im Judentum erarbeitet. Es wurde deutlich, dass das Thema Wein und Judentum unterschiedliche Aspekte aufweist und wie verschiedene methodische Zugänge zu den Quellen eine differenziertere Sicht ermöglichen. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.1

Konferenzübersicht:

Tal Ilan (Berlin): “Trinkt eine Frau vier Becher Wein, so fordert sie einen Esel auf der Straße auf“. Der Babylonische Talmud über Frauen und Wein

Susanne Plietzsch (Salzburg): Noah (und der Wein) in Midrasch Bereschit Rabba

Farina Marx (Mainz): „Zehn plus Zehn plus Fünfzig gleich Siebzig“ – Geheimnisse durch Wein entdecken

Giuseppe Veltri (Halle-Wittenberg): Der „italienische Wein“ (yayyin italqi) in der rabbinischen Literatur

Abraham David (Jerusalem): Wine using by Near Eastern Jews in the Late Middle Ages and beyond

Elisabeth Singer (Würzburg): Wein im Spiegel von Geniza Funden aus Deutschland

Bill Rebiger (Berlin): Zur Bedeutung von Wein in der jüdischen Magie des Mittelalters

Peter Kupfer (Mainz): Wein – Seidenstraße – China – Judentum

Mirjam Beddig (Düsseldorf): „Sefer Habakbuk Hanavi“, eine Purimparodie aus dem Vierzehnten Jahrhundert von Levi ben Gerschon

Uta Lohmann (Hamburg): “Dieser alte Rheinwein mundet nur noch, wie die Philosophie, unseren Veteranen, die von den Realitäten einen anschaulichen Begriff haben“ – David Friedländer (1750–1834) und die Berliner Aufklärung

Yehoyada Amir (Jerusalem): Wine and bread as building-stones of the Jewish and Christian Überwelt in Rosenzweig's philosophy

Anmerkung:
1 In einem in Vorbereitung befindlichen Tagungsband werden die Beiträge zusammengefasst: Einige Eindrücke von der Konferenz können bei Facebook unter <http://www.facebook.com/media/set/?set=a.194981913968660.50304.139953322804853&type=3pe=3> (14.12.2012) eingesehen werden.


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