Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit

Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
DFG-Forschungsprojekt: Herrschaftsvermittlung in der Frühen Neuzeit. Fallstudien zu Territorien des Alten Reichs und der Habsburgermonarchie im internationalen Vergleich (1650–1800)
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.10.2012 - 20.10.2012
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Von
Jonas Hübner, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Die Abschlusskonferenz des DFG-Forschungsprojekts „Herrschaftsvermittlung in der Frühen Neuzeit“ diskutierte die empirischen und theoretischen Erträge der Teilprojekte zur Verwaltungsgeschichte der Vormoderne im europäischen Vergleich. In seinem Einführungskommentar stellte Projektleiter STEFAN BRAKENSIEK (Essen) die beiden für die Fallstudien jeweils erkenntnisleitenden Konzepte der Herrschaftsvermittlung und der Verwaltungskultur vor. Das Konzept der Herrschaftsvermittlung nahm vor allem exogene Aspekte der frühneuzeitlichen Verwaltung in den Blick und konzentrierte sich auf die administrativen Akteure und Institutionen der Vermittlung zwischen Herrschaften und Untertanen. Besonderes Augenmerk lag auf den institutionalisierten Formen der Dreiecks-Kommunikation (Triangulierung) zwischen fürstlicher Zentrale, regionalen bzw. lokalen Amtsträgern und Untertanen, deren Interaktionen auf Ermächtigungspotenziale der Legitimation und Partizipation, der Information und Kontrolle befragt wurden. Das Konzept der Verwaltungskultur richtete den Fokus vorrangig auf endogene Aspekte der vormodernen Administration, die sie als organisationelles Gebilde eines politisch-administrativen Systems auffasste, dessen handlungsleitende Rationalitäten, Werte und Normen eine institutionenspezifische Kultur hervorbrachten. Das Erkenntnisinteresse galt hier den Prozessen administrativer Sinngenerierung, die sich in instrumenteller Hinsicht auf Möglichkeiten und Grenzen autonomen Verwaltungshandelns, in symbolischer Hinsicht auf Selbst- und Fremddefinitionen von Behörden sowie auf Inszenierungen ihres Entscheidungshandelns bezogen. Diese Konzepte, die das „Innen“ und „Außen“ vormoderner Verwaltungen akteurs- und systemorientierten Forschungsperspektiven öffneten, standen in einem methodischen Spannungsverhältnis, aus dem sich in der Diskussion anregende „Irritationszusammenhänge“1 ergaben.

CORINNA VON BREDOW (Essen) widmete sich der Verwaltungsgeschichte der niederösterreichischen Kreisämter, die mit der Einsetzung von Kreishauptmännern 1753 als neue administrative Instanzen zwischen die Landesregierung und die Grundherrschaften traten, um jene über territoriale Ressourcen zu informieren, landesherrliche Gesetze zu implementieren und lokale Herrschaftsträger zu kontrollieren. Ausgehend von einer Analyse verschiedener Dreiecks-Kommunikationen zwischen Untertanen, Grundherren, Kreisamt und Landesregierung stellte von Bredow die Verwaltungspraxis des Amtes dar. Exemplarisch zeigte sie die partizipatorischen und legitimatorischen Effekte auf, die aus der herrschaftsvermittelnden Funktion dieser Behörde resultierten: Bitten und Beschwerden wurden vom Kreisamt zumeist zeitnah zugunsten supplizierender Untertanen entschieden und die Entscheidungen gegebenenfalls auch gegen grundherrlichen Widerstand durchgesetzt. Sogar wenn das Amt selbst zum Gegenstand von Konflikten wurde, ging es daraus ohne nennenswerten Legitimitätsverlust hervor. Angesichts dieses Funktionalitätsbefundes wurde die Frage diskutiert, ob es im Josephinismus zu einer Veralltäglichung rechtsstaatlicher Verhältnisse gekommen sei und eine veränderte Amtsauffassung die Herauslösung adliger Beamter aus ihrer Standesloyalität herbeigeführt habe.

