Theorien des Medienwandels – Jahrestagung der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

Theorien des Medienwandels – Jahrestagung der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

Organisatoren
Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK)
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.01.2013 - 18.01.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Thomas Birkner, Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität Münster

Der vermeintlich allgegenwärtige Medienwandel beschäftigt einen Großteil der Kommunikations- und Medienwissenschaft in ihrer Forschung und Theoriebildung. Aktuell stehen dabei vor allem „neue“ Medien im Vordergrund und ihre Auswirkungen auf die gesellschaftliche Kommunikation. Weil aber jedes Medium einmal „neu“ war und sich Medienwandel tatsächlich nur in einer historischen Perspektive erfassen lässt, fand die diesjährige Tagung der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) zu diesem Thema statt.

Die langjährige Sprecherin der Fachgruppe Susanne Kinnebrock vom Institut für Medien und Bildungstechnologie der Universität Augsburg hatte mit dem Call for Papers zur Tagung offensichtlich den Nerv der Scientific Community getroffen. Über 70 Teilnehmer hatten sich vom Tagungsprogramm in die Fuggerstadt locken lassen. Im Zentrum standen unterschiedliche Zugänge, die Medienwandel theoretisch fundieren können. JÜRGEN WILKE (Mainz) sowie BENJAMIN KRÄMER und PHILIPP MÜLLER (beide München) systematisierten zunächst das Theorieangebot für Mediengeschichtsforschung. Hierauf wurde immer wieder rekurriert, wenn im weiteren Verlauf der Tagung einzelne theoretische Zugänge vorgestellt wurden.

In den Keynotes beschäftigten sich ANDREAS FICKERS (Maastricht) und NELSON RIBEIRO (Lissabon) mit dem Begriff der „neuen“ Medien und betonten die Bedeutung der Geschichtswissenschaft, um Medienwandel adäquat erforschen zu können. Auch mit Referenz an den Tagungsort Augsburg, griff Fickers das Beispiel der Fugger-Zeitungen auf in seiner „Genealogie des Medienwandels“. Ribeiro, der vor allem auch internationale Bezüge betonte, mahnte vor Hysterie in den Diskursen über neue Medien. Oft würden unrealistische utopische Vorstellungen von Medienwandel beim Aufkommen neuer Medien entwickelt, gleichfalls begleitet von ebenso unbegründeten Dystopien. Einen möglichst realistischen und analytischen Blick auf Medienwandel versprechen die Konzepte von Medialisierung und Mediatisierung.

Mit besonderer Spannung war das Panel, in dem die Konzepte Medialisierung und Mediatisierung aufeinander trafen, erwartet worden. Dabei wurde deutlich, dass es sich keineswegs nur um eine semantische Unterscheidung handelt, sondern um unterschiedliche Herangehensweisen, die Bedeutung der Medien in unserer Gesellschaft zu erfassen. Die beiden Protagonisten MICHAEL MEYEN (München) und ANDREAS HEPP (Bremen) wurden von Markus Behmer (Bamberg) als die beiden produktivsten Wissenschaftler der Kommunikationswissenschaft vorgestellt. Im Zentrum der Diskussion stand der von den amerikanischen Wissenschaftlern David L. Altheide und Robert P. Snow eingeführte Begriff der Medienlogik, der zunächst in beiden Ansätzen eine prominente Rolle spielte. Während Meyen die Medienlogik in seiner Forschung zur Medialisierung nutzt, lehnt Hepp den Begriff mittlerweile für das Konzept der Mediatisierung ab. Meyen zeigte in seinem Vortrag am Beispiel des Fußballs, wie dieses System sich seit den 1960er-Jahren auf Mikro-, Meso- und Makroebene den Medien angepasst hat. Spieler und Trainer orientierten sich mit Medientrainings an den Bedürfnissen der Medien, die Fußballvereine haben PR-Abteilungen ausgebaut und auch das Regelwerk sei an die Logik der Medien angepasst worden.