PETER COLLMER (Zürich) eruierte die analytische und geographische Reichweite des Triangulierungskonzepts anhand einer Fallstudie zur Verwaltungskultur der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Seine Überlegungen beruhten auf der Prämisse, dass sich die Herrschaftsorganisation der Adelsrepublik grundlegend von der des europäischen Fürstenstaats unterschieden habe: Die komplexen Konstellationen herrschaftlicher Dreiecks-Kommunikation in der aristokratisch „beauftragten Monarchie“ Polen-Litauens waren nicht auf die „staatliche“ Sphäre konzentriert, sondern bildeten sich auf der „privaten“ Ebene magnatischer Gutsherrschaften heraus. Interaktionen liefen deshalb weniger entlang einer hierarchischen Vertikalen als vielmehr auf einer Horizontalen konkurrierender Instanzen adliger Streitkultur ab. Eine Ausnahme stellten lediglich die königlichen Tafelgüter dar, für die Collmer am Beispiel der Ökonomie von Sambor (1741) Prozesse vertikaler, mithin fürstenstaatlicher Triangulierung rekonstruierte. Die anschließende Diskussion thematisierte und problematisierte zum einen Herkunft und Substanz des Triangulierungsbegriffs, zum anderen Dreiecks-Kommunikation als Phänomen der Gegenwartsgesellschaft. Kritisiert wurde die terminologische Aufspaltung von Herrschaft in eine „private“ und „lokale“, einerseits, eine „öffentliche“, „zentrale“ und „staatliche“ andererseits. Diese Terminologie führte zu anachronistischen Dichotomien und bedingte die Inkongruenz der Vergleichsgrößen von Fürstenstaat und Adelsrepublik, worauf die behauptete Andersartigkeit der letzteren im Wesentlichen basierte.

SIMON KARSTENS (Trier) untersuchte in seinem Vortrag die monarchische Souveränität konstituierende Funktion der Kirche als konfessionspolitischem Kommunikationsnetzwerk und Medium der Herrschaftsrepräsentation Karls VI. in den Südlichen Niederlanden (1706–1720). Kirchliche Institutionen und darin eingebundene Akteure fungierten als maßgebliche Multiplikatoren des kaiserlichen Herrschaftsanspruchs, den sie im Handlungskontext sakraler Zeremonien gegenüber den Untertanen symbolisch vermittelten. Der Darstellung des Kaisers als Bewahrer der habsburgischen Herrschaftstradition und als Verteidiger der katholischen Heilsgemeinschaft kam im politisch fragmentierten und konfessionell heterogenen Herrschaftsraum der Südlichen Niederlande eine ordnungsstabilisierende Bedeutung zu. Die Art und Weise, wie sich die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen kirchlichen und weltlichen Amtsträgern verstärkend auf die habsburgische Herrschaftssicherung auswirkten, verdeutlichte Karstens anhand der kaiserlichen Konfessionspolitik gegenüber Abweichlern und Andersgläubigen (Jansenisten, Protestanten) sowie der herrschaftlichen Vergabepraxis kirchlicher Privilegien (Pain d’Abbaye). Hinsichtlich der Fragilität der habsburgischen Herrschaft in den Südlichen Niederlanden konzentrierte sich die Diskussion auf die Frage, welche Auswirkungen kontingente Situationen auf Praktiken der „Direct rule“ und „Indirect rule“ hatten.

HANNA SONKAJÄRVI (Essen/Paris) vertrat in ihrem Vortrag über das Supplikationswesen in den Südlichen Niederlanden des 18. Jahrhunderts die These, dass die von ihr untersuchten Bittschriften auf Eintritt in fremde Dienste und auf Naturalisierung in einer anderen Provinz kaum herrschaftsvermittelnde Funktionen im Sinne von Information, Partizipation oder Kontrolle erfüllten. Vielmehr dienten sie vorrangig der politisch-administrativen „Darstellung der Herstellung von Entscheidungen“. Obwohl der Weg der Bittschriften auf Naturalisierung eine Dreiecks-Kommunikation zwischen fürstlicher Zentrale, regionalen Amtsträgern und Untertanen erzeugte, war eine Umgehung des Instanzenzugs durch Triangulierung dennoch unmöglich: Die Krone, repräsentiert durch einen der drei kollateralen Räte (Conseil Privé) und den Statthalter in Brüssel, leitete die eingereichten Suppliken an die zuständigen Provinzverwaltungen weiter und verkündete nur noch schriftlich die dort getroffenen Entscheidungen. Aufgrund des paradoxen Befunds, dass der Conseil Privé zur Begründung der Entscheidungen gleichwohl die Argumentation der Supplikanten und nicht die der Provinzbehörden heranzog, fragte Sonkajärvi ausblickend nach den performativen Effekten, die die Schriftpraxis der Supplikationen für die Konsolidierung von Verwaltungsroutinen zeitigte. Diese Frage regte zu der Diskussion an, ob im Medium der Supplik eine zunehmende Responsivität oder Bürokratisierung von Herrschaft zu beobachten sei.

BETTINA SEVERIN-BARBOUTIE (Gießen) sprach sich mit Blick auf die Bürokratie als integrativem Instrument der Herrschaftsausübung im Großherzogtum Berg (1806–1813) dafür aus, auch das Napoleonische Kaiserreich zum Gegenstand der historischen Imperienforschung zu machen. Das aus zahlreichen Territorien zusammengesetzte Großherzogtum sollte als erste napoleonische Staatgründung auf deutschem Boden ein Modell für die Homogenisierung sämtlicher Rheinbundstaaten nach französischer Matrix abgeben. Die zu diesem Zweck in Anschlag gebrachten Integrationsinstrumente bestanden zum einen in einer nach modernen Verfahrensprinzipien strukturierten Verwaltungsorganisation, die den altständischen Behördenapparat ersetzte, zum anderen in Supplikationen und Deputationen, die in die politische Kultur der altständischen Gesellschaft eingebettet waren. Severin-Barboutie ermittelte die Motive und Reichweiten, die Frequenz und Akzeptanz der Nutzung dieser beiden Medien, die der Administration erweiterte Steuerungsmöglichkeiten eröffnete und zugleich den Administrierten legitime Wege der Interessenartikulation bahnte. Im Mittelpunkt der Diskussion stand angesichts des transitorischen Charakters der napoleonischen Herrschaft die Frage, ob und inwiefern die Geschichtlichkeit von Institutionen einen Einfluss auf die Stabilitätserwartungen der darin engagierten Akteure habe.

NICOLÁS BROCHHAGEN (Hamburg/Essen) arbeitete die Bedeutungsstrukturen und Diskurspraktiken heraus, die der Dreiecks-Kommunikation zwischen Territorialherrschaft, lokalen Herrschaftsträgern und Untertanen bei der Visitation des Amtes Grebenstein in der Landgrafschaft Hessen-Kassel (1668) zugrunde lagen. Anhand einer eingehenden Analyse der Inhalte, Medien und Akteure des Visitationsverfahrens verfolgte Brochhagen die diskursive Konstruktion landesherrlicher Macht auf lokaler Ebene und legte die Sprachregeln einer politisch-administrativen Diskursformation frei: Diese transformierte einerseits supplizierende Untertanen in hilfsbedürftige, den lokalen Verhältnissen und der landesherrlichen Gnade ausgelieferte Subjekte; andererseits schrieb sie dadurch der visitierenden Obrigkeit eine fürsorgliche und gemeinwohlorientierte Herrschaft zu. Diese wechselseitig auf einander verweisenden Diskursmuster bedingten eine verstärkte Integration der am Verfahren beteiligten Akteure in hegemoniale Kommunikationsformen. Mithin trugen sie zur Stabilisierung und Legitimierung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse bei. In der Diskussion wurde zum einen die analytische Differenzierung zwischen den sozialen Rollen und Sprecherpositionen der Supplikanten kritisch hinterfragt, zum anderen eine semantische Untersuchung der für die Diskursformation zentralen Begriffe angeregt.

PASI IHALAINEN (Jyväskylä/Freiburg) präsentierte ein Panorama vergleichender Lektüren der protestantischen Hof-, Parlaments- und Kriegspredigten in England, Preußen und Schweden im langen 18. Jahrhundert. Ausgehend von der Annahme, dass sich anhand dieser europäischen Quellengattung der langfristige Wertewandel in den politischen Kulturen der protestantischen Monarchien abbilden lasse, konstatierte Ihalainen eine zunehmende Amalgamierung religiöser und nationaler Identitätskonzepte, die er auf die verstärkte Diffusion von Aufklärungs- und Modernisierungsdiskursen in das Medium der Predigt zurückführte. Besonders augenfällig verlief dieser Prozess der Politisierung und Säkularisierung nach dem Siebenjährigen Krieg in England, wo die gesellschaftlichen Diskurse über Patriotismus, (Handels-)Liberalismus und Fortschritt die klerikalen Definitionen der Monarchie breitenwirksamer und nachhaltiger prägten, als dies zur gleichen Zeit in Preußen und Schweden der Fall war. Der in den politischen Predigten zu beobachtende Wertewandel veranlasste zu der Frage, ob der generelle Legitimationsverlust von Kirche und Monarchie im Zeitalter der Aufklärung das Bedürfnis nach einer neuen Konstruktion von Geschichtsdestination erweckt habe.