Standen bei Meyen vor allem „Akteursfiktionen“ im Vordergrund, so ging es Hepp in seinem Vortrag im Anschluss an Norbert Elias um „Kommunikative Figurationen“. Dabei handelt es sich um „musterhafte Interdependenzgeflechte von Kommunikation, die über verschiedene Medien hinweg bestehen und auf einen bestimmten ‚thematischen Kern’ ausgerichtet sind, an dem sich das kommunikative Handeln orientiert.“ Mit Elias’ Figuration will Hepp die für ihn „häufig statisch bleibenden Analyseebenen von Mikro, Meso und Makro“ durchschreiten. An Hepps Ausführungen zur Mediatisierung knüpften am zweiten Tagungstag seine Bremer Kollegen STEFANIE AVERBECK-LIETZ und FRIEDRICH KROTZ an. Averbeck-Lietz griff auf die kommunikationshistorischen Debatten der Fachgesellschaft zurück, um so Schnittstellen zwischen kommunikationsgeschichtlicher und Mediatisierungsforschung zu identifizieren. An die so identifizierte Tradition einer Beschäftigung mit Mediatisierung schloss Krotz an. Er erklärt die zirkulären Wechselwirkungen des Wandels von Medien und Gesellschaft mit dem Metaprozess der Mediatisierung und damit sowohl historischen wie aktuellen Medienwandel. Dabei wurde in der Diskussion unter anderem von Rudolf Stöber darauf verwiesen, dass der Begriff Mediatisierung in der Geschichtswissenschaft bereits besetzt ist und dort die Aufhebung der reichsunmittelbaren Stände zwischen 1803 und 1806 bezeichnet.1 Insofern scheint der Begriff Medialisierung anschlussfähiger an die Geschichtswissenschaft zu sein.

Die Tagung hat zum einen verdeutlicht, dass Mediatisierung und Medialisierung in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft tatsächlich nicht das Gleiche meinen. Deshalb sind hier vermutlich unterschiedliche Begriffe sogar notwendig. Während Mediatisierung in ihrer Konsequenz die zunehmende Durchdringung unserer Lebenswelt mit Medien meint, meint Medialisierung die Anpassungsprozesse anderer gesellschaftlicher Sozialsysteme an die Medienlogik. Dies muss nicht als Kolonialisierung zum Beispiel der Politik durch die Medien, sondern kann hier durchaus auch als Nutzbarmachung der Medien für die eigene Politik verstanden werden. Die beiden Ansätze eint der konzeptionelle Zugriff und das analytische Potential.

Christian Schwarzenegger (Augsburg) konnte so in seinem Tagungsresümee guten Gewissens die Gemeinsamkeiten beider Konzepte betonen. Denn auch wenn der Zugang unterscheidbar bleibt, so ist ihnen doch gemein, dass sie die Rolle der Medien in der gesellschaftlichen Kommunikation zu erfassen versuchen. Insofern können sie sich in Zukunft vielleicht wieder stärker einander annähern und gegenseitig weiter bringen, statt miteinander zu konkurrieren. Auch im angelsächsischen Diskurs sind die Begrifflichkeiten noch nicht endgültig geklärt, was die empirische Umsetzung in konkreten Forschungsprojekten zu behindern scheint.

Einen empirisch gesättigten Vortrag präsentierte ERIK KOENEN (Bremen), der trotz schwieriger Quellenlage eindrucksvoll zeigen konnte, wie sich Mediennutzung im ersten Drittel des 20. Jahrhundert in einem sich wandelnden Medienensemble veränderte. Dies war der sozialgeschichtliche Hintergrund, vor dem MELANIE LEIDECKER (Mainz) dann Veränderungen des Journalismus zu Beginn des Ersten Weltkrieges darstellen konnte. Sie zeigte, dass sich mit Kriegsbeginn der bislang nur selten auftretende Aufmacher-Artikel auf den Titelseiten der deutschen Presse durchsetzte, wo er sich bis heute hält. Die Frage, wie lange er sich dort noch halten wird, war hier kein Thema.

Einen besonders kreativen Zugang stellte JOAN RAMON RODRIGUEZ-AMAT (Wien) mit seiner „archaeology of the medium“ vor. Vor allem mit seiner sprachlichen Prägnanz beeindruckte der systemtheoretische Entwurf einer „Theorie evolutionären Medienwandels“ von ANDREAS ZIEMANN (Weimar).

Zum Abschluss gab dann KATHARINA LOBINGER (Bremen) bereits einen Ausblick auf die nächste Fachgruppentagung. Diese wird 2014 in Trier gemeinsam von den Fachgruppen Kommunikationsgeschichte und Visuelle Kommunikation ausgerichtet. Dabei soll es um die Entwicklung der visuellen Massenkommunikation vom Flugblatt bis zur Flut der Bilder gehen. Lobinger, Sprecherin der Fachgruppe Visuelle Kommunikation, plädierte dafür, Medienwandel auch „bildhaft“ zu denken. Damit wurde das Bild einer möglichst umfassenden und vor allem historisch fundierten Forschung zu Medienwandel komplettiert.

Die Tagung löste den formulierten Anspruch ein, Medienwandel vor allem in seiner historischen Dimension theoretisch zu durchdringen. Mit anspruchsvollen Theorieentwürfen wurden vergangene Phasen des Medienwandels vermessen und Perspektiven für zukünftige Forschung aufgezeigt.

Konferenzübersicht

Keynotes

Andreas Fickers (Maastricht): Konservative Medienrevolutionen: Überlegungen zu einer Genealogie des Medienwandels

Nelson Ribeiro (Lissabon): The Discourse on New Media: Between utopia and disruption

Panel 1 - Medienwandel aus der Makroperspektive: Diskurs, Systematisierung, Typologie

Jürgen Wilke (Mainz): Theorien des Medienwandels: Versuch einer Systematisierung

Benjamin Krämer & Philipp Müller (München): Die (Geschichts-)Theorien der Mediengeschichtsforschung: Ansätze für Typologien

Panel 2 - Theorien des Medienwandels zwischen Innovation und Evolution

Andreas Ziemann (Weimar): Elemente einer Theorie evolutionären Medienwandels

Michael Latzer (Zürich): Medienwandel aus einer kombinierten innovations-, ko-evolutions- und komplexitätstheoretischen Perspektive

Panel 3 - Medialisierung und Mediatisierung – Fortschreibung der theoretischen Ansätze

Michael Meyen, Steffi Strenger & Markus Thieroff (München): Medialisierung als langfristige Medienwirkungen zweiter Ordnung

Andreas Hepp (Bremen): Kommunikative Figurationen: Zur Beschreibung des Wandels mediatisierter Gesellschaften und Kulturen

Panel 4 - Medienwandel aus Sicht klassischer Theorieansätze

Christian Oggolder (Wien): Der Rhythmus der Strukturen: Fernand Braudel und der Medienwandel

Florian Hartling (Halle): Dispositiv als medienwissenschaftliches Konzept des Medienwandels am Beispiel der digitalen Medien

Joan Ramon Rodriguez-Amat (Wien): Towards an archaeology of the medium

Panel 5 - Medienwandel: Nutzer, Mensch und Publikum

Manuel Wendelin (München): Öffentlichkeitsdynamiken: Medialisierung, Content Explosion und Transparenz von Publikumsverhalten

Manuel Menke (Augsburg): Aus neu mach alt - Medienwandel rückwärts: Die Steampunk-Bewegung als Gradmesser eines gesellschaftlichen Grundbedürfnisses?

Erik Koenen (Bremen): Mediennutzung im Medienwandel: Von der Entfesselung der Massenpresse bis zum ersten Plurimedialisierungs-schub der Massenkommunikation in den 1920er Jahren

Panel 6 - Medienwandel und Mediatisierung

Stefanie Averbeck-Lietz (Bremen): Schnittstellen zwischen kommunikationsgeschichtlicher und Mediatisierungsforschung? Konzeptionen von Kommunikations- und Medienwandel

Friedrich Krotz (Bremen): Mediatisierung als Ansatz einer kritischen Untersuchung des historischen und aktuellen Wandels der Medien und des historischen und aktuellen Wandels durch Medien

Panel 7 - Medienwandel erklären, beschreiben und erforschen

Olaf Jandura (Mainz) & Manuel Wendelin (München): Medienwandel erklären: Potentiale und Probleme beim Einsatz Essers Theorie der soziologischen Erklärung am Beispiel der Zuwendung zum zeitversetzten Fernsehen

Tilo Grenz (Karlsruhe) & Gerd Möll (Dortmund): Fitness meets Poker: Überlegungen zu einer materialbasierten Theorie des medialen Wandel

Panel 8 - Facetten des Medienwandels

Melanie Leidecker (Mainz): Wie sich der Aufmacher-Artikel historisch herausgebildet hat: Exemplarische Belege zum Wandel der Titelseitengestaltung deutscher Tageszeitungen

Anke Offerhaus (Bremen): Journalismus im Wandel: Das Professionalisierungskonzept zur Untersuchung von Veränderungen journalistischer Berufsstrukturen

Katharina Lobinger (Bremen): Visuelle Facetten der Mediatisierung: Zur Notwendigkeit, Theorien des Medienwandels (auch) „bildhaft" zu denken

Anmerkung:
1 Frank Bösch / Norbert Frei (Hrsg.) Medialisierung der Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, Seite 10.


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