KLAUS MARGREITER (Speyer) historisierte in seinem Vortrag über den Kanzleistil des 18. Jahrhunderts das Dilemma der Verwaltungssprache, juristisch „verfahrensfest“, gleichzeitig aber auch allgemeinverständlich sein zu müssen. Anhand zeitgenössischer Lehrbücher über den Kanzleistil ging Margreiter den Motiven und Formen der aufklärerischen Verwaltungssprachkritik nach, die darauf abzielte, den „höflichen“ Kanzleistil als Code zur Arkanisierung von Herrschaft und zur Fixierung ständischer Ungleichheit zugunsten einer neuen „Staatssprache“ von seinem zeremoniellen Dekorum zu befreien und so den Stilpräferenzen einer bürgerlichen Öffentlichkeit anzupassen. Die Durchsetzung dieser Stilpräferenzen deutete Margreiter als einen „Kampf um kulturelle Hegemonie“, an dessen Ende nach den Verwaltungsreformen des 19. Jahrhunderts zwar eine Vereinfachung der Kanzleizermoniells, aber keine Enthierarchisierung der Behördensprache stand. Die Frage nach der geographischen Verortung der Verwaltungsprachkritik mündete in eine Debatte über die länderspezifische Ausprägung von Titulaturen, denen im Alten Reich eine besondere verfassungsrechtliche Qualität zugekommen sei. Überdies wurde diskutiert, wie sich die Prozesse zunehmender Verrechtlichung und Formalisierung auf Ökonomien der Aufmerksamkeit im Verwaltungshandeln auswirkten.

BIRGIT EMICH (Erlangen) nahm sich des Desiderats einer Kulturgeschichte vormoderner Verwaltungen an, indem sie einen analytischen Umriss für den bisherigen „catch-all-term“ der Verwaltungskultur skizzierte. Dabei griff Emich zwei Impulse der Organisationstheorie auf: Erstens konzeptualisierte sie den Untersuchungsgegenstand als „politisch-administratives System“, das in seiner Selbstwahrnehmung rückblickend laufend neue Rationalitäten des Verwaltungshandelns erzeuge. Diese könnten über Prozesse der Sinngenerierung und Umweltbeobachtung sowie über die Selbst- und Fremdbeschreibung von Organisationen Aufschluss geben. Zweitens fasste sie das dynamische Anpassungsverhältnis zwischen Organisation und Umwelt (Isomorphie) als doppeltes Strukturprinzip dieses Systems auf, das einerseits formal Glaubwürdigkeit, Akzeptanz und Legitimität herstellen müsse, andererseits jedoch auf informelles Entscheidungshandeln angewiesen sei, um die formal definierten Ziel der Organisation zu erreichen. Dieser „Formalisierung des Informellen“ ging Emich anhand der Getreideverwaltung des Kirchenstaates in Ferrara im 17. Jahrhundert nach: Die päpstliche Vergabepraxis von Exportlizenzen für Getreide (Tratte) folgte hier sowohl ökonomischen als auch politischen und klientelaren Rationalitäten, zwischen denen der Kardinallegat in einem komplexen Bewilligungsverfahren vermitteln musste. In der anschließenden Diskussion wurden die Begriffe der „Rationalität“ und „Informalität“ problematisiert und die Frage erörtert, ob die Formalisierung des Nepotismus im Kirchenstaat als Sonderfall einzuschätzen sei.

BIRGIT NÄTHER (Essen) wandte sich in ihrem Vortrag gegen den Max-Weber-Eklektizismus vieler Verwaltungsgeschichten, demzufolge Herrschaft im Alltag primär Verwaltung sei. Stattdessen plädierte sie dafür, die institutionenspezifische Kultur vormoderner Behörden – ihre administrativen Handlungsgrammatiken und Eigenlogiken – aus einer organisationstheoretischen Binnenperspektive in den Blick zu nehmen und Verwaltung nicht von vornherein als Subphänomen von Herrschaft zu qualifizieren. Anhand einer diachron angelegten Analyse der Dokumentationsformen und Verfahrensthemen bayerischer Landesvisitationen des 16. und 17. Jahrhunderts machte Näther durch den systematischen Abgleich von Instruktionen und Verfahrensakten eine Dialogstruktur zwischen den an der Visitation beteiligten Ober- und Mittelbehörden sichtbar: Letztere reagierten angesichts fehlender oder unzureichender Verfahrensnormen der ersteren auf die prozeduralen Erfordernisse der Visitationen, indem sie administrative Praktiken selbstständig kombinierten und weiter- oder neu entwickelten. Die übergeordnete Verwaltungsinstanz akzeptierte diese normunabhängigen Verfahrensergänzungen der untergeordneten Verwaltungsinstanz nicht nur, sondern machte sie zur Grundlage der eigenen Arbeitspraxis und somit zur Vorlage für die normative Gestaltung des Verfahrens. Näther charakterisierte die Selbstbeauftragung untergeordneter Behörden innerhalb hierarchischer Anordnungsstrukturen als „Normativität des Praktischen“. Der Vortrag löste eine Debatte über den Sinn oder Unsinn historischer Grenzziehungen zwischen Herrschen und Verwalten aus.

In ihrem Schlusskommentar bilanzierte BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Münster) das Konferenzgeschehen und konstatierte zum ersten angesichts der Befunde zur Funktionalität vormoderner Verwaltungen eine historische „Beweislastumkehrung“. So erblickte sie in der Ablösung lokaler Reziprozitätslogiken zugunsten einer zentralen Macht, über die nicht zuletzt die beobachteten Triangulierungsphänomene Aufschluss gaben, einen Anlass zur Revision klassischer Richtungskategorien der Bürokratisierung, Modernisierung und Staatsbildung. Zum zweiten plädierte Stollberg-Rilinger dafür, das kommunikative Symbol- und Entscheidungshandeln vormoderner Verwaltungen auf die Errichtung von „Rationalitäts- und Informationsfassaden“, die Routinisierung, Formalisierung und (Selbst-)Verfestigung administrativer Verfahren sowie die institutionelle Generierung von Sinn, Erwartung und Vertrauen zu befragen. Aus dieser kulturgeschichtlichen Perspektive auf vormoderne Verwaltungen würden nach Stollberg-Rilingers Auffassung drittens die Dichotomien von Herrschaft und Verwaltung, Akteur und Struktur, Mikro- und Makrogeschichte obsolet.

Die auf der Konferenz geführten Debatten um Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit berührten darüber hinaus immer wieder das generelle methodische Problem, zwischen akteurs- und systemzentrierten Forschungsperspektiven vermittelnde Verständigungshypothesen zu entwickeln, weil diesen Konzepten völlig verschiedene epistemische Vorannahmen historischer Subjektivität zugrunde liegen. Deshalb kann es künftig nicht um einen „pick-and-mix-approach“ beider Ansätze gehen, sondern darum, konventionelle sozial- und auch kulturgeschichtliche Konfigurationen von Akteur, System und Umwelt grundlegend zu überdenken.2

Konferenzübersicht

Stefan Brakensiek (Essen): Einführung ins Thema

Sektion I: Herrschaftsvermittlung, Triangulierung und Partizipation

Corinna von Bredow (Essen): Das niederösterreichische Kreisamt als Scharnier zwischen Landesregierung und Untertanen – Kommunikationsprozesse und Herrschaftspraxis

Peter Collmer (Zürich): Triangulierung. Zur Bedeutung herrschaftlicher Dreieckskommunikation in der polnisch-litauischen Adelsrepublik

Chair: Sabine Ullmann (Eichstätt)

Sektion II: Direct rule – Indirect rule

Simon Karstens (Trier): Verteidiger des Glaubens und Verteidiger von Interessen – Herrschaftssicherung durch Kirchen- und Konfessionspolitik am Beispiel Karls VI. in den Südlichen Niederlanden

Hanna Sonkajärvi (Essen/Paris): Supplikationen als Mittel zur Herrschaftsvermittlung und Kontrolle von lokalen Eliten in den Südlichen Niederlanden im 18. Jahrhundert

Bettina Severin-Barboutie (Gießen): Verhandlungssache? Herrschaft als soziale Praxis im napoleonischen Kaiserreich

Chair: Reinhard Stauber (Klagenfurt)

Sektion III: Diskurse

Nicolás Brochhagen (Hamburg/Essen): Landesherrliches Visitationsverfahren und diskursive Praxis lokaler Akteure in der Landgrafschaft Hessen-Kassel (17. Jahrhundert)

Pasi Ihalainen (Jyväskylä/Freiburg): Legitimation of the monarchy in Protestant political discourse in the long eighteenth century

Klaus Margreiter (Speyer): Die Debatte über den Kanzleistil in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Chair: Arndt Brendecke (München)

Sektion IV: Verwaltungskultur

Birgit Emich (Erlangen): Verwaltungskulturen im Kirchenstaat: Bologna und Ferrara im Vergleich

Birgit Näther (Essen): Handelnde Systeme: Zur Kulturgeschichte bayerischer Verwaltung in der Vormoderne

Chair: Heide Wunder (Kassel)

Barbara Stollberg-Rilinger (Münster): Schlusskommentar

Anmerkungen:
1 Rudolf Schlögl zur Kommunikation in Sonderforschungsbereichen.
2 Vgl. hierzu exemplarisch die Anregungen von Patrick Joyce, What is the Social in Social History?, in: Past and Present 206 (2010), S. 213–248.


